Sappho (Nöller)
Unter seine schönsten Jungfraun zählte
Mytilene eine Dichterinn:
Sappho hieß sie: holden Reiz vermählte
Sie mit hohem Göttergleichen Sinn.
Alle wies durch Kaltsinn sie zurücke,
Nur der Eine, denn sie sich erkohr,
Schloß für ihre Seufzer Herz und Ohr.
Ach! Umsonst ergoß sie ihre Klagen
Schuf umsonst Gesänge, ihm zu sagen,
Was so heiß ihr Herz für ihn empfand.
Phaon lachte ihrer schönen Triebe;
Nimmer sprach sein Blick ihr Gegenliebe,
Schon zu einem andern Mädchen hin.
Rosen, die von keinem Thau erfrischet
In der Mittagssonne welken, gleicht
Sappho: Ihres Auges Glut erlischet,
Ungestillte Sehnsucht beugt sie nieder,
Schwermuth hallt aus jedem ihrer Lieder,
Und der unbelohnten Liebe Schmerz
Füllet mit Verzweiflungs-Quaal ihr Herz.
Wie die Locken wild ihr Haupt umwehn!
„Soll ich stets von Phaon mich verachtet,
Mir Beglücktre vorgezogen sehn?
Nein! zu Phöbus heilgen Tempelhallen,
Ewig senk’ ich in der Fluthen Grab
Mich und meine Liebe dort hinab.“
Seht! Schon naht sie sich Apolls Altare,
Angethan mit bräutlichem Gewand,
Die vertraute Leyer in der Hand.
Auf der Sängerinn gebleichten Wangen,
Malt sich noch ein schmachtendes Verlangen,
Und es tönet, zu der Laute Klang,
„Göttlicher! der ins Verborgne blicket,
Dessen Auge jede Nacht durchschaut –
Ja! du kennst das Leiden, das mich drücket,
Bist mit meines Herzens Gram vertraut.
Diese Flamme, die mich wild verzehret,
Die die Ruh aus meinem Busen bannt,
Ist, Latoneus Sprößling, dir bekannt!
Du auch fühltest einst der Liebe Schmerzen,
Und, gerührt von ihrem Reitz, im Herzen
Amors mörderischen Pfeil empfandst.
Als umsonst du deine Glut gestandest,
Dich umsonst den Sieger Pythons nanntest,
Und dein Arm schlang nur um Lorbeer sich.
Mag, was sterblich ist, dem Pfeil entgehen,
Welcher selbst Unsterbliche besiegt?
Kann des Menschen Kraft da widerstehen,
Nein, in des Olympos stolzem Bogen,
Auf der Erde, in des Meeren Wogen,
Selbst in Orkus nie erhellter Nacht,
Huldigt jedes Wesen Amors Macht!
Diese Flamme, die mich wild verzehrt,
Lodert heller nur in meinem Herzen,
Wird durch jeden Widerstand vermehrt.
Meiner Wangen Rosenglanz verglühte,
Bleich und Schattenähnlich wanke ich,
Die an Schönheit keiner Jungfrau wich. –
Nur Ein Pfad bleibt Sterblichen noch offen,
Den selbst Göttern das Geschick verschließt,
Wo des Schattenstromes Welle fließt.
Jedes Leiden, das uns hier beschweret,
Jeden Gram, den unser Herz genähret,
Selbst der Liebe allgewalt’ge Glut,
Ja Vergessenheit will ich erringen!
Meine Brust beseelet hoher Muth,
In der Schatten dunkles Thal zu dringen
Durch des Oceanos stille Fluth.
Weidet sich mein Blick zum letztenmale)
Blicke gnädig! Furchtlos weihe ich
Göttlicher! dem Rettertode mich!
Die mir einstens deine Huld vergönnte,
Klagend oft in Mitternächten tönte,
Wenn ich meiner Liebe Quaalen sang;
Diesen Kranz, gewebt aus Myrtenzweigen,
Sonst – ach! – nur beglückter Bräute Zeichen,
Pythons großer Sieger! Sappho dir!“
Also sang sie. In dem Göttersitze
Hängt sie Myrtenkranz und Laute auf,
Eilt dann zu des Felsen höchster Spitze,
Ha! Sie sinkt! doch welch ein göttlich Wunder!
In die Fluthen stürzt sie nicht hinunter,
Nein! Verwandelt in Apollos Schwan,
Hebt die Sängerin sich Wolkenan.