Nachruf auf Gertraud Wendlandt
Sie schien unverletzbar wie ihre Figuren – sie war es aber nicht
Alt Schönau / Lesedauer: 5 min
Bis zuletzt hatte Gertraud Wendlandt an dieser Figur gearbeitet. Auch, als sie schon kaum mehr Kraft hatte und die Schmerzen unerträglich wurden. Ihr letztes Werk. „Ausruhen!“ – scheint es sagen zu wollen.
Die kleine Skulptur, noch in Wachs, steht auf dem Küchentisch mit Blick aus dem Fenster. Hinaus in den großen Garten, in dem jetzt alles zu wachsen und zu blühen beginnt und in dem viele Plastiken der Künstlerin stehen. Den Blick hat sie auf eine Skulptur gerichtet. Aufrecht stehend, den Kopf nur leicht gebeugt, trägt diese steinerne Frau eine schwere Bürde. „Die Last“ – diese Skulptur von 1992 war unverkäuflich. „Sie soll auf meinem Grab stehen“, vertraute die Künstlerin den ihr Nahestehenden an.
Es scheint wie ein Vermächtnis. Am Donnerstag vergangener Woche ist Gertraud Wendlandt überraschend gestorben.
Nur wenige wussten genau, wie es um sie stand
Nur ihre engsten Freunde wussten wohl, wie es wirklich um sie stand, Katharina Sell und Frank Hirrich, Nachbarn und oft Wegbegleiter seit 31 Jahren, Künstler des bekannten Figurentheaters „Ernst Heiter“. 1992 hatten sie aus einer alten Kulturbaracke in Alt Schönau ihr neues Leben und ihr Heim aufgebaut. In all den Jahren halfen und unterstützten sie sich gegenseitig in Wirtschaft und Garten und auch Rückkopplung zur künstlerischen Arbeit.
Gertraud Wendlandts Krebskrankheit war längst zurückgekehrt. Sie aber war wie immer. Aufmerksam und interessiert in Gesprächen. Und sie arbeitete weiter oft bis spät abends an ihren Figuren. Es war ihr Genugtuung, wenn sie ganz allein mit ihrem werdenden Geschöpf und in Zwiesprache mit ihm war. Sie lasse sich überraschen, was letztlich aus dem Material geboren wird, das sie bearbeitet, welches Geschöpf sich ihr offenbare, verriet sie. Und dass man dabei auch immer ein bisschen man selbst sei, ob man wolle oder nicht.
Ihre Skulpturen stehen an vielen Orten
Viele Figuren stehen in Gertraud Wendlandts großem Garten. Arbeiten der Künstlerin finden sich aber auch als Porträts und Reliefs, als lebensgroße Gruppen und Brunnen, als Zeichnungen und Skulpturen in ganz Mecklenburg–Vorpommern, auf der Museumsinsel im Schloss Gottorf in Schleswig–Holstein, im Museum Flensburg, in der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe, im Kunstmuseum Schwaan, um nur einiges zu nennen. Oder in Privatsammlungen wie auch bereits als Vorgabe im Archiv „Bild und Kunst“, einer Kunstsammlung, in der sie als Mitglied des Künstlerbundes im Fachbeirat mitarbeitete.
Die Kunstkritik schrieb, ihre Frauenkörper, seien wie in Bewegungen erstarrt, „so, als hätte sie ein Zauber inmitten einer Zeremonie, eines Unternehmens für immer unverletzbar gemacht.“ Unverletzbar schien auch sie. Sie war es aber nicht.
Ihre Werke erzählen immer auch von ihr selbst „von der Lust am Dasein, von Sehnsüchten und vom ewigen Kreislauf von Leben und Tod, von dunklen und lichten Mächten, von Zärtlichkeit und Gewalt“. Manche nennen ihre Kunst „lebensprall, bodenständig, schnörkellos“, ihre steinernen Frauen „erdig und ruhig, harmonisch“, andere sehen „Beunruhigungen, Verletzlichkeiten“ darin. „Wenn sie meinen“, schmunzelte sie dann. Kritik gab es öfter von jenen, die mehr schöne, schlanke, makellose Körper und Gesichter erwarteten, fernab „der Gebrauchsspuren des Lebens“.
Erst wenn man sich auf die Figuren der Gertraud Wendlandt einlässt, erhält man Zugang zu ihnen. Es ist wohl wie im täglichen Leben.
Als Kind mit Nagel und Schraubenzieher gemeißelt
„Ich habe meine Berufung und meinen Traum gelebt, sagte Gertraud Wendlandt wenn man sie nach ihrer Zufriedenheit fragte. Sie sei eine Urmecklenburgerin, sagte die am 13. August 1951 in Altentreptow Geborene. Schon als Kind habe sie Figürliches gestaltet, „einmal mit einem Schraubenzieher und einem großen Nagel aus einem Mauerstein einen Kopf gemeißelt“, verriet sie. Beim Betrachten von Steinen erkannte sie schon Figuren, „die nur noch herausgeholt werden mussten.“ Die Eltern ließen sie gewähren, waren stolz, als ihr Talent entdeckt wurde und sie an der Kunsthochschule in Berlin Weißensee studierte. Der berühmte Bildhauer Werner Stötzer hat sie mit ausgebildet.
Aber sie blieb immer ihrem Mecklenburg treu. Nicht mal mit einer Weltreise könne man sie locken, sagte sie einmal. „Mir macht am größten Spaß, wenn ich im Atelier sitze und arbeite.“ Oder wenn sie sich mit Freunden treffe, bei Rotwein und guten Gesprächen und Wildfleisch, das ihr die Jäger mitgebracht haben. „Mein Sohn ist Koch, von ihm habe ich einiges gelernt.“ Sohn und Mutter sahen sich nur selten, nachdem Hannes Wendlandt in der Schweiz arbeitet. Es geht ihm gut und seiner Familie. Das beruhigte sie. Die drei Enkelchen zeigte sie manchmal im Foto. „Wir skypen ja auch miteinander“, sagt sie.
„Es war aber viel zu wenig!“, sagt Sohn Hannes. Er kam sofort, als er die traurige Nachricht erhielt. Er hat ein letztes Foto von seiner Mutter gemacht. Es tröste ihn ein bisschen. „Sie sieht so friedlich aus.“ Es soll eine schöne und würdige Abschiedsfeier werden, aber ohne großes Aufgebot. Ganz im Sinne von Gertraud. Sagt er und sagen die Freunde.