Otto Sperling (Polyhistor)

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Otto Sperling, auch Otto Sperling der Jüngere (* 3. Januar 1634 in Christiania; † 18. März 1715 in Kopenhagen) war ein deutsch-dänischer Jurist und Polyhistor.

Otto Sperling war ein Sohn des gleichnamigen Arztes Otto Sperling[1] und dessen Ehefrau Margarethe Andreae († 1654). Er wurde während des Aufenthalts seiner Eltern in Christiania, dem heutigen Oslo, geboren. Kurz nach seiner Geburt zog die Familie auf das Gut Jernlös bei Kopenhagen, wo der Vater im Dienst von König Christian IV. stand.

Otto Sperling besuchte die Lateinschule in Bordesholm, deren Rektor Paul Sperling (1605–1679) sein Onkel war. Von 1652 bis 1655 studierte er Rechts- und Staatswissenschaften an der Universität Helmstedt, vor allem bei Hermann Conring, in dessen Hause er auch wohnte.[2] Nach seinem Examen wurde er zuerst Informator eines Sohnes von Carl Gustaf Wrangel und begleitete ihn auf dessen Grand Tour durch Holland, England und Frankreich. 1659 war er kurzzeitig an der Universität Leiden immatrikuliert. Ab 1662 begleitete er als Hofmeister Leo Ulfeldt, den jüngsten Sohnes von Corfitz und Leonora Christina Ulfeldt, sowie Söhne holsteinischer Adliger. Dieser Kontakt zu dem in Dänemark als Verräter geltenden Ulfeldt wurde 1664 seinem Vater zum Verhängnis.

Beginn der französischen Autobiographie Leonora Christina Ulfeldts mit Erwähnung Sperlings

Nach dem Tod des dänischen Königs Friedrich III. und dem Regierungsantritt seines Sohnes Christian V. von Dänemark und Norwegen 1670 reiste Otto Sperling nach Kopenhagen, um sich für die Freilassung seines seit 1664 inhaftierten Vaters einzusetzen. Er hatte jedoch keinen Erfolg. Bei Besuchen im Blauen Turm ermunterte er seinen Vater und ebenso Leonora Christina Ulfeldt, ihre Memoiren zu verfassen, um die Meinung in Europa zu beeinflussen und so Druck auf die dänische Regierung auszuüben. Sein Vater verfasste daraufhin eine Autobiographie in deutscher Sprache;[3] Leonora Christina begann ihre an Otto Sperling gerichtete Franske Selvbiografi in französischer Sprache und anschließend Jammers Minde in dänischer Sprache zu schreiben. Jammers Minde („Erinnerung an das Elend“, „Leidensgedächtnis“) gilt heute als das bedeutendste Prosawerk der dänischen Literatur des 17. Jahrhunderts.

1673 reiste Sperling nach Livland und auf die Insel Ösel. Am 9. Mai 1674 wurde er an der Universität Kiel zum Dr. jur. promoviert, wonach er sich als Anwalt in Hamburg niederließ.

Auf einer weiteren Reise als Hofmeister eines jungen Herrn von Buchwaldt kam er 1681 nach Paris, wo er von Jean-Baptiste Colbert zur Ordnung seiner Bibliothek angestellt wurde. Nach Colberts Tod 1683 kehrte er nach Hamburg zurück und praktizierte wieder als Anwalt. Die 1680er Jahre waren eine Zeit der innen- und außenpolitischen Krise in Hamburg, die in der Belagerung Hamburgs (1686) ihren Höhepunkt erreichten. Als Sperling sich in seiner Eigenschaft als Verteidiger des dänischen Obersten Johan Rantzau (1650–1708) in dessen Prozess gegen das Hamburger Handelshaus Stolley wegen einer Pistolen-Lieferung über die Langsamkeit des Gerichts beschwerte und die diplomatische Einmischung des dänischen Residenten Georg von Lincker veranlasste, nahm ihm das der Senat, der in Sperling einen geheimen dänischen Agenten vermutete, sehr übel. Er wurde verhaftet und einige Tage im Gefängnis auf dem Winserbaum festgehalten, bis er einen Revers unterzeichnet hatte.[4]

Kaum frei geworden, begab er sich in den Schutz der dänischen Regierung, die ihn zum Rat und Mitglied des Obergerichtes für die Herrschaft Pinneberg und Altona in Glückstadt ernannte. Hier wurde er am 21. November 1687 beeidigt und eingeführt, behielt aber seine Wohnung in Hamburg und reiste nur zu der zeitweise abgehaltenen Sitzungsperiode auf 8 bis 14 Tage nach Glückstadt.

1690 siedelte er nach Kopenhagen über, wo er zuerst als Professor des dänischen Rechts, dann als Lehrer der Rhetorik und der Geschichte an der von 1690 bis 1710 bestehenden Ritterakademie tätig war, allerdings mit einer durch eine Intrige des Oberhofmeisters Marcus Gjöe (1635–1698) ausgelösten Unterbrechung von 1697 bis 1701.

1700 wurde er auf Vorschlag von John Woodward und Hans Sloane Mitglied (Fellow) der Royal Society.[5]

Verschärft durch den Tod seiner Gönner und Unterstützer, darunter seiner Schwester musste er einen „geradezu existenzbedrohenden gesellschaftlichen Abstieg in den letzen Lebensjahren“ erleben,[6] der ihn zum Verkauf seiner Münzsammlung und 1709 zur Versteigerung seiner über 8000 Bände umfassenden Bibliothek zwang. Zuletzt lebte er im Haus des Professors und Bibliophilen Christian Reitzer, dem er als Dank seine Manuskripte und Korrespondenz vermachte. Über Reitzer und dessen Schüler Hans Gram gelangten diese in die Dänische Königliche Bibliothek.

Als Polyhistor war Sperling auf einem breit angelegten Feld, darunter der Numismatik, forschend und publizierend tätig. Sein besonderes Interesse galt Monumenten (eins seiner ersten Werke hatte 1675 das Hamburger Kenotaph für Papst Benedikt V. zum Inhalt), Inschriften und Münzen. Er verfasste eine Reihe von kleineren Abhandlungen, meistens historischen Inhalts, die in der vom seelenverwandten Jakob von Melle herausgegebenen Zeitschrift Nova literaria Maris Balthici et Septentrionis von 1698 bis 1702 erschienen.

Sperlings beide Hauptwerke, für die er über Jahre Material gesammelt und Quellen gesichtet hatte, blieben ungedruckt. Das Eine ist seine Chronik Hamburgs Chronicon Hamburgense ab anno 788 ad annum 1690.[7] Das Werk besteht aus sechs Bänden Darstellung, zehn Ergänzungsbänden und zwei Registerbänden. Ein geplanter Ankauf durch den Hamburger Senat kam nicht zustande. 1747 ließ der Syndikus Johann Klefeker in Kopenhagen Abschriften der Berichte über die Jastram-Snitgerschen Unruhen aus dem fünften Teil der Chronik für die Commerzbibliothek und das Stadtarchiv anfertigen. Im Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg befindet sich eine Fotokopie der gesamten Chronik.[8] Das Andere ist De foeminis doctis[9] oder gynæceum, eine Studie zu nahezu 1400 gelehrten Frauen aus allen Nationen und Jahrhunderten, beginnend mit Isabella Andreini. Das Werk umfasst heute 1241 Seiten im Quartformat, die im 19. Jahrhundert in zwei Bände gebunden wurden. Hinzu kommen noch Notizen und Briefe, u. a. von Cille Gad, unter dem Titel Adversaria quaedam de feminis doctis.[10] Sperling hatte bereits seit Anfang der 1670er Jahre daran gearbeitet, wie ein Brief von 1673 an Anne Margrethe Quitzow zeigt.[11] Daniel Georg Morhof erwähnt das Projekt 1688 in seinem Polyhistor.[12]

Sperlings Manuskripte werden heute zusammen mit seiner Korrespondenz in der Dänischen Königlichen Bibliothek verwahrt. Zu seinen zahlreichen Korrespondenzpartnern zählten Sophia Elisabeth Brenner[13] und Gottfried Wilhelm Leibniz.[14]

  • De antichresi. Diss. Kiel 1674
  • Monumentum Hamburgense Benedictinum, seu, De inscriptione tumulo Benedicti Quinti, pontificis Romani .... dissertatio. Kiel: Reumann 1675 (Digitalisat)
  • Commentariolus de danicae linguae et nominis antiqua gloria et praerogativa inter Septentrionales. Kopenhagen 1694
  • (Hrsg.) Testamentum Dni Absolonis Archiepiscopi Lundensis. Kopenhagen: Bornheinrich 1696 (Digitalisat)
  • Dissertatio de nummis non cusis tam veterum quam recentiorum. Amsterdam: Franciscus Halma 1700
  • De baptismo Ethnicorum Dissertatio. Kopenhagen 1700
  • De nummorum bracteatorum et cavorum nostræac superioris ætatis origine et progressu, ad Jacobum a Mellen epistola. Lübeck: Wiedemeyer 1700 (Digitalisat)
  • De summe regio nomine et titulo septentrionalibus & Germanis omnibus & aliis: usitato Konning & ejus apud Danos origine, ejusque, potestate & majestate commentarius. Kopenhagen 1707
  • Tractatus de borea, ejusque laudibus, Societati regiae Anglicanae inscriptus. Kopenhagen 1708
  • De nomine et festo Juel, tam antiquorum, quam hodiernorum Septentrionalium. Kopenhagen 1711
  • Hans Schröder, Anton Heinrich Kellinghusen: Lexikon der hamburgischen Schriftsteller bis zur Gegenwart. Band 7, Hamburg: Verein für Hamburgische Geschichte 1879, S. 245–247 Nr. 3818
  • G.L. Wad: Sperling, Otto. In: Carl Frederik Bricka (Hrsg.): Dansk biografisk Lexikon. Tillige omfattende Norge for Tidsrummet 1537–1814. 1. Auflage. Band 16: Skarpenberg–Sveistrup. Gyldendalske Boghandels Forlag, Kopenhagen 1902, S. 217–220 (dänisch, runeberg.org).
  • Marianne Alenius: Love at first (w)ink. A Fragment of Otto Sperling's Correspondence. IN: G.D. Gaie, H. Nørgaard (Hrsg.): A Literary Miscellany. Presented to Eric Jacobsen. Kopenhagen 1988, S. 164–184
  • Anne Kromann, Jørgen Steen Jensen: Otto Sperling (1634–1715) som Numismatiker. In: Nordisk Numismatisk Unions medlemsblad 1993, nr. 5
  • Marianne Alenius: Otto Sperlings 1.399 lærde kvinder og hans kilder. In: Fund Og Forskning I Det Kongelige Biblioteks Samlinger 51 (2012), S. 187–212 doi:10.7146/fof.v51i0.41274
  • Susanne Rau: Sperling, Otto. In: Franklin Kopitzsch, Dirk Brietzke (Hrsg.): Hamburgische Biografie – Personenlexikon. Band 2, Göttingen: Wallstein 2001, ISBN 978-3-7672-1366-1, S. 403f
  • Elisabet Göransson: Letters, learning and Learned Ladies – An Analysis of Otto Sperling, Jr:s (1634-1715) correspondence with Scandinavian Women. In: Toon van Houdt, Gilbert Tournoy, C. Matheeussen (Hrsg.): Self-Presentation and Social Identification. The Rhetoric and Pragmatics of Letter Writing in Early Modern Times. (= Supplementa Humanistica Lovaniensia XVIII) Leuven University Press 2002 ISBN 90-5867-212-3, S. 199–223
  • Elisabet Göransson: Letters of a Learned Lady: Sophia Elisabeth Brenner’s Correspondence, with an Edition of her Letters to and from Otto Sperling the Younger. Lund 2006 (Digitalisat)
  • Sebastian Olden-Jørgensen: Otte Sperling den yngres latinske Leonora Christina-biografi (ca. 1690). In: Fund Og Forskning I Det Kongelige Biblioteks Samlinger 61 (2022), S. 11–42 doi:10.7146/fof.v61i.135601

Einzelnachweise

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  1. Biographische Stationen im Wesentlichen nach Dansk Biografisk Leksikon (Lit.)
  2. Susanne Rau: Sperling, Otto. In: Franklin Kopitzsch, Dirk Brietzke (Hrsg.): Hamburgische Biografie - Personenlexikon. Band 2, Göttingen: Wallstein 2001, ISBN 978-3-7672-1366-1, S. 403.
  3. Siehe dazu Erich Ebstein: Otto Sperling (1602–1681). In: Erich Ebstein (Hrsg.): Ärƶte-Memoiren. Springer, Berlin, Heidelberg 1923, S. 28–33 doi:10.1007/978-3-642-48590-9_4.
  4. Hans Schröder, Anton Heinrich Kellinghusen: Lexikon der hamburgischen Schriftsteller bis zur Gegenwart. Band 7, Hamburg: Verein für Hamburgische Geschichte 1883, S. 245.
  5. Aufnahmejahr 1700 (nicht 1697) nach dem Eintrag im Mitgliederverzeichnis, abgerufen am 1. November 2023.
  6. Susanne Rau: Sperling, Otto. In: Franklin Kopitzsch, Dirk Brietzke (Hrsg.): Hamburgische Biografie - Personenlexikon. Band 2, Göttingen: Wallstein 2001, ISBN 978-3-7672-1366-1, S. 403.
  7. Handschrift in der Königlichen Bibliothek Kopenhagen unter GKS 2301 kvart.
  8. Photoarchiv K 2 623.
  9. Handschrift in der Königlichen Bibliothek Kopenhagen unter GKS 2110 a-b 4o
  10. NKS 596 4o
  11. Siehe Marianne Alenius: Otto Sperlings 1.399 lærde kvinder og hans kilder. In: Fund Og Forskning I Det Kongelige Biblioteks Samlinger 51 (2012), S. 187–212 doi:10.7146/fof.v51i0.41274, hier S. 192.
  12. Daniel Georg Morhof: Polyhistor, Cap. XIX: De vitarum scriptoribus, S. 229
  13. Elisabet Göransson: Letters of a Learned Lady : Sophia Elisabeth Brenner’s Correspondence, with an Edition of her Letters to and from Otto Sperling the Younger. Lund 2006 (Digitalisat).
  14. Eintrag in der Personen- und Korrespondenz-Datenbank der Leibniz-Edition.