Von den traurigen Wirkungen des Waldnachtschattens, (Atropa Belladonna Linnaci)
Erscheinungsbild
|
V.
Von den traurigen Wirkungen des Waldnachtschattens, (Atropa Belladonna Linnaci.)
Beckers Noth- und Hülfsbüchlein ist als das nützlichste Volksbuch allgemein empfohlen, von vielen Landesherren und Obrigkeiten ihren Unterthanen angeschafft, und neuerlich erst von Seiner Hochfürstl. Gnaden zu Wirzburg und Bamberg, dem um das Wohl seines Landes so sehr besorgten Landesvater, in alle Gemeinden und Schulen zum Vorlesen ausgetheilt worden. Gleichwohl gibt es noch ganze Ortschaften im Wirzburgischen, welche davon noch gar nichts wissen. Einige Personen aus dem Orte Stetten bey Arnstein aßen Wolfskirschen im Gramschatzer Wald mit dem unglücklichsten Erfolg. Auf die Frage: ob sie diese giftige Frucht nicht aus dem Noth- und Hülfsbüchlein kennen gelernt hätten? gaben sie zur Antwort: daß dieses Buch ihnen gar nicht bekannt sey. Da es der Mühe wehrt ist, diese betrügerische Frucht und ihre Wirkungen recht genau kennen zu lernen, um fernern Unglück vorzubeugen: so schicke ich Ihnen beyliegenden Aufsatz eines hoffnungsvollen jungen Arztes, des| Herrn D. Thomann, Amtsphysikus in Arnstein, welcher vielleicht in Ihrem Journal einen Platz verdient. Ich bin etc.
Gokler, Cooperator in Gnezgau.
.
Man darf den Waldnachtschatten nur einmahl gesehen haben, so wird man ihn von allen andern Pflanzen leicht unterscheiden können. Er ist eine ausdauernde Pflanze, wächst in Deutschland in gebirgichten Wäldern, und wird gewöhnlich 4 bis 7 Schuh hoch. Der Stengel ist aufrecht, weich, glatt, 1 bis 3 Zoll dick und theilet sich in viele Äste. Seine Farbe ist röthlicht, die Äste aber sind meistentheils grün. Innerhalb scheint der Stengel ausgehöhlet zu seyn, und ein trockenes weiches Mark überziehet seine dünnen brüchigen faserrichten Wände. Die Blätter an den Ästen sind von verschiedener Größe, weich, eyförmig und laufen an beyden Enden spitzig zu; ihre Ränder sind gezähnt und weich. Sie haben weder einen besondern Geruch, noch Geschmack. Die Blüthe ist glockenförmig; ihre enge runde Mündung eingeschnitten und in 5 kleine Lippen getheilt; ihre Farbe spielet aus dem grünen ins rothe. Die Blüthe ist mit einem kurzen, einblätterichten Kelch bedecket, der eben auch fünfmahl eingeschnitten ist; die Lappen aber sind weit länger und laufen ganz spitzig zu. Ihre Wurzel ist lang, dick, theilet sich in viele Äste, inwendig ist sie weiß und saftig; ist ohne Geruch und Geschmack. Die Beere sind fleischicht, rund und schwarz, den gemeinen Kirschen ähnlich und enthalten| mehrere kleine weise nierenförmige Körner, die durch eine Scheidewand getheilet sind und an dem weichen Theil der Beere, gleichsam wie an einem Mutterkuchen, sitzen. Der Geschmack ist ohne Annehmlichkeit süßlicht. Die Pflanze blühet in Junius und Julius, und trägt im August und September ihre zeitige Frucht, die schwarzen Beere, Tollkirschen, Wutbeeren, Wolfskirschen genannt. Die beste und sicherste Hülfe, die man solchen Verunglückten ertheilen kann, ist: wenn man ihnen gleich nach dem Genuß dieser schädlichen Beere, so bald die geringsten Zufälle erfolgen, einige Grane Brechweinstein in Wasser aufgelöset, eingießt, ihnen häufige reizende Klystire gibt, um den Magen und die Gedärme von diesen Beeren auszuspühlen. Die besten Klystire zu diesem Zwecke sind die von Molken, denen viel Essig und einige Grane Brechweinstein mit etwas Öl oder Honig beygesetzt werden. Nach dem Brechen dienen häufige, säuerliche Getränke von lauwarmen Wasser mit Essigmeth versüßt, Molken, Essigwasser, Limonade, Wasser mit Weinstein säuerlich gemacht, Gerstenwasser, Buttermilch u. d. g. Um die Leibesöffnung zu befördern, so läßt man den Kranken einige Loth Cremer Tartari oder englisches Salz in Wasser aufgelöset mit etwas Essigmeth, auch Schwefelmilch, oder Ricinusöl nach und nach einnehmen. Hat der Verunglückte schon Betäubung, Schwindel, drohen schlagflüßige Zufälle, so muß, nebst den angegebenen Mitteln, besonders wenn seine Leibesbeschaffenheit und körperliche Anlagen es erfordern, eine| Ader geöffnet werden; doch erfordert dieses jederzeit Behutsamkeit. Man muß ihm Tücher, die in kaltes Wasser, in einer Auflösung von Salpeter und Salmiak, oder in Essig eingetaucht werden, nach abgeschornen Haaren über den Kopf schlagen. Beständig muß der Unglückliche in freyer Luft seyn, und sein Körper muß immer beweget werden. So bald der Magen und die Gedärme von dem Gift geleeret sind, so gibt man, um das ins Blut aufgenommene Gift durch alle Aussonderungswege hinauszuschaffen, abführende, Urin- und schweißtreibende Mittel, und setzet ihn in lauwarme Bäder; auch Blasenpflaster auf die Waden gelegt sind empfohlen worden. Um der Auflösung der Säfte durch das eingesogene Gift vorzubeugen müssen wieder eigene Mittel geordnet werden. Jederzeit erfordert es, um solche Unglückliche zu retten und die Mittel zweckmässig anzuwenden, die Gegenwart eines erfahrnen Arztes, ohne welchen sie gewiß der Raub des Todes werden.
Arnstein den 15 Aug. 1791.
Thomann D.