Rezension über:

Anna Dietrich: "Und sie alle sind des Königs Gäste". Legitimierungspolitik der preußischen Monarchie durch soziale Öffnung am Beispiel der Krönungs- und Ordensfeste (1810-1914) (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz - Forschungen; Bd. 19), Berlin: Duncker & Humblot 2021, 421 S., ISBN 978-3-428-18176-6, EUR 99,90
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Rezension von:
Manfred Hanisch
Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Manfred Hanisch: Rezension von: Anna Dietrich: "Und sie alle sind des Königs Gäste". Legitimierungspolitik der preußischen Monarchie durch soziale Öffnung am Beispiel der Krönungs- und Ordensfeste (1810-1914), Berlin: Duncker & Humblot 2021, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 5 [15.05.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/05/35836.html


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Anna Dietrich: "Und sie alle sind des Königs Gäste"

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Die Dissertation von Anna Dietrich (Humboldt-Universität, Berlin, 2019) behandelt die Krönungs- und Ordnungsfeste der preußischen Monarchie von 1810, dem Jahr ihrer erstmaligen Einführung, bis 1914. Das Fest sollte an den 18. Januar 1701 erinnern, den Tag, an dem Preußen Königreich wurde. Höhepunkt des alljährlich stattfinden Festes war die Verleihung von Ordens- und Ehrenzeichen an verdiente Personen. Wurden vor 1810 Ehrungen nur dem Adel, dem hohen Militär, den Hofchargen, den Ministern und den höchsten Beamten zuteil, so wurde der Kreis der Ordensberechtigten auch auf Unteroffiziere und gemeine Soldaten und - besonders bemerkenswert - auch auf zivile Personen erweitert. Die Absicht war, einen breiteren Personenkreis auszuzeichnen und über den Kreis der Geehrten hinaus loyalitätsstiftend für alle Schichten der Gesellschaft zu wirken. Für Orden kam jeder mit Verdienst in Frage und jeder Ausgezeichnete wurde durch den König geehrt durch eine Einladung zum Fest mit einem gemeinsamen Essen mit dem König als Höhepunkt über alle Stände hinweg. Meistens war dieses Fest das einzige Mal, wo Untertanen die Ehre zuteilwurde, mit dem König gemeinsam zu dinieren. Ein gemeinsames Essen war (und ist) immer ein Ausdruck persönlicher Nähe und Verbundenheit, was Abstufungen der Nähe durch abgezirkelte Sitzordnung nicht ausschloss. "Anhand der Analyse der etwa 100 Krönungs- und Ordensfeste [...] soll mit dieser Studie der Frage nachgegangen werden, inwieweit sich die monarchische Kultur dadurch sozial geöffnet hat und ob das Fest durch eine Ambivalenz aus Innovationsresistenz und Anpassungsfähigkeit eine höfische Antwort auf die neuen Legitimierungsanforderungen der erodierenden traditionellen Herrschaftsgrundlage bot". (23) Das ist die Kernfrage der Dissertation. Die Antwort lautet: Ja. Anders als z.B. beim Wiener Hof, der dem sozialen Wandel in der Gesellschaft weit weniger Rechnung trug.

Zählte der Kreis der Geehrten am Anfang um die 200 Personen, so stieg die Anzahl nach 100 Jahren auf über 4000. Das schuf große logistische Probleme, derer man dadurch Herr zu werden versuchte, dass man den Kreis der persönlich Anwesenden auf die Ordensempfänger beschränkte, die in Berlin wohnten. Dann wurden die Einladungen an sonstige Personen, die eigentlich an dem Fest teilnehmen durften (u.a. Vertreter der Bundestaaten, des Reichstages, auch Ordensträger von früheren Verleihungen) reduziert, was alles zum Ergebnis geführt hat, dass dieses Hoffest das demokratischste aller Hoffeste geworden ist.

Anna Dietrich analysiert auf das genaueste die Wandlungen dieses Festes, das anfänglich rein auf Preußen und seine Monarchie bezogen war (Friedrich Wilhelm III. und Friedrich Wilhelm IV.), hin zu einem Fest, dessen Kaiser Wilhelm II. sich immer mehr als national-deutscher Kaiser des Reiches in Richtung auf ein populäres soziales Volkskönigtum stilisierte, viel mehr als sein Großvater Kaiser Wilhelm I. Die Ausführungen zu Wilhelm II. enthalten die anschaulichsten Details. So erfährt man neben den Festabläufen und den Sitzordnungen, die Standesschranken übergriffen, viel über das Bedürfnis des Kaisers nach Pomp, worin sich die Feste dieses Monarchen von denen seiner Vorgänger unterschieden, über die zunehmende Militarisierung des Festes durch begleitende Marschmusik und über Deutschtümelei (Abschaffung französischer Speisekarten) - aber auch viel über die zunehmende Anerkennung der preußischen Monarchie durch fürstliche Repräsentanten im In- und Ausland im Jahr des 25-jährigen Reichs-Jubiläums 1896 oder in dem des 200. Kronjubiläums 1901. Am wirkungsmächtigsten dürfte jedoch "Das emotionspolitische Potenzial des Krönungs- und Ordensfestes" (Kapitelüberschrift) gewesen sein, in dem unter anderem die loyalitätsstiftende Ausstrahlung des Festes zum Thema gemacht wird, zu dem Tausende auf den Schlossplatz strömten, um möglichst nah dabei zu sein.

So macht die Arbeit auch das Schloss inmitten von Berlin lebendig, in dem das demokratischste aller Hoffeste im langen 19. Jahrhundert stattfand, einer Zeit, die von so vielen Umbrüchen gekennzeichnet war. Dies spiegelt sich nicht zuletzt auch in den Wandlungen des Festes wider. Man erfährt viel über den Festablauf, die beteiligten Personen, die Arrangements im Schloss und die mitunter kontroverse Resonanz in der öffentlichen Meinung, besonders anschaulich in der Zeit Wilhelms II., unter dessen Regierung die meisten Ordensverleihungen stattfanden. Das kann man als zunehmende Öffnung des Hofes zu einer immer wichtiger werdenden Gesellschaft verstehen, in der auch die unteren Schichten immer bedeutender wurden und daher ganz zeitgemäß immer mehr symbolische Anerkennung auf den Krönungs- und Ordensfesten erfuhren, freilich nur symbolisch auf dem Gebiet der Ehre. Man kann mutmaßen: Als Ersatz für eine politische Anerkennung? Das allgemeine Wahlrecht jedenfalls blieb den Untertanen der Krone Preußen bis zum Ende der Monarchie verwehrt.

Zu ihrer Dissertation hat Anna Dietrich die Akten aller Jahrgänge von 1810-1914 zum Krönungs- und Ordensfest im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, die Resonanz in der zeitgenössischen Presse sowie eine Fülle zeitgenössischer gedruckter Quellen ausgewertet. Die Dissertation ist eine der seltenen, welche nebenberuflich entstand und schon von daher eine bemerkenswerte Leistung darstellt.

Fazit: Anna Dietrich gelingt es, die Entwicklung der Krönungs- und Ordensfeste von einem ursprünglich ganz auf die preußische Monarchie bezogenen Fest hin zu einem Fest eines sich immer mehr als Kaiser der gesamten deutschen Nation fühlenden Monarchen nachzuzeichnen. Und dies stets auf einem hohem Reflexionsniveau, welches die neuere Forschungsliteratur zu allen Aspekten der Zuteilung von Ehre zum Zwecke der Legitimitäts- und Loyalitätsstiftungsstiftung berücksichtigt. Und nicht zuletzt: Anna Dietrich zeigt erstmalig, wie wichtig die Krönungs- und Ordensfeste, die bislang in der Forschung nur wenig beachtet wurden, für die preußische Monarchie und das Kaiserreich waren.

Manfred Hanisch