Charles Malo

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Porträtfoto aus Paulus: Trente ans de café-concert

Charles Malo (* 29. Juli 1835 in Boulogne-sur-Mer, † 1914, vermutlich in Toulouse), war ein französischer Orchesterleiter und Komponist.

Leben

Café-Concert (ca. 1877). Pastell von Edgar Degas. Der Dirigent auf der rechten Bildseite ist als Malo identifiziert worden

Malo war ein Neffe von Hervé.[1] Er begann seine musikalische Ausbildung an der Musikschule in Boulogne und ging dann nach Paris, wo er bei Jean-Delphin Alard Unterricht im Violinenspiel erhielt. Zwei Jahre lang leitete er das Orchester der Schauspieltruppe von Virginie Déjazet, die die französische Provinz bereiste; ab 1859 arbeitete er als Kapellmeister am Théâtre du Gymnase in Marseille. Nach Paris zurückgekehrt, übernahm Malo 1862 als Nachfolger von Hervé die Leitung des Orchesters am Théâtre Déjazet.[2] Am 1. Mai 1868 trat er die Nachfolge von Hervé als Orchesterleiter im Eldorado an,[3] einem der bekanntesten und größten Café-concerts in Paris. Diesen Posten bekleidete er 25 Jahre lang. 1893 wechselte er an das Théâtre de la Gaîté.[4] Seit Oktober 1900 dirigierte er auch am Théâtre des Bouffes-Parisiens. Am 23. Mai 1907 ging er mit einem Abschiedskonzert im Palais du Trocadéro, das von seinen ehemaligen Weggefährten zu seinen Ehren organisiert wurde, in den Ruhestand.[5] Einige Musiker des von Malo geleiteten Orchesters avancierten später zu gefeierten Solisten an der Pariser Oper. Ein zeitgenössischer Bericht rühmte Malo besonders für seine Fähigkeit, „die Klarinetten wimmern zu lassen“.[6]

Während dieser ganzen Zeit komponierte Malo auch: eine ganze Reihe von Operetten, die gewöhnlich im Eldorado uraufgeführt wurden, sowie zahlreiche, zum Teil recht erfolgreiche Chansons und andere Musikstücke.

Malo ist 1914 gestorben, wie einem Bericht des Figaro vom 7. Dezember 1914 zu entnehmen ist.[7]

Auf einem Pastell von Edgar Degas, das eine Szene aus einem Café-concert zeigt, hat der Kunsthistoriker Michael Shapiro Malo als Dirigenten identifiziert, der die Sängerin mit seinem Geigenbogen führt. Shapiro stützt sich dabei auf ein Foto von Malo, das in Paulus’ Trente ans de Café-concert überliefert ist und ausgeprägte Ähnlichkeiten mit dem Dirigenten aus Degas’ Bild aufweist (Haartracht, Ohrform, Schnurrbart), sowie auf ausgedehnte Recherchen bei Kennern des Café-concert.[8]

Kompositorisches Werk

Titelblatt des Chansons Tu ne m’aimais pas, Bathlot, Paris 1875. Illustration: Edward Ancourt

Malo war ein sehr fruchtbarer Komponist. Franz Pazdíreks Universal-Handbuch der Musik-Literatur aller Völker[9] führt nicht weniger als 79 Titel von Malo auf. Franz Stiegers großes Opernlexikon zählt zehn Operetten und eine Opéra comique.[10] Im Supplementband der Biographie universelle des musiciens et bibliographie générale de la musique von François-Joseph Fétis spricht der Bearbeiter, Arthur Pougin, bereits 1880 von „beinahe 200 Romanzen, Chansons und dramatischen Szenen“, die Malo komponiert habe, und attestiert diesen überdurchschnittliche Qualität.[11]

Größeres Echo fanden vor allem zwei Kompositionen von Malo. Im französischen Sprachraum erinnerte noch der Figaro-Nachruf von 1914, sicherlich auch durch den erneuten Kriegsbeginn motiviert, an „einige bemerkenswerte patriotische Chansons“, die er 1872 komponiert hatte und mit denen damals die Sängerin Amiati im Eldorado große Erfolge gefeiert hatte. Besonders gilt dies für Une tombe dans les blés („Ein Grab in den Weizenfeldern“) auf einen Text von Gaston Villemer und Lucien Delormel.[12] Im Figaro hieß es einige Jahre später, nicht ganz ohne Malice, Malo habe es mit diesem Lied geschafft, „eine wahre Tränenflut auszulösen, die sich in die Biergläser seines Wirts ergoß“.[13] Die Melodie hatte Malo kunstvoll auf den beschränkten Stimmumfang von Amiati zugeschnitten, wie Théodore Massiac in einem Rückblick 1899 hervorhob.[14]

Ein Chanson Malos von 1875, Tu ne m’aimais pas („Du hast mich nicht geliebt“) auf einen Text von Léon Laroche, erlebte Jahrzehnte später unter dem Titel „Verlor’nes Glück“ einen erstaunlichen Erfolg im deutschen Sprachraum, nachdem der Wiener Komponist Leopold Sprowacker es ins Deutsche übertragen und musikalisch bearbeitet hatte. Um die Jahrhundertwende war das Stück als Schlager allbekannt, es sind Arrangements für fast jede denkbare Besetzung, bis hin zum Akkordeonorchester, bekannt, selbst auf Postkarten erschien es im Druck. Karl Valentin hat es 1915 in seiner Szenenfolge Tingeltangel parodiert, und Bertolt Brecht hat die Melodie später (mit Unterstützung von Franz Servatius Bruinier) als Grundlage für sein Lied Erinnerung an die Marie A. benutzt.[15]

Anmerkung zur Repräsentation in Bibliotheken

Da der Name Charles Malo relativ häufig ist, kommen Verwechslungen in Bibliothekskatalogen vor. So werden im Katalog der Französischen Nationalbibliothek zahlreiche Kompositionen Malos fälschlich mit den Lebensdaten eines gleichnamigen Schriftstellers verknüpft (1790–1871). Die Normdaten geben daher keinen vollständigen Aufschluss über die Bestände an Werken Malos.

Kompositionen (Auswahl)

Operetten

  • Les jumeaux de Paimpol („Die Zwillinge von Paimpol“). Operette in einem Akt. Text: Péricaud & Delormel. Feuchot, Paris 1879. Partitur beim International Music Score Library Project
  • Robert Macaire et Bertrand en voyage („Robert Macaire und Bertrand auf der Reise“).[16] Operette in einem Akt, Text: Auguste Jouhaud, Tresse, Paris 1880.
  • Comédie à Compiègne („Komödie in Compiègne“). Opéra comique in einem Akt, Text: Édouard Noël, Henri Malo, uraufgeführt in Biarritz, September 1902. Partitur beim International Music Score Library Project

Sonstige Werke

  • Une tombe dans les blés. Chanson, Text: Villemer & Delormel, 1872.
  • Tu ne m’aimais pas. Romance, Text: Léon Laroche, 1875.
  • A travers les rideaux. Chansonnette, Text: Péricaud. Online auf Gallica

Literatur

  • François-Joseph Fétis: Malo (Charles). In: Biographie universelle des musiciens et bibliographie générale de la musique. Supplément et complément, 2. Band. Bearbeitet von Arthur Pougin. Firmin-Didot, Paris 1880, S. 153
  • Sehr kurze Biografie auf der Seite www.dutempsdescerisesauxfeuillesmortes.net, verlinkt ist auch der Text von Une tombe dans les blés

Einzelnachweise

  1. Pierre Dufay: De L'Alcazar au Cinéma. In: Mercure de France, 44. Jg., Nr. 845, 1. September 1933, S. 302–334, hier: S. 322f, online.
  2. François-Joseph Fétis: Biographie universelle des musiciens et bibliographie générale de la musique. Supplément et complément, 2. Band. Firmin-Didot, Paris 1880, S. 153. Online.
  3. Le Figaro, 4. Mai 1868, S. 3, online auf Gallica.
  4. Le Matin, 1. Juni 1893, online.
  5. Ankündigung in: Le Rappel, 17. Mai 1907, S. 4, online auf Gallica; vgl. auch Le Figaro, 1. Oktober 1900, online.
  6. Le Figaro, 17. September 1882, S. 1, online auf Gallica. Im Original: „l’art de faire pleurnicher les clarinettes“.
  7. Le Figaro, 7. Dezember 1914, S. 4, online auf Gallica.
  8. Michael Shapiro: Degas and the Siamese Twins of the Café-Concert. The Ambassadeurs and the Alcazar-d’Été. In: Gazette des Beaux-Arts, Jg. 95, Nr. 1335 (April 1980), S. 153–164, hier: S. 153. Vgl. auch Jean Sutherland Boggs, Anne F. Maheux: Degas Pastels, Braziller, New York 1992, S. 56.
  9. Franz Pazdírek: Universal-Handbuch der Musik-Literatur aller Völker. Bd. XVIII, Wien o. J., S. 105ff.
  10. Franz Stieger: Opernlexikon. Teil II: Komponisten. 2. Band: G–M. Hans Schneider, Tutzing 1977, S. 870. Stieger ordnet La Comédie à Compiègne hier fälschlich Henri Malo als Komponisten zu und führt Charles Malo als Librettisten auf, der Fehler wird jedoch im drei Jahre später erschienenen Librettistenteil des Lexikons korrigiert.
  11. François-Joseph Fétis: Biographie universelle des musiciens et bibliographie générale de la musique. Supplément et complément, 2. Band. Firmin-Didot, Paris 1880, S. 153. Online.
  12. Paulus: Trente ans de café-concert. Souvenirs recueillis par Octave Pradels. Paris, Online-Neuausgabe 2008, S. 139.
  13. Le Figaro, 17. September 1882, S. 1, online auf Gallica.
  14. Théodore Massiac: Amiati. In: Gil Blas, 29. Januar 1899, S. 2. Hier zitiert nach der Reproduktion auf der Seite dutempsdescerisesauxfeuillesmortes.net, online.
  15. Fritz Hennenberg: „An jenem Tag im blauen Mond September …“ Ein Brecht-Gedicht und seine Quelle. In: Neue Zeitschrift für Musik, Jg. 149, Nr. 7/8, Juli/August 1988, S. 24–29. Dort auch, auf S. 25, ein Faksimile des Titelblatts von Malos Chanson.
  16. Robert Macaire war in Frankreich eine bekannte literarische Figur, ein Verbrecher als komische Gestalt auf der Bühne. Bertrand war sein Gefährte. Vgl. Noémi Carrique: Le succès du crime sur scène avec Robert Macaire: modernité théâtrale et protestation sociale au xixe siècle, online.