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Wintermärchen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Otto Ernst
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Titel: Wintermärchen
Untertitel:
aus: Siebzig Gedichte
S. 12–13
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1907
Verlag: L. Staackmann
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Google-USA* und Commons
Kurzbeschreibung:
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[12]
Wintermärchen.


Auf dem Baum vor meinem Fenster
Saß im rauhen Winterhauch
Eine Drossel, und ich fragte:
„Warum wanderst du nicht auch?

5
Warum bleibst du, wenn die Stürme

Brausen über Flur und Feld,
Da dir winkt im fernen Süden
Eine sonnenschöne Welt?“

Antwort gab sie leisen Tones:

10
„Weil ich nicht wie andre bin,

Die mit Zeiten und Geschicken
Wechseln ihren leichten Sinn.

Da die wandern nach der Sonne
Ruhelos von Land zu Land,

15
Haben nie das stille Leuchten

In der eignen Brust gekannt.

Mir erglüht’s mit ew’gem Strahle
– Ob auch Nacht auf Erden zieht –,
Sing’ ich unter Flockenschauern

20
Einsam ein erträumtes Lied.


[13]
Wundersamer Trost in Schmerzen!

Doch nur jene kennen ihn,
Die in Nacht und Sturm beharren
Und vor keinem Winter fliehn.

25
Dir auch leuchtet hell das Auge;

Deine Wange zwar ist bleich;
Doch es schaut dein Blick nach innen
In das ew’ge Sonnenreich.

Laß uns hier gemeinsam wohnen,

30
Und ein Lied von Zeit zu Zeit

Singen wir von dürrem Aste
Jenem Glanz der Ewigkeit.“