Crystal Palace (Gebäude)
Der Crystal Palace (deutsch Kristallpalast; auch Glaspalast[1][2][3] genannt) war ein vom britischen Architekten Joseph Paxton eigens für die erste Weltausstellung 1851 in London (Great Exhibition) im viktorianischen Baustil entworfenes und von Charles Fox gebautes Ausstellungsgebäude. Er wurde ursprünglich im Hyde Park errichtet und nach dem Ende der Weltausstellung nach Sydenham im Londoner Stadtbezirk Lewisham, dem heutigen Stadtviertel Crystal Palace, versetzt, wo er in vergrößerter Form 1854 erneut eröffnet wurde. Der Name Crystal Palace wurde vom Satiremagazin Punch geprägt. 1936 wurde der Crystal Palace durch einen Brand vollkommen zerstört.
Planung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im Herbst 1849 beschloss eine Verbindung britischer Bankiers und Industrieller, die Society of Arts, eine Weltausstellung zu veranstalten. Die britischen Produkte sollten im direkten Vergleich mit internationalen Konkurrenten gezeigt werden, um ihr Qualitätsniveau zu verdeutlichen. Großbritannien war der größte Weltproduzent und sollte durch die Weltausstellung seine Absatzmärkte erweitern.
Zu den außergewöhnlichen Vorgaben des internationalen Wettbewerbs für das 6,4 ha umfassende Ausstellungsgebäude gehörte der weitgehende Erhalt der Bäume auf dem Grundstück im Hyde Park, die schnelle Errichtung und seine Demontierbarkeit. Die Größe der Ausstellungsparzellen sollte frei wählbar sein. Das Budget war auf 100.000 Pfund Sterling begrenzt. Aus dem einmonatigen Wettbewerb gingen 233 Entwürfe hervor, die alle wegen Überschreitung des Budgets abgelehnt wurden, zwei Entwürfe der Ingenieure (Richard und Thomas Turner aus Dublin und Hector Horeau aus Paris) wurden hervorgehoben. Die Jury bildete ein Baukomitee, das einen eigenen Entwurf mit einem repräsentativen Gebäude in konventioneller Massivbauweise vorstellte, dessen Materialkosten von geschätzten 120.000 bis 150.000 Pfund Sterling das Budget überstiegen, das nicht demontierbar und nicht fristgerecht herstellbar gewesen wäre und deshalb von der Öffentlichkeit abgelehnt wurde. Das Baukomitee forderte Joseph Paxton auf, in einem neuen Wettbewerb einen Entwurf einzureichen.
Paxton, der als Gartenarchitekt Erfahrungen mit Gewächshäusern hatte, legte einen Entwurf im Stil der Gusseisen-Architektur aus Glas und Gusseisen vor, der von Charles Fox in nur 17 Wochen Bauzeit in der für die Zeit neuen Modulbauweise aus vorgefertigten Teilen errichtet werden konnte. Der Crystal Palace, wie das gewächshausartige Gebäude bald getauft wurde, war so erweiterbar und überdeckte mit ca. 615 × 150 m eine Gesamtfläche von knapp 93.000 m². Ursprünglich war das Gebäude mit einem Flachdach geplant, das charakteristische Tonnendach über dem Querschiff des Gebäudes wurde erst später hinzugefügt. Mit dem erhöhten Dach konnten die alten Ulmen auf dem Ausstellungsgelände erhalten bleiben. Den Abschluss des Tonnendachs bildete eine Glasrosette als Nachbildung der Amazonas-Riesenseerose (Victoria amazonica), einer tropischen Pflanze mit kräftigen Blättern, die Paxton im Dienst von William Cavendish in England kultiviert und zur Blüte gebracht hatte.[4] Mit 150.000 Pfund Sterling überschritt das Budget immer noch die geplante Bausumme, die Baufirma verpflichtete sich aber, im Falle von Demontage und Rücknahme des Materials nur 79.800 Pfund Sterling zu berechnen.
Gebäude
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Grundeinheit des Palastes waren Quadrate von 24 Fuß Seitenlänge (ungefähr 7,3 m). Die Grundfläche bestand aus 77 × 17 solcher Grundeinheiten. Die Aufteilung der Ausstellungsräume spiegelte sich in diesen Einheiten wider. Die Räume setzen sich aus einem Vielfachen dieser Grundeinheiten zusammen.
Erst die technischen Neuerungen der industriellen Revolution und die Fortschritte in der Eisenproduktion machten den Bau des Kristallpalasts möglich. Die Konstruktion aus Eisenträgern erlaubte zudem den vollständigen Verzicht auf tragendes Mauerwerk, sodass anstelle dessen großflächige Glasfenster verwendet werden konnten. Die erste Säule des Gebäudes wurde am 26. September 1850 gesetzt.[5] Bereits nach vier Monaten war die Fläche im südlichen Hyde Park auf einem Areal von 560 × 137 Metern[5] überbaut; verwendet wurden dafür 83.600 m² Glas, 372 Dachbinder, 38 km Kehlprofilmaterial, 330 km Glasrahmen und 17.000 m³ Holz.[5]
Nach der Ausstellung wurde das Gebäude abgebaut, mit einigen Veränderungen in Sydenham inmitten eines großen Parks wieder aufgebaut und als Museum und Ausstellungsgebäude verwendet. Außerdem fanden darin Konzerte statt, etwa die Händel-Festivals, die ab 1855 unter der Leitung von August Manns standen. Im Park wurden mehrere ab 1853 geschaffene lebensgroße Dinosaurierskulpturen aufgestellt, was eine erste Welle des Dinosaurier-Interesses auslöste. Im Park entwickelten sich auch vielerlei Sportaktivitäten, woraus sich auch der Name des bekannten Fußballvereins Crystal Palace erklärt. Anfang des 20. Jahrhunderts berichtete eine deutsche Zeitung über den zunehmenden Verfall der Exponate und des Bauwerks.[6]
Der Kristallpalast brannte am 30. November 1936 nach einer Explosion vollständig nieder. Lediglich zwei vom Feuer verformte Türme blieben zunächst stehen.[7] Sie wurden während des Zweiten Weltkriegs entfernt, weil man befürchtete, sie könnten den feindlichen Flugzeugen als Orientierungspunkte dienen. Der nördliche Turm wurde 1941 gesprengt, der südliche wegen seiner Nähe zu anderen Gebäuden konventionell abgerissen.[8] Der Park existiert nach wie vor und wurde von der englischen Denkmalschutzbehörde English Heritage in das Register historisch interessanter Parks (Register of Parks and Gardens of special historic interest in England) aufgenommen.
Der Crystal Palace hat damit einen Gebäudetypus begründet, siehe hierzu verschiedene Nachfolgebauten unter Glaspalast.
Fotografische Zeugen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die erhaltenen historischen Kalotypie-Aufnahmen des britischen Fotografen Philip Henry Delamotte (1820–1889) sind heute die Grundlage der meisten Beschreibungen der Londoner Weltausstellung von 1851 und des nicht mehr bestehenden Gebäudes.[9][10] Als offizieller Fotograf der Weltausstellung war der in Italien geborene Enrico (Henry) Negretti (ein Pionier der Fotografie, Optiker und Hersteller von wissenschaftlichen Geräten und Einrichtungen) mit seinem seit 1829 in London ansässigen Unternehmen Negretti & Zambra eingeladen, der dann auch mit selbst hergestellten Geräten die ersten Stereo-Daguerreotypien des Gebäudes schuf.[11] Während die Daguerreotypien allesamt Originale und damit auch kostbare Unikate waren und die Stereoaufnahmen zwar eindrucksvolle Ergebnisse lieferten, die aber nur mit teuren Spezialgeräten erschlossen werden konnten, waren dagegen Delamottes modernere und preisgünstigere Papierbilder beliebig reproduzierbar und erreichten bald als Postkarten auch das breite Publikum in der weiten Welt.
Motiv in der Malerei
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bereits während der Weltausstellung bestand ein großer Bedarf an Abbildungen des Gebäudes. Vor allem von Künstlern gestaltete farbige Illustrationen fanden starke Verbreitung. Zu den bekanntesten Darstellungen gehörte die Innenansicht des Crystal Palace von Louis Haghe, die das Gebäude während der Eröffnung durch Königin Victoria im Jahr 1851 zeigt. Während die Ehrengäste unter einem großen von der Decke hängenden Baldachin dem Festakt beiwohnen, ist im Hintergrund einer der großen Bäume zu sehen, um die das Gebäude herumgebaut wurde. Nach seinem Umzug nach Sydenham stellte der Crystal Palace auch in den folgenden Jahrzehnten bei Malern ein beliebtes Motiv dar. So schufen Künstler wie der Brite William White Warren oder die Franzosen Charles-François Daubigny und Jacques-Émile Blanche Bilder mit dem Motiv des Crystal Palace. Camille Pissarro malte gleich zwei Werke, bei denen das Gebäude zu sehen ist, darunter Der Kristallpalast, London (Art Institute of Chicago).
Eine Nebenrolle spielt der Crystal Palace in Franz Xaver Winterhalters Gemälde The First of May 1851, auf dem Prince Albert zum fertiggestellten Gebäude blickt, während sein Sohn Arthur zu seinem ersten Geburtstag ein Geschenk von seinem Paten Duke of Wellington überreicht bekommt. Gleichzeitig übergibt Arthur ihm einen Strauß Maiglöckchen anlässlich seines 82. Geburtstags.[12]
Im Film
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Crystal Palace ist Handlungsort einer Szene des Spielfilms Der große Eisenbahnraub aus dem Jahr 1979.
Weitere Veranstaltungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- 1868 führte die Royal Aeronautical Society im Crystal Palace die erste Luftfahrtausstellung durch.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Patrick Beaver: The Crystal Palace. A Portrait of Victorian Enterprise. Phillimore, Chichester 1986, ISBN 0-85033-622-8.
- Bill Bryson: Kristallpalast. In: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge. Goldmann-Verlag, München 2011, ISBN 978-3-442-30122-5, S. 16–25, 24f, 36, 38, 42f, 46, 357.
- Wolfgang Friebe, Manfred Kahlert (Illustrator): Vom Kristallpalast zum Sonnenturm. Die Kulturgeschichte der Weltausstellungen [1851–1970]. Edition Leipzig, Leipzig 1983, DNB 830902066 (englischsprachige Ausgabe: Buildings of the World Exhibitions. Übersetzt von Jenny Vowles und Paul Roper).
- Chup Friemert, Philip Henry Delamotte (historische Fotoaufnahmen): Die Gläserne Arche. Kristallpalast London 1851 und 1854. Verlag der Kunst, Dresden 1984, DNB 850149991 (Lizenzausgabe: Prestel, München 1988, ISBN 3-7913-0675-8).
- Susanne Kippenberger: Der Palast der Monarchie. In: Tagesspiegel. 29. Januar 2006 (archive.org).
- Ian Leith: DeLamotte’s Crystal Palace. A Victorian Pleasure Dome Revealed. English Heritage, London 2005, ISBN 1-85074-949-3.
- Michael Musgrave: The Musical Life of the Crystal Palace. Cambridge University Press, Cambridge 1995, ISBN 0-521-37562-2 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Kate Nichols, Sarah Victoria Turner (Hrsg.): After 1851. The Material and Visual Cultures of the Crystal Palace at Sydenham. Manchester University Press, Manchester 2017.
- John Tallis: Tallis’s history and description of the Crystal Palace and the exhibition of the world’s industry in 1851. Jacob George Strutt, Hrsg. (Band 1–3).
- Ernst Werner: Der Kristallpalast zu London 1851. Werner, Düsseldorf 1970, ISBN 3-8041-3912-4.
- Friedrich Georg Wieck: Der Glaspalast in Sydenham. In: Die Gartenlaube. Heft 27, 28, 1853, S. 292–293, 307–308 (Volltext [Wikisource]).
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Crystal Palace bei GreatBuildings.com (englisch)
- The Crystal Palace Museum (englisch)
- Crystal Palace Foundation (englisch)
- The London Exhibition 1851. Stanford University (englisch)
- National Art Library Great Exhibition collection in the V & A Museum, London (englisch)
- The London Exhibition 1851 (englisch)
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Die Industrieausstellung aller Nationen. In: Illustrirte Zeitung, 1. Februar 1851, S. 5 (online bei ANNO).
- ↑ Central-Bureau der Neuigkeiten. In: Der Humorist (1837–1862), 20. Februar 1851, S. 3 (online bei ANNO).
- ↑ Industrieausstellung aller Nationen. In: Leipziger Zeitung, 14. April 1851, S. 14 (online bei ANNO).
- ↑ Stefano Mancuso: Pflanzenrevolution: Wie die Pflanzen unsere Zukunft erfinden. Antje Kunstmann, München 2018, ISBN 978-3-95614-233-8, S. 178 ff.
- ↑ a b c Jane Tresidder, Stafford Cliff: Wohnen unter Glas. Faszinierende Glashäuser, Windergärten und Veranden von gestern und heute. Bauverlag, Wiesbaden/Berlin 1986, ISBN 3-7625-2488-2, S. 11.
- ↑ Unter Vermischtes: Info zum Kristallpalast, Vossische Zeitung, 4. Januar 1903.
- ↑ December 1st – On this day in history in 1936, the Crystal Palace burned down
- ↑ World War: Battle of Britain: War’s worst raid
- ↑ Progress of the Crystal Palace at Sydenham, 1854 Philip Henry Delamotte (British, 1820–1889); Henry Negretti (British, born Italy, 1818–1879) The Metropolitan Museum of Art
- ↑ Philip Delamotte photographs of the Crystal Palace, Sydenham. ( vom 6. Juni 2011 im Internet Archive) Fotodokumentation. auf: viewfinder.english-heritage.org.uk
- ↑ Negretti & Zambra, London photographic firm
- ↑ The First of May 1851. royalcollection.org.uk, abgerufen am 20. März 2016.
- ↑ Jakob Schmitz: Aufbruch auf Aktien. Verlag Wirtschaft und Finanzen, Düsseldorf 1996, ISBN 3-87881-101-2, S. 4.
Koordinaten: 51° 30′ 11,8″ N, 0° 10′ 12,3″ W