Vor etwas mehr als sieben Jahren gehörte er zu den Gründern der Alternative für Deutschland, nun verlässt Konrad Adam die Partei. Postenjäger und Extremisten hätten dort die Oberhand gewonnen. Ein Gespräch über Alexander Gaulands traurige Rolle, Stallhasen in der CDU und das Verschwinden der deutschen Landschaft.
Herr Adam, Ihren Austritt aus der AfD haben Sie damit begründet, die Partei habe als bürgerlich-konservative Kraft keine Zukunft. Warum hat sie ihre Chance verspielt?
In der AfD sind verschiedene, reichlich heterogene Kräfte zusammengewachsen. Zunächst einmal wäre da zwischen Ost und West zu unterscheiden. Die Ostdeutschen haben nicht nur eine, sondern zwei Diktaturen hinter sich gebracht und reagieren auf politische Phänomene anders als der Westen. Darunter leidet die bisher einzige Partei, die nach der Wiedervereinigung, also unter gesamtdeutschen Auspizien entstanden ist. Hinzu kommt, dass es zu viele Mitglieder gibt, die es zuvor schon in allen möglichen Parteien versucht hatten, in der CDU, der FDP, der SPD, der Linken, sogar der orthodoxen, moskautreuen DKP.
Wer anderswo nichts wurde, ging zur AfD?
Ein Sitz im Parlament ist ein geldwertes Geschenk; viele, die es anderswo nicht geschafft haben, sind zur AfD geströmt in der Erwartung, auf ihrem Terrain das zu finden, was sie anderswo vergeblich gesucht hatten: ein gut bezahltes Mandat. Die AfD hat Leute angezogen, die, um mit Max Weber zu sprechen, nicht für die Politik, sondern von der Politik leben wollen. Und diese Leute prägen das Binnenklima der Partei, leider.
Glauben Sie, dass die ideologischen Konflikte innerhalb der Partei dadurch befeuert werden, also dass es häufig nur vordergründig um Sachfragen geht, tatsächlich aber um Posten?
Ja. Schauen Sie nur auf die jüngsten Vorgänge in Niedersachsen. Armin-Paulus Hampel, ein ziemlich dunkler Ehrenmann, hatte sich seinerzeit offen dazu bekannt, aus finanziellen Gründen ein Bundestagsmandat anzustreben. Wegen offenkundiger Manipulationen zulasten der Parteifinanzen war ihm und seinem Vorstand die Entlastung verweigert worden. Dann kam Jens Kestner, ein Bestattungsunternehmer, mit dem er vermutlich ein Geschäft abschloss: Hampel organisierte Kestner eine Mehrheit, die ihn zum Landeschef wählte; im Gegenzug verschaffte Kestner Hampel die längst überfällige Entlastung. Nicht ungewöhnlich, aber doch anstosserregend in einer Partei, die versprochen hatte, es nicht nur anders, sondern besser zu machen als die anderen.
«Wie viele Parteitage habe ich miterlebt, auf denen der Antrag gestellt wurde, Journalisten auszuschliessen. Ich habe immer widersprochen, denn die Medien sind unsere Partner, ob wir sie mögen oder nicht.»
Warum haben Sie Ihren Austritt erst jetzt angekündigt? In welche Richtung sich die Partei bewegt, hätten Sie doch schon vor Jahren sehen können oder müssen.
Viele werfen mir vor, zu lange gewartet zu haben; vielleicht sogar zu Recht. Tatsächlich habe ich drei Jahre lang jede öffentliche Kritik an der Partei vermieden. Trotz manchen Vorbehalten habe ich geschwiegen, weil ich der Überzeugung war und bin, dass die Sache wichtiger ist als die Personen. Am Ende haben mir dann einige unerfreuliche Erfahrungen im Rahmen des Erasmus-Vereins, der zur parteinahen Stiftung der AfD werden will, den Abschied erleichtert. Ich habe den Ehrenvorsitz niedergelegt, nachdem er keine Ehre mehr brachte.
Hoffen Sie darauf, dass in der AfD ein Umdenken stattfinden könnte, weil Sie durch Ihren Abgang ein Zeichen setzen?
Hoffen darf man immer, obwohl die Griechen die Hoffnung nicht zu den Tugenden, sondern zu den menschlichen Lastern zählten. Vor allem in den westlichen Landesverbänden gibt es nach wie vor bürgerlich-konservative Kräfte, die den Krawallmachern, die auf Konfrontation um jeden Preis aus sind, Paroli bieten könnten. Wie viele Parteitage habe ich miterlebt, auf denen der Antrag gestellt wurde, Journalisten mit der Begründung auszuschliessen, die Medien seien unser Feind. Ich habe immer widersprochen, denn die Medien sind unsere Partner, ob wir sie mögen oder nicht.
Von aussen betrachtet scheint sich die AfD jede erdenkliche Mühe zu geben, dem Bild zu entsprechen, das ihre Gegner von ihr zeichnen.
Sie lässt sich ihre Rolle von anderen vorschreiben und bewegt sich freiwillig in eine Ecke, in die ihre Gegner sie drängen wollen. Gibt es etwas Dümmeres als das? Statt klarzustellen, dass es in der AfD viele gibt, denen es darum geht, die fatale Linksverschiebung der CDU zu korrigieren, läuft sie ihren Gegnern ins Messer.
Pflegen Sie noch Kontakte in die AfD, oder haben Sie alle Brücken abgebrochen?
Nein, warum sollte ich alle Brücken abbrechen? Auf meine Austrittsankündigung habe ich viele zustimmende, natürlich auch einige unfreundliche Reaktionen erhalten. Was spricht dagegen, vernünftige AfD-Mitglieder auf den Boden der Demokratie zurückzuholen? «Wir sind Grundgesetz» lautet ein Partei-Slogan, der mir seit je gut gefallen hat. Nur sollte die Partei auch endlich danach handeln! Tut sie das nicht und lässt sie den Höckes, den Kalbitz’ und den Pasemanns den grossen Auftritt, werden die Massvollen bei einer von Angela Merkels Transformationsphantasien gründlich geheilten Union Unterschlupf suchen.
Halten Sie es für möglich oder vielleicht sogar für wünschenswert, dass sich die AfD spaltet? Die Gemässigten könnten dann ihre eigene Partei gründen.
Eine Neugründung gelingt nicht alle paar Monate, schon gar nicht in einem Land, in dem sich die etablierten Parteien so fest verschanzt und eingegraben haben wie in der Bundesrepublik. Kurz nach der Wende, vor mittlerweile dreissig Jahren also, sagte ein ironisch begabter DDR-Bürger zu seinem Nachbarn: Jetzt lernen wir die pluralistische Variante des Einparteistaates kennen. Er sollte recht behalten.
«Jörg Meuthen hält gern den Finger in den Wind. Dass er nun in Brüssel bleibt, anstatt für den Bundestag zu kandidieren, ist wohl die Reaktion des Fuchses, dem die Trauben zu sauer sind.»
Auch Sie waren einmal CDU-Mitglied. Könnten Sie der Partei irgendwann wieder beitreten?
Warum nicht? Ich schliesse das nicht aus, vorausgesetzt, die CDU realisiert, dass sie Gefahr läuft, rechts mehr zu verlieren, als links zu gewinnen, und daraus die Konsequenzen zieht. Sie sollte eher auf Friedrich Merz als auf seine zweieinhalb Mitbewerber hören. Die können mir schon deshalb nicht imponieren, weil sie aus lauter Angst vor dem Parteiestablishment den Bruch mit Merkels Politik auch da nicht wagen, wo die Kanzlerin selbst zugibt, dass sich so etwas wie die verhängnisvolle Grenzöffnung nicht wiederholen darf. Dann sollte man es eben anders machen, aber dazu fehlt den Stallhasen der Mut.
Zurück zur AfD: Alexander Gauland, einer der beiden Fraktionschefs im Bundestag, spielt aus Ihrer Sicht eine besonders trübe Rolle.
Eine traurige Rolle. Er ist ein kluger und belesener Mann, der sich in der Weltgeschichte ebenso auskennt wie in der europäischen Literatur. In einem Landtagswahlprogramm zitierte er Theodor Fontane, was mir natürlich gefallen hat. Dass er dieses Wahlprogramm dann ins Russische übersetzen liess, hat mir weniger gefallen. «Ich will gewählt werden», begründete er diesen Schritt, «egal, von wem.» – «Ich nicht», habe ich damals geantwortet. Es gibt Leute, auf deren Stimme ich gern verzichte.
Früher einmal galt Gauland als Garant gegen eine Radikalisierung der Partei, als bürgerlicher Intellektueller, der den rechten Flügel im Zaum hält. Heute scheint das Gegenteil der Fall zu sein.
Als einen solchen Garanten hatte ich ihn kennen- und schätzen gelernt. Gauland besass politische, wenn auch nicht unbedingt parteipolitische Erfahrung. Das war der Grund für eine verhängnisvolle Aufgabenteilung, die darauf hinauslief, Gauland vom Balkon aus seine staatsmännischen Reden halten zu lassen, während Andreas Kalbitz im Souterrain für Ordnung sorgte. So lange, bis das Gebäude zusammenstürzte und Gauland selbst im Souterrain landete.
Wie sehen Sie die Rolle von Parteichef Jörg Meuthen? Ist es glaubwürdig, wenn er sich als Kämpfer gegen eine weitere Radikalisierung der AfD inszeniert?
Meuthen hält gern den Finger in den Wind. Ich habe nie recht verstanden, was er beim Treffen des rechten Parteiflügels am Fusse des scheusslichen Kyffhäuser-Denkmals zu suchen hatte. Im Landesverband Baden-Württemberg hat er eine so dubiose Gestalt wie Ralf Özkara als seine rechte Hand installiert, wozu? Der landete nach kurzer Zeit bei der AfD-Fraktion im Bayrischen Landtag, deren Chefin eine glühende Verehrerin Björn Höckes ist. Dass Meuthen nun in Brüssel bleibt, anstatt für den Bundestag zu kandidieren, ist wohl die Reaktion des Fuchses, dem die Trauben zu sauer sind.
Ist es überhaupt möglich, in Deutschland eine respektable Partei rechts von der Union zu gründen? Muss eine solche Neugründung nicht zwangsläufig von unappetitlichen Figuren gekapert werden?
Es war nicht nur möglich, es war auch nötig, denn damals, im Jahre 2013, fehlte in Deutschland das, was eine funktionierende Demokratie braucht: eine überzeugende, artikulationsfähige Opposition. Es gab die grosse Einheitsfront der ja nicht zufällig so genannten Altparteien, und das war vielen eben zu wenig. Unter Merkels Strategie der asymmetrischen Demobilisierung hatte die CDU ganze Landstriche aufgegeben und ihre Bewohner heimatlos gemacht; das war eine Chance, aber auch eine Gefahr. Bernd Lucke hatte uns immer vor zwei Risiken gewarnt, vor den Rechtsauslegern und vor Unregelmässigkeiten bei den Finanzen. Das seien die Breschen, sagte er, durch die der Gegner Einlass finden könne. So ist es dann ja auch gekommen.
«Ein schwarz-grünes Bündnis wäre das Schlechteste nicht, vorausgesetzt, die CDU besinnt sich auf ihre Wurzeln und den Grünen fällt mehr ein als das Trommeln für Gendersternchen und Unisex-Toiletten.»
Kann die Parteipolitik für einen Intellektuellen der richtige Ort sein, oder sollte er sich aus solchen Kämpfen nicht grundsätzlich lieber heraushalten?
Auf Dauer wohl lieber heraushalten. Intellektuelle sind schwer oder gar nicht organisierbar, und die Organisation, die Netzwerkerei, das Bilden von Seilschaften und Flaschenzügen sind das A und O der Parteipolitik. Nicht zufällig hat jemand, ich weiss nicht, wer, von den frei schwebenden Intellektuellen gesprochen, eine Wendung, die einen gestandenen Parteifunktionär wie Herbert Wehner später dann von «frei schwebenden Arschlöchern» sprechen liess.
Als einen Grund für Ihren Austritt haben Sie auch das mangelnde Interesse der AfD an ökologischen Anliegen genannt. Was könnte eine solche Partei durch die Bewirtschaftung dieser Themen gewinnen? Das Feld wird doch bereits von den Grünen beackert.
Das gilt für alle grossen Themen, von der Sozial- über die Wirtschafts- bis hin zur Bildungspolitik, auch die werden von jeder Partei auf ihre Art beackert. Naturschutz war und ist ein konservatives Thema, Ludwig Klages und Friedrich Georg Jünger sind jedenfalls nicht von links gekommen. Dass die sogenannten Klimaleugner in der AfD das grosse Wort führen, hat mit Interessenpolitik zu tun. Auf dem Stuttgarter Programmparteitag hat sich das Europäische Institut für Klima und Energie mit seinen Textvorschlägen durchgesetzt, eine Lobbyorganisation, die unter dem Patronat des Committee for a Constructive Tomorrow steht, das seinerseits von der amerikanischen Öl-, Kohle- und Gasindustrie gesponsert wird. So viel Liebedienerei hat in einem Parteiprogramm genauso wenig zu suchen wie der Slogan «Freie Fahrt für freie Bürger». Schauen Sie sich doch an, wie es auf deutschen Strassen zugeht, von freier Fahrt kann da doch längst nicht mehr die Rede sein.
Sie tönen fast schon wie ein Schwarz-Grüner.
Ein schwarz-grünes Bündnis wäre das Schlechteste nicht, vorausgesetzt, die CDU besinnt sich auf ihre Wurzeln und den Grünen fällt mehr ein als das Trommeln für Gendersternchen und Unisex-Toiletten. Robert Habeck scheint ein eher vorsichtiger Mann zu sein, der mit Rücksicht auf die Parteibasis allerdings Sprüche klopft, die in meinen Ohren ziemlich albern klingen. Einer der vielen Fehler Gaulands war, die Grünen zum Hauptfeind auszurufen; eines der grossen Zukunftsthemen wurde damit ohne Not aufgegeben und an die Linke verschenkt.
«Deutschland zerfasert, geschlossene Ortschaften gibt es kaum noch. Jedes Dorf hat einen Speckgürtel angesetzt, bestehend aus Toom-Märkten, Versicherungsagenturen und Shell-Tankstellen.»
Vielleicht könnte sich eine konservative Partei profilieren, indem sie die Zersiedelung der Landschaft zum Thema machen würde. Als ich in England lebte, fuhr ich häufig von London nach Oxford. Geradezu frappierend fand ich die weitgehend intakte Natur: Ein Dorf ist dort noch ein Dorf. In Deutschland wäre in einer solch dicht besiedelten Region längst alles zugebaut.
Wenn ich die Kulturlandschaften im Süden Englands durchstreife, geht es mir ähnlich. Deutschland zerfasert, geschlossene Ortschaften gibt es kaum noch, sie sind so selten wie die gepflegten Landschaften, die Wiesen, die Wälder und die Felder. Jedes Dorf hat einen Speckgürtel angesetzt, bestehend aus Toom-Märkten, Versicherungsagenturen und Shell-Tankstellen, die den Ortskern wie eine Mauer umschliessen und gegen die Umwelt abriegeln. Kürzlich sah ich alte Zeichnungen und Stiche von der Auenlandschaft, die sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts im Oberrheintal rings um den Kaiserstuhl erhalten hatte. Davon ist nichts mehr übrig: das alte, windungsreiche Strombett begradigt und befestigt, dahinter der schnurgrade Seitenkanal, unterbrochen von Brücken, Staustufen und den Reaktorfässern von Fessenheim. Warum diese Gegend jahrhundertelang zu den schönsten und wertvollsten Europas gezählt wurde, versteht heute niemand mehr.
Wieso ist das Verschwinden alter Kulturlandschaften in der Politik kaum ein Thema? Auch von den Grünen hört man wenig dazu, sie kümmern sich lieber um erneuerbare Energien.
Energieabhängig sind wir alle geworden, in einem Umfang, der jedes vernünftige, auch wirtschaftlich vernünftige Ausmass übersteigt. Warum sich ausgerechnet die Grünen zu Anwälten der Windindustrie gemacht haben, kann ich nur vermuten; die Antwort findet man wahrscheinlich bei den Lobbyisten, die auch in dieser Partei obenauf sind. Warum sagt niemand von den Grünen, was jeder von uns doch ahnt, wenn nicht gar weiss: dass wir genug haben, mehr als genug. Dass wir mit weniger mindestens ebenso gut, vielleicht sogar etwas besser, zufriedener, glücklicher leben würden als bisher. Dass Schönheit ihren Wert hat, auch wenn der ökonomisch nicht berechnet werden kann. Dass wir uns, kurz gesagt, an einen Lebensstil gewöhnt haben, der nicht überlebensfähig ist. Aber das sagt kein Parteimensch, auch kein Grüner.
Meinen Sie, dass sich im mangelnden Interesse der Deutschen an intakten Landschaften ein Mangel an Liebe zum eigenen Land widerspiegelt?
Wahrscheinlich. Auch das ist eine Spätfolge des unseligen «Dritten Reiches». Ein früherer Bundespräsident wird bis heute zustimmend, ja bewundernd mit dem Ausspruch zitiert, er liebe seine Frau, aber nicht sein Land. Als ob man nicht beide lieben könnte!
hmü. Die sogenannte Euro-Rettungs-Politik der deutschen Regierung veranlasste ihn, sich zu engagieren: 2013 gehörte Konrad Adam neben Frauke Petry und Bernd Lucke zu den ersten drei Co-Vorsitzenden der neugegründeten AfD; das Amt übte er bis 2015 aus. Ende September wurde bekannt, dass der 78-Jährige zum 1. Januar 2021 aus der Partei austritt. Adam, der klassische Philologie, Rechtswissenschaften und Geschichte studiert und «zur poetischen und rhetorischen Theorie über Aufgaben und Wirkung der Literatur» doktoriert hatte, arbeitete von 1979 bis 2000 als Redaktor im Feuilleton der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung»; danach war er sieben Jahre lang politischer Chefkorrespondent der Zeitung «Die Welt» in Berlin. Mit Adam verlässt der letzte der drei Gründungsvorsitzenden die AfD: Bernd Lucke trat bereits 2015 aus, Frauke Petry 2017.
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