Abwassermonitoring

Abwasseranalyse

Abwassermonitoring oder Abwassersurveillance bezeichnet die systematische Überwachung von Abwasser. Dabei wird ermittelt, ob und in welcher Menge Inhaltsstoffe wie Krankheitserreger, Stücke des Erbguts von Viren oder Chemikalien vorhanden sind. Systematisch bedeutet dabei, an definierten Punkten im Abwasserstrom wie z. B. am Zulauf einer Kläranlage und zeitlich wiederkehrend, sodass das Auftauchen einer Menge des gesuchten Stoffes nicht unbemerkt bleibt.[1]

Abwassermonitoring gehört zur abwasserbasierten Epidemiologie, um Ausbrüche schneller und genauer lokalisieren zu können. Durch Analysen des Abwassers zeigt sich z. B. COVID-19 früher als in offiziellen Statistiken. Abwassermessungen machen den Verlauf der Infektionszahlen vorhersehbar.

Im Dezember 2023 startete die Europäische Union das Programm „EU - Wastewater integrated Surveillance in Health“ (EU-WISH), das in allen Mitgliedsstaaten die Nachweisverfahren implementieren und vereinheitlichen soll.[2]

In Deutschland wurde dies mit dem EU-Kooperationsprojekt ESI-CorA[3] und später dem Abwassermonitoring für die epidemiologische Lagebewertung (AMELAG) umgesetzt. Es handelt sich um eine Zusammenarbeit von Robert-Koch-Institut (RKI), Umweltbundesamt (UBA), Bundesministerium für Gesundheit (⁠BMG), den Bundesländern, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (⁠BMUV⁠) und des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Gegenstand dieses Projekts ist die Überwachung von 170 Kläranlagen in Deutschland, Erhebung standardisierter Daten und deren Veröffentlichung. Open Data werden auf Zenodo und GitHub für die Allgemeinheit zur Verfügung gestellt[4], Wochenberichte online veröffentlicht.[5] Die Laufzeit des Projekts endet Stand 2024 am 31. Dezember 2024.[4] In 2025 wird in Berlin und Bayern das Abwassermonitoring auf SARS-CoV-2, Influenza und RSV mit Geldern aus dem Landeshaushalt fortgesetzt.[6]

Artikel 17 der am 5. November 2024 beschlossenen kommunalen Abwasserrichtlinie der EU sieht ein Monitoring auf SARS-CoV-2, Influenza, Polio, neu auftretende Krankheitserreger, besorgniserregende Schadstoffe und antimikrobielle Resistenzen vor.[7]

Chemikalien

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Zunächst wurden diese Verfahren im Rahmen der Suche nach Medikamentenrückständen, Drogen[8] (z. B. Kokainabbauprodukt Benzoylecgonin) und Produktionsrückständen (Drogenlabore[9]) verwendet. Dafür wird aber eher die Entnahme direkt aus den Abwasserkanälen verwendet.

Infektionskrankheiten

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Viele Viren werden in den Fäkalien ausgeschieden und gelangen auf diese Weise auch ins Abwasser, wo sie nachgewiesen werden können.[10] Dabei handelt es sich nicht notwendigerweise um komplette infektiöse Viren, sondern vor allem um Viren-Bestandteile wie Teile der Erbinformation.[11] Der Transport der Proben sollte mit 4 Grad Celsius erfolgen.[12]

Das Verfahren bietet gegenüber anderen Verfahren einige Vorteile. Es ist nicht auf die Mitwirkung in der Bevölkerung (Schnelltest) angewiesen. Da im Gegensatz zu Schnelltests der tatsächliche Aufenthaltsort auch der Ort des Eintrags in die Kanalisation ist, ist die dadurch ermittelte Verbreitung genauer bei der geographischen Zuordnung. Bestimmt werden kann auch die Variantenverbreitung[13] und in gewissem Umfang können auch Aussagen zur quantitativen Verbreitung in der Bevölkerung getroffen werden.

Es gibt aber auch Grenzen[14] des Verfahrens.

Die automatische Entnahme von Proben direkt in Abwasserkanälen verlangt explosionsgeschützte Geräte wegen der in dieser Umgebung unvermeidlichen Faulgase. Da diese Anforderung die Anzahl von Lieferanten für Probennehmer stark einschränkt, versucht man das zu vermeiden und bevorzugt Messpunkte mit weniger Einschränkungen.

Corona-Virus

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Seit Anfang 2020 spielt die Suche nach Krankheitserregern wie SARS-CoV-2 im Abwasser eine zunehmende Rolle.[15]

Influenza A und B

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In Berlin und Bayern wird routinemäßig ein Abwassermonitoring auf Influenza-Viren durchgeführt.[6]

Polio Virus

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Eine Untersuchung auf Polio im Abwasser wird in Berlin[16] und im Ausland durchgeführt.[17][18]

Die USA führen ein nationales Abwassermonitoring auf Mpox durch.[19]

Papillomavirus, Norovirus, Chagas

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Im August 2022 begann ein Abwassermonitoring, Affenpocken in Bengaluru.[20][21]

Antimikrobielle Resistenzen (AMR)

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Ein AMR-Monitoring im Abwasser wird für die EU-Länder ab Mitte 2016 verpflichtend.[7]

Geschichte

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  • 09/2020 Die Niederlande führen flächendeckend Abwassermonitoring für das Corona-Virus ein[22]
  • 09/2020 In den USA startet die US CDC das National Wastewater Surveillance System (NWSS) in 5 Bundesstaaten.[23]
  • 03/2021 Empfehlung (EU 2021/472) der EU-Kommission, Abwassermonitoring in allen Mitgliedsländern bis zum 1. Oktober 2021 einzuführen[24]
  • 03/2021 Das Wasterwater Observatory des EU JRC geht mit dem EU4S (EU Sewage Sentinel System for SARS-CoV-2) an den Start, um die Ergebnisse der EU-Länder zu bündeln.[25]
  • 02/2022 Mithilfe einer Förderung aus dem Emergency Support Instrument (ESI) der EU-Kommission startet in Deutschland das erste nationale Abwassermonitoring auf SARS-CoV-2 (ESI-CorA) mit 28 Standorten.[3]
  • 09/2022 Die WHO gibt einen Leitfaden für SARS-CoV-2 Abwassersurveillance heraus, da durch die weltweit fallenden COVID-19 Testzahlen das Abwassermonitoring in manchen Umgebungen eine Ergänzung zur fallbasierten Surveillance darstellen könnte.[26]
  • 02/2023 Die US-Wissenschaftsakademien schätzen das Abwassermonitoring als bewährt ein und fordern eine Erweiterung auf weitere Erreger.[27]
  • 12/2023 Das EU-Kooperationsprojekt EU-WISH startet. Ziel ist es, das Abwassermonitoring in mehr EU-Ländern zu etablieren und das Vorgehen zu vereinheitlichen.[28]
  • 03/2024 Die EU-Institutionen HERA und JRC rufen GLOWACON, das Global Consortium for Wastewater and Environmental Surveillance for Public Health (Globales Konsortium für Abwasser- und Umweltüberwachung für die öffentliche Gesundheit), als weltweite Kooperation ins Leben.[29]
  • 11/2024 Die EU beschließt eine rechtliche Grundlage und Verpflichtung der EU-Länder für das Abwassermonitoring mit Artikel 17 der aktualisierten kommunalen Abwasserrichtlinie.[7]
  • 12/2024 Das nationale Abwassermonitoring in Deutschland endet voraussichtlich mit dem Ende des Projekts AMELAG (Abwassermonitoring für die epidemiologische Lagebewertung).[4]
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Einzelnachweise

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  1. Abwassersurveillance – Abwasser als Informationsquelle. Umweltbundesamt, 28. März 2024, abgerufen am 29. Oktober 2024.
  2. Internationales Projekt EU-WISH. Umweltbundesamt, 5. April 2024, abgerufen am 29. Oktober 2024.
  3. a b Robert Koch-Institut: ESI-CorA. 23. November 2023, abgerufen am 9. November 2024.
  4. a b c AMELAG: Abwassermonitoring für die epidemiologische Lagebewertung. Überwachung von SARS-CoV-2, Influenza- und Polioerregern im Abwasser. Robert-Koch-Institut, 22. Oktober 2024, abgerufen am 29. Oktober 2024.
  5. AMELAG Wochenbericht. Abgerufen am 29. Oktober 2024 (englisch).
  6. a b Martin Rücker: Corona- und Grippewellen: Steht das bundesweite Abwasser-Monitoring vor dem Aus? 8. November 2024, archiviert vom Original am 11. November 2024; abgerufen am 9. November 2024.
  7. a b c Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über die Behandlung von kommunalem Abwasser (Neufassung). 2022 (europa.eu [abgerufen am 9. November 2024]).
  8. Deutsche Städte mit den meisten Kokainrückständen im Abwasser 2020. Abgerufen am 3. April 2022.
  9. Andrea Hoferichter: Wie die Polizei im Abwasser nach Drogen fahndet. Abgerufen am 3. April 2022.
  10. Cordula Seeger: Abwasserbasierte Epidemiologie (PDF; 352 kB), auf bundestag.de
  11. Presence of SARS-Coronavirus-2 RNA in Sewage and Correlation with Reported COVID-19 Prevalence in the Early Stage of the Epidemic in The Netherlands, auf pubs.acs.org
  12. S. Tavazzi, C. Cacciatori, S. Comero, D. Fatta-Kassinos, P. Karaolia, I. C. Iakovides, P. Loutsiou, I. Gutierrez-Aguirre, Z. Lengar, I. Bajde, T. Tenson, V. Kisand, P. Laas, K. Panksep, H. Tammert, G. Mariani, H. Skejo, B. M. Gawlik: Short-term stability of wastewater samples for storage and shipment in the context of the EU Sewage Sentinel System for SARS-CoV-2. In: Journal of Environmental Chemical Engineering. 2. März 2023, ISSN 2213-3437, S. 109623, doi:10.1016/j.jece.2023.109623 (sciencedirect.com [abgerufen am 5. März 2023]).
  13. Fabian Amman, Rudolf Markt, Lukas Endler, Sebastian Hupfauf, Benedikt Agerer: Viral variant-resolved wastewater surveillance of SARS-CoV-2 at national scale. In: Nature Biotechnology. 18. Juli 2022, ISSN 1546-1696, S. 1–9, doi:10.1038/s41587-022-01387-y (nature.com [abgerufen am 19. Juli 2022]).
  14. Pandemic signals from the sewer—what virus levels in wastewater tell us. Abgerufen am 7. Mai 2022 (englisch).
  15. Hannah R. Safford, Karen Shapiro, Heather N. Bischel: Wastewater analysis can be a powerful public health tool—if it’s done sensibly. In: Proceedings of the National Academy of Sciences. Band 119, Nr. 6, 3. Februar 2022, ISSN 0027-8424, doi:10.1073/pnas.2119600119, PMID 35115406, PMC 8833183 (freier Volltext).
  16. Polio, Pocken und Corona in der Kloake: Forscher entschlüsseln Warnsignale im Berliner Abwasser. In: Der Tagesspiegel Online. ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 9. November 2024]).
  17. Deutscher Ärzteverlag GmbH, Redaktion Deutsches Ärzteblatt: Israel versucht mit Impfkampagne Polioausbruch einzudämmen. 5. April 2022, abgerufen am 5. April 2022.
  18. Smruthi Karthikeyan, Joshua I. Levy, Peter De Hoff, Greg Humphrey, Amanda Birmingham: Wastewater sequencing reveals early cryptic SARS-CoV-2 variant transmission. In: Nature. 7. Juli 2022, ISSN 1476-4687, S. 1–4, doi:10.1038/s41586-022-05049-6 (nature.com [abgerufen am 12. Juli 2022]).
  19. U.S. Mpox Wastewater Data | National Wastewater Surveillance System | CDC. 29. Oktober 2024, abgerufen am 9. November 2024 (amerikanisches Englisch).
  20. Integrated Environment Surveillance Initiative in Bangalore, auf storymaps.arcgis.com
  21. Warish Ahmed, Aaron Bivins, Sudhi Payyappat, Michele Cassidy, Nathan Harrison: Distribution of human fecal marker genes and their association with pathogenic viruses in untreated wastewater determined using quantitative PCR. In: Water Research. 10. September 2022, ISSN 0043-1354, S. 119093, doi:10.1016/j.watres.2022.119093 (sciencedirect.com [abgerufen am 18. September 2022]).
  22. Coronavirus monitoring in wastewater | RIVM Netherlands. Abgerufen am 16. November 2024.
  23. Wastewater Surveillance | What We Do | NCEZID | CDC. 1. Mai 2023, abgerufen am 16. November 2024 (amerikanisches Englisch).
  24. Empfehlung (EU) 2021/472 der Kommission vom 17. März 2021 über einen gemeinsamen Ansatz zur Einführung einer systematischen Überwachung von SARS-CoV-2 und seinen Varianten im Abwasser in der EU. 17. März 2021 (europa.eu [abgerufen am 16. November 2024]).
  25. EU Joint Research Centre: EU Wastewater Observatory for Public Health. Abgerufen am 3. April 2022.
  26. Environmental surveillance for SARS-COV-2 to complement public health surveillance – Interim Guidance. Abgerufen am 18. September 2022 (englisch).
  27. Deutscher Ärzteverlag GmbH, Redaktion Deutsches Ärzteblatt: US-Report fordert intensive Suche nach Krankheitserregern in Abwässern. 2. Februar 2023, abgerufen am 2. Februar 2023.
  28. Umweltbundesamt: Internationales Projekt EU-WISH. 5. April 2024, abgerufen am 16. November 2024.
  29. Launching GLOWACON: A global initiative for wastewater surveillance for public health - European Commission. Abgerufen am 16. November 2024 (englisch).