Benutzer:Bertz

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Theorien zur Musik

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Ella Fitzgerald sagt von sich in einem Interview mit Andre Previn: „I'm not a musician.“ Previns Bestürzung ist ebenso groß wie nachvollziehbar. Von einem begabten litauischen Rockmusiker, der die Musik zu wunderbaren Liedern für die Kindersendung seiner Frau schrieb, hörte ich ebenfalls über sich sagen: „Aš ne musikantas“.

Bei aller Berechtigung beiden zu widersprechen: Was meinen Ella Fitzgerald und Fredis Čereškevičius damit? Offenbar verstehen beide unter einem Musiker einen „klassisch“ ausgebildeten Musiker, der Noten lesen kann, nach Noten schwierige Stücke auf seinem Instrument spielen kann, an der Hochschule ausgebildet wurde usw. Darin drückt sich ein Respekt für eine Musikkultur aus, in die man nur mit einem enormen Ausbildungsaufwand eingeweiht werden kann. Dieser Respekt ist vielleicht das Gegenteil von dem, was sich darin ausdrückt, wenn sich Andrew Lloyd Webber für einen ernsthaften Komponisten hält, für den Mozart des 20. Jahrhunderts. Vielleicht rührt daher die frustrierende Humorlosigkeit seiner Musik her, im Gegensatz zur Musik von Ella Fitzgerald und sehr vieler anderer U-Musik vergangener Zeiten.

Diesen Respekt des U vor dem E scheint es nicht mehr zu geben. Im Gegenteil, U erwartet immer mehr von E das Eingeständnis, dass E doch eigentlich auch nur U ist (ausgedrückt in Aussagen wie „Mozart war auch nichts anderes, als der Michael Jackson seiner Zeit“) und umgekehrt, U kann ebenso wie E tief berühren, ehrgeizig im Ausdruckswillen sein, intellektuell herausfordern usw. Also E ist irgendwie auch nur U und U können wir in Wirklichkeit das E doch nicht absprechen. Dem nicht zuzustimmen bekommt mehr und mehr den Anklang von politischer „incorrectness“, wir fühlen uns bei dem Bedürfnis zwischen E und U noch zu unterscheiden, als hielte man uns für einen Mann, dem die Gleichberechtigung der Frau im tiefsten Inneren doch zuwider ist. U beansprucht akademische Reputation in Form von Popmusik-Studiengängen und -Professuren. U nistet sich im typischen E-Wettbewerb „Jugend musiziert“ ein. U-Kritik findet sich ohne weiteres neben E-Kritik in Feuilletons von Leitmedien wie der „Zeit“. E-Musiker suchen Trost im U, wenn E ihnen im äußeren Leben nicht gibt, was sie meinen verdient zu haben (und doch fleht der E-ausgebildete U-Musiker David Garrett um die E-Anerkennung, die dem mit sich selbst viel mehr im Reinen sich befindlichen Andre Rieu vollkommen egal ist). Schüler fragen bei einem Gesprächskonzert mit einem E-Musiker von Weltrang, wie er denn zu „moderner“ (gemeint ist natürlich U-)Musik steht, und man hört schon am Ton der Frage, dass er sich zur politisch korrekten Aussage zu gefälligst zu bekennen hat – und tatsächlich: natürlich ist U auch irgendwie toll, Queen ist doch eigentlich schon E. Diejenigen, die Verantwortung für das wirtschaftliche Überleben von E tragen, haben mit E nichts am Hut und bekennen sich ganz offen zu Fans von diesem oder jenem U-Musiker, während die E's ihnen wie ein überlebter Vertriebenenverband vorkommt, der überlebte Forderungen stellt. Kurz: Während wir tolerant so tun, als würden wir uns nur von der Unterscheidung zwischen E und U verabschieden, ist es doch letztlich das E, das dran glauben wird. Vom E heißt es sich zu verabschieden, und darum soll an dieser Stelle so gut es geht geklärt werden, was das eigentlich ist, das E in der Musik, das es bald (so? oder überhaupt?) nicht mehr geben wird.

Ein Fazit: Wir geben zu, dass U in E hineinreichen kann, dass U mit einer E-Haltung ausgeführt werden kann. Also ist die Haltung das Entscheidende. Und die E-Haltung ist diese: Mit meiner Musik verehre ich Gott, egal ob es ihn gibt. Ich verehre den Schöpfer, wer oder was auch immer das sein mag und verehre gleichermaßen die Schöpfung, indem ich sie sich selbst in mir erleben lasse. Ich verehre den Schöpfer und die Schöpfung, ohne mir herauszunehmen, nur den Versuch einer Aussage über eines von beidem zu machen. Musik ist also das Gegenteil von jeder Offenbarungsreligion und damit der Wahrheit viel näher als jede Offenbarung. Als Atheist drücke ich das selbe in anderen Begriffen aus, um zu vermeiden, dass irgendein Pfaffe die gemachten Äußerungen in einer mich gegen meinen Willen einnehmenden Weise deutet: Ich will offenbar etwas „erleben“, weil das dringendste Bedürfnis des Daseins ist sich in mir zu erleben. E-Musik ist demnach eine Musik, die sich dieser Verantwortung bewusst ist. Dies drückt sich in ständiger Auseinandersetzung mit dem Zweifel aus, der sich nie damit zufrieden gibt, ob es jemanden gibt, dem gefällt, was ich mache und mich im Idealfalle sogar davon leben lässt, sondern ob (als religiöser Mensch) Gott mein Opfer anerkennt bzw. (als Atheist) ob ich dem Dasein in seiner Komplexität gerecht werde. Diese Verantwortung ist schrecklich und ein (E-)Komponist, der das nicht spürt, ist ein Scharlatan. Es kann, soll, ja unbedingt es muss auch Musik geben, die sich nicht diesem schrecklichen Anspruch stellt. Musik mit Leichtigkeit für den Augenblick gemacht, zufrieden mit dem Erfolg zu gefallen, das Leben so oder so begleitend und sich immer einen ernsthaften Unernst bewahrend im augenzwinkernden Humor und ein besessener Liebhaber des E hört dieses U ohne schlechtes Gewissen. Einen außermusikalischen Inhalt (Text, Bild, Tanz) begleitet sie möglicherweise und wird im Zusammenwirkung mit diesem zu einem E-Erlebnis. blog: http://christianebbertz.wordpress.com/