Seit einigen Jahren vertritt eine Forschergruppe unter Leitung von Mary Fulbrook die These, in der DDR hätte in den 1960er- und 1970er-Jahren eine „Normalisierung“ stattgefunden. Dabei wird unter Normalisierung vor allem eine Stabilisierung und Routinisierung nach gesellschaftlichen Umbrüchen verstanden, wobei letztere wiederum zu einer meist unbewussten Internalisierung von mindestens einigen der propagierten und erfahrenen Normen führt (S. 11). Stabilisierung, Routinisierung und Internalisierung bilden danach den Kern des universeller anzuwendenden Konzepts der Normalisierung, das Jeannette Madarász – ehemals selbst Mitglied jener Arbeitsgruppe – in dem vorliegenden Band auf die Unternehmenspolitik und -kultur in den „volkseigenen“, faktisch aber staatlichen Betrieben der DDR anwendet. Dabei wählt sie einen vergleichenden Ansatz, bei dem die Spezifik der einbezogenen Betriebe mit bestimmten der sozialistischen Planwirtschaft allgemein inhärenten Problemen konfrontiert wird. Das ist auch das Besondere an der vorliegenden Studie gegenüber den bereits existierenden betriebszentrierten Untersuchungen der DDR-Wirtschaft. Es geht Madarász um die Wechselwirkung zwischen den Interessen der verschiedenen Interessengruppen und Individuen in den Betrieben und den zentralen Instanzen. Die vertikalen Beziehungen sollen dabei im Mittelpunkt stehen. Dabei konzentriert sie sich auf drei Themen: die Unterschiede zwischen den betrachteten staatlichen Betrieben, die Veränderungen über die Zeit sowie die Interaktion zwischen den Beschäftigten ("Werktätigen") und den zentralen Instanzen (S. 22).
Nach einer Einleitung werden im ersten Kapitel die wesentlichen Züge der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Entwicklung der DDR der 1960er- und 1970er-Jahre umrissen und gemeinsame Probleme und Erfahrungen der staatlichen Betriebe in diesem Zeitraum beschrieben. Die folgenden fünf Kapitel bestehen aus Fallstudien zu einzelnen Betrieben, bei denen immer ein bestimmtes Problem in den Mittelpunkt gerückt wird, was dann auch im Licht der Erfahrungen bei anderen Betrieben betrachtet wird. Damit gelingt es Madarász, der darstellerischen Falle zu entgehen, fünf Fälle hintereinander ausführlich auszubreiten, die sich mehr oder weniger stark ähneln, was in der Regel schnell langweilig wird. Dabei handelt es sich erstens um das Transformatorenwerk Oberspree in Berlin, an dessen Beispiel vor allem die Eingriffstiefe der verschiedenen Instanzen von außen diskutiert wird. Zweitens wird das Berliner Glühlampenwerk Narva herausgegriffen, in dem die Möglichkeiten und Resultate der Verbesserung der "Arbeits- und Lebensbedingungen" – so der terminus technicus in der DDR, wie er in der vorliegenden Studie auch durchgängig verwendet wird – besonders beleuchtet werden. Das Erdölverarbeitungswerk Schwedt dient drittens als Exempel, um an Hand eines besonders geförderten Betriebes die Realität des Planungsprozesses darzustellen. Viertens werden am Beispiel des Halbleiterwerkes Frankfurt an der Oder die Konsequenzen der Kombinatsbildung aufgezeigt. Und schließlich wählt Madarász das Chemiefaserwerk Premnitz und zeigt an diesem Beispiel die Möglichkeiten und Grenzen der Kooperation zwischen dem Betrieb auf der einen Seite und den regionalen staatlichen sowie Parteiinstanzen auf der anderen Seite. In einem siebten Kapitel werden anknüpfend an die Fallstudien übergreifend Konflikte und Lösungen diskutiert, die sich für die Beschäftigten in den Betrieben im Arbeitsalltag ergaben. Abschließend fasst sie die Ergebnisse zusammen.
Die Studie bezieht in breitem Maße die vorliegende Literatur ein und basiert auf eigenen Recherchen in den Hinterlassenschaften der zentralen als auch regionalen staatlichen und Parteiinstanzen sowie in den Unterlagen der herangezogenen Betriebe. Entsprechend der Quellenlage konzentrieren sich die Fallbeispiele vor allem auf die vertikalen Beziehungen zwischen den verschiedenen staatlichen und Parteiinstanzen sowie den Betrieben, wobei auf deren Seite die Werkleiter im Mittelpunkt stehen und die Beschäftigten deutlich weniger in den Blick kommen. Das geschieht erst im letzten Kapitel. Die verschiedenen Schwierigkeiten der Betriebe in der DDR-Planwirtschaft wurden in vielen Studien bereits herausgearbeitet. Hier werden sie zum Teil mit neuen Beispielen belegt und zu einem Bild verdichtet, das zwar im einzelnen wenig Neues bietet, aber in der Gesamtschau der Bestätigung der These von der Normalisierung dienen soll.
Beispielsweise beruhte die Stabilisierung der 1960er-Jahre danach zu einem großen Teil auf dem Finden gemeinsamer Interessen und der Etablierung eines begrenzten Dialogs zwischen den zentralen Instanzen und den Betrieben (S. 21). Abgesehen von der Frage, ob das nicht schon für die 1950er-Jahre zutreffend ist, kann man das so sehen, aber andererseits wurde in dieser Zeit die Wirtschaftsreform von "oben" mit vielfältigen Änderungen in den Spielregeln des Wirtschaftens vorangetrieben, was auch mit mannigfachen Interessenwidersprüchen zwischen den verschiedenen Ebenen der Lenkungshierarchie bis teilweise hin zu den Beschäftigten in den Betrieben verbunden war, womit sich die These wieder in Frage stellen lässt. So können ebenfalls andere Thesen in Zweifel gezogen werden, was auch der Ambivalenz vieler dieser Prozesse zugeschrieben werden muss. Zweifelsohne wurde die DDR und ihre Wirtschaft in 1960er-Jahren stabilisiert und ab den 1970er-Jahren lassen sich im Prozess der Wirtschaftens sowohl von "oben" als auch von "unten" Momente von Routine ausmachen, was ebenso mit einer Internalisierung von Normen einhergeht. Soweit ist den Grundthesen zu folgen, aber es stellt sich die Frage, ob diese Prozesse in der DDR sinnvollerweise unter dem Label Normalisierung zusammenzufassen sind. Ohne auf die zeitgenössische Verwendung dieses Begriffes eingehen zu können, impliziert das, dass die verschiedenen Improvisationen in den Betrieben oder die Formen der Mangelbewältigung durch die Bevölkerung, um nur zwei Beispiele herauszugreifen, zur Normalität erklärt werden. Die Menschen hatten zwar gelernt, damit umzugehen, aber empfanden sie diese Praktiken deshalb als normal? Wohl kaum, noch dazu wenn man sich vor Augen hält, in welch hohem Maße sowohl bei den Verantwortlichen als auch in der Bevölkerung die Bundesrepublik bzw. das von ihr in den elektronischen Westmedien vermittelte Bild als das Referenzmodell galt. Schon aus diesem Grund erscheint der Begriff der Normalisierung für die gemeinten Prozesse nicht glücklich gewählt und lädt zu vielfältigen Missverständnissen ein, die auch mit den vielen Konnotationen dieses Terminus zusammenhängen.
Alles in allem hinterlässt der Band einen ambivalenten Eindruck: Er präsentiert mit den Fallbeispielen neues historisches Material, das auch für weitere Studien herangezogen werden kann. Aber die Vorannahmen belegt es nur teilweise. Gleichwohl bleibt ein Verdienst von Madarász, eine solche unternehmenszentrierte Sicht auf die DDR-Planwirtschaft den angelsächsischen Lesern nahe zu bringen.