Homosexuelle Aktion Westberlin

eine der ersten Organisationten der neueren deutschen Schwulenbewegung

Die Homosexuelle Aktion Westberlin (HAW) war eine der ersten Organisationen der Lesben- und Schwulenbewegung.

HAW-Pfingstdemonstration, 9. Juni 1973

Geschichte

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Im Rahmen der Aufführung des Filmes Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt am 15. August 1971 im Kino Arsenal fanden sich 50 Schwule, die den Aufbau der ersten homosexuellen Gruppe Berlins planten.[1] Die Gründer der HAW am 21. November waren im Wesentlichen Studierende, die sich der sozialistischen Linken zugehörig fühlten, und teilweise Organisationen wie der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins, der Gruppe Internationaler Marxisten oder der Kommunistischen Partei Deutschlands (Aufbauorganisation) angehörten.

Ein Schwerpunkt der Aktivitäten der HAW war der Kampf für die ersatzlose Streichung des § 175 im deutschen Strafgesetzbuch. Diese Thematik wurde in den Kontext eines allgemeineren Kampfes für die Überwindung von Patriarchat und Kapitalismus gestellt und es wurden zahlreiche entsprechende Demonstrationen durchgeführt. Von 1972[2] und 1975 organisierte die HAW ein jährliches Pfingsttreffen,[3] zu dem schwule Gruppen aus anderen Städten eingeladen waren und bei dem mit Informationsständen und Demonstrationen für die Ziele der HAW geworben wurde.

Im Frühjahr 1972 konstituierte sich betrieben unter anderem durch Gisela Necker innerhalb der HAW eine Frauengruppe, aus der sowohl das Lesben-Frühlings-Treffen als auch 1975 das Lesbische Aktions-Zentrum Westberlin hervorgingen. Ungefähr ab Mitte 1977 verlor die HAW zusehends an Einfluss. Einer der Hauptgründe dafür waren Streitereien zwischen Angehörigen und Anhängern linker Organisationen einerseits und dem sogenannten „Feministen“-Flügel andererseits. Bereits zuvor kam es im Rahmen des „Tuntenstreits“ zu Meinungsverschiedenheiten. Die HAW fungierte jedoch bis Mitte der 1990er Jahre als Organisatorin des Schwulenzentrums Thekla in der Kulmer Straße, später Hasenheide. Etwa seit Mitte der 1970er Jahre gingen politische Aktionen und emanzipatorische Aktivitäten (Demonstrationen, Flugblätter und Gesetzesinitiativen) von den bei den meisten Parteien und Gewerkschaften entstandenen Schwulen,- und Lesbengruppen sowie der damals als „bürgerlich“ wahrgenommenen AHA aus.

In den Jahren der West-Berliner Hausbesetzerbewegung gab es auch enge Kontakte und personelle Überschneidungen zum besetzten Tuntenhaus in der Bülowstraße 55.

Aus finanziellen Gründen wurde zur Vermeidung einer Überschuldung der Verein HAW e. V. am 25. August 1999 aus dem Vereinsregister gelöscht.

 
Ehemalige Räume des Drugstore, Motzstraße 24, in Berlin-Schöneberg
  • 15. August 1971: spontanes Treffen von ca. 50 Leuten im Kino Arsenal
  • 21. November 1971: Gründungstreffen im Drugstore mit Namensgebung Homosexuelle Aktion Westberlin. Am 21. November 2021 wurde im SchwuZ in der Rollbergstraße der 50. Jahrestag mit einem Festakt und Zeitzeugen begangen.[4]
  • 1. April 1974: Einzug in die Kulmer Straße 20a (2. und 4. Etage) unter dem Namen Zentrum für therapeutische Selbsthilfe
  • 2. Juni 1976: Gründung des Vereins Homosexuelle Aktion West-Berlin e. V., eingetragen im Vereinsregister am 20. August 1976.
  • Juni 1977: erstmalige Erwähnung des Namens SchwuZ (SchwulenZentrum) für die Vereinsräume der HAW
  • 31. Dezember 1986: Einzug in die Hasenheide 54 (4. Etage)
  • 18. Februar 1995: Einzug in den Mehringdamm 61 (KG)
  • 25. August 1999: Löschung der HAW e. V. aus dem Vereinsregister

Siehe auch

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Literatur

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  • Detlef Grumbach (Hrsg.): Die Linke und das Laster. Schwule Emanzipation und linke Vorurteile. Hamburg 1995, ISBN 3-928983-30-X.
  • Patrick Henze (Patsy l’Amour laLove):[5] „Raus aus den Klappen – Rein in die Straßen!“ – Schwule Politiken in der Homosexuellen Aktion Westberlin von 1971 bis 1976. Abschlussarbeit Master of Arts an der Humboldt-Universität zu Berlin. Vorgelegt am 13. August 2012. Erhältlich in der Bibliothek des Schwulen Museums*.
  • Patrick Henze (Patsy l'Amour laLove):[5] „Die lückenlose Kette zwischen Politik und Schwul-Sein aufzeigen“. Aktivismus und Debatten in der Homosexuellen Aktion Westberlin zwischen 1971 bis Juni 1973. In: Beate Binder: Geschlecht – Sexualität. Erkundungen in Feldern politischer Praxis. Berliner Blätter SH 62/2013. S. 13–27. ISBN 978-3-938714-27-0.
  • Andreas Pretzel, Volker Weiß (Hrsg.): Rosa Radikale. Die Schwulenbewegung der 1970er Jahre. Hamburg 2012, ISBN 978-3-86300-123-0.
  • Eike Stedefeldt: Schwule Macht. Oder: Die Emanzipation von der Emanzipation. Elefanten Press Verlag, Berlin 1998, ISBN 3-88520-691-9.
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Einzelnachweise

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  1. Wilfried Laule: Meine schwul-bewegten Jahre, in: Heinz-Jürgen Voß (Hrsg.): Westberlin – ein sexuelles Porträt, Gießen 2021, S. 127–152, S. 128f
  2. „Pfingsten 72 […] dort erfuhr ich von einem überregionalen schwulentreffen in berlin. veranstalter war die haw. […] frauen […] ca. 30 – die männer dagegen 200.“ HAW-Frauengruppe (Hrsg.): HAW-Frauen: eine ist keine, gemeinsam sind wir stark, Berlin 1974, S. 9
  3. 1976 fand das Pfingsttreffen in München statt (Wolfgang Scheel: Raus aus dem Ghetto! Die Homosexuelle Aktionsgruppe HAG/HAM in München von 1971 bis 1980, 2. Auflage München 2023, S. 40–42) und 1977 in Wien. (Andreas Brunner: Sichtbar unter Unsichtbaren. Eine schwule Identität im Spiegel von Politik und Gesellschaft seit den 1970er-Jahren, in: Farid Hafez: Das ‚andere‘ Österreich. Leben in Österreich abseits männlich-weiß-heteronormativ-deutsch-katholischer Dominanz, Wien 2021, S. 13–26, S. 19)
  4. Ebenfalls im November 2021 wurde der 50. Jahrestag der Gründung der ersten Münchner Homosexuellen-Organisation, der HAG/HAM, in einem Festakt mit Zeitzeugen am Gründungsort Deutsche Eiche begangen.
  5. a b Patsy l’Amour laLove im Interview mit Martin Reichert: „Begehren ist nicht rassistisch“. www.taz.de, 23. Juni 2018, abgerufen am 25. Juni 2018.