Rezension über:

Anton van der Lem: Die Entstehung der Niederlande aus der Revolte. Staatenbildung im Westen Europas, Berlin: Wagenbach 2016, 260 S., ISBN 978-3-8031-3662-6, EUR 28,00
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Rezension von:
Ramon Voges
Historisches Institut, Universität Paderborn
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Ramon Voges: Rezension von: Anton van der Lem: Die Entstehung der Niederlande aus der Revolte. Staatenbildung im Westen Europas, Berlin: Wagenbach 2016, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 3 [15.03.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/03/30268.html


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Anton van der Lem: Die Entstehung der Niederlande aus der Revolte

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Am Anfang war das Buch. Dann kam das Internet. Und nun die Neuauflage des Buchs. - So ließe sich die Entstehung des hier zu besprechenden Werks von Anton van der Lem zusammenfassen. Die Erstauflage ist 1996 erschienen. Drei Jahre später schuf van der Lem, inzwischen angestellt an der Universitätsbibliothek Leiden, die Internetseite http://www.dutchrevolt.leiden.edu, die im Jahr 2000 online ging und seitdem ein wichtiger Anlaufpunkt ist, um Einzelheiten zum sogenannten Achtzigjährigen Krieg (1568-1648) nachzuschlagen. Van der Lem besorgt die Endredaktion der präsentierten Texte und hält die Seite auf dem neuesten Wissensstand. Die Erzählung, die er in dem zu besprechenden Buch bietet, bildet das Kernstück der Internetseite.

Die niederländische Neuauflage des Buches kam 2014 auf den Markt. [1] Wie bereits in der zwanzig Jahre älteren Ausgabe bietet darin van der Lem eine griffige, gut lesbare und anekdotenreiche Darstellung seines Stoffes, den er souverän beherrscht. Seine Erzählung gerät ihm bisweilen besonders farbig und einprägsam. Nur gelegentlich unterbricht er sie, um knappe Ausführungen zum Glauben, zur Wirtschaft oder der politischen Ordnung der Niederlande einzuschieben und damit den Verlauf der Auseinandersetzungen verständlich zu machen.

Warum es lohnenswert sei, sich mit Geschehnissen auseinanderzusetzen, die vor knapp 450 Jahren ihren Anfang genommen haben, hebt van der Lem gleich in der Einleitung hervor. Ihm zufolge sei es bei den Auseinandersetzungen um "die Religions- und Gewissensfreiheit", "das Recht auf Selbstbestimmung" und "das Mitspracherecht" (7) gegangen. Und diese hätten "bis heute nichts an Aktualität verloren" (7). In acht Kapiteln erzählt van der Lem anschließend die Vorgänge nach, die als Aufstand der Niederlande und Achtzigjähriger Krieg in die Geschichtsschreibung Eingang gefunden haben.

Zunächst schildert van der Lem, wie sich die Niederlande unter den Herzögen von Burgund und dann unter den Habsburgern zu einem zusammenhängenden Territorialkomplex entwickelt haben. Im zweiten Kapitel geht er auf das Bemühen Philipps II. ein, die Politik seines Vaters, Kaiser Karls V., fortzusetzen und die Verwaltung zu zentralisieren und zu vereinheitlichen. Philipps Pläne zur Reform der niederländischen Bistümer allerdings stießen auf erhebliche Widerstände innerhalb des Adels, der nicht nur um seine Pfründe fürchtete, sondern auch seinen politischen Einfluss schwinden sah. Widerstand entzündete sich ebenfalls an der obrigkeitlichen Verfolgung Andersgläubiger. Grundsätzlich infrage aber gestellt wurde Philipps Herrschaft noch nicht.

Das folgende Kapitel "Die Treue auf dem Prüfstein" behandelt die Auseinandersetzungen zwischen Herzog Alba, den Philipp in die Niederlande entsandt hatte, um wieder für Ruhe und Ordnung zu sorgen, und den Prinzen von Oranien, der zum Anführer der Adelsopposition avancierte. Ging es beiden Seiten zunächst darum, militärische Entschlossenheit und adligen Führungsanspruch zu demonstrieren, griff die Gewalt, wie van der Lem im nächsten Kapitel deutlich macht, immer weiter um sich und traf zunehmend die Bevölkerung. Nachdem Ende der 1570er-Jahre die Bemühungen, eine friedliche Lösung zu finden, vorerst gescheitert waren, brach das niederländische Gemeinwesen auseinander (Kapitel 5).

Dem Bürgerkrieg zwischen dem aufständischen Norden und dem zum spanischen Landesherrn haltenden Süden widmet van der Lem das sechste Kapitel, das er nach dem Tod Wilhelm von Oraniens 1584 beginnen lässt. In ihm schildert er die zahlreichen militärischen Unternehmungen sowie die Herrschaft Erzherzog Albrechts und seiner Frau Isabella, einer Tochter Philipps II. Das siebte Kapitel ist der Zeit des Waffenstillstands von 1609 bis 1621 gewidmet. Es behandelt die Auseinandersetzungen innerhalb der reformierten Kirche zwischen Remonstranten und Contraremonstranten im Norden und die Konsolidierung des Gemeinwesens im Süden. Im achten und letzten Kapitel schildert van der Lem die Kämpfe und zähen Verhandlungen, die im Frieden von Münster nach achtzig Jahren Krieg ihren Abschluss fanden.

Van der Lem berücksichtigt dabei nicht nur den Blickwinkel der Niederländer. Er schildert das Geschehen auch aus Sicht der Spanier und ihrer Verbündeten. Das erlaubt ihm, sich kritisch mit älteren Darstellungen auseinanderzusetzen, die im niederländischen Aufstand einen Freiheitskampf gegen tyrannische Spanier sehen wollten. Damit erweist sich van der Lem auf der Höhe der Zeit. Denn die internationale Forschung zum Achtzigjährigen Krieg wendet sich seit einigen Jahren verstärkt den bislang Marginalisierten oder unberücksichtigt Gebliebenen zu. [2] Zugleich relativiert dieser Zugang die recht schematische und mit apodiktischer Bestimmtheit vorgetragene Behauptung, bei dem Aufstand sei es lediglich um die Religions- und Gewissensfreiheit sowie das Recht auf Selbstbestimmung und Mitsprache gegangen. Van der Lem zeigt vielmehr, dass es deutlich komplexer war.

Die folgenden Monita beziehen sich auf die deutsche Übersetzung. Sie ist anders als das Original in schwarz-weiß gehalten und fällt deutlich kleiner aus. Die zahlreichen Abbildungen büßen dadurch viel von ihrer Prägnanz ein. Insofern ist es zwar nur konsequent, den deutschen Titel einen Schwerpunkt auf die Staatenbildung legen zu lassen. Auf diese Weise rückt er aber das Buch in die Nähe teleologischer Meistererzählungen, die van der Lem eigentlich überwunden hat. Unbegreiflich ist zudem, warum die niederländischen Territorien als 'Geweste' und nicht als Provinzen bezeichnet werden und Reichskreise durchgängig als 'Kreitse' unübersetzt stehen geblieben sind. Ein Blick in einschlägige Darstellungen hätte dem vorgebeugt. Studierende, die sich erst mit der Materie vertraut machen müssen, seien also gewarnt.

Van der Lems Buch will anders als die Internetseite kein Nachschlagewerk sein. Es bietet vielmehr eine bunte Erzählung, bringt also die einzelnen Geschehnisse in einen Zusammenhang und deutet sie. Dem Anspruch, damit etwas Bleibendes zu schaffen, ist die Neuauflage nicht abträglich. Im Gegenteil, sie ist dafür eine notwendige Voraussetzung.


Anmerkungen:

[1] Anton van der Lem: De opstand in de Nederlanden 1568-1648. De Tachtigjarige Oorlog in woord en beeld, Nijmegen 2014.

[2] Vgl. bspw. Geert H. Janssen: The Dutch Revolt and Catholic Exile in Reformation Europe, Cambridge 2014 oder Judith Pollmann: Catholic Identity and the Revolt of the Netherlands, 1520-1635, Oxford / New York 2011 sowie Yolanda Rodríguez Pérez: The Dutch Revolt through Spanish Eyes. Self and Other in historical and literary texts of Golden Age Spain (c. 1548-1673), Bern et al. 2008.

Ramon Voges