ADB:Gertrud die Große
Gertrud und Mechthild von Hackeborn, sowie der ehemaligen Begine Mechthild (s. den vorigen Artikel), sehr bald zu reicher Blüthe sich entfaltete. Ein Denkmal ihres Geistes ist die erwähnte Schrift: „Legatus divinae pietatis“ und eine Sammlung von Gebeten: „Exercitia spiritualia“. Von dem Legatus ist nur der zweite der fünf Theile von G. selbst geschrieben und zwar in den J. 1289 und 1290; die übrigen sind nach ihren Mittheilungen von einer mit ihr lebenden Freundin verfaßt und erst nach ihrem Tode abgeschlossen worden. G. hatte mit einem [75] unauslöschlichen Durste nach Wissen zuerst die in den sogenannten freien Künsten gebotenen Kenntnisse zum Gegenstande ihres eifrigsten Studiums gemacht, als, wie sie erzählt, in ihrem 25. Jahre eine tiefe innere Verödung und die Sehnsucht nach Gemeinschaft mit Gott ihre Seele erfaßte. Nachdem sie zwei Monate in dieser Qual verbracht, glaubte sie plötzlich den Erlöser vor sich zu sehen und die Worte zu vernehmen: „Ich will dich annehmen und dich trunken machen von dem Strome meiner göttlichen Freude“. Durch Buße und Glaube an die sündentilgende Liebe ringt sie sich zu der freudigen Gewißheit einer aus Gnade Gerechtfertigten hindurch. Mit der ganzen Energie ihres Wesens wirft sie sich von dieser Zeit an auf das Studium der heiligen Schrift und ihrer Ausleger, namentlich Augustin’s und Bernhard’s, und das im reichsten Maße sich ihr erschließende Licht des göttlichen Wortes erfüllte ihre Seele mit Jubel. Aus der Schrift und ihren Auslegern stellt sie dann auch für ihre Mitschwestern und für die Schwestern anderer Klöster verschiedene Bücher zusammen; ihre Worte, ihre Betrachtungen sind, wie sich aus ihrem Buche ergibt, beherrscht und durchdrungen von dem sie ganz erfüllenden Schriftwort. Ihr religiöses Leben strebt von der blos sachlichen Vermittlung zum persönlichen Verkehr mit Gott, von der Aeußerlichkeit in die Innerlichkeit, von dem Buchstaben in den Geist. „Die würdigsten Reliquien auf Erden“, so glaubt sie aus dem Munde des Herrn zu vernehmen, „sind meine Worte“. Der Verkehr mit Christus ist die Seele ihres Lebens; alle Heiligen treten ihr darüber in den Hintergrund. Freilich mischt sich Selbsttäuschung mit ein. Ihr Ahnen, Erkennen und Begehren wird ihr bei der Steigerung aller ihrer Seelenkräfte zur thatsächlichen Offenbarung durch Visionen und Einsprachen des Herrn. Aber selbst dieser Form ihres geistlichen Lebens ist der evangelische Zug, der ihr Wesen beherrscht, aufgeprägt. Der von ihr selbst verfaßte Theil des Legatus enthält Bekenntnisse in ergreifender Sprache, auf der Höhe tiefster und stärkster Empfindung geschrieben, welche die großen ihr zu Theil gewordenen Gaben in liebenswürdiger Demuth preisen. Sie gehören mit ihren „Exercitia pietatis“ zu den schönsten Erzeugnissen der mystischen Litteratur. G. starb, wie ich nachzuweisen versucht habe, im J. 1311, womit eine ältere Notiz bei Bucelin stimmt. Die neuesten Herausgeber ihrer beiden Schriften[WS 1] vermuthen, daß sie um 1302 gestorben sei. Die Bemühungen ihrer Ordensgenossen erlangten im 17. Jahrhundert in Rom, daß sie unter die Heiligen gesetzt wurde. Ein Verzeichniß der älteren Ausgaben ihrer beiden Schriften in dem Vorwort zu der neuesten schönen, mit großer Sorgfalt veranstalteten Ausgabe s. t.: Revelationes Gertrudianae ac Mechtildianae I: Sanctae Gertrudis Magnae, virginis O. S. B., Legatus divinae pietatis. Accedunt ejusdem Exercitia spiritualia. Opus ad codicum fidem nunc primum integre editum Solesmensium O. S. B. monachorum cura et opera. Ap. Henr. Oudin 1875. Pictavii et Parisiis.
Gertrud, auch die „große“ G. genannt, gegen Ende des 13. Jahrhunderts Nonne zu Helfta, die Verfasserin der Schrift „Legatus divinae pietatis“ oder, wie diese früher meist genannt wurde: „Insinuationes divinae pietatis“. G. ist am 6. Jan. 1256 sehr wahrscheinlich in Thüringen und wol aus niederem Stande geboren. Schon in ihrem fünften Jahre kam sie in das Kloster zu Helfta, wo ihr Leben unter dem Einfluß der beiden Schwestern
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Schriftn