Ammianus Marcellinus beschreibt im ersten Kapitel seines 29. Buches, wie hochangesehenen Würdenträgern vor Kaiser Valens der Prozess wegen Hochverrats gemacht wurde. Nachdem die Angeklagten aussagten, in privatem Rahmen den Namen des nächsten Kaisers ausgependelt zu haben, wurden ihre Leben auf grausame Weise beendet. Dass es sich bei den verdächtigen Personen auch noch um ehemalige Gefolgsleute des verstorbenen Kaisers Julian gehandelt haben soll, gab den Prozessen obendrein eine besondere Note. Ausgehend von diesen und anderen Vorfällen untersucht Almuth Lotz in ihrer 2003 angenommenen Bonner Dissertation die juristischen und gesellschaftlichen Hintergründe, die Vorwürfe der Magie und Wahrsagung prozessfähig machten. Schnell wird deutlich, dass hier ein mehrschichtiges Phänomen vorliegt: persönliche und gesellschaftliche Konflikte werden über den Magievorwurf ausgehandelt; all das fasst Lotz unter den Begriff "Magiekonflikt" zusammen. Hierbei fragt sie nach den Gruppierungen, die an derartigen Konflikten beteiligt waren, nach dem gesellschaftlichen Klima, in dem Magiekonflikte entstehen konnten und ob diese gesellschaftliche Veränderungen nach sich zogen. Zeitlich ist diese Studie auf das 4. bis 7. Jahrhundert und räumlich die östliche Mittelmeerregion begrenzt.
Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist die Untersuchung von Marie Theres Fögen zum Wissensmonopol spätantiker Kaiser.1 Während Fögens Werk andernorts als "ausgezeichnete […] Darstellung" 2 gewürdigt wurde, wirft ihr Lotz methodische Mängel, "fehlende Trennschärfe" (S. 90) sowie Desinteresse an der Quelleninterpretation scheinbar unstrittiger Rechtsquellen vor, was zu einer verkürzten Sichtweise führe. Die soziale Realität würde hierbei zu wenig beachtet und müsste mehr in die Interpretation der Rechtsquellen einfließen, ein Desiderat, das Lotz zu beheben gedenkt. Daher will sie durch "erneute Besprechung der rechtlichen Grundlagen und staatlichen Legitimationsstrategien […] die von M. Th. Fögen […] vorgebrachte Rechtskritik, die bisher allgemein akzeptierte Sichtweisen hinterfragt, zur Diskussion stellen. Die These, das Rechtssystem habe bis zur Spätantike in Bezug auf Magie nichts zur Schaffung eines Normbewusstseins beigetragen, muss im Folgenden kritisch geprüft werden" (S. 68). Und so liest sich Lotz' Dissertation über weite Teile als Widerlegungsversuch, ohne sich jedoch ganz aus den Spurrillen Fögens befreien zu können. Dafür dass Fögen anfangs so massiv kritisiert wird, zieht Lotz sie doch sehr häufig zur Beweisführung heran, Begriffe und Definitionen werden übernommen oder gar seitenweise wortwörtlich zitiert.
Lotz teilt ihre Untersuchung in drei Teile. Zuallererst bespricht sie Quellen und Forschungsstand. Darauf aufbauend wird das Magiedelikt im römischen Recht untersucht, um abschließend dem Magiekonflikt im gesellschaftlichen Alltag der Spätantike auf den Grund zu gehen. Der Überblick über die Quellen erfolgt routiniert, beschreibt die Funktionsweise magischer Texte und verdeutlicht den Bedeutungswandel des Begriffes magos/magus. Im Anschluss daran erfolgt eine Darstellung der Forschungsdiskussionen zum Thema Magie in der römischen Antike sowie zum Problem einer Differenzierung zwischen antiker Religion und antiker Magie. Dieser Forschungsüberblick muss als äußerst gelungen bezeichnet werden. Gut nachvollziehbar und geradezu vollständig werden die wichtigsten Schlaglichter und Tendenzen dieser Diskussion vom 19. Jahrhundert bis in die neuere Gegenwart vorgestellt. Hiervon ausgehend übernimmt Lotz "eine streng gesellschaftliche Erklärung der Magie" (S. 47) und definiert Magie als funktionale Abgrenzungsvokabel einer (religiösen) Gemeinschaft.
Ausgehend von den ältesten Nachweisen von Magie im römischen Recht, untersucht Lotz das im Zwölftafelgesetz festgeschriebene Verbot, Regen von fremden Äckern "herbeizusingen". Wie Lotz ausführt, ist die Motivation, ein derartiges Delikt anzuzeigen, offener Neid und Misstrauen, das sich in erster Linie gegenüber Fremden artikuliert. Ebenso verhält es sich mit der Lex Cornelia de sicariis et venificis aus dem Jahr 81 v.Chr., das, in der Kaiserzeit durch mehrere senatus consulta ergänzt, die Grundlage für alle weiteren Magiegesetze darstellt. Diese Lex Cornelia erkannte Schadenszauber als Todesursache an und definierte diesen als Kapitalverbrechen. Im Folgenden konstatiert Lotz, dass Magieausübung, Giftmischerei und Astrologie begrifflich in einen immer engeren Zusammenhang gerückt wurden. Der Magier und der Wahrsager wurden im Sprachgebrauch zu obskuren Gestalten, die vor allem nachts unheimliche Rituale und Menschenopfer vollführten. Und so verschwimmt auch bei Lotz zusehends die begriffliche Differenzierung zwischen Magie und privater Mantik.3 Ist anfangs von Schadenszaubern die Rede, so konzentriert sich Lotz auf die von den Kaisern bekämpfte (weil unkontrollierbare) Mantik in privatem Rahmen.4
In der frühen und mittleren Kaiserzeit wurde private Wahrsagung in erster Linie in Hochverratsprozessen thematisiert: Sobald der Kaiser oder ein kaiserliches Familienmitglied Fokus von Wahrsagung wurde, folgte eine Anklage wegen Hochverrats (crimen laesae maiestatis). Ebenso wurde ein Sklave, der das Todesdatum seines Herrn ermitteln wollte, ans Kreuz geschlagen. Als Folge wurde die Vertreibung von Wahrsagern "zu einer festen Größe römischer Politik" (S. 79). Astrologie galt somit zusehends als Revoltepotenzial. Diokletian erließ dann als erster Kaiser im Jahr 294 ein reichsweites Berufsverbot für Astrologen, wobei aufgrund schlechter Differenzierbarkeit zugleich die Astronomie, eine ehemals angesehene Wissenschaft, verboten wurde. Die Strafverfolgung erfolgte aufgrund einer Anklage wegen veneficium, was das staatliche Handeln leichter machte. Kaiser Valens steigerte dann diese Gesetzgebung, indem er sowohl dem Astrologen als auch dessen Kunden mit der Todesstrafe drohte. Lotz betont, dass mit der Konsultation der Sterne Mächte befragt würden, über die der Kaiser keine Kontrollgewalt hatte. Mittels Sprache und "rigorosem Moralismus" (S. 121) würde derartige Mantik durch Valens diskreditiert; Lotz analysiert daraus, dass Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit weit auseinander klafften, während auf der anderen Seite der pagane Beamtenapparat nicht durchführungswillig war.
Im Weiteren führt Lotz den Wandel in der Semantik der Gesetzestexte aus. Für Magier wurden zusehends juristisch vorher ungebräuchliche Begriffe wie peregrini naturae, inimici humani generis und hostes communis salutis in die Gesetzestexte eingeführt. Unter christlichen Kaisern wurden eben diese Vokabeln auch für Heiden, Manichäer und Häretiker gebraucht. Dies trifft sowohl für juristische als auch für kirchliche Quellen zu. Der Magievorwurf wurde somit auch ein Kampfbegriff gegen Andersgläubige und war darin auch noch konfessionell flexibel: "Der Magier ist in diesem Spiel der Antagonismen die Negativschablone". (S. 160) Dies fällt vor allem in höheren Gesellschaftsschichten auf, in denen der Magievorwurf sich gegen andersgläubige Konkurrenten richtete und die sofortige Assoziierung mit Majestätsverbrechen ermöglichte. Magie wurde mit der Zeit zu den fünf schweren crimina mit Todesstrafe gezählt, bei denen es keine Berufung geben durfte. Einher ging eine Vermögenskonfiskation, und seit Constantius durften auch Höhergestellte aufgrund eines Magievorwurfs gefoltert werden. So bestätigt Lotz die Sicht Fögens, dass Magieprozesse zuvorderst als Hochverratsprozesse und Mittel politischer Kommunikation zu verstehen sind. Mit dem semantischen Wandel konnte der Magier für Christen und Heiden gleichermaßen als Feindbild und Abgrenzungsvokabel fungieren. Zugleich wendet sich Lotz gegen eine Verallgemeinerung dieser Sicht: Fögens Grundthese hätte sich mit genau dieser gesellschaftlichen Begrenzung erschöpft.
Im letzten Teil ihrer Studie richtet Lotz ihren Fokus auf Magievorwürfe in ländlichen Regionen des Reiches, bei denen keine politischen Interessen der Kaiser tangiert wurden. Hierbei macht sie die Beobachtung, dass trotz häufiger Thematisierung von Magie diese in den seltensten Fällen zu einer Anklage führte. Da der Gerichtsort nur am Sitz des Statthalters war, bedeutete das Einreichen einer Anklage eine beschwerliche Reise mit erheblichem finanziellem Aufwand, der zudem durch die Bestechlichkeit der Richter noch wachsen konnte. Darüber hinaus führte allein die beinahe unmögliche Nachweisbarkeit magischer Praktiken, wie Lotz am Beispiel des Rhetors Libanius zeigt, dazu, dass von einer Anklage bereits im vorhinein abgesehen wurde. Dies sieht Lotz als zwei Hauptgründe an, weshalb in Magiekonflikten auf dem Land immer öfter ein außerstaatliches Schiedsgericht angerufen wurde. Männer mit kaum juristischer Ausbildung wie Bischöfe, Mönche und "Heilige" gewannen nun als Schiedsrichter an Einfluss. Da der des Magievorwurfs Schuldige nicht mehr mit staatlichen Sanktionen belegt werden konnte, akzeptierte er eher die kirchlich auferlegten Bußen, die ihn nicht nur von "Dämoneneinfluss" reinigen sollten, sondern ihn damit auch wieder "gesellschaftsfähig" machten. Neben dieser gewaltfreien Austragung des Gewaltkonfliktes konnten die christlichen Schiedsrichter darüber hinaus Sündenlehre und die Bußpraxis besser in der Bevölkerung verankern. Lotz sieht daher in der Form des christlichen Schiedsgerichts eine gesellschaftlich höhere Integrationsfunktion als es ein staatliches Gericht jemals hätte erreichen können.
Insgesamt ist es Lotz gelungen, in einer umfangreichen Darstellung mittels unterschiedlichster Quellen und einem unübersehbaren Fundus an Forschungsliteratur einen guten Überblick über die rechtlichen Entwicklungen des Magievorwurfs, der in gewissen Fällen zu einem "Magiekonflikt" führen konnte, zu geben. Der letzte Teil ihrer Arbeit, mit der Betonung auf außerstaatliche Konfliktlösung, gibt den vorherigen eine interessante Pointe, auch wenn ihm nicht gleichermaßen Platz eingeräumt wurde. Auf jeden Fall ist das Buch für weitere Forschungen anregend zu lesen, so dass man bei den vielen von Lotz behandelten Einzelthemen ein Register äußerst schmerzlich vermisst.
Anmerkungen:
1 Fögen, Marie Theres, Die Enteignung der Wahrsager. Studien zum kaiserlichen Wissensmonopol in der Spätantike, Frankfurt am Main 1993.
2 Gross-Albenhausen, Kirsten, Rez. zu Fögen, Die Enteignung der Wahrsager, in: Klio 77 (1995), S. 537; ähnlich: Beyer, Jeorijos Martin, Big Brother Is Watching You. Marie Theres Fögen untersucht die spätantike Wissenskontrolle, in: AW 26 (1995), S. 82-84.
3 Bezeichnenderweise ist genau dies auch einer ihrer Kritikpunkte an Fögen: "Fögen versäumt es in ihrer Untersuchung, zwischen den gesetzgeberischen Maßnahmen zur Magie einerseits und zur Divination und Wahrsagung andererseits hinreichend zu differenzieren" (S. 89).
4 Zusammenfassend über den Widerstreit zwischen offizieller und privater Mantik in der Spätantike auch bei Scheer, Tanja S., Das antike Orakelwesen zwischen heidnischer Kaiserzeit und christlicher Spätantike, in: Brodersen, Kai (Hg.), Prognosis. Studien zur Funktion von Zukunftsvorhersagen in Literatur und Geschichte seit der Antike, Münster 2001, S. 73-95.