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BY 4.0 license Open Access Published by De Gruyter July 1, 2024

Über Bibliotheken als Werkstätten der Demokratie

Ein Interview von Claudia Lux mit Thomas Bürger (Sächsische Bibliotheksgesellschaft e. V. – SäBiG) zu Fragen zivilgesellschaftlichen Engagements und der Neutralität von Bibliotheken

  • Thomas Bürger

    Generaldirektor a.D. der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden

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Lux: Die Sächsische Bibliotheksgesellschaft (SäBiG) hat sich bei den Protesten gegen PEGIDA in Dresden in die erste Reihe gestellt. Das ist für eine Fördergesellschaft eher ungewöhnlich, oder?!

Bürger: Die SäBiG hat zwei große Demonstrationen auf dem Dresdner Neumarkt und auf dem Dresdner Altmarkt im Februar und Oktober 2020 mitorganisiert. Vor der Frauenkirche, dem Symbol für Versöhnung und Verständigung, machte Björn Höcke alles Mögliche verächtlich, die demokratischen Institutionen, Flüchtlinge, Medien, Parteien und die Erinnerungskultur. Deshalb haben sich Institutionen und Initiativen zu einer großen Gegendemo zeitgleich dagegengestellt. Bei der Veranstaltung „Demokratie braucht Rückgrat“ im Oktober 2020 auf dem Altmarkt haben wir vor Ausländerfeindlichkeit gewarnt. Gesellschaft und Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft sind ohne Ausländerfreundlichkeit nicht denkbar.

Diese Aktionen haben der SäBiG nicht nur Lob, sondern auch Kritik eingebracht, auch aus Bibliotheken. Wie kann das sein?

Der SäBiG wurde vorgeworfen, anmaßend und nicht autorisiert zu sein, im Namen aller sächsischen Bibliotheken zu sprechen. Natürlich spricht die SäBiG nur für sich und nicht für alle Bibliotheksgesellschaften. Als Freundesgesellschaft der SLUB, der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, trägt sie seit 2019 den Namen Sächsische Bibliotheksgesellschaft (wie die Badische und die Württembergische Bibliotheksgesellschaft). Mit ihrem Namen will sie zeigen, dass sie nicht nur die SLUB, sondern auch Projekte der Landesbibliothek mit anderen sächsischen Bibliotheken unterstützt. Schwerwiegender war jedoch der Vorbehalt, dass Bibliotheken sich aus öffentlichen Konflikten heraushalten sollten, dass sie neutral sein müssten.

Können Bibliotheken neutral sein?

Bibliotheken sind vertrauenswürdige Einrichtungen und werden als neutral wahrgenommen, das ist in Zeiten der Gereiztheit und einer Vertrauenskrise in Institutionen ein besonders hohes Gut. Staatliche und kommunale Bibliotheken arbeiten überparteilich, konfessionell und politisch unabhängig. Schaut man sich die Entwicklung der modernen Bibliothek seit der Reformation und der Aufklärung an, war es ein weiter Weg zur heutigen Informationsfreiheit. Die heutige Leistungsfähigkeit von Bibliotheken verdanken wir dem demokratischen Rechtsstaat und seinen Institutionen. So frei und leistungsfähig wie in den letzten Jahrzehnten waren Bibliotheken über Jahrhunderte nicht.

Wenn die Demokratie angegriffen oder verächtlich gemacht wird, sollen sich Bibliotheken an Demonstrationen beteiligen?

In jedem Falle sollten Bibliotheken und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Rückgrat zeigen, wenn die Informationsfreiheit und die Grundwerte angefeindet oder ausgehöhlt werden. Bibliotheken folgen ihren definierten Aufgaben und Leitlinien, sie positionieren sich mit ihren Medien- und Bildungsangeboten, organisieren Veranstaltungen und Diskussionen. Im Kern sind Bibliotheken Ermöglichungsorte für Bildung und Selbstaufklärung. Mit Beteiligungen an öffentlichen Demonstrationen können sie Zeichen setzen für Demokratie und Menschenrechte, zu denen Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit, Pressefreiheit sowie die Freiheit der Kunst und der Wissenschaft gehören. Demonstrationen können aber auch ins Leere oder in die falsche Richtung laufen.

Gibt es Beispiele für misslungene Demonstrationen?

In Dresden gibt es zum Jahrestag der Zerstörung der Stadt am 13./14. Februar 1945 immer wieder einschüchternde Neonaziaufmärsche mit Plakaten gegen den „Bombenholocaust“. Dabei tragen Neonazis aus ganz Deutschland ihre Holocaustleugnung und die Verkehrung von Tätern und Opfern offen zur Schau. Dennoch dürfen diese Gruppen, gedeckt vom demokratischen Versammlungsrecht und begleitet von der Polizei, ihre Propagandamärsche durchführen. Regelmäßig stellen sich zivilgesellschaftliche Gruppen ihnen in den Weg. Ich erinnere mich an eine Gegendemonstration im Jahr 2011, die von der Polizei umgeleitet wurde, um die Demonstrationszüge großräumig zu trennen. Daraufhin zogen linksautonome Gruppen an der Universität und an der Bibliothek vorbei, errichteten brennende Barrikaden und warfen Steine gegen die Bibliothek. Von solch widersinnigen Aktionen profitieren dann wieder rechte Gruppen.

In Dresden scheint die Situation erinnerungskulturell besonders kompliziert zu sein?

Vielleicht, jedenfalls kann man hier, wie in einem Brennspiegel, beobachten, wie Propaganda Geschichtsnarrative nachhaltig beeinflussen kann. Die Nazis haben den Mythos der unschuldigen Kunststadt Dresden in die Welt gesetzt. Daran knüpfen „Trauermärsche“ der Neonazis mit ihren „Bombenholocaust“-Plakaten an. Die offizielle DDR-Erinnerungspolitik sprach von angloamerikanischem Bombenterror, die SED-Diktatur wusch sich rein mit der Erzählung vom antifaschistischen Friedenskampf. Peter Richters Roman „89/90“ beschreibt einige der Folgen mit den Häuserkämpfen und Straßenschlachten zwischen Nazis und Antifa in der Dresdner Neustadt. Eine starke zivilgesellschaftliche Erinnerungskultur ist vermutlich das beste Mittel gegen Lügen und Halbwahrheiten, Unwissenheit und Gleichgültigkeit, die reichlich Nährboden bieten für neue Ressentiments und Populismus, Propaganda und Volksverhetzung. Mit dem Wiederaufbau der Synagoge und der Frauenkirche hat Dresden starke Zeichen der Versöhnung gesetzt und auch die Erinnerungsarbeit deutlich vorangebracht. Jahr für Jahr bilden Tausende Dresdner Bürgerinnen und Bürger am 13. Februar eine Menschenkette für Zusammenhalt und Verständigung. Dennoch brodelt es unter der schönen Oberfläche dieser Stadt immer wieder.

Hat sich die Sächsische Bibliotheksgesellschaft deshalb für die Erinnerungskultur engagiert? Welche Ziele verfolgt die Sächsische Bibliotheksgesellschaft?

Die SäBiG hat sich vorgenommen, digitale Vernetzungsprojekte von Bibliotheken zivilgesellschaftlich zu unterstützen. Die Förderung der Digitalisierung von Stolpersteinen gehört dazu. Im Oktober 2022 haben wir eine größere Tagung mit sechs Workshops in der SLUB über „Erinnerungskultur digital. Herausforderungen und Chancen für die historische und politische Bildung“ zusammen mit Institutionen und Initiativen organisiert. Im Januar 2024 ist der gleichnamige Tagungsband mit 19 Beiträgen erschienen, mit Best-Practice-Beispielen aus Social Media, Gaming, Citizen Science u. a. Es hat mich erstaunt, dass viele erinnerungskulturell wichtige digitale Angebote und Services von Bibliotheken bei Institutionen der historischen und politischen Bildung nicht so bekannt sind, wie man sich dies vorstellt. Es gibt also viel Vernetzungspotenzial zwischen Institutionen und Initiativen, auch in der Erinnerungskultur.

Unterscheidet sich das Profil der SäBiG von anderen Fördergesellschaften?

Es gibt mehr als 500 Bibliotheksgesellschaften in Deutschland und diese sind so vielfältig wie die Bibliotheken selbst. Zu den klassischen Förderungen zählen Erwerbungen und Restaurierungen, Veranstaltungen wie Lesungen, Diskussionen und Ausstellungen. Auch die Leseförderung bleibt wichtig, die engagierten Ehrenamtlichen in Bibliotheken leisten sehr viel und sind unentbehrlicher denn je. Gleichzeitig leben die Bibliotheken seit Jahren mit den großen Herausforderungen der Digitalisierung und Globalisierung, die uns gesellschaftlich bereichern, aber auch enorm stressen und fordern. Die SäBiG unterstützt – mit ihren überschaubaren Möglichkeiten – deshalb auch Projekte, die auf diese besonders großen Herausforderungen reagieren.

Wie sehen solche Projekte konkret aus?

Im Rahmen des Koalitionsvertrages für Sachsen wurde im Sächsischen Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung (SMJusDEG) ein Referat Demokratieförderung eingerichtet. Es plante ein Förderprogramm für „Orte der Demokratie“. Damit sollten soziokulturelle Zentren in ländlichen Regionen gefördert werden. Erstaunlicherweise kamen Bibliotheken mit ihren Stärken nicht vor. Wir haben deshalb das Gespräch mit dem Demokratiereferat gesucht und konnten mit deren Förderung in kurzer Frist eine Studie über „Bibliotheken als mögliche Kerne für ‚Orte der Demokratie‘“ erstellen, in enger Abstimmung mit der SLUB, der Sächsischen Landesfachstelle für Bibliotheken und dem dbv Sachsen. Es war so etwas wie konzeptionelle Lobbyarbeit und Fördervermittlung.

Was steht in der SäBiG-Studie drin und wie wurde sie erstellt?

Die SäBiG hatte 2019 eine interaktive Bibliothekslandkarte mit Weblinks aller wissenschaftlichen und Öffentlichen Bibliotheken erstellt. Daran sieht man, dass es in Sachsen trotz Reduzierung von Standorten ein dichtes Netz an Bibliotheken gibt. In nicht wenigen Orten sind sie die wichtigste Kultureinrichtung. Für die Studie haben wir alle sächsischen Bibliothekswebseiten ausgewertet, ebenso die Kennzahlen zu Erwerbung und Personal sowie zu Drittmittelförderungen (insbesondere aus den sächsischen Kulturraumförderungen). Auch die Rolle von Ehrenamtlichen wurde dargestellt. Auf dieser Grundlage haben wir – wie vom Ministerium gewünscht – eine Matrix ausgewählter Bibliotheken aus Kommunen unterschiedlicher Größenordnungen erstellt. Teile unserer Zuarbeit hat das Ministerium in eine veröffentlichte Vorstudie „Orte der Demokratie“ aufgenommen.

Sind sächsische Bibliotheken als Orte der Demokratie dann auch gefördert worden?

Das SMJusDEG hat im Ergebnis zwei Bibliotheken eingeladen, Förderanträge zu stellen. Die Stadtbibliothek Hoyerswerda hat für ihre Bewerbung „Offene Werkstatt der Demokratie“ eine Vollförderung für drei Jahre und die Stadtbibliothek Ebersbach-Neugersdorf in Kooperation mit dem Kultur- und Bildungszentrum Lebens(t)räume e. V. eine Teilförderung erhalten. Hoyerswerda hat seitdem einen deutlichen Besucher- und Nutzungszuwachs, regelmäßig werden Veranstaltungen wie „Frag den Oberbürgermeister“ durchgeführt. Die Bibliothek Ebersbach-Neugersdorf hat einen Schwerpunkt auf Gaming gesetzt, um Medienerfahrungen mit Jugendlichen zu sammeln. Die Förderungen laufen noch, auf die Erfahrungen und Auswertungen bin ich schon jetzt gespannt. Ich denke, dass der Ausbau arbeitsteiliger Kooperationen von Bibliotheken mit Vereinen und Initiativen angesichts der Herausforderungen des demografischen und des digitalen Wandels vielversprechend ist.

Welche Erfahrungen hat die SäBiG in Zusammenarbeit mit anderen gemeinnützigen Vereinen bislang gemacht?

Vor allem die SLUB selbst hat in den letzten Jahren viel Erfahrung in Zusammenarbeit mit Vereinen, insbesondere Geschichts- und Ortsvereinen gesammelt. Diese wenden sich an die Landesbibliothek, weil sie sich von einer engeren Vernetzung mehr Sichtbarkeit und Nachhaltigkeit versprechen. Umgekehrt sind Staats-, Landes- und Stadtbibliotheken mit ihren historischen Diensten interessiert an der Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen und produktiven Vereinen, bei der Quellenerschließung, bei der digitalen Veröffentlichung von Forschungsergebnissen. Bei der Tagung „Erinnerungskultur digital“ haben Institutionen und Initiativen gleichermaßen mehr Übersicht über die Vereins- und Initiativenlandschaft gewünscht. SLUB und SäBiG planen deshalb gemeinsam einen Vereins- und Initiativennavigator.

Ein Navigator als praxisnahe Demokratieförderung?

Das soll es nach Möglichkeit werden. Es gibt so viele Vereine und zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich mit Geschichte und Erinnerungskultur befassen, zum Teil aber wenig sichtbar sind und voneinander wenig wissen. Deshalb soll ein Navigator, eine visualisierte Datensammlung für Sachsen entstehen. Die SLUB will die Daten der Webseiten von Geschichtsvereinen, die SäBiG die von Initiativen zur Erinnerungskultur erfassen. Beides soll zusammengeführt und mit der Sächsischen Landesbibliographie verbunden werden. Wir erhoffen uns davon, die Transparenz zu erhöhen, die Kommunikation untereinander zu erleichtern und auch zum Mitmachen zu motivieren. Ehrenamtliche, Vereine, Citizen Science, Bibliotheken können noch ganz viel zusammen machen (frei nach Karl Friedrich Wächter).

Das klingt optimistisch. Gleichzeitig nimmt der Druck von rechts zu. Die öffentlich-rechtlichen Medien werden attackiert, morgen vielleicht schon die Bibliotheken?

Wir erleben seit Jahren, wie die Sprache verroht und aus Worten Taten werden. Alexander Gaulands Aufruf nach der Bundestagswahl 2017: „Wir werden sie jagen. Wir werden Frau Merkel jagen.“ ist typisch für aggressive Sprache, der dann Taten folgen. Die Erstürmung der Parlamente in Washington und Berlin stehen dafür sinnbildlich. Die Zahl der Straftaten, Übergriffe, Morde hat erschreckend zugenommen. Man muss die Sprache der AfD wortwörtlich nehmen, denn so ist sie trotz aller Dementi gemeint. Die Tabubrüche, die Verkehrung von Opfer- und Täterrollen zeigen dies. Björn Höckes Dresdner Attacke gegen die NS-Erinnerungskultur 2017 und Gaulands Relativierung der NS-Verbrechen als „Vogelschiss in der Geschichte“ sind Kampfansagen gegen eine kritische Geschichtsaufarbeitung. Archive, Bibliotheken und Museen stehen als Gedächtniseinrichtungen für die Aufarbeitung unserer Geschichte. Wenn diese attackiert, infrage gestellt, manipuliert werden soll, sind auch die zuständigen Einrichtungen unmittelbar betroffen.

Wie versuchen die Rechten die Erinnerungskultur zu diskriminieren? Welche Gegenmaßnahmen sollten Bibliotheken ergreifen?

Viele aus dem rechten Milieu, auch aus der AfD, übernehmen längst ungehemmt völkische Sprache. Über TikTok werden beim Europa-Wahlkampf 2024 direkt die Jugendlichen ab 16 Jahren angesprochen, die jetzt erstmals wählen können. Die AfD Sachsen hat 190 000 Abonnenten. Einer von vielen Sprüchen des AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah lautet: „Echte Männer sind rechts […], dann klappt’s auch mit der Freundin.“ Der Kopf hinter der großen TikTok-Offensive der AfD soll der Rassist Erik Ahrens aus dem Umfeld der rechtsextremistischen Identitären sein. NS-Formulierungen wie der Goebbels-Ausspruch „Sie starben, damit Deutschland lebt.“ werden wortwörtlich wiederholt. Ähnlich funktioniert jetzt auch die Propaganda der Putin-Diktatur: Wer für Russland stirbt ist ein Held, auch wenn er Kriegsverbrechen begeht.

Die Bibliotheken digitalisieren in größerem Umfang auch NS-Quellen und stellen diese – nach längerem Zögern aus ethischen und rechtlichen Gründen – ins Wissenschaftsnetz. Man muss die NS-Originalquellen sehen, um ihre Brutalität und Propagandakraft zu begreifen. Die Gesellschaft darf sich nicht wieder einlullen lassen und am Ende sagen können, sie hätte das nicht gewusst, nicht kommen sehen, nicht gewollt. Die ganze Gesellschaft ist jetzt gefordert, die Fortschritte unserer Demokratie gegen autoritäre Kampfansagen zu verteidigen – wie in anderen Ländern auch. Einige Gedenkstätten sprechen jetzt Jugendliche auf TikTok direkt an, dies ist ein guter Weg und zu unterstützen.

Welche Rolle sollten Bibliotheken bei der Verteidigung der Demokratie übernehmen? Müssen sie auch auf die Straße gehen? Genügt es, wenn sie für alle offen sind und auch Schutzräume für ungestörtes Arbeiten bieten?

Alle Bibliotheken müssen ihre digitale Präsenz mit Angeboten für verschiedene Zielgruppen ausbauen. Die Ermöglichung von Selbstaufklärung durch gute Information bleibt weiterhin die Hauptaufgabe von Bibliotheken. Nach der Bertelsmann-Studie „Verunsicherte Öffentlichkeit“ vom Februar 2024 sehen aktuell 81 Prozent der Deutschen die Verbreitung von Desinformationen im Internet als Gefahr für die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Da Bibliotheken in erster Linie gute Information bieten, sind sie jetzt gefordert, als kompetente Gemeinschaft und zusammen mit anderen Bildungseinrichtungen noch überzeugendere Lösungen bei der Präsentation von Information und Wissen zu ermöglichen. Leichtere Sichtbarkeit und Nutzbarkeit der Informationsressourcen, zivilgesellschaftliche Kooperationen, mehr Beteiligungsangebote und digitale Handreichungen können Ansätze sein. In kommunalen Bibliotheken sollten problematische Bestseller wie seinerzeit Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ nicht allein, sondern mit alternativen Angeboten präsentiert werden. Informationen über Streitfragen der Demokratie benötigen besonders attraktive Lesebereiche, auch in kleineren Bibliotheken. In Zeiten, in denen Nicht-Leser von Zeitungen immer neu die Parole von der „Lügenpresse“ skandieren, müssen unbedingt mehr und verschiedene analoge und digitale Zeitungen angeboten werden, die so wichtig sind für die Meinungsbildung in unserer Demokratie.

Eine letzte zusammenfassende Frage: Wie wirksam können Bibliotheken die Demokratie stützen? Können sie ein Bollwerk der Demokratie sein?

Bibliotheken sind zutiefst demokratische, lebendige Orte für alle. Sie sollen nicht einseitig politisieren, sind aber natürlich politische, politisch relevante Orte und sind es immer gewesen. Sie dürfen niemals wieder autoritär vereinnahmt und gleichgeschaltet werden. In der ZEIT vom 13. Februar 2024 hat Lars Weisbrod über „Das Ende von Social Media“ spekuliert und die Hoffnung formuliert, dass neuere Angebote von TikTok wie BookTok die Jüngeren zurück in die Gutenberg-Galaxis führen könnten. Das ist eine gute Utopie und gerade deshalb eine willkommene Anregung. Die Menschen, die wir erreichen wollen, müssen wir dort ansprechen, wo sie kommunizieren, und die Demokratie muss dort am stärksten verteidigt werden, wo sie am meisten attackiert wird. Also auf den immer weniger als sozial wahrgenommenen digitalen Plattformen. Bibliotheken sollten als Werkstätten des Wissens und als Werkstätten der Demokratie ausgebaut werden, vor allem digital, mit starker zivilgesellschaftlicher Unterstützung. Dann sind sie ein Bollwerk der Demokratie und weiterhin ein attraktiver Ort der Wissensermöglichung – wie schon seit Hunderten von Jahren.

[Interviewerin: Claudia Lux]

Über den Autor / die Autorin

Prof. Dr. Thomas Bürger

Generaldirektor a.D. der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden

Online erschienen: 2024-07-01
Erschienen im Druck: 2024-07-31

© 2024 bei den Autoren, publiziert von Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.

Downloaded on 17.11.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/bfp-2024-0026/html
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