Rechtsbereinigung
Die Rechtsbereinigung ist ein Begriff der Gesetzgebungslehre. Er bezeichnet die Aufbereitung einer Rechtsmaterie durch Ausscheiden all jener Gesetzesbestimmungen, die durch spätere Gesetze gegenstandslos geworden sind, und Zusammenfassen aller derzeit geltenden Bestimmungen zu einem einzigen Rechtskompendium. Eine Materie wird also in einer einzigen Sammlung neu geordnet veröffentlicht, um das Recherchieren, was geltende Bestimmungen sind und was nicht, überflüssig zu machen, ohne dass neues Recht damit geschaffen wird.
Zu differenzieren ist zwischen globaler und Einzelfallbereinigung: Einzelfallbereinigung klärt im Streit- oder Zweifelsfall, ob eine Vorschrift schon oder noch gilt. Sie bereitet eine rechtliche Entscheidung vor. Die globale Bereinigung findet hingegen ohne konkreten Anlass statt und bereitet eine Veröffentlichung vor.
Praxis
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Aufgabe der Rechtsbereinigung ist daher
- das Sammeln allen theoretisch relevanten Normmaterials und
- das Ausscheiden aller ungültig gewordenen Teile nach juristischen Regeln (> Kollisionsrecht).
- Das anschließende Veröffentlichen findet teilweise lediglich in Listenform statt, teilweise auch als komplette Vorschriftensammlung.
Weil nicht die vom verfassungsmäßig zuständigen Normgeber gewählten einzelnen Änderungsanweisungen aus den amtlichen Verkündungsorganen publiziert werden, sondern neu zusammengestellte Lesetexte, wird auch von Kunsttexten gesprochen. In Deutschland wird oft die Form der ministeriellen „Bekanntmachung der Neufassung“ für häufig geänderte Gesetze gewählt. Die Bundesregierung der 16. Legislaturperiode unterhielt ein Projekt Rechtsbereinigung.[1] In der 17. Legislaturperiode erging z. B. das Gesetz über die weitere Bereinigung von Übergangsrecht aus dem Einigungsvertrag vom 21. Januar 2013 (BGBl. I S. 91). In der 18. Legislaturperiode wurde das Gesetz über die weitere Bereinigung von Bundesrecht vom 8. Juli 2016 (BGBl. I S. 1594) erlassen.
Rechtsgrundlage
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Aufgabe der Rechtsbereinigung wurzelt im verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip, weil der Staat die Normen, deren Einhaltung er fordert, auch zugänglich zu machen hat. Die hierdurch gebotene staatliche Normenpublikation wird in der Praxis meist durch die private und kommerzielle Erstellung von Lesetexten flankiert, bisweilen auch ersetzt.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Ludwig Adamovich junior: Rechtsbereinigung als Aufgabe des Gesetzgebers. In: H. Schambeck (Hrsg.): Österreichs Parlamentarismus. Duncker & Humblot, Berlin 1986, ISBN 3-428-06098-9, S. 823–832.
- Reinhard Altenmüller: Die Rechtsbereinigung in Baden-Württemberg. In: Baden-Württembergische Verwaltungspraxis. 1980, S. 102–107.
- Bayerische Staatskanzlei (Hrsg.): Bayerische Rechtssammlung BayRS. München 1983.
- Klaus Berchtold, Theodor Brandl, Walter Buser: Die Rechtsbereinigung (2. Tagung der Gesellschaft zum Studium und zur Erneuerung der Struktur der Rechtsordnung). Wien 1972.
- Klaus Berchtold, Willibald Liehr (Hrsg.): Die Rechtsbereinigung in Niederösterreich. 1972.
- Jörg Berkemann: Was schuldet der Staat der Öffentlichkeit an Rechtstexten? Eröffnungsvortrag zum 5. EDV-Gerichtstag. In: jur-PC. 1996, S. 208–217.
- Jon Bing: A model of legal information retrieval as part of the decision process. In: Informatica e diritto. 3/1976, studi e ricerche, 2. Jg., S. 259–287.
- Jon Bing: Information Technology and Law, A Compilation. Oslo 1993.
- Jon Bing: Tanzania: Legal Information Systems and Regulatory Management. In: Oxford International Journal of Law and Information Technology. Volume 3, 1996, No. 1, S. 1–48.
- Jon Bing, Trygve Harvold: Legal Decisions and Information Systems. (= Publications of the Norvegian Research Center for Computers and Law. No. 5). Oslo 1977.
- Frieder Birzele: Vorwort zum Gültigkeitsverzeichnis 1995 für Baden-Württemberg.
- Fred Brande: Die Rechtsbereinigung – ein verfassungsimmanentes Gebot. In: G. Winkler, B. Schilcher (Hrsg.): Gesetzgebung. Springer, Wien 1981, ISBN 3-211-81608-9, S. 173–203.
- Thilo Brandner: Berichtigung von Gesetzesbeschlüssen durch die Exekutive – zugleich Überlegungen zu den „Sorgfaltspflichten“ des Gesetzgebers. In: ZG. 1990, S. 46–61.
- Volker Broo: Rechtsbereinigung in Baden-Württemberg. In: Baden-Württembergische Verwaltungspraxis. 1993, S. 229–231.
- Bundesministerium der Justiz – Außenstelle Berlin: Handreichung zur Feststellung des als Landesrecht fortgeltenden Rechts der ehemaligen DDR. In: Nomos: Das fortgeltende Recht der DDR. DDR I A 8, S. 1–16.
- Antonio Cervati: Methoden der Gesetzgebung in Italien und die Diskussion um die Rechtsbereinigung. In: H. Schäffer (Hrsg.): Gesetzgebung und Rechtskultur. Internationales Symposion Salzburg 1986, Wien 1987, S. 209–214.
- Rudolf Dieckmann: Rechtsbereinigung und Vorschriftenkritik in Hamburg. In: ZG. 1989, S. 270–277.
- Thomas Ellwein: Gesetzes- und Verwaltungsvereinfachung in Nordrhein-Westfalen. DVBl. 1984, S. 255–261.
- Andreas Heldrich: Normüberflutung. In: Festschrift für Konrad Zweigert. 1981.
- Herbert Helmrich: Von der Rechtsbereinigung zur Entbürokratisierung. In: H. Schäffer (Hrsg.): Gesetzgebung und Rechtskultur. In: Internationales Symposion Salzburg 1986. Wien 1987, S. 201–208.
- Maximilian Herberger: Noch einmal: Die Sorge um den rechten Text des Gesetzes. In: jur-pc. 1993, S. 2256–2262 (Digitale Fassung hier, zuletzt abgerufen am 27. April 2020).
- Erk Volkmar Heyen: Historische und philosophische Grundfragen der Gesetzgebungslehre. In: Schreckenberger (Hrsg.): Gesetzgebungslehre. 1986, S. 11 ff.
- Gerhart Holzinger: Die Kundmachung von Rechtsvorschriften in Österreich. In: H. Schäffer (Hrsg.): Theorie der Rechtssetzung. Wien 1988, S. 303 ff.
- Gerhart Holzinger: Rechtsbereinigung als ständiger Auftrag. In: H. Schäffer (Hrsg.): Gesetzgebung und Rechtskultur, Internationales Symposion Salzburg 1986. Wien 1987, S. 175–181.
- Gerhart Holzinger/Andreas Manak: Rechtsbereinigung in Österreich. In: ZG. 1987, S. 362–373.
- Ulrich Karpen: Das Symposion „Gesetzgebung und Rechtskultur“ am 22./23. Mai 1986 in Salzburg. In: ZG. 1987, S. 76–81.
- Theodor Keck: Die Bayerische Rechtssammlung (BayRS). In: BayVBl. 1985, S. 33–37.
- Theodor Keck: Fragen der Gesetzgebungstechnik bei der Rechtsbereinigung. In: ZG. 1987, S. 81–87.
- Alexander Konzelmann: Methode landesrechtlicher Rechtsbereinigung (Diss. 1997). (Digitale Fassung hier; zuletzt abgerufen am 4. März 2024).
- Landtag des Saarlandes: Gesetzentwurf zum vierten Rechtsbereinigungsgesetz nebst Begründung. In: Landtags-Drucksache, 10. WP, Nr. 1421
- Willibald Liehr: Die Niederösterreichische Rechtsdokumentation im Dienste der Legistik. In: Theo Öhlinger (Hrsg.): Gesetzgebung und Computer. 1984, S. 288 ff.
- Theo Mayer-Maly: Rechtskenntnis und Gesetzesflut. Salzburger Universitätsschriften, 1969.
- Meyer: Vorwort zur Loseblattsammlung „Berliner Rechtsvorschriften“. (BRV), 1978.
- Herbert Miehsler: Moderne Formen der Rechtsbereinigung und Verlautbarung von Rechtsvorschriften – dargestellt am Beispiel Niederösterreich. In: ZaöRV. Band 32. 1972, S. 394–419.
- Erhard Mock: Plädoyer für eine ständige Rechtsbereinigung. In: Winkler, G./Schilcher, B. (Hrsg.): Gesetzgebung. S. 167–172.
- Peter Noll: Gesetzgebungslehre. Reinbek 1973, ISBN 3-499-21037-1.
- Hans Schneider (Jurist): Gesetzgebung – Ein Lehrbuch. 2., verbesserte und erweiterte Auflage. 1991.
- Waldemar Schreckenberger (Hrsg.): Gesetzgebungslehre: Grundlagen – Zugänge – Anwendung. Stuttgart 1986.
- Jürgen Schwabe: Rechtsbereinigung zum Zweck rationeller Rechtsanwendung. In: ZRP. 1970, S. 225 f.
- Walter Strauss: Sammlung und Sichtung des Bundesrechts. In: JZ. 1955, S. 297 ff.
- Christian Tomuschat: Normenpublizität und Normenklarheit in der Europäischen Gemeinschaft. In: Festschrift zum 70. Geburtstag von Hans Kutscher. Baden-Baden 1981.
- Ralf Unkart: Rechtsbereinigung in Kärnten. In: ZG. 1987, S. 278–284.
- Hans-Jochen Vogel: Zur Diskussion um die Normenflut. In: JZ. 1979, S. 321 ff.
- Robert Walter (Jurist): Die Rechtsbereinigung in der Bundesrepublik Deutschland als Vorbild für eine österreichische Rechtsbereinigung. In: ÖJZ. 1963, S. 617–622.
- Robert Walter (Jurist): Probleme der technischen Durchführung einer österreichischen Rechtsbereinigung. In: ÖJZ. 1964, S. 377 ff.
- Hans-Urs Wili: Auswirkungen der Volksrechte auf die Rechtsbereinigung in der Schweiz: In: H. Schäffer (Hrsg.): Gesetzgebung und Rechtskultur, Internationales Symposion Salzburg 1986. Wien 1987, S. 215–228.
- Hans-Urs Wili: Eigenheiten schweizerischer Rechtsbereinigung. In: ZG. 1987, S. 180–189.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Abgeschlossenes Projekt Alexander Konzelmann: Rechtsbereinigung. In: jura.uni-sb.de. Universität des Saarlandes, 18. Februar 2009, archiviert vom am 18. Februar 2009; abgerufen am 5. Oktober 2012.
- Programm der Bundesregierung „Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung“. – Bericht zum Stand der Rechtsbereinigung – vom 26. März 2009