Die Erdmannshöhle bei Hasel
Das Pfarrdorf Hasel liegt in einem freundlichen Seitenthälchen der Wiese, am Haselbache, von Schopfheim nur anderthalb Stunden östlich entfernt, ist ziemlich alt und gehörte wahrscheinlich in früheren Zeiten den Herrn von Bärenfels, deren Burgüberreste in der Nachbarschaft aus dem Wald emporragen. Etwa 500 Schritte südlich von Hasel liegt die Erdmannshöhle, ein würdiges Seitenstück zu der berühmten Baumannshöhle im Harze, und das Ziel zahlreicher Ausflüge der fremden Touristen und der Bewohner der Umgegend. Wer sie zu sehen wünscht, muß sich dieselbe vom Schullehrer des Ortes zeigen lassen, welcher den Schlüssel zu ihr in privilegirter Verwahrung hat und die Besuchlustigen mit besondern Ueberkleidern versieht, weil man dort sonst leicht die eigenen verderben und sich gefährlich erkälten kann. Das Ganze besteht [222] aus mehreren Haupthöhlen, Grotten und Seitengängen voll durcheinandergestürzter Felsenmassen; Wände und Decken aber sind aus Stalaktiten (Tropfsteinen) gebildet, welche die abenteuerlichsten Fantasiespiele der Natur vorstellen. Einer dieser Stalaktiten, der Mantel genannt, soll bei 6 Centner schwer seyn; andere bilden an einer Seitenwand die sogenannte Orgel und auf einer andern Wand sind die Tropfsteine so gruppirt, daß sie wie eine Kanzel aussehen. In der Tiefe rauscht ein starker Bach durch die Haupthöhlen; eine entferntere Höhle führt zu einem kleinen unterirdischen See, welcher jedes weitere Vordringen hemmt. Die interessanteste Höhle ist diejenige, welche die, gleichfalls aus Stalaktiten gebildete „Fürstengruft“ und den „Sarg“ enthält.
Die Erdmannshöhle war in früheren Zeiten wenig bekannt; erst zu Anfange dieses Jahrhunderts wurde sie genauer untersucht und zugänglich gemacht, so daß im Jahre 1811 die Frau Großherzogin Stephanie dieselbe in Augenschein nehmen konnte. Die ganze Gegend von Hasel scheint von unterirdischen Gängen durchzogen zu seyn; so findet sich z. B. selbst unter dem Pfarrhause des Ortes eine weite, geräumige Höhle, die sich unter dem Haselbache bis zur Kirche hinzieht. Einsenkungen des Bodens zeugen an verschiedenen Punkten dieser Gegend vom Daseyn vieler derartiger Höhlen, wie überhaupt die Bäche zwischen der Wehra und Wiese von Hasel an bis zum Rheine in unterirdischer Verbindung zu stehen scheinen. Auch der Bach, welcher die Erdmannshöhle durchfließt, hat keine sichtbare Ausmündung, sondern scheint unter der Erde bis zum Rheine fortzugehen. Ebenso mag der Eichener See (siehe den Artikel) mit dieser Höhle in geheimem Zusammenhange stehen. Eine Beschreibung der Erdmannshöhle mit sechs Kupferstichen wurde von Landkommissär Lembke, (Basel, 1803, Fol.) herausgegeben.
Die Einbildungskraft des Volkes, überall leicht angeregt zu eigenen abenteuerlichen Schöpfungen, wo die Natur in kühnen Fantasiespielen sich ergangen, hat auch dieses merkwürdige Schachtlabyrinth mit, denselben entsprechenden Wesen bevölkert, nämlich mit dem zwerghaften Gnomengeschlechte, welches fast in allen Hauptgebirgen, wie z. B. im Riesengebirge, im Harz etc. [223] eine so bedeutende Rolle spielt. Die Haseler Höhle ist der Sitz einer Menge von Erdmännlein und Erdweiblein, und hat ersteren ihre Benennung zu verdanken. Scheu geworden aber vor den überall eindringenden Lichtstrahlen der aufklärenden Neuzeit, haben sich diese, übrigens größtentheils gutmüthigen und harmlosen Geschöpfe, in die entlegensten unterirdischen Abgründe und Felsengrotten zurückgezogen und lassen sich höchstens nur noch vor den gefeiten Augen eines Frohnfasten- oder Sonntagskindes sehen.
Aber vor etlichen hundert Jahren, da war es anders; da pflogen diese Gnomen und Gnominen lebhaften freundlichen Verkehr mit den Bewohnern der Oberwelt, so damals auch frömmer und naturandächtiger waren, als in unsern religionshadrigen, wenn gleich helleren Tagen. Damals kamen sie oft zu den Leuten hervor aus ihren grotesken Felspalästen, sie besuchend in Haus und Feld, in Küchen und Spinnstuben, gerne bereit, in allerlei Wirthschaftsgeschäften hülfreiche Hand zu leisten, zuweilen mit Gold und kostbaren Steinen wackern, unverschuldet in Armuth gerathenen Leuten wieder aufzuhelfen, zuweilen auch nützlichen Rath ertheilend und zur Abwechslung den Burschen und Mädchen Abends schöne Mährchen erzählend, – poesievollere Mysterien als die von Paris. Und dagegen sprachen die harmlosen Wesen keine weiteren Gefälligkeiten von den Landleuten und Gebirgsbewohnern an, als die Erlaubniß, in strengen Wintern, wenn die Kälte selbst bis in die tiefsten Palasthallen der Unterwelt drang und die Quellen und Bäche und Schwaden darinnen zu Eis und Reif sich gestalteten, in einem Eckchen der Wohnstube, beim warmen Ofen, auf einem Bündelchen Stroh oder selbstmitgebrachtem Bergflachse (Asbest), die Nacht zubringen zu dürfen.
Diese Gäste – so erzählt uns im Wiesenthal noch manch altes Mütterchen – sollen allerliebste Miniaturgeschöpfe, kaum, ein Paar Spannen hoch, doch meist ungemein zierlicher Gestalt und sanfter, einnehmender Gesichtsbildung gewesen seyn, nur hättest sie das Eigenthümliche gehabt, daß man niemals Füße an ihnen bemerken konnte. Um sich nun zu überzeugen, ob sie solche wirklich besäßen oder nicht, geriethen einmal einige junge vorwitzige Bursche von Hasel auf den Einfall, auf dem ganzen [224] Wege, von der Erdmannshöhle her bis zum Dorfe, Asche zu streuen, um zu sehen, welche, oder ob gar keine Spur von Fußtritten die Zwergchen darin eindrückten. Die sonst so gutmüthigen Gnomen aber, als sie, wie gewöhnlich im Begriff, ihre abendlichen Besuche im Dorfe zu machen, diese List gewahr wurden, geriethen darüber in einen solchen Unwillen, daß sie sich bei den Haslern seither nicht wieder sehen ließen. Lange Zeit noch darnach hörte man tief unten aus dem Boden hervor ein dumpfes Brausen, Schnauben und Gemurmel; die einzige Art, wie die armen Geneckten ihrem Unmuthe Lust zu machen pflegten.