Christian Schwießelmann: Die CDU in Mecklenburg und Vorpommern 1945 bis 1952. Von der Gründung bis zur Auflösung des Landesverbandes (1945-1952) (= Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte; Bd. 58), Düsseldorf: Droste 2011, 512 S., ISBN 978-3-7700-1909-0, EUR 49,00
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Begünstigt durch eine optimale Quellenlage, aber auch aufgrund gezielter Förderungspolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung ist seit der Vereinigung eine Vielzahl von Arbeiten entstanden, die sich mit der Ost-CDU befassen. Bei der jüngst von Christian Schwießelmann veröffentlichten handelt es sich um eine von der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Rostock angenommene Dissertation, die chronologisch gegliedert ist und sich primär auf Archivunterlagen stützt, insbesondere auf die der früheren DDR-CDU, die von der Adenauer-Stiftung verwaltet werden. "Hauptanliegen" des Autors ist es, die "Gründungs- und Organisationsgeschichte der Christdemokraten in Mecklenburg und Vorpommern 1945 bis 1952 nachzuzeichnen." (12) Das leistet er in aller Ausführlichkeit und bietet Informationen, die gerade für Untersuchungen zur lokalen und regionalen Parteigeschichte nützlich sein werden.
Der Autor unterscheidet drei zeitliche Entwicklungsphasen der Partei bis 1952, die er in acht chronologisch angelegten Kapiteln darstellt und dabei drei systematische Untersuchungsschwerpunkte bildet: Kontinuitäten und Brüche mit ihren regionalen Folgen, das Spannungsverhältnis zwischen Widerstand und Anpassung sowie die Rolle von Personen und ihr Handeln. In den Text integriert sind z. T ausführliche biographische Erläuterungen und mehr als 40 Tabellen, die unter anderem über die Sozialstruktur der Mitgliederschaft und die Zusammensetzung von Parteigremien Auskunft geben. Die Angaben waren oft bereits an anderer Stelle nachzulesen, doch wird dem Nutzer die Suche erleichtert, wenn er weiß, dass er Daten zu diesem CDU-Landesverband zukünftig konzentriert bei Schwießelmann findet. Der Band erhält dadurch passagenweise Handbuchcharakter, während der analytische Erkenntnisfortschritt in den Hintergrund tritt. Der Autor schwelgt zuweilen geradezu in der Fülle seiner Archivinformationen, wenn er selbst den Namen der "Reinemachefrau" beim CDU-Landessekretariat aufführt (381).
Unterbelichtet bleibt der weit fortgeschrittene Forschungsstand zur Geschichte der Ost-CDU und des Parteiensystems in der SBZ/DDR. Wer eine intensive Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen und Thesen früherer Autoren erwartet, wird enttäuscht. Schwießelmann hat primär Archivalien im Blick. Seine Aussage, bis 1990 seien in der Bundesrepublik "vor allem Erinnerungsbände und Biographien ehemaliger Akteure" (17) erschienen, unterschätzt die historiographische Bedeutung der Monographien von Peter Hermes zum Wirken seines Vaters als erstem CDU-Vorsitzenden in der sowjetischen Zone wie die von Werner Conze zu Jakob Kaiser, dem zweiten Vorsitzenden. Sie ignoriert zudem die von Hermann Weber herausgegebenen "Mannheimer Untersuchungen zu Politik und Geschichte der DDR" wie die anderen von ihm initiierten Arbeiten, die auch nicht im Literaturverzeichnis auftauchen. Worum es sich im Einzelnen handelt, lässt sich u.a. den Dissertationen der CDU-Forscher Michael Richter und Ralf Thomas Baus entnehmen. Auch zur CDU Mecklenburgs hätte er einiges finden und diskutieren können, etwa Webers neun Thesen von 1982 zu den Methoden sowjetischer Einflussnahme auf die Parteien in ihrer Besatzungszone oder die Arbeiten von Gerhard Braas, Günter Braun und Christel Dowidat zur Entstehung der Landesverfassungen, zur Arbeit der Landtage sowie den Wahlen und Abstimmungen. Nur ganz am Rande erwähnt hat Schwießelmann das 1990 von Weber und Martin Broszat herausgegebene SBZ-Handbuch, das bereits zahlreiche Angaben enthält, die er in seiner Arbeit macht. Hätte er die frühen Thesen von Hans-Peter Schwarz zu den Zielen sowjetischer Deutschlandpolitik und die von Hermann Weber rezipiert, hätte er schon mit einem Wissen an die Arbeit gehen können, das er am Ende in dem Satz zusammenfasst: "Die Einflussnahme der sowjetischen Besatzungsmacht auf das Parteiensystem kann gar nicht unterschätzt [gemeint: überschätzt] werden." (444)
Informativ sind vor allem die Erkenntnisse zur regionalen und lokalen Gründungsgeschichte der CDU, zur politischen und sozialen Struktur der Initiativgruppen wie der späteren Wählerschaft (Flüchtlinge, Vertriebene, selbständige Bauern, kirchlich Gebundene), die 1946 mit 34,1 Prozent für das beste Ergebnis der Union bei den Landtagswahlen sorgten. Ausführlich schildert der Autor die Ausschaltung politisch Oppositioneller durch die Machtträger. Eher wenig erfährt man über die Kooperation mit der Liberaldemokratischen Partei. Eine Besonderheit der CDU-Entwicklung in Mecklenburg sei, dass sich die Unterordnung unter den Führungsanspruch der SED aufgrund fehlenden bürgerlichen Resistenzpotentials "weniger geräuschvoll" (443) als in anderen Ländern vollzogen habe. Zudem habe der Landesvorstand unter Reinhold Lobedanz schon früh mit den Machtträgern zusammengearbeitet, "wenn nicht gar paktiert". (443) Die schrittweise Transformation zu einer abhängigen Bündnisorganisation der SED wertet Schwießelmann (in Anlehnung an Thesen des Kaiser-Nachfolgers Nuschke) als alternativlos: "Als sich die Zonengrenzen verfestigten und sich die doppelte Staatsgründung in Deutschland abzeichnete, gab es für die Ost-CDU kein Entrinnen mehr aus dem sowjetischen Herrschaftsraum. Unter dem prosowjetischen Vorsitzenden Otto Nuschke stand die Partei an einer Weggabelung, die nur eine Entscheidung zwischen Selbstauflösung oder Anpassung zuließ. Am Ende fügten sich die Christdemokraten nach Gründung der DDR in das von der SED dominierte sozialistische Mehrparteiensystem. Als sogenannte Blockpartei mussten sie sich restlos dem Führungsanspruch der Einheitspartei unterordnen und die ihnen zugedachte Transmissionsfunktion erfüllen." (435) Solche Aussagen in einer Publikation der Adenauer-Stiftung zu finden überrascht. Zumindest die Zeitzeugen in der früheren "Exil-CDU" würden vermutlich vehement widersprechen.
Für die besonders ausgeprägte "Kompromissfähigkeit" (436) der Mecklenburger Unionsführung bietet der Autor eine originelle Erklärung an: Dort dominierten ehemalige DDP-Mitglieder, die in der Weimarer Republik mit der SPD kooperiert hatten. Das könne der Grund sein, warum sie sich "stets nachgiebig bis zur Selbstverleugnung" (436) gegenüber der SED verhielten, als deren Repräsentanten ihnen oft frühere Sozialdemokraten entgegentraten. Das hätte man als Leser gern näher untersucht und erläutert bekommen.
Es drängt sich die Frage auf, warum viele Christdemokraten die behauptete Alternativlosigkeit des Anpassungskurses nicht erkannten und vehement dagegen protestierten, so dass es zu den "zwei Welten" (14) kommen konnte: den anpassungsbereiten Funktionären und der breiten Mitgliederschaft. Offenbar gab es außer Austritt und Flucht in den Westen noch eine dritte Alternative, und die wurde massenhaft genutzt: (passives) Mitglied zu bleiben, von den Vorteilen systemkonformer Parteizugehörigkeit zu profitieren und auf politischen Wandel, auch in der DDR, zu hoffen. Den Alltag an der CDU-Basis zu erhellen und Genaueres über die politischen Einstellungen und Handlungsmotive der Mitglieder herauszuarbeiten, das wäre eine lohnende Aufgabe für zukünftige Forschungen.
Siegfried Suckut