Amtshilfe der Bundeswehr aus Anlass der COVID-19-Pandemie
Die Amtshilfe der Bundeswehr aus Anlass der COVID-19-Pandemie wurde von Bundesministerin der Verteidigung, Annegret Kramp-Karrenbauer, am 19. März 2020 angekündigt.[1] Dabei handelt es sich um sanitätsdienstliche Hilfeleistungen, Hilfeleistungen für die Bevölkerung und die Unterstützung anderer Bundesbehörden bei der Materialbeschaffung.[2][3][4] Die Maßnahmen erfolgen im Rahmen der Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 Grundgesetz.[5]
Zum 31. März 2022 wurde die Amtshilfe in den Regelbetrieb der Bundeswehr zurückgeführt.[6]
Beantragung
BearbeitenDie Bundeswehr hat ein Netz von Ansprechstellen eingerichtet, über das zivile Behörden Amtshilfe beantragen können. Die genehmigten Anträge werden regelmäßig veröffentlicht.[7]
Das Bundesministerium für Gesundheit hatte beispielsweise das Verteidigungsministerium Anfang März um Amtshilfe bei der Bewältigung der Corona-Pandemie gebeten.[8] Bis Anfang April gingen außerdem knapp 300 Anfragen vonseiten deutscher Gemeinden ein, von denen rund die Hälfte abgelehnt oder zurückgezogen worden sind.[9] Zunächst abgelehnt wurde ein Antrag des Landesverwaltungsamts Thüringen, eine Flüchtlingsunterkunft in Suhl zu bewachen.[10]
Im April 2020 forderten mehrere Behörden aus Baden-Württemberg eine dreistellige Zahl von Soldaten „als Wachpersonal für Sicherheitsaufgaben“ an. Diese Anträge riefen Kritik der Opposition, insbesondere der Partei Die Linke hervor. Von insgesamt 16 Anträgen aus Baden-Württemberg, dem Saarland, Thüringen, Rheinland-Pfalz und Bayern, die hoheitliche Aufgaben betrafen, wurden sechs seitens der Bundeswehr abgelehnt, zehn wurden zurückgezogen.[11]
Im Januar 2021 hat die Bundesregierung erklärt, dass sie auf die Erstattung der Kosten für die Amtshilfe durch die Bundeswehr verzichtet.[12]
Sanitätsdienstliche Hilfeleistungen
BearbeitenDie sanitätsdienstlichen Hilfeleistungen wurden im Kommando Sanitätsdienstliche Einsatzunterstützung in Weißenfels koordiniert.[13] Die Anzahl der eingesetzten Sanitätssoldaten betrug im April 2020 etwa 17.000 Personen.[14]
Unter anderem hat sich das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr an der Testung von Verdachtsfällen beteiligt.[4]
Die Luftwaffe nutzte MedEvac-Flugzeuge (Airbus A310 und Airbus A400M), um italienische und französische Intensivpatienten zur Versorgung in deutsche Krankenhäuser zu transportieren. Zu den aufnehmenden Krankenhäusern gehörten auch die Bundeswehrkrankenhäuser Ulm und Westerstede.[15][16][17]
Nach einer Hilfeanfrage des britischen Verteidigungsministeriums an die NATO-Länder hat die Bundeswehr 60 mobile Beatmungsgeräte nach Großbritannien geliefert.[18]
Am 3. Februar 2021 wurde auf Anfrage Portugals ein Team des Sanitätsdiensts nach Lissabon entsandt, um in einem Krankenhaus bei der Bewältigung der Coronakrise zu helfen. Das Kontingent führte unter anderem 40 mobile und 10 stationäre Beatmungsgeräte einschließlich erforderlichem Verbrauchsmaterial, 150 Infusionsgeräte und 150 Krankenbetten mit.[19][20]
Hilfeleistungen für die Bevölkerung
BearbeitenFür die Koordination der nicht-medizinischen Hilfeleistungen ist der Inspekteur der Streitkräftebasis, Generalleutnant Martin Schelleis, in seiner Funktion als Nationaler Territorialer Befehlshaber verantwortlich.
Aufgaben und Kräfte
BearbeitenAb Anfang April wurde das Einsatzkontingent Corona in Stärke von etwa 15.000 Personen aufgestellt, um folgende Aufgaben zu übernehmen:[21][2]
- Absicherung/Schutz (5500 Soldaten)
- Unterstützung der Bevölkerung (6000)
- Ordnungs-/Verkehrsdienst (600 Feldjäger)
- Desinfektionsaufgaben (18 Dekontaminationsgruppen mit etwa 250 Soldaten der ABC-Abwehrtruppe)
- Lagerung, Transport, Umschlag (2500 Logistiksoldaten mit 500 Lastwagen)
Im November 2020 wurde dieses Kontingent auf 16.000 Soldaten vergrößert.[22]
Organisation
BearbeitenZu seiner Unterstützung wurden vier regionale Führungsstäbe aufgestellt, die jeweils für mehrere Bundesländer zuständig waren.[2]
Region | Sitz | Bundesländer | Leiter |
---|---|---|---|
Nord 1 | Marinekommando, Rostock | Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern | Flottillenadmiral Ulrich Reineke[23] |
West 2 | Stab 1. Panzerdivision, Oldenburg | Nordrhein-Westfalen, Bremen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt | Brigadegeneral Dieter Meyerhoff[24] |
Ost 3 | Kommando Luftwaffe, Gatow | Berlin, Brandenburg | Brigadegeneral Bernd Stöckmann[25] |
Süd 4 | Stab 10. Panzerdivision, Veitshöchheim | Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Thüringen, Sachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland | Brigadegeneral Michael Podzus[26] |
Beschaffung
BearbeitenDas Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr unterstützte andere Bundesbehörden bei der Beschaffung von medizinischem Material und hat für das Bundesministerium für Gesundheit unter anderem 300.000 Schutzbrillen und Schutzmasken und weitere Materialien im Wert von 241 Millionen Euro geordert.[3]
Mit Flugzeugen unter Bundeswehr-Charter nach dem SALIS-Vertrag wurden 25 Millionen Schutzmasken aus China eingeflogen.[27]
ABC-Abwehreinheiten der Bundeswehr wurden eingesetzt, um Desinfektionsmittel zu produzieren.[28]
Chronik
BearbeitenEnde Januar 2020 holte die Luftwaffe mit Transportflugzeugen vom Typ Airbus A310 124 Personen mit Verdacht auf eine Infizierung mit SARS-CoV-2 aus Wuhan zurück.[29][30] Diese wurden anschließend in der Südpfalz-Kaserne in Germersheim in eine 14-tägige Quarantäne genommen.[29]
Am 18. März versorgten Bundeswehrsoldaten Lkw-Fahrer, nachdem es sich an der polnischen Grenze auf der A4 ein etwa 60 Kilometer langer Stau gebildet hatte.[31] Am folgenden Tag rief die Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer die Reservisten der Bundeswehr auf, sich zum Dienst, insbesondere im Sanitätsdienst, zu melden.[32]
Reservisten halfen in etwa der Hälfte der Bundesländer aus, Personen an Teststationen – sogenannten „Fieberzentren“ – auf das Virus zu testen und die Tests anschließend in ein Labor zur Auswertung zu bringen.[33]
Anfang April wurde ein spezielles Einsatzkontingent aus 15.000 Soldaten aufgestellt, um die zivilen Kräfte insbesondere im Sanitätsbereich und in der Logistik zu unterstützen.[34][35]
Nachdem anfangs vor allem Schutzausstattung und Unterstützung mit Sanitätspersonal nachgefragt war, hatte sich der Schwerpunkt der Amtshilfe Ende April auf andere Aufgaben verlagert. Dazu gehörten die Produktion von Desinfektionsmitteln, die Hilfe in Pflegeheimen und Unterstützung bei der Nachverfolgung von Infektionsketten. So unterstützten beispielsweise Soldaten der Marinetechnikschule das Gesundheitsamt Stralsund ab Mitte Mai 2020 bei dieser Aufgabe.[36] Außerdem wurden international Patienten transportiert.[28]
Außerdem wurden die Musikkorps der Bundeswehr zur Unterhaltung vor Altenheimen eingesetzt.[37]
Im Juni wurden Kräfte der Bundeswehr zur Bewältigung des Infektionsgeschehens im Bereich der Firma Tönnies in Gütersloh und Umgebung eingesetzt (→ COVID-19-Pandemie in Nordrhein-Westfalen). 65 Soldaten halfen vor Ort bei der Dokumentation und der Nachverfolgung von Kontaktpersonen.[38]
Ab Mitte August 2020 wurden Soldaten an Flughäfen eingesetzt, um bei der Testung von Reiserückkehrern zu helfen, darunter 48 Soldaten am Flughafen Berlin-Tegel[39]
Ab September 2020 wurden zunächst etwa 60 Soldaten (Stand 1. Oktober 2020) in elf der zwölf Berliner Bezirke zur Kontaktverfolgung eingesetzt, eine Zahl, die auf etwa 180 aufwachsen soll. Lediglich der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg lehnte diese Unterstützung ab, was eine politische Kontroverse auslöste.[40]
Während der so genannten zweiten Welle wurde die Anzahl der eingesetzten Soldaten kontinuierlich gesteigert. Die Gesamtzahl wurde für den 13. Oktober mit 1400 angegeben[41] und stieg bis zum 1. November auf 4000 an, was nach Angaben der Verteidigungsministerin gegenüber der Vorwoche eine Verdopplung darstellte.[42] 3200 von ihnen sind zur Kontaktverfolgung in fast der Hälfte der etwa 400 deutschen Gesundheitsämter eingesetzt.[43] Am 4. November war die Zahl der eingesetzten Soldaten auf 5300 angestiegen.[44]
Im weiteren Jahresverlauf wurde das Kontingent auf 20.000 Soldatinnen und Soldaten vergrößert. Zum Jahresende waren davon über 11.000 im Einsatz. Hinzu kamen etwa 100 Sanitätssoldaten im Krankenhaus Görlitz. Es waren 26 Impfzentren vorbereitet, und eine ähnliche Zahl mobiler Impfteams stand bereit.[45]
Anfang Februar 2021 gab das Verteidigungsministerium die Anzahl der Soldaten im Coronaeinsatz mit 17.600 an. Am 3. März wurde die verfügbare Kontingentstärke auf 25.000 angehoben.[46]
Nachdem die Anzahl der eingesetzten Soldaten im Sommer 2021 erheblich reduziert worden war, wurde im November 2021 beschlossen, sie wieder in zwei Schritten zunächst auf 5000 und bis Weihnachten 2021 auf über 12.000 anzuheben, um die zivilen Behörden bei der Bewältigung der 4. Welle zu unterstützen.[47]
Am 1. März 2022 kündigte der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, in einem Tagesbefehl an, das Amtshilfekontingent in Reaktion auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine deutlich zu reduzieren, weil dessen Soldatinnen und Soldaten im Kernauftrag der Landes- und Bündnisverteidigung gebraucht werden. Durch die Pandemie entstandene Ausbildungslücken seien unverzüglich zu schließen.[48] Die Anzahl der eingesetzten Kräfte wurde auf etwa 2000 reduziert. Ende März 2022 wurde die Sonderorganisation aufgelöst.[6]
Weblinks
Bearbeiten- Aktuelles zum Coronavirus und der Bundeswehr. In: Bundeswehr.
- Einsatz gegen Corona.
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Der Spiegel: Kramp-Karrenbauer rechnet mit langem Bundeswehreinsatz, abgerufen am 28. März 2020
- ↑ a b c RND: Einsatz gegen Corona: Bundeswehr setzt 15.000 Soldaten ein, abgerufen am 28. März 2020
- ↑ a b Bundeswehr: Corona-Pandemie: Bundeswehr beschafft medizinisches Material im großen Stil, abgerufen am 28. März 2020
- ↑ a b Bundeswehr: Was leistet die Bundeswehr im Zusammenhang mit dem Virus?, abgerufen am 28. März 2020
- ↑ Bundeswehr: Amtshilfe: Die Bundeswehr informiert, abgerufen am 28. März 2020
- ↑ a b Meldung der Streitkräftebasis, abgerufen am 24. April 2022
- ↑ Bundeswehr: Informationen zur Amtshilfe bezüglich Corona, abgerufen am 29. März 2020
- ↑ bmvg.de
- ↑ Amtshilfe in der Corona-Krise: Die Truppe hilft – aber nicht in jedem Fall. Stuttgarter Zeitung, 3. April 2020, abgerufen am 14. April 2020.
- ↑ TAZ: Keine Lorbeeren zu holen, abgerufen am 29. März 2020
- ↑ Baden-Württemberg forderte Hilfe. Soldaten sollten "als Wachpersonal" dienen., abgerufen am 8. Mai 2020
- ↑ Bericht bei augengeradeaus abgerufen am 27. Januar 2021
- ↑ Bundeswehr: Corona: Lagezentrum in Weißenfels koordiniert Unterstützung, abgerufen am 28. März 2020
- ↑ N-tv: Bundeswehr-Hilfe bei Corona-Exit. AKK bietet "Hände" und "Köpfe" an, abgerufen am 12. April 2020
- ↑ Welt: Luftwaffe bringt Corona-Patienten aus Italien nach Deutschland, abgerufen am 28. März 2020
- ↑ Südwest Presse: Luftwaffe holt zwei Corona-Patienten aus Frankreich nach Ulm, abgerufen am 29. März 2020
- ↑ NDR: Corona: Patienten aus Italien in Hamburg gelandet, abgerufen am 29. März 2020
- ↑ Volksstimme.de: Beatmungsgeräte von Weißenfels nach England, abgerufen am 25. April 2020
- ↑ Pressemitteilung des BMVg, abgerufen am 3. Februar 2021.
- ↑ Bezugsangabe
- ↑ Süddeutsche Zeitung: Bundeswehr bereitet Hilfseinsatz mit 15 000 Soldaten vor, abgerufen am 2. April 2020
- ↑ Mike Szymanski; 5600 Soldaten helfen den Ämtern. In: *Süddeutsche Zeitung vom 6. November 2020, S. 9
- ↑ 09.04.: Leiter des Führungsstabs trifft Landeskommandeure, abgerufen am 24. April 2020
- ↑ 4500 Soldaten gegen Corona, abgerufen am 25. April 2020
- ↑ Beelitz-Heilstätten: Besuch von Brigadegeneral Stöckmann beim Corona-Krisenstab, abgerufen am 24. April 2020
- ↑ BILD durfte in den „War Room“ - HIER probt die Bundeswehr den Corona-Ernstfall (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im September 2022. Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis., abgerufen am 24. April 2020
- ↑ Bundeswehr fliegt 25 Millionen Schutzmasken aus China nach Deutschland, abgerufen am 25. April 2020
- ↑ a b Amtshilfe der Bundeswehr. Soldaten produzieren Desinfektionsmittel., abgerufen am 25. April 2020
- ↑ a b Deutscher Bundeswehrverband: Pressebericht, abgerufen am 30. März 2020.
- ↑ Die Rheinpfalz: Die größte Gefahr ist der Lagerkoller, abgerufen am 30. März 2020.
- ↑ Stau-Chaos an Grenze zu Polen: Soldaten der Bundeswehr im Einsatz. Mitteldeutscher Rundfunk, 18. März 2020, abgerufen am 14. April 2020.
- ↑ Bundeswehr: Reserve hilft in der Corona-Krise, abgerufen am 28. März 2020
- ↑ Aus der Truppe – Amtshilfe in Corona-Zeiten: Wie die Bundeswehr beim Testen hilft. Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr, 7. April 2020, abgerufen am 14. April 2020.
- ↑ Bundeswehr stellt Corona-Einsatztruppe auf ( vom 4. April 2020 im Internet Archive), Saarländischer Rundfunk vom 2. April 2020; Zugriff am 4. April 2020. Abgerufen am 7. April 2024.
- ↑ 15.000 Soldaten gegen die Pandemie, FAZ vom 2. April 2020; Zugriff am 4. April 2020
- ↑ Zehn Bundeswehr-Soldaten helfen bei Kontaktperson-Ermittlung (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im September 2022. Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis., abgerufen am 12. Mai 2020
- ↑ Zwischenbilanz der Corona-Hilfe ( des vom 8. Mai 2020 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , abgerufen am 9. Mai 2020
- ↑ Clemens Tönnies weist Vorwürfe des Landkreises zurück. In: nwzonline.de. 20. Juni 2020, abgerufen am 26. Februar 2024.
- ↑ Bundeswehr-Homepage, abgerufen am 4. Oktober 2020
- ↑ AKK kritisiert "ideologische" Corona-Politik von Berlin-Kreuzberg in: Die Zeit abgerufen am 4. Oktober 2020
- ↑ RND.de, abgerufen am 1. November 2020
- ↑ onvista, abgerufen am 1. November 2020
- ↑ Spiegel online, abgerufen am 1. November 2020
- ↑ Meldung von n-tv, abgerufen am 4. November 2020
- ↑ Interview mit Ministerin Kramp-Karrenbauer, abgerufen am 31. Dezember 2020
- ↑ FAZ vom 3. März 2021, abgerufen am 3. März 2021
- ↑ Bundeswehr will 12.000 Soldaten wegen Corona-Notlage mobilisieren. Abgerufen am 13. November 2021
- ↑ Tagesbefehl des Generalinspekteurs der Bundeswehr vom 1. März 2022, abgerufen am 1. März 2022