Grazer Schule
Der Name Grazer Schule verweist auf einer Gruppe von Philosophen und Psychologen, die sich für experimentelle Psychologie, Gegenstandstheorie und Gestalttheorie interessierten. Die Schule wurde gegründet und geleitet von Alexius Meinong, welcher Professor an der Universität Graz war, wo er 1894 das Grazer Psychologische Institut gründete.
Die Schule vertrat den von Franz Brentano, ehemaliger Lehrer von Meinong, angeregten Standpunkt, dass die Philosophie mit der Methode der Naturwissenschaften zu betreiben sei. Daher kam die realistische (und experimentelle) philosophische und psychologische Orientierung der Grazer Schule.
Theorien
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Grazer Schule von Meinong entwickelte, im Gegensatz zur Berliner Schule von Stumpf, eine "Produktionstheorie" der Gestalten. Laut Meinongs Schülern würden Gestalten nicht spontan gegeben sein, sondern vom Subjekt "produziert" werden. Aufgrund von (existierenden) Sinneseindrücken würden mittels bestimmten psychischen Prozessen (subsistierende) Objekte höherer Ordnung produziert werden: die Gestalten. (Smith, 1994, Kap. 10.3)
Es war hauptsächlich Vittorio Benussi, der die Produktionstheorie anhand von sehr detaillierten experimentellen Untersuchungen ausarbeitete. Er konzentrierte sich vor allem auf das Phänomen des Gestaltwechsels in optischen Täuschungen (e.g. die Müller-Lyer-Illusion). Benussi hatte einen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Italienischen Schule der Gestaltpsychologie (u. a. Cesare Musatti, Fabio Metelli und Gaetano Kanizsa.) (Albertazzi, 2001)
Mitglieder
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Unter Meinongs Schülern im Kreis der Grazer Schule sind Stephan Witasek, Vittorio Benussi, Rudolf Ameseder, Konrad Zindler, Wilhelm Maria Frankl, Eduard Martinak[1], Ernst Mally, Franz Weber, Wilhelmine Benussi-Liel und Auguste Fischer zu nennen.
Seine ehemaligen Studenten, Christian von Ehrenfels (Vordenker der Gestaltpsychologie), Alois Höfler, Ferdinand Weinhandl (der Begründer der philosophischen Gestaltanalyse) und Anton Oelzelt-Newin, der Sohn des Baumeisters Anton Ölzelt, können ebenfalls als Mitglieder der Schule angesehen werden.
In den 1950er und 1960er Jahren wandte der österreichische Musikforscher, Philosoph und Kritiker Harald Kaufmann (1927–1970), der in Graz bei Weinhandl promovierte, dessen gestaltanalytische Methoden auf die musikalische Analyse an.[2]
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Die Berliner Schule gegründet von Carl Stumpf
- Die Brentanoschule
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Bücher
- Alexius Meinong: Philosophenbriefe. Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 1965.
- David F. Lindenfeld: The Transformation of Positivism: Alexius Meinong and European Thought, 1880–1920. University of California Press, Berkeley/Los Angeles/London 1980.
- Barry Smith: Austrian Philosophy Open Court Publishing Company, Chicago 1994.
- Liliana Albertazzi, Massimo Libardi, & Roberto Poli (Hrsg.): The School of Franz Brentano. Kluwer, Dordrecht, 1996.
- Evelyn Dölling: Wahrheit Suchen und Wahrheit Bekennen. Alexius Meinong: Skizze seines Lebens. Rodopi, Amsterdam-Atlanta 1999.
- Liliana Albertazzi, Dale Jacquette, & Roberto Poli (Hrsg.): The School of Alexius Meinong. Ashgate, Aldershot 2001.
- Artikel
- Geert-Jan A. Boudewijnse: The Rise and Fall of the Graz School. In: Gestalt Theory, Bd. 21 (1999), Nr. 2 (PDF; 76 kB)
- Liliana Albertazzi: The Time of Presentness. A Chapter in Positivistic and Descriptive Psychology. In: Axiomathes, 10 (1-2), 1999, S. 49–74.
- Liliana Albertazzi: Vittorio Benussi. In: L. Albertazzi, D. Jacquette & R. Poli (Hrsg.): The School of Alexius Meinong, Asghate, Aldershot 2001, S. 1–35.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Eintrag zu Grazer Schule im Austria-Forum (im AEIOU-Österreich-Lexikon)
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ siehe zu diesem Reinhard Fabian: Martinak, Eduard. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 16, Duncker & Humblot, Berlin 1990, ISBN 3-428-00197-4, S. 292 (Digitalisat).
- ↑ Gottfried Krieger: Ein Pionier der Musikpublizistik in Österreich. Zum Leben und Wirken von Harald Kaufmann (1927–1970). In: Österreichische Musikzeitschrift 7-8, 2010, S. 4–12.