Die Sage vom Wolfsbrunnen
Schon spiegelt auf des Neckars Fluth
Der Mond sein wachsend Horn;
Wer wallt noch flink und wohlgemuth
Waldein zum grünen Born?
Die schöne Seherin;
Getreuer Minne Machtgefühl
Ermuthigt ihren Sinn.
Allabendlich zum Waldborn kam
Ein Recke kühn und minnesam,
Den Jetta liebgewann.
Oft bei des Mondes Dämmerstrahl
Hat sie der Quell belauscht,
Und Kuß um Kuß getauscht.
Auch heute wagt sie ihm zur Huld
Den späten Pilgergang,
Vor heißer Herzensungeduld
Sie hat nicht Ruh, sie hat nicht Rast,
Es drängt sie mehr und mehr,
Waldvöglein sang vom Tannenast:
„O eile nicht so sehr!“
Sie sieht, von Busch umzweigt,
Den Buhlen schon: „Mein Schatz, bist du’s?“
Er regt sich nicht und schweigt.
Da flog das Mägdlein sehnsuchtsschnell
Umfängt sie, weh! nicht ihr Gesell, –
Ein lechzend Ungethüm.
Ein Wolf, der dort den Durst gestillt,
Hält gierig sie umklaut,
Wird Busch und Moos bethaut.
Hört in der Runde denn kein Ohr
Ihr herzzerreißend Schrei’n?
„O Waidmann! Waidmann, komm hervor,
Horch auf! er ist’s, er eilt herbei,
Gewaltig trifft sein Streich,
Das Unthier stürzt, die Maid ist frei,
Doch leichenkalt und bleich.
Der Glück und Tod ihr gab,
„Fahr wohl, herzlieber Jägersmann!
Mein Brautkranz fällt in’s Grab.“
Jhr Auge brach am Jettenbühl,
Da ruht die Jungfrau tief und kühl,
Von Neckarfluth umbraust.
Bei Heidelberg im Pfälzerland
Begab sich dieses Leid;
Sofort von jener Zeit.
Dies Lied findet sich, ohne Angabe des Verfassers, in J. Baader’s „Sagen des Neckarthals, der Bergstraße und des Odenwalds etc.“ (Mannheim. Bassermann. S. 127 und ff.) nebst folgenden Noten:
Die älteste Kunde berichtet: Einst habe die Zauberin Jetta, die auf dem Schloßhügel bei Heidelberg hauste, an einem sonnigen Tage ihre Wohnung, eine alte Kapelle, verlassen, um ihren müden Geist durch einen Spaziergang auf den Bergen zu erquicken. Das Schicksal habe ihre Schritte über die Hügel in ein Thälchen geleitet, wo die dichteste Waldung den moosigen Boden bedeckte. Entzückt von dem rauschenden Gewässer und dem kühlen Schattengrunde, sey sie an der Quelle daselbst niedergeknieet, um die glühenden Lippen in den klaren Wellen zu erfrischen. Da habe eine hungernde Wölfin sie erblickt, und plötzlich mit ihren Jungen aus dem Gebüsche hervorstürzend, die Weissagerin, die flehend ihre Hände um Rettung zum Himmel erhob, auf der Stelle in Stücke zerrissen etc.
Nach mehreren Schriftstellern soll diese Jetta Niemand anders als die Belleda der Bructerer gewesen seyn, was jedoch gewiß eine grundlose Behauptung ist. Aus römischen Historikern ersehen wir blos, daß Belleda gefangen nach Rom geführt wurde; daß sie aber jemals zurückgekehrt, darüber mangeln uns alle Nachrichten. Sehr anmuthig erzählt hat Amalie von Helwig, geb. v. Imhoff, die „Sage vom Wolfsbrunnen.“