G. Metzler: Einführung in das Studium der Zeitgeschichte

Cover
Titel
Einführung in das Studium der Zeitgeschichte.


Autor(en)
Metzler, Gabriele
Reihe
UTB M 2433
Erschienen
Paderborn 2004: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
346 S., 87 Abb.
Preis
€ 17,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan-Holger Kirsch, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, Redaktion Zeitgeschichte-online

Können wir überhaupt, dürfen wir vielleicht oder sollen wir gar Zeitgeschichte treiben?“, fragte der Historiker Konrad Barthel 1954. Er bejahte alle drei Teilfragen und forderte, die Geschichtswissenschaft dürfe die jüngste Vergangenheit nicht einem „bedenkenlosen Tagesjournalismus“ überlassen.1 50 Jahre später ist die Zeitgeschichtsforschung in Deutschland nicht nur eine ausdifferenzierte Fachdisziplin, sondern „hat sich mittlerweile zu dem in der Öffentlichkeit am stärksten beachteten Zweig der Geisteswissenschaften entwickelt“.2 Gleichwohl – oder gerade deshalb – muss regelmäßig neu bestimmt werden, worin die Spezifika, Themenfelder und Aufgaben der Zeitgeschichte als Wissenschaftsdisziplin bestehen. Das Institut für Zeitgeschichte hat dies unlängst mit einer „Einführung in die Zeitgeschichte“ versucht3, und die Tübinger Historikerin Gabriele Metzler hat nun eine ebenfalls handbuchartige „Einführung in das Studium der Zeitgeschichte“ publiziert.

Das hier vorzustellende Werk ersetzt ein Buch gleichen Titels, das 1994 im selben Verlag erschienen war.4 Metzler will ihr Kompendium als „Gebrauchsanweisung“ und als „Werbung für ein spannendes Fach“ verstanden wissen (S. 5). Das Buch richtet sich primär an Studienanfänger, ist aber auch für fortgeschrittene Studenten und Wissenschaftler ausgesprochen nützlich. Es ist in vier Hauptteile gegliedert: „Was ist und wie studiert man Zeitgeschichte?“ (S. 11-94), „Themen der Zeitgeschichte“ (S. 95-250), „Hinweise für die Praxis zeithistorischer Studien und Forschung“ (S. 251-304) sowie „Zeitgeschichte als Beruf“ (S. 305-335).

Im ersten Kapitel widmet sich Metzler Definitions- und Periodisierungsfragen, um die Besonderheiten der Zeitgeschichte im Spannungsfeld von Erleben, Erinnern und Geschichtswissenschaft, aber auch in ihrem Verhältnis zu Nachbarwissenschaften und zur Politik herauszuarbeiten. Sie macht überzeugend deutlich, dass die inhaltliche Bestimmung des Begriffs „Zeitgeschichte“ selbst dem (zeit)historischen Wandel unterliegt. So haben die gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen der Globalisierung das Fach in den vergangenen Jahren deutlich verändert – Zeitgeschichte ist heute, allen Beharrungstendenzen zum Trotz, meist mehr oder anderes als nur deutsche Geschichte. Bedauerlich ist, dass Metzler auf zeithistorische Quellen lediglich in einem knappen Unterkapitel eingeht (S. 48-62). Zwar gibt sie dort wie im gesamten Buch hilfreiche Literaturhinweise, doch sind ihre eigenen Erläuterungen stellenweise banal. So heißt es etwa lapidar, Zeitzeugenberichte müssten „kritisch überprüft werden“ (S. 55). Dies ist umso erstaunlicher, als bereits Bodo Scheurig der Quellenproblematik in seinem kleinen Einführungsbändchen von 1962 mehr Raum gab.5

Das zweite und ausführlichste Kapitel gibt einen „Überblick über die großen Entwicklungslinien der Zeit nach 1945“ (S. 95). Anstelle eines chronologischen Durchgangs hat sich Metzler für thematische Skizzen entschieden – unter anderem zu Demografie, Ökonomie, Alltagskultur, Umgang mit der NS-Vergangenheit und Ost-West-Konflikt. Die Auswahl mag etwas arbiträr sein (so wäre beispielsweise auch ein Abschnitt zur Geschichte des Militärs in der Gesellschaft oder zum Umgang mit „Fremden“ lohnend gewesen), doch werden interessante Schlaglichter auf zentrale Forschungsfelder geworfen. Wie bereits im ersten Kapitel betont Metzler, dass es zur Erklärung von Problemkonstellationen der Zeit nach 1945 erforderlich sei, „größere historische Zeitabschnitte in den Blick [zu] nehmen“ (S. 151). Ein gewisses Manko ist in diesem Teil, dass die ausgewählten Themen referiert werden, wichtige Forschungskontroversen aber kaum aufscheinen.

Das dritte Kapitel hat Servicecharakter: Dort findet sich eine ausführliche, teilweise kommentierte Bibliografie von Einführungen und Überblicksdarstellungen, Lexika und Handbüchern, Quellensammlungen, Internetadressen etc. Die Informationen sind aktuell (Stand Mai 2004) und keineswegs nur für Studienanfänger ergiebig. Kleine Mängel wären bei einer Neuauflage rasch zu beseitigen – so sollten mehr zeithistorisch bedeutsame Fachjournale aufgenommen werden (Dachauer Hefte, Fotogeschichte, Holocaust and Genocide Studies, Rundfunk und Geschichte, Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte u.a.; vgl. S. 265-268).

Im vierten und abschließenden Hauptteil „Zeitgeschichte als Beruf“ (der im Vorgängerwerk von 1994 fehlte), fragt Metzler, was Zeithistoriker können und wo sie arbeiten. Deutlich wird insbesondere, dass das Fachstudium allein zu keinem Berufseinstieg außerhalb der Wissenschaft führt; Zusatzqualifikationen und frühzeitige Praktika sind unabdingbar. Wer sich darauf einlässt, hat durchaus vielfältige Berufsperspektiven, denn bestimmte Kompetenzen von Zeithistorikern wie Analyse- und Organisationsfähigkeit sind auch in fachfremden Bereichen gefragt. Gern würde man noch etwas genauer erfahren, ob und wie sich die beruflichen Aussichten graduierter oder promovierter Zeithistoriker von denen der Geschichtswissenschaftler insgesamt unterscheiden. Darüber hinaus wäre zu reflektieren, wie sich die Arbeitsweisen universitärer und außeruniversitärer Zeithistoriker infolge der verstärkten Medialisierung von Geschichte geändert haben bzw. noch ändern werden.

Ein vielleicht nicht gravierender, konzeptionell aber bedenkenswerter Mangel des Buchs ist darin zu sehen, dass die Bedeutung visueller und audiovisueller Medien für die Zeitgeschichte6 insgesamt zu wenig berücksichtigt wird. Immerhin enthält der Band 87 Abbildungen – bezeichnend ist indes, dass sie meist nur illustrativ oder zur Auflockerung des Textes eingesetzt werden, statt sie zum Ausgangspunkt für inhaltliche und methodische Fragen zu machen. Zwar wird die „Notwendigkeit einer eigenen Methodik der historischen Medienanalyse“ inzwischen allenthalben betont7, doch müsste diese Erkenntnis gerade in Handbücher und Synthesen zur Zeitgeschichte noch stärker eingehen. Dessen ungeachtet ist Metzlers Einführung grundsolide gearbeitet, mit beinahe zu ausladenden Literaturangaben versehen und durchweg gut lesbar. Der Zugang ist nicht so konsequent international wie etwa in Lutz Raphaels historiografiegeschichtlich orientiertem Standardwerk8, doch lässt Metzler keinen Zweifel daran, dass sie unter „Zeitgeschichte“ mehr versteht als deutsche Zeitgeschichte oder Zeitgeschichte in Deutschland.

Anmerkungen:
1 Barthel, Konrad, Das Problem der Zeitgeschichte, in: Die Sammlung 9 (1954), S. 487-501, hier S. 487, S. 498.
2 Herbert, Ulrich, Nach den Katastrophen. Entwicklungsstand und Perspektiven der deutschen Zeitgeschichtsforschung. Vortrag zur Feier des 75. Gründungstags des Westfälischen Instituts für Regionalgeschichte in Münster am 18. März 2004, online unter URL: <http://www.lwl.org/LWL/Kultur/WIR/aktuelles/1096532755/index2_html>.
3 Möller, Horst; Wengst, Udo (Hgg.), Einführung in die Zeitgeschichte, München 2003. Siehe dazu die Rezensionen von Thomas Angerer (<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-4-001>) und Steininger, Rolf, Kleine Mogelpackung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.7.2003, S. 7.
4 Peter, Matthias; Schröder, Hans-Jürgen, Einführung in das Studium der Zeitgeschichte, Paderborn 1994. Ein Vergleich der beiden Bände würden interessante Schwerpunktverlagerungen signalisieren, ist hier aber nicht möglich.
5 Scheurig, Bodo, Einführung in die Zeitgeschichte, Berlin 1962, S. 32-75: „Quellen der Zeitgeschichte“, u.a. S. 38-49: „Der Zeuge“.
6 Dazu programmatisch: Thomas Lindenberger, Vergangenes Hören und Sehen. Zeitgeschichte und ihre Herausforderung durch die audiovisuellen Medien, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 1 (2004), S. 72-85, online unter URL: <http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Lindenberger-1-2004>.
7 So etwa Herbert (wie Anm. 2).
8 Raphael, Lutz, Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme. Theorien, Methoden, Tendenzen von 1900 bis zur Gegenwart, München 2003 (rezensiert von Reinhard Mehring: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-2-198>).

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