M. Alexander: Deutsche Gesandtschaftsberichte aus Prag

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Titel
Deutsche Gesandtschaftsberichte aus Prag. Innenpolitik und Minderheitenprobleme in der Ersten Tschechoslowakischen Republik. Teil III: Von der Regierung unter Švehla bis zum Vorabend der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland 1926-1932


Autor(en)
Alexander, Manfred
Reihe
Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 49/III
Erschienen
München 2009: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
448 S.
Preis
€ 69,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerhard Fuchs, Leipzig

Manfred Alexander hat bereits die Teile I (1918-1921) und II (1921-1926) der edierten Gesandtschaftsberichte1 vorgelegt und schließt mit dieser Publikation auf zu Teil IV (1933-1935), den Heidrun und Stephan Dolezel erarbeitet haben.2 Die auf Akten des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes zurückgreifende Quellenpublikation enthält vorwiegend Berichte der deutschen Gesandtschaft Prag, aber auch solche der deutschen Konsulate in Reichenberg (Liberec), Pilsen (Plzeň), Brünn (Brno), Pressburg (Bratislava) und Kaschau (Košice). Daneben finden sich Aufzeichnungen des Auswärtigen Amtes, in denen Vorgänge in der ČSR sowie internationalen Charakters dargestellt und beurteilt werden.

Inhaltliche Schwerpunkte bilden zum einen die Vorgänge in den tschechischen Parteien und Organisationen einschließlich der Regierungen. Hinzu treten die Entwicklungen in der Slowakei, deren slowakische Mehrheitsbevölkerung das damalige tschechoslowakische Staatsrecht entgegen den historisch-politischen und sozioökonomischen Gegebenheiten als integralen Teil der einheitlichen Staatsnation der "Tschechoslowaken" ansah. Da sich die Slowaken über Jahrhunderte unter ungarischer Herrschaft befunden haben, ergaben sich zahlreiche Probleme des Zusammenfindens mit den Tschechen in einem Staat, die sich auch in den Berichten der deutschen Diplomaten spiegeln. So trat die katholische Slowakische Volkspartei erst im Januar 1927 mit zwei Ministern in die Prager Regierung ein. Die Diskussion um eine Autonomie des slowakischen Staatsteiles sowie das Verhältnis zur ungarischen und deutschen Minderheit waren solche spezifischen Probleme. Größere Aufmerksamkeit widmeten die Berichte dem Prozess gegen das führende Mitglied der Slowakischen Volkspartei Vojtěch Tuka, der im Oktober 1929 wegen Hochverrats zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Die Slowakische Volkspartei zog daraufhin ihre beiden Minister aus der Regierung ab. Einige Quellenstücke haben die Entwicklung in "Karpatenrussland" zum Inhalt, jenes Gebietsstreifens mit vorwiegend ukrainischer Bevölkerung, der östlich an die Slowakei anschließt und in den Friedensverträgen dem Staatsgebiet der ČSR zugeschlagen wurde.

Größten Raum gibt Alexander Berichten über Probleme der deutschen Minderheit in Böhmen und Mähren-Schlesien, zunehmend als „Sudetendeutsche“ bezeichnet. Standen deren Parteien bis Mitte Oktober 1926 in Opposition zur Prager Regierung, so trat nunmehr mit der Aufnahme von Robert Mayr-Harting von der deutschen Christlich-Sozialen Volkspartei und von Franz Spina vom deutschen Bund der Landwirte eine bedeutende Änderung ein. Das sudetendeutsche Parteienlager war gespalten in diese "Aktivisten" und die weiterhin jede Zusammenarbeit mit tschechischen Parteien ablehnenden "Negativisten", verkörpert vor allem durch die rechts stehende Deutsche Nationalpartei (DNP) und die Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei (DNSAP). Der deutsche Gesandte Walter Koch kritisierte die Negativisten, weil sie mit ihrer sterilen Politik für das "Sudetendeutschtum" gar nichts erreichten. Andererseits wünschte er oftmals, dass die Aktivisten sich nicht mit "Brosamen" vom Regierungstisch zufrieden geben und die Gravamina der Sudetendeutschen nachhaltiger vertreten sollten. Solche waren die wirkliche nationale Gleichberechtigung hinsichtlich der Anstellung im Staatsdienst, der Förderung des deutschen Schulwesens und anderer kultureller Einrichtungen, der Zuteilungen aus dem Bodenreformfonds auch für deutsche Landwirte und der Vergabe von Staatsaufträgen auch an deutsche Unternehmen. Es änderte sich wenig, als bei der Regierungsumbildung im Dezember 1929 Mayr-Harting ausschied und Ludwig Czech von den deutschen Sozialdemokraten Minister wurde.

Im Versailler Nachkriegssystem standen Deutschland und die Tschechoslowakei auf gegensätzlichen Positionen. Doch hatten die Locarno-Verträge von 1925 die gegenseitigen Spannungen zum erheblichen Teil gemindert. Insgesamt verliefen daher die Beziehungen zwischen den beiden Staaten vor allem auf ökonomischem Gebiet zum gegenseitigen Vorteil und ohne größere Störungen. So gestattete die tschechoslowakische Seite, dass das Auswärtige Amt sudetendeutsche kulturelle Einrichtungen wie Schulen, Bibliotheken, Theater und Vereine auf deren Bitten hin jährlich mit erheblichen Summen unterstützte. Gegenseitige Klagen gab es freilich immer wieder, wenn die Vertreter nationalistisch orientierter Vereine bei Vortragsreisen oder auf ihren Treffen "antideutsche" bzw. "antitschechische" Äußerungen von sich gaben oder entsprechende Forderungen erhoben. Großes Aufsehen erregte es, als im Herbst 1930 im Verlauf der sogenannten Tonfilmaffäre in Prag tschechische nationalistisch gesinnte Jugendliche die Aufführung des ersten reichsdeutschen Tonfilms zu verhindern suchten, woran sie freilich durch die Polizei gehindert wurden. Doch in den folgenden Tagen gab es erneut Demonstrationen und radauhafte Übergriffe gegen das Deutsche Theater, das Deutsche Haus, gegen Kinos und Cafés, wobei auch Fensterscheiben zu Bruch gingen. Entschiedene Proteste der deutschen Diplomaten waren die Folge, und reichsdeutsche Künstler sagten geplante Auftritte in Prag ab. Das alles war der tschechoslowakischen Seite höchst unangenehm, so dass sogar Außenminister Beneš in Genf im Gespräch mit dem deutschen Amtskollegen Curtius diese Vorfälle bedauerte; hätten sie sich doch gegen seine Politik der guten Beziehungen mit Deutschland gerichtet.

Die heraufziehende Weltwirtschaftskrise, von der die Tschechoslowakei später erfasst wurde als Deutschland, führte in beiden Staaten zu einer Verschärfung der innenpolitischen Gegensätze. Schon im Sommer 1931 berichtet die Deutsche Gesandtschaft nach Berlin, dass in maßgebenden Regierungskreisen die Sorge bestehe, es eines Tages mit einem bolschewisierten Deutschland oder einem Deutschland der "nationalen Opposition" als Nachbarn zu tun zu haben. Als die sudetendeutsche DNSAP sich in immer stärkerem Maße auf ihre Schwesterpartei in Deutschland orientierte, verboten die tschechoslowakischen Behörden Ende Februar 1932 deren militärisch organisierten Spiel- und Sportverband "Volkssport" sowie die vor allem Studenten ansprechende Jugendorganisation "Jungsturm". Später verhaftete man auch einige führende Funktionäre der Partei. Angesichts einer zunehmenden Streikbewegung wurden auch die rote Gewerkschaftszentrale und der kommunistische Jugendverband aufgelöst. Als Ende September im „Volkssportprozess“ die ersten auf ein bis drei Jahre Staatsgefängnis lautenden Urteile gesprochen wurden, begründete dies der Staatsanwalt mit Hochverrat. In seinem Plädoyer stellte er das irredentistische Verhalten der Verurteilten in Zusammenhang mit der Annahme, das Dritte Reich wolle anderen Völkern die Freiheit nehmen. Zwar nannte der deutsche Gesandte das Ganze eine brutal durchgeführte Verfolgung national gesinnter Sudetendeutscher. Doch sollte die Geschichte leider dem Staatsanwalt recht geben.

Im gesamten Berichtszeitraum erklärten die tschechoslowakischen Vertreter auf höchster Ebene immer wieder, dass sie an einem guten Verhältnis mit Deutschland interessiert seien und die besonders seit dem Schiedsvertrag von 1925 korrekten Beziehungen zu freundschaftlichen entwickeln wollten. Bei so manchem Fortschritt auf diesem Wege im Einzelnen blieben aber doch grundsätzliche Gegensätze bestehen. So vor allem die entschiedene Ablehnung eines "Anschlusses" Österreichs an Deutschland, was das deutsch-österreichische Zollunionsprojekt von 1931 am Protest nicht nur Frankreichs und Italiens sondern auch der Tschechoslowakei scheitern ließ.

Die Publikation bietet der Forschung wertvolles Quellenmaterial, das auch den Weg weist zu weitergehenden Recherchen nicht zuletzt in tschechischen und slowakischen Archiven. Die Benutzung wird erleichtert durch Kurzregesten, die dem einzelnen Quellenstück vorangestellt sind. Zahlreiche Anmerkungen und 15 Kurzbiografien von Personen der deutschen Vertretungen in der ČSR ergänzen die Aussagen der Berichte. Dem gezielten Auffinden einschlägiger Quellenstücke dienen ein Personenregister, ein Ortsregister mit Konkordanz sowie ein Sachregister.

Anmerkungen:
1 Manfred Alexander (Hrsg.), Von der Staatsgründung bis zum ersten Kabinett Beneš 1918 - 1921: Berichte des Generalkonsuls von Gebsattel, des Konsuls König und des Gesandten Professor Saenger. Deutsche Gesandtschaftsberichte aus Prag, Teil 1, München 1983; Manfred Alexander (Hrsg.), Vom Kabinett Beneš bis zur ersten übernationalen Regierung unter Švehla 1921 - 1926: Berichte des Gesandten Dr. Walter Koch. Deutsche Gesandtschaftsberichte aus Prag, Teil 2, München 2004.
2 Heidrun Dolezel / Stephan Dolezel (Hrsg.), Vom Vorabend der Machtergreifung in Deutschland bis zum Rücktritt von Präsident Masaryk 1933 - 1935: Berichte des Gesandten Koch, der Konsuln von Bethusy-Huc, von Druffel, von Pfeil und des Gesandtschaftsrates von Stein. Deutsche Gesandtschaftsberichte aus Prag, Teil 4, München 1991.

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