Interview
Corona-Expertenrat – Arzt zieht erneut vor Gericht
Politik / Lesedauer: 7 min
Ein Facharzt für Allgemeinmedizin hat gegen das Bundeskanzleramt gewonnen. Christian Haffner hatte vor Gericht erstritten, dass die Geheimprotokolle des Corona-Expertenrates veröffentlicht werden müssen. Im Interview mit dem Nordkurier erklärt der 51-Jährige jetzt, weshalb er geklagt hat, warum er erneut gegen das Bundeskanzleramt vor Gericht zieht und weshalb er eine Aufarbeitung der Corona-Zeit für enorm wichtig hält.
Herr Haffner, Sie sind Facharzt für Allgemeinmedizin und haben auf die Herausgabe der Protokolle des Corona-Expertenrates geklagt. Warum?
CH: Weil die Öffentlichkeit ein Recht hat zu erfahren, auf welcher Basis, welchen wissenschaftlichen Annahmen oder auch welchen Studien sich die Corona-Politik der Bundesregierung begründet und begründet hat. Es ist dabei völlig egal, wie man zu den einzelnen Maßnahmen oder auch der Gefährlichkeit des Virus steht. Es wurden Grundrechte eingeschränkt und das Leben von Millionen Menschen auf links gedreht. Da sollte man das Recht haben zu erfahren, auf welcher Grundlage all das geschah.
Ich finde es übrigens überaus bedenklich, dass hierfür erst geklagt werden muss. Es wäre eigentlich der Job der Bundesregierung, das von sich aus zu machen, dass das politische Agieren der letzten Jahre erklärt und begründet wird. Allein schon, dass die Protokolle geheim gehalten wurden und nicht von Anfang an oder spätestens nach den jeweiligen Beschlüssen öffentlich zugänglich waren, halte ich für einen Skandal. Die Bundesregierung verweigert sich bisher einer Aufklärung. Erst der Druck der Öffentlichkeit, den wir jetzt durch die Veröffentlichung der Protokolle aufbauen, könnte eine Aufarbeitung der Corona-Zeit einleiten.
"So gefährlich wie Delta und so ansteckend wie Omikron"
Was denken Sie, weshalb die Bundesregierung die Protokolle nicht herausgeben wollte?
CH: So wie ich das sehe, ist den Mitgliedern des Corona-Expertenrats durchaus bewusst, dass vieles, was im Rat besprochen und beschlossen wurde, auf tönernen Füßen stand, oder in einzelnen Punkten sogar falsch war. Zum Beispiel war bekannt, dass eine kombinierte Variante von Omikron und Delta, die als "Deltakron" bezeichnet wurde, wahrscheinlich ein Laborartefakt war, also nicht existierte. Dennoch nutzt Lauterbach "Deltakron", um der Bevölkerung Angst einzujagen und damit weitere Maßnahmen zu begründen: "So gefährlich wie Delta und so ansteckend wie Omikron." Außerdem wurde der Genesenenstatus von 6 auf 3 Monate verkürzt, obwohl man wusste, dass eine erneute Infektion nach einer Infektion mit Omikron erst in etwa 300 Tagen wieder auftritt.
Der Genesenenstatus hätte wenigstens an den europäischen Genesenenstatus von 9 Monaten angepasst werden können, der zu dem damaligen Zeitpunkt schon bekannt war. Ebenso wurde eine Immunität nach Infektion negiert, obwohl es Konsens ist, dass diese der Impfung in nichts nachsteht.
Sie haben die Protokolle - soweit freigegeben - sorgfältig gesichtet. Wie bewerten Sie den Corona-Expertenrat?
CH: Wenn man sich die Protokolle ansieht, hat es den Anschein, als sei der Expertenrat in erster Linie dazu da gewesen, um die Politik und die Entscheidungen des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach und der Regierung Olaf Scholz zu unterstützen und zu rechtfertigen. Und nun fürchten sowohl die Rats-Mitglieder als auch viele Politiker, die sich auf den Rat beriefen, einen Machtverlust oder auch den Verlust ihrer Reputation, wenn der Öffentlichkeit klar wird, wie der Rat tatsächlich gearbeitet hat. Und dass er an vielen Stellen falsch lag.
Geht es Ihnen darum, den Corona-Expertenrat und die Corona-Politik der Bundesregierung zu diskreditieren?
CH: Nein. Es geht mir um Aufklärung und eine Aufarbeitung der Corona-Jahre. Was lief falsch, warum lief es falsch, wer ist dafür verantwortlich? Und auf der anderen Seite auch darum, was richtig lief und was wir als Gesellschaft für kommende Krisen daraus lernen können. Aber um das beurteilen zu können, müssen doch zunächst alle Fakten auf den Tisch. In der Politik sehe ich leider keinen Willen dazu, ansonsten hätten wir doch bereits eine Enquete-Kommission. Aber die gibt es nicht, entsprechende Vorschläge und Forderungen dazu wurden ja bereits abgelehnt.
Die von Ihnen freigeklagten Protokolle wurden in vielen Medien veröffentlicht. Darunter waren auch Leitmedien wie etwa die FAZ und die Süddeutsche Zeitung, die die Maßnahmen während der Corona-Zeit völlig kritiklos unterstützt haben. Haben Sie auch Rückmeldungen aus der Politik bekommen?
CH: Nein, das habe ich bisher nicht. Ich wundere mich und staune darüber, aber wirklich überrascht bin ich dann doch nicht. Ich habe bereits während der Corona-Krise immer wieder Politiker aus jeder größeren Partei - bis auf die AfD - angeschrieben. Sinnvolle Antworten bekam ich so gut wie nie. Von den meisten Medien bin ich rückblickend ohnehin enttäuscht.
"Ich habe mein Spiegel-Abo gekündigt"
Was meinen Sie?
CH: Ich bin enttäuscht darüber, wie sie sich in der Corona-Krise verhalten haben. Ich war zum Beispiel seit meiner Schulzeit Spiegel-Abonnent. Aufgrund der völlig unkritischen Berichterstattung und der Diffamierung namhafter Wissenschaftler wie Hendrik Streeck oder Jonas Schmidt-Chanasit in den letzten Jahre habe ich mein Abo aber mittlerweile gekündigt.
Was hätten die Medien Ihrer Meinung nach anders machen müssen?
CH: Medien sollen keine Hofberichterstatter einer Regierung sein. Sie sollen aber auch keine Hofberichterstatter von anderen Gruppierungen oder von Personen sein, die den Corona-Maßnahmen etwas kritischer eingestellt waren und sind. Medien sollen und müssen neutral sein und dürfen sich vor keinen Karren spannen lassen. Audiatur et altera pars, also immer beide Seiten anhören. Das ist für den Journalismus wichtig. Das wissen die Journalisten. Das ist nicht neu. Es muss nur wieder mehr gelebt werden. Und Medien sollten kein Geld einer Regierung oder von Stiftungen erhalten, wie das mehrfach passiert ist. Das verstößt gegen das Neutralitätsgebot. Wes Brot ich ess‘ des Lied ich sing. Das gleiche gilt für die sogenannten Faktencheckernetzwerke, die vom Poynter Institut koordiniert werden und die eine aus meiner Sicht ungute Rolle hatten und haben.
"Ich impfe gegen Corona, wenn es medizinisch sinnvoll ist"
In den Corona-Protokollen geht es auch um das Thema Impfungen. Wie stehen Sie dazu?
CH: Ich bin Arzt und ich impfe Menschen, wenn es medizinisch sinnvoll ist.
Auch gegen Corona?
CH: Auch gegen Corona. Wichtig ist, dass hier das medizinische Procedere eingehalten wird, also eine fundierte Aufklärung über mögliche Nebenwirkungen und eine Risikoabwägung. Ich habe Menschen gegen Corona geimpft und werde das auch in Zukunft machen, wenn es aus medizinischer Sicht sinnvoll ist und der Patient ordnungsgemäß aufgeklärt wurde. Es ist wie mit den Corona-Protokollen - Aufklärung muss die Maxime sein. Wichtig ist dabei auch, dass die Aufsichtsbehörden, wie das Paul-Ehrlich-Institut oder die europäische Zulassungsbehörde EMA auf ihre Unabhängigkeit und Qualität überprüft werden.
Wir müssen uns als Ärzte und als Bevölkerung auf die Zulassungsinstanzen verlassen können. Sie müssen von Politik und pharmazeutischer Industrie unabhängig sein. Das ist mir als langjähriges Mitglied von MEZIS e.V., ("Mein Essen zahle ich selbst – die Vereinigung der unbestechlichen Ärztinnen und Ärzte") sehr wichtig. Wissenschaftliche Fachgesellschaften und das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) müssen zukünftig mit einbezogen werden.
Haben Sie ihr Ziel denn mit der Freigabe der Protokolle erreicht? Sind Sie nun zufrieden?
CH: Nein. Das Ziel meiner Anfrage über das Informationsfreiheitsgesetz war, alle Wortprotokolle des Coronaexpertenrates inklusive von Notizen zu erhalten. Was wir durch die Klage erhalten haben sind 25 von 33 Ergebnisprotokolle bis Juli 2022 mit Schwärzungen an teilweise entscheidenden Stellen.
"Wir wollen alle Protokolle. Und zwar alle ungeschwärzt."
Warum wurde geschwärzt?
CH: Die Begründungen für die Schwärzungen sind hanebüchen. So heißt es etwa, dass die Namen des jeweiligen Urhebers von Sitzungsbeiträgen im Rat deshalb geschwärzt wurden, weil - Zitat - "dieser für seine/ihre Einschätzung zu Corona-relevanten Themen von der Öffentlichkeit haftbar gemacht werden" könnte. Ja, natürlich, und das ist auch völlig richtig. Die Mitglieder des Corona-Expertenrates müssen für ihre Aussagen gerade stehen. Insofern ist das, was wir bisher erreicht haben, zwar ein mutmachender Anfang. Aber wir machen weiter.
Was bedeutet das konkret?
CH: Ich habe mit meinem Anwalt bereits entschieden, dass wir weiterklagen. Wir wollen alle Protokolle. Und zwar alle ungeschwärzt. Das ist das Ziel. Und wir wollen die Wortprotokolle, nicht nur die Ergebnisprotokolle. Erst dann kann die dringend notwendige Aufklärung über die Corona-Zeit wirklich beginnen.