Wie unterscheidet sich die österreichische Diskussionskultur aus Sicht einer ORF-Journalistin von jener in anderen Ländern?
SUSANNE SCHNABL: Schaut man über die Grenzen, bekommt man schnell den Eindruck: Es geht anderswo oft sachlicher, aber auch härter zur Sache – vor allem, wenn ich mir BBC-Interviews anschaue. Dort gibt es eine andere Kultur des Widerspruchs.
Woran krankt die Diskussionskultur hierzulande?
Wir haben wenig Tradition und Übung darin, dass gesellschaftliche Interessen öffentlich und nicht im Hinterzimmer ausverhandelt werden. Dazu kommt, dass sich die Öffentlichkeit durch Social Media rasant verändert. Das Gute daran ist, es wird wieder politisiert. Das weniger Gute: Es ist laut, gehässig und eng geworden.
Manchmal macht es den Eindruck, als wäre Österreich in zwei ideologische Lager geteilt.
Diesen Eindruck hatten viele vor allem während des Bundespräsidentschaftswahlkampfes, als vielerorts vom gespaltenen Land die Rede war. Dem ist aber nicht so. Die Gesellschaft wird immer vielschichtiger. Es gibt viel mehr als nur zwei gesellschaftspolitische Lager.
Haben Sie den Eindruck, dass eine offene Meinungsäußerung, zu bestimmten Themen, etwa zur Flüchtlingsbewegung, überhaupt noch möglich ist?
Natürlich ist es möglich, wir leben in Österreich und nicht in der Türkei, in der man wegen unerwünschter Meinungen eingesperrt wird. Der wunde Punkt ist, dass kritische Auseinandersetzung und auch der Journalismus als Angriff missverstanden und diskreditiert werden. Aber genau von diesem „Aber“, dem kritischen Hinterfragen, leben nun einmal Diskurs und Demokratie.
Bei der Glaubwürdigkeit politischer Berichterstattung herrscht laut einer aktuellen OGM-Umfrage bei schwarzen und blauen Wählern eine hohe ORF-Skepsis, während rote Wähler dem ORF eher Vertrauen schenken. Existieren die vorhin genannten „Lager“ in der österreichischen Medienlandschaft?
Auch wenn die Angriffe aus einer Richtung heftiger denn je sind, kann ich in puncto Unabhängigkeit aus eigener Erfahrung sagen, die Unzufriedenheit angesichts kritischer Fragen kennt keine Parteigrenzen.
Was können Medien tun, um das Vertrauen aller Rezipienten zu gewinnen?
Sie müssen einen noch offensiveren Dialog führen. Deshalb habe ich jene zornig postende Frau, die mich als „Lügenpresse“ bezeichnete, in ihrem Nagelstudio besucht. Hinter all ihren wütenden Sätzen steckten berechtigte Kritikpunkte: Sie fühlte sich von den Medien mitsamt ihren Problemen nicht wahrgenommen. Unsere Aufgabe ist es, die Gesellschaft noch viel mehr in ihren Schattierungen zu zeigen und auch dort zu erreichen. Dem Lokaljournalismus kommt dabei eine besonders wichtige Rolle zu.
Zuletzt sprachen sich 60 Prozent der Österreicher gegen die Rundfunkgebühren aus. Wie sieht Ihre eigene Position zu diesem Thema aus?
Die Debatte ist da und das in ganz Europa. Sie muss daher von uns geführt werden, und zwar offensiv. Ich halte es da mit unserem Redakteurssprecher Dieter Bornemann: Der Anspruch, jede Woche einen noch besseren „Report“ zu machen, und die Freude über mehr als einer halben Million Zusehern, sind zu wenig. Wir müssen jene, die uns kritisieren und anzweifeln, überzeugen.
Wie schafft man es, konstruktiv miteinander zu streiten ?
Ich bin selber eine Suchende. Wichtig ist, dass es überhaupt inhaltliche Auseinandersetzung anstelle Rückzug aus dem demokratischen Prozess gibt. Und ganz banal: zuhören und sich auf den anderen unvoreingenommen einlassen.
Wie schaffen Sie es, im Report auch mit schwierigen Gästen ein konstruktives Gespräch zu führen?
(lacht). Das hängt nicht nur von mir ab. Schwierige Gäste gibt es demnach nicht. Nur manche, die ein anderes Ziel als ich haben und eben lieber über anderes als den Inhalt der Fragen sprechen. Darin sind Politiker mehr oder weniger Profis.
Julia Braunecker