Perspektive

räumliche Verhältnisse von Objekten im Raum

Die Perspektive (auch perspektivische Darstellung, Raumdarstellung) (von lateinisch perspicere: deutlich erkennen, durchschauen, wahrnehmen; von lateinisch perspectus: bewährt, deutlich gesehen, erkannt) bezeichnet Gesetze und Methoden, die dreidimensionale Wirklichkeit auf einer zweidimensionalen Fläche so abzubilden, dass die abgebildeten Objekte und Räume so erscheinen, dass ein räumlicher Eindruck entsteht.[1][2] Die Perspektive findet in den Bereichen bildende Kunst, Architektur, Bühnendekoration, darstellende Geometrie (Mathematik), Film, Fotografie, Grafik-Design, digitale Medien und Maschinenkunde ihre Anwendung.

Im engeren Sinn ist mit Perspektive die Linearperspektive gemeint, ein Teilgebiet der darstellenden Geometrie. Die Linearperspektive (Parallel- und Zentralperspektive) schließt aber nicht alle wichtigen Erscheinungen ein, die das Auge als räumlichen Tatbestand erfasst. Deshalb zählen im weiteren Sinn auch andere Arten der Raumdarstellung (wie Beleuchtungsperspektive, Luftperspektive, Verdeckung usw.) zur Perspektive.[3] Damit können Architekten, Kunstschaffende oder Technikerinnen mittels der verschiedenen Perspektivearten je nach ihren Intentionen die Wirklichkeit auf unterschiedliche Weise in einem ebenen Bild wiedergeben.

Fadengitter, Vorrichtung zum perspektivischen Zeichnen (1710)

Perspektivische Wahrnehmung im realen Raum

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Bei der visuellen Wahrnehmung des Menschen von Perspektive im realen Raum spielt der Sehwinkel eine Rolle. Näher am Auge befindliche Gegenstände werden auf der Netzhaut größer abgebildet, weiter entfernt befindliche Gegenstände kleiner (Größenperspektive). Da die messbare Größe der Gegenstände dabei gleich sein kann, spricht man auch von scheinbarer Größe. Das Wahrnehmen von Perspektive steht im Zusammenhang mit der Raumwahrnehmung.[4] Stereoskopisches Sehen, Sehen mit beiden Augen, ist für die Wahrnehmung von Perspektive nicht erforderlich, es verstärkt aber den Eindruck vom Räumlichen. Unabhängig davon, ob die ins Auge einfallenden Lichtstrahlen aus einem dreidimensionalen Raum kommen oder von einem flächigen Bild, treffen sie das Innere des Auges auf einer Fläche, der Netzhaut. Was eine Person dabei sieht, beruht auf einer Rekonstruktion durch das visuelle System, in dem ein und dasselbe Netzhautbild sowohl zweidimensional als auch dreidimensional interpretiert werden kann. Wurde eine dreidimensionale Deutung erkannt, erhält diese den Vorzug und bestimmt verstärkt die Wahrnehmung.

 
Höhenstaffelung. Oben bedeutet hinten.

Einfache Mittel der Raumdarstellung

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Unsere Seherfahrung zeigt, dass bei zwei gleich großen Gegenständen der entferntere höher steht, kleiner erscheint und oft durch den vorderen verdeckt wird.[5] Diese Erfahrung lässt sich in zweidimensionalen Bildern direkt umsetzen.

  1. Die Höhenstaffelung (auch Höhenunterschied) ist die älteste und einfachste Perspektiveart. Objekte, die in einem Bild unten angeordnet sind, befinden sich vorne und solche, die sich weiter oben befinden, liegen hinten.
  2.  
    Größenperspektive. Kleiner bedeutet hinten.
    Bei der Größenperspektive (auch Größenabnahme, Größenunterschied, Verkürzung, englisch: Size Difference) werden in der Realität gleich große Linien, Figuren und Formen kleiner dargestellt, wenn sie weiter weg liegen. Das heißt, größere Objekte erscheinen näher, während kleinere weiter entfernt erscheinen. Die Wiederholung von Objekten in unterschiedlicher Entfernung – und damit auch immer kleiner werdend – steigert die Raumwahrnehmung.
  3.  
    Verdeckung. Überschnitten bedeutet hinten.
    Auch die teilweise Verdeckung (auch Hintereinanderstaffelung, Kulissenwirkung, Überdeckung, Überlappung, Überschneidung, englisch: occlusion, overlapping) von hinteren Objekten durch vordere Objekte ist ein einfaches Tiefenmerkmal.

Linearperspektive

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Die Linearperspektive (englisch: linear perspective) ist ein Überbegriff für alle Methoden der perspektivischen Darstellung und Konstruktion von Körpern und Räumen mittels geometrisch-mathematischer Gesetze, Linien und Fluchtlinien. Sie ermöglicht es, realistische Darstellungen vor allem von kantig-rechteckigen Gegenständen und Architekturen zu realisieren. Sie ist die gebräuchlichste Methode der Raumdarstellung. Zur Linearperspektive gehören die Parallel- und die Fluchtpunktperspektive.[6] Der Vorteil der Parallelperspektive liegt darin, dass Maßverhältnisse leichter ablesbar sind, während die Fluchtpunktperspektive eher mit dem natürlichen Seheindruck übereinstimmt.

 
Quader in Isometrie.
 
Würfel in Kavalierperspektive.
 
Würfel in Militärperspektive.

Parallelperspektive

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Bei der Parallelperspektive (auch Axonometrie, schräge Parallelprojektion[7], Schrägbild; englisch: Axonometric projection) werden in der Realität parallele Kanten und Linien auf einer ebenen Fläche parallel abgebildet. Sehstrahlen verlaufen parallel, raumparallele Kanten werden in der Projektion ebenfalls parallel abgebildet. Es gibt keine Fluchtpunkte. Dieser Effekt ist z. B. von Architekten erwünscht, die wollen, dass die Ansichten von Häusern unabhängig vom Blickwinkel immer gleich deutlich sind.

Treffen die Sehstrahlen (Projektionsstrahlen) rechtwinklig auf die Projektionsfläche, spricht man von Orthogonalprojektion (orthogonale Parallelprojektion). Auf drei Bildebenen entstehen jeweils Ansichten des Objektes – Vorderansicht, Seitenansicht und Draufsicht – (Dreitafelprojektion). Treffen die Sehstrahlen schräg auf die Projektionsfläche, spricht man von Axonometrie beziehungsweise schräger (schiefer oder schiefwinkliger) Parallelprojektion. Wichtige Sonderfälle der Axonometrie sind Isometrie, Kavalierperspektive und Militärperspektive.

  1. Die Isometrie (nach DIN 5: "isometrische Axonometrie"; auch isometrische Ansicht, isometrische Normalprojektion, isometrische Perspektive; englisch: isometric perspective) gibt alle drei Seiten eines rechtwinkligen Körpers unverkürzt wieder. Diese verhalten sich zueinander wie 1:1:1, haben also einen gemeinsamen Maßstab (Isometrie). Beide in die Tiefe gehenden Linien verlaufen im Winkel von 30º zur Waagerechten und die Höhenlinie bleibt senkrecht. Diese Technik wird häufig in Architekturplänen, technischen Zeichnungen und Computerspielen verwendet, da sie keine Verzerrung aufweist und Maße direkt ablesbar sind.
  2. Bei der Kavalierperspektive (auch Frontalriss, Kabinettperspektive, Reiterperspektiv; englisch: cavalier perspective) wird der Aufriss unverzerrt dargestellt. Die Tiefenlinien werden meist um die Hälfte verkürzt oder unverkürzt dargestellt.[7]
  3. Bei der Militärperspektive (auch Grundrissaxonometrie, Militärprojektion; englisch: military perspective) wird der Grundriss unverzerrt aufgetragen, meist auf der Ecke stehend im Winkel von 30 und 60 Grad. Senkrechte Strecken werden maßstabsgetreu abgebildet, manchmal aber auch verkürzt.
 
Einpunktperspektive.

Fluchtpunktperspektive

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Zweipunktperspektive.
 
Dreipunktperspektive.

Die Fluchtpunktperspektive (auch Punktperspektive, Zentralperspektive, Zentralprojektion; englisch: vanishing-point perspective) basiert auf einem geometrischen System, bei dem parallele Linien in der Ferne konvergieren und sich in einem Fluchtpunkt auf dem Horizont treffen. Nach Anzahl der Fluchtpunkte unterscheidet man drei Perspektivearten.

  1. Bei der Einpunktperspektive (auch Einfluchtpunktperspektive, Frontalperspektive, Zentralperspektive [mit einem Fluchtpunkt]; englisch: one-point perspective) laufen alle, in die Tiefe gehenden Linien in einem einzigen Fluchtpunkt zusammen, der auf dem Horizont liegt. Senkrechte und bildparallele waagerechte Linien bleiben senkrecht bzw. waagerecht, das heißt die dem Betrachter zugewandten Flächen des Objektes sind bildparallel. Häufig liegen Erlebnisschwerpunkte eines Bildes im Bereich des Fluchtpunktes.[8]
  2. Bei der Zweipunktperspektive (auch Übereckperspektive, Winkelperspektive, Zentralprojektion mit zwei Fluchtpunkten, 2-Punkt-Perspektive, Zweifluchtpunktperspektive, Zweispitzkonstruktion; englisch: two-point perspective) laufen die horizontalparallelen Linien oder Raumkanten zu zwei Fluchtpunkten, typischerweise an den Seiten des Bildes. In der Wirklichkeit senkrechte Linien bleiben senkrecht.
  3. Bei der Dreipunktperspektive (auch Dreifluchtpunktperspektive, Zentralperspektive mit drei Fluchtpunkten; englisch: three-point perspective) gibt es zusätzlich zu den zwei seitlichen Fluchtpunkten einen dritten Fluchtpunkt, in dem die in der Wirklichkeit senkrechten Linien und Kanten sich treffen. Dadurch wird die Höhe und Tiefe betont.
 
Beleuchtungsperspektive. Kugel mit Eigenschatten (auf der Kugel selbst) und Schlagschatten (auf dem Boden).

Beleuchtungsperspektive

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Strukturperspektive. Die Sandrippel sind vorne zu erkennen, hinten erscheinen sie als braune Fläche.

Die Beleuchtungsperspektive (auch Licht und Schatten (Schattenwirkung),  Licht-Schatten-Modulation, Schatten, Schattenperspektive, Schattierung; englisch: shading and lighting) hilft unserem visuellen System, durch die Darstellung von Eigenschatten und Schlagschatten die räumliche Form eines Gegenstandes und seine Position im Raum zu erfassen. Besonders wichtig ist der Schatten bei rundplastischen Formen, da diese nicht mit Hilfe der Linearperspektive dargestellt werden können.

Fernefaktoren

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Fernefaktoren beschreiben die perspektivische Darstellung eines Gegenstandes, der weit entfernt ist. Neben der Größenperspektive gehört dazu die Struktur-, die Luft- und die Farbperspektive.

  1. Größenperspektive (siehe oben)
     
    Luftperspektive. Entfernte Bereiche und Objekte erscheinen heller und blauer.
  2. Die Strukturperspektive (auch abnehmende Detailschärfe, Texturgradient) beschreibt den Übergang von detaillierten Texturen (Strukturen und Muster von Oberflächen) im Vordergrund zu weniger detaillierten Texturen im Hintergrund. Das heißt mit zunehmender Entfernung lassen sich weniger Details erkennen. Diese Technik wird oft in Landschaftsmalereien verwendet, um Tiefenwirkung zu erzielen.
  3. Die Luftperspektive (auch atmosphärische Perspektive, englisch: aerial perspective, atmospheric perspective) beschreibt die Methode, entfernte Objekte blasser und blauer dargestellt werden als nahe Objekte, um den Eindruck von Tiefe zu erzeugen.
  4.  
    Farbperspektive. Der leuchtend-rote Kreis liegt vor der graublauen Fläche, der graublaue Kreis erscheint als Loch in der roten Wand.
    Wie die Luftperspektive nutzt die Farbperspektive (englisch: color perspective) Farben, um Tiefe zu erzeugen. Warme und leuchtende Farben (wie Rot und Gelb) erscheinen näher, während kühle und getrübte Farben (wie Blau, Grün und Grau) weiter entfernt wirken.
 
Würfel in Front- und Eckperspektive, sowohl als Fluchtpunkt- als auch als Parallelperspektive.
 
Dieselbe Landschaft in Frosch-, Normal- und Vogelperspektive.

Art der Ansicht

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Weitere Formen der Perspektive unterscheiden sich nach Art der Ansicht, das heißt aus welcher Richtung die Betrachtenden auf den Gegenstand blicken.

  1. Bei der Frontperspektive (auch Frontalperspektive; von lateinisch frons, frontis: Stirn) ist die Stirn- oder Vorderseite des Gegenstandes zentral von vorne zu sehen. Der Gegenstand steht mit seiner Frontfläche parallel zur Bildebene – von oben, in Augenhöhe oder von unten. Die Frontalperspektive bezeichnet meist nur die Einfluchtpunktperspektive, seltener die Frontalansicht in Parallelperspektive (Kavalierperspektive).
  2. Bei der Eckperspektive (auch Übereckperspektive, Übereckstellung) ist der Gegenstand in den Raum gedreht und die Betrachtenden schauen auf eine vordere Kante – von oben, in Augenhöhe oder von unten.
  3. Bei der Normalperspektive (englisch: street level) sehen die Betrachtenden den Gegenstand auf Augenhöhe. Der Gegenstand steht auf gleicher Höhe wie die Betrachtenden. Der Horizont liegt im mittleren Bildbereich.
  4. Bei der Vogelperspektive (auch Aufsicht, Draufsicht, Obersicht, Vogelschau; englisch: aerial view, bird´s-eye view, helicopter view) schauen die Betrachtenden schräg oder genau von oben auf den Gegenstand. Der Horizont liegt am oberen Bildrand oder oben außer, halb des Bildes. Die Vogelperspektive gibt es sowohl als Fluchtpunktperspektive als auch als Parallelperspektive.
  5. Bei der Froschperspektive (auch Untersicht; englisch: worm´s eye perspective) schauen die Betrachtenden von oben auf den Gegenstand. Der Horizont liegt am unteren Bildrand oder unten außerhalb des Bildes.[9]

Sonderformen

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  1. Die perspektivische Verkürzung tritt bei Linien und Objekten auf, die von den Betrachtenden weg gerichtet sind. Zum Beispiel sind bei der Linearperspektive die Tiefenlinien meist perspektivisch verkürzt. Oder der Rumpf eines Pferdes, das von vorne zu sehen ist, erscheint extrem schmal.
  2. Die Schärfenperspektive bezeichnet scharfe und unscharfe Bereiche (Bildebenen) in einer Fotografie oder Malerei. Nur eine bestimmte Tiefenregion wird scharf abgebildet. Gegenstände davor oder dahinter erscheinen unscharf. Zwar bildet auch unsere Augenlinse nur Gegenstände scharf ab, die unser Auge fixiert – ähnlich wie bei der Linse des Fotoapparates – aber die Unschärfe davor oder dahinter bemerken wir meistens nicht.
  3. Das Repoussoir ist ein oft dunkler oder rötlicher Gegenstand, Bereich oder Rahmen im Vordergrund eines Bildes. Es dient als Raumschieber und steigert die Tiefenillusion. Beispiele sind ein Baum, Mensch, Stillleben, Torbogen, Vorhang oder Zweig im Vordergrund.
  4. Bei der Fischaugenprojektion (auch Fischaugenperspektive, krummlinige Perspektive, kurvilineare Perspektive, sphärische Projektion; englisch: fisheye perspective) werden Linien gekrümmt, die nicht durch das Zentrum gehen, Flächen am Rand kleiner abgebildet als in der Bildmitte, der Blickwinkel erreicht 180 Grad und mehr.
  5. Beim Panoramabild erfolgt die Abbildung zunächst auf eine zylinderförmige Fläche, die dann in eine Ebene aufgerollt werden kann. Es gibt aber auch große Panoramen, die als Zylinder aufgestellt sind. Parallele Linien werden nur im Sonderfall parallel abgebildet. Man erreicht einen Blickwinkel von 180 Grad und mehr (bis 360 Grad).
  • Zentralperspektive
  • 2-Punkt-Perspektive
  • Froschperspektive
  • Fischaugenprojektion
  • Panoramabild
  • Modifikation der Wirklichkeit

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    • Bedeutungsperspektive: Begriff in der Malerei. Die Größe der dargestellten Figuren und Gegenstände hängt von deren Bildbedeutung ab, nicht von den räumlich-geometrischen Gegebenheiten.
    • Verdrehte Perspektive: zuerst in den europäischen Höhlenbildern,[10] später besonders auffallend in der altägyptischen Kunst, noch später häufig in der Moderne, etwa bei Pablo Picasso.

    Beispiele für perspektivische Darstellungen

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    William Hogarths Bild „The Importance of Knowing Perspective“ (1753) enthält absichtlich viele perspektivische Fehler
     
    Froschperspektive des Altenberger Doms; der Eindruck der Höhe der Westfassade wird verstärk

    Zylindrische Projektion

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    Verschiedene Künstler wie z. B. M. C. Escher haben mit weiteren Varianten der Perspektive experimentiert, wie z. B. der zylindrischen Projektion. Mit dieser Perspektive sind Panoramen von 180° und mehr perspektivisch real darstellbar, dabei verzerren sich gerade Linien jedoch zu gekrümmten Kurven. Ein Beispiel dafür ist Eschers Lithografie Treppenhaus I aus dem Jahr 1951 (mit „Krempeltierchen“).

    Reliefperspektivische Darstellung

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    Diese Perspektivart führt nicht zu einer kompletten 2-D-Darstellung, sondern verkürzt nur eine Dimension des 3-D-Raums stark. Dabei verändert sich das Aussehen der aus einem festen Augpunkt betrachteten Objekte nicht, da hinten liegende Objekte bei einem exakten Relief auch entsprechend verkleinert werden.

    Bedeutungsperspektivische Darstellung

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    Kaiser Otto III. mit Reichsfürsten und Bischöfen (München, Bayerische Staatsbibliothek)

    In der Zeit vor der Wiederentdeckung der geometrischen Perspektive wird in Tafelbildern die sogenannte Bedeutungsperspektive benutzt. Die Größe und Ausrichtung der im Bild dargestellten Personen richtet sich nach deren Bedeutung: Wichtige Protagonisten erscheinen groß, weniger wichtige werden kleiner dargestellt, auch wenn diese sich räumlich vor der anderen Person befinden. In dem Bildbeispiel rechts bezieht sich die quasi-isometrische Perspektive der Fußbänke nur auf die jeweilige Figur – in grafisch-kompositorischer Hinsicht ermöglicht diese Anordnung die (flächige) Öffnung des Bildraumes zum Hintergrund. Die Bedeutungsperspektive wird bereits in der altägyptischen Kunst angewandt: Während der Pharao nebst Gemahlin in voller Größe dargestellt wird, zeigt man Sklaven und Hofstaat sehr viel kleiner. In der Ikonenmalerei findet sich diese Art der Darstellung ebenso wie in der Malerei der Romanik und Gotik. Die Bedeutungsperspektive ist auch heute noch in der naiven Malerei zu finden.

    Multiperspektivische Darstellung

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    Beispiel einer ausgeprägten Multiperspektive: »Die gefrorene Stadt«
    160 × 160 cm
    von Matthias A. K. Zimmermann
    Standort: Aargauer Kunsthaus (Schweiz)

    „Multiperspektive“ bezeichnet eine Raumdarstellung mittels mehrerer Projektionszentren, respektive die Kombination unterschiedlicher Perspektiven, die einen Raum ergeben. Neben dem Gebrauch der Multiperspektive in Standbildern, findet sie auch Anwendung im digitalen Raum an Bewegtbildern. Durch die Anwendung mehrerer Projektionszentren in Bewegtbildern können Verzerrungen vermieden werden. (Beispiel: Eine Kugel behält ihre Kreisform bei, und eine elliptische Form der Kugel durch die Kameraverzerrung wird vermieden.)[11] Die Multiperspektive (im Standbild) findet sich in div. Gemälden der Kunstgeschichte in unterschiedlicher Ausprägung. Der Maler David Hockney hat sich zeitlebens mit der Perspektive beschäftigt. Ausgehend vom Kubismus experimentierte er Anfang der 1980er Jahre mit Polaroidfotografie, mit der er viele Detailaufnahmen eines oder mehrerer Menschen in einem Raster oder frei zu einem multiperspektischen Porträt zusammenfügte (Gregory, Los Angeles, March 31st 1982). Genauso verfuhr er mit Stillleben, Innenräumen und Landschaften (Grand Canyon-Collagen).[12] Dieses kubistische Prinzip benutzte er genauso wie die umgekehrte Perspektive des 14. Jahrhunderts auch in seiner Malerei, in der man "spazieren gehen" kann (A Walk Around the Hotel Courtyard, Acatlán, 1985, Montcalm Interior at Seven O'Clock, 1988).[13] Noch elaborierter findet sich die Multiperspektive beim Schweizer Maler und Medienkünstler Matthias A. K. Zimmermann. Etwa sein Gemälde »Die gefrorene Stadt« zeigt eine Panoramalandschaft, deren Raum und Objekte sich aus diversen Perspektiven ergeben (Zentralperspektive, Kavalierperspektive, Militärperspektive, Andeutung eines Fischaugenobjektivs usw.).

    Erfahrungsperspektive

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    Bei der Erfahrungsperspektive bemühen sich die Künstler, durch genaue Detailbeobachtung das wiederzugeben, was sie sehen. Sie kommen damit der Zentralperspektive sehr nah und erkennen auch, dass Gegenstände im Hintergrund verschwimmen und bläulicher werden (Farbperspektive). Erfahrungsperspektive steht für eine annähernd korrekte Fluchtpunktdarstellung, bevor es italienischen Künstlern nur wenige Jahre später gelang, die Zentralperspektive geometrisch perfekt zu konstruieren.

    Geschichte

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    Perspektivische Darstellungen räumlicher Situationen in der Malerei:

    • In der altägyptischen Kunst gibt es Fresken aus Gräbern aus der Zeit um 1500 vor Christus, mit sowohl normal seitlicher als auch verdrehter Perspektive.
    • Maler der griechischen Antike benutzten technisch elaborierte perspektivische Verfahren, dann auch die Römer (siehe auch Skenografie). In Pompeji wurden Wandfresken gefunden, die den Raum in einen gemalten Garten fortsetzen sollten. In den darauffolgenden Jahrhunderten wurde dieses Wissen nicht weiterentwickelt.
    • Die frühchristliche und mittelalterliche Malerei bediente sich fast ausschließlich der Bedeutungsperspektive, das heißt, die Größe der dargestellten Personen und Gegenstände wurde durch deren Bedeutung im Bild bestimmt, nicht durch ihre räumliche Anordnung. Räumliche Wirkung erzielte man fast ausschließlich durch die Kulissenwirkung, die eine Vordergrundebene vor einem Hintergrund unterschied.
    • In der chinesischen Malerei entstanden Landschaftsgemälde. Vom Sui-Maler Zhǎn Zǐqián (展子虔; um 600) ist ein Werk erhalten, in dem die Berge erstmals perspektivisch dargestellt werden. Es gilt als erste szenische Landschaftsmalerei in der ostasiatischen Kunst.
    • Im 16. Jahrhundert erlangten die Künstler und Gelehrten der Renaissance weitreichende mathematische Kenntnisse über Perspektiven und Projektionen, was auch Auswirkungen auf die Arbeit der Kartografen und der Erstellung von Stadtansichten hatte (vor allem zunächst in Italien). Ein frühes Beispiel für eine geometrisch exakte und äußerst detailreiche Arbeit dieser Art ist die um 1500 von Jacopo de’ Barbari erstellte Stadtansicht Venedigs. Anfänglich wurde die Zentralperspektive, die unsere visuelle Wahrnehmung produziert, in ihren Gesetzmäßigkeiten nicht erkannt, und die Darstellung erfolgte mittels einer Schnur, die, von einem festen Punkt ausgehend, über ein einfaches Raster in Form eines Drahtgitters zu den abzubildenden Objekten gespannt wurde. Der Zeichner saß neben dem Gitter und übertrug die Messergebnisse in das Raster seiner Zeichenfläche („perspektivisches Abschnüren“). In einem Buch aus dem Jahre 1436 erläuterte Leon Battista Alberti die mathematischen Methoden, mit denen auf Gemälden eine perspektivische Wirkung zu erzielen sei.[16]

    Albrecht Dürer veröffentlichte 1525 sein Buch Underweysung der messung mit dem zirckel un richtscheyt,[17] das die erste Zusammenfassung der mathematisch-geometrischen Verfahren der Zentralperspektive darstellte und damit auch die Grundlagen der perspektivischen Konstruktionsverfahren als Teilbereich der Darstellenden Geometrie bildet.

    Siehe auch

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    Literatur

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    Commons: Perspective – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
    Wiktionary: Perspektive – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

    Einzelnachweise

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    1. Georg Eisner: Perspektive und Visuelles System – Wege zur Wahrnehmung des Raumes. (PDF; 23,3 MB). In: Eisner-Georg.ch. 2009.
    2. Johannes Eucker (Hrsg.): Kunstlexikon: Kompaktwissen für Schüler und junge Erwachsene. Stichwort: Perspektive. Cornelsen Verlag Scriptor, Frankfurt am Main 1995, ISBN 3-589-20928-3, S. 262.
    3. Ludger Alscher u. a. (Hrsg.): Lexikon der Kunst. 1. Auflage. Band 3. Stichwort: Perspektive. VEB E. A. Seemann, Buch- und Kunstverlag, Leipzig 1975, S. 795.
    4. Grundlagen der Optik. (PDF; 1,0 MB). In: univie.ac.at. S. 24.
    5. Eva Maria Kaifenheim: Aspekte der Kunst. Ein Lehr- und Arbeitsbuch zur Kunsterziehung. Verlag Martin Lurz GmbH, München 1979, ISBN 3-87501-060-4, S. 38.
    6. Monika Miller, Christiane Schmidt-Maiwald (Hrsg.): Didaktik des räumlichen Zeichnens. Uni-Taschenbücher GmbH (UTB), Bielefeld 2022, ISBN 978-3-8252-5799-6, S. 56.
    7. a b @1@2Vorlage:Toter Link/www.gris.uni-tuebingen.deEbene geometrische Projektionen (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven) auf einer Internetseite der Universität Tübingen, mit weiteren Quellenangaben.
    8. Willy Alexander Bärtschi: Linearperspektive. Geschichte, Konstruktionsanleitung und Erscheinungsformen in Umwelt und bildender Kunst. Perspektive I. 2. Auflage. Otto Maier Verlag, Ravensburg 1979, ISBN 3-473-61523-4, S. 21.
    9. Monika Miller, Christiane Schmidt-Maiwald (Hrsg.): Didaktik des räumlichen Zeichnens – gestaltungsdidaktische Forschung und Praxis. Wbv Publikation (Wilhelm Bertelsmann Verlag), Bielefeld 2022, ISBN 978-3-8252-5799-6, S. 56 und 57.
    10. Müller-Karpe, S. 195; Leroi-Gourhan, S. 132 ff.
    11. Ingmar S. Franke, Martin Zavesky: Geometrische Abbildungspraxis – von der Malerei zur Computergrafik (BRB 2012). (Memento vom 28. Januar 2015 im Internet Archive). In: mg.inf.tu-dresden.de. (PDF; 4,7 MB).
    12. Lawrence Weschler, "Augen-Blicke", in: ders., David Hockney: Cameraworks, Kindler, München 1984.
    13. David Hockney: Exciting Times Are Ahead, Katalog zur Ausstellung in der Kunst- und Ausstellungshalle Bonn, E. A. Seemann, Leipzig 2001, S. 16ff, 140f, 241ff.
    14. Chauvet, S. 114.
    15. Müller-Karpe, S. 197.
    16. Leon Battista Alberti: Della Pittura – Über die Malkunst. Hrsg.: Oskar Bätschmann, Sandra Gianfreda. Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt 2002, ISBN 3-534-15151-8.
    17. Albrecht Dürer: Underweysung der Messung mit dem Zirckel und Richtscheyt. Verlag A. Wofsy, Nürnberg, Juni 1981. ISBN 0-915346-52-4.