Verlorene Freunde
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Verlorene Freunde.
So oft auf schmalem Lebenspfade
Mich überholt ein rascher Fuß,
So oft ein Wandrer freundlich nahte
Mit hellem Blick und warmem Gruß —
In seine Rechte freudig ein
Und weiter sind wir dann geschritten,
Als könnt' es nimmer anders sein.
Doch lange nicht. Das Plaudern stockte
Und auf die breite Straße lockte
Es ihn zurück vom Wiesensteg.
Ich sah ihn eilig weiter wandern
Und oft noch winken mit der Hand,
Der einzelne dem Blick entschwand.
Doch war ich nie darob in Reue,
Daß meinen spröden, kühlen Stolz
Ein Wort voll Biederkeit und Treue,
Daß ich erglühte und erbleichte,
Und daß es seltsam mich beglückt,
Wenn ich die Hand, die dargereichte,
In stummer Innigkeit gedrückt.
Ein Vöglein auf die Schulter fliegt,
Und an die Wange, leise girrend,
Das Köpfchen Dir vertraulich schmiegt,
Wenn Deine Hand sich ohne Zagen
Und auf und zu sich leise schlagen
Die bunten Flügel wie im Spiel —
Bist du nicht bang, daß ein Bewegen
Den lieben kleinen Gast verscheucht,
Der Dankbarkeit die Wimper feucht,
Und hat wie Veilchenduft im Winter,
Dich das Vertrauen nicht gerührt,
Das Dir die schlauen, schnellen Kinder
Daß sie kein Hauch vor Dir vertriebe,
Beherrschst Du jeden Athemzug,
Und stießest rau zurück die Liebe,
Die Dir ein Mensch entgegentrug.
Des gleichen holden Wunders ist,
Wenn treulich nahn die Ewigscheuen
Und wenn sein Ich ein Mensch vergißt?
Rudolf Lavant.
Anmerkungen (Wikisource)
[Bearbeiten]Ebenfalls abgedruckt in:
- Edelsteine deutscher Dichtung. Sammlung bester lyrischer und lyrisch – epischer Gedichte", Bruno Geiser, 1880, Druck und Verlag der Genossenschaftsbuchdruckerei.