Titel und Untertitel des Sammelbandes sowie die Einleitung der beiden Herausgeber formulieren ein anspruchsvolles Programm. Denn hier sollen ausdrücklich nicht nur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte geboten, sondern im Anschluss an aktuelle Forschungsrichtungen auch zeitgenössische Legitimationsstrategien in Genealogie, Chronistik und Memoria sowie Symbole und Rituale untersucht werden. Der Untersuchungsraum erstreckt sich über das Gebiet zwischen Harz, Thüringer Wald, Erzgebirge und Elbe – jene Region, die seit dem Spätmittelalter unter Vorherrschaft der Wettiner stand. Die zwölf recht unterschiedlich lang ausgefallenen Aufsätze des Bandes beschäftigen sich sowohl mit der führenden Fürstendynastie der Wettiner, als auch mit dem übrigen Hochadel. Damit sind neben den gefürsteten Grafen von Anhalt und Henneberg weitere zwölf Grafen- und Herren-Dynastien angesprochen (Stand der Reichsmatrikel von 1521), die sich wiederum in eine noch wesentlich größere Zahl von Linien und Herrschaftsschwerpunkten auffächerten. Schließlich werden mit dem Erzstift Magdeburg auch die Bistümer des mitteldeutschen Raumes in die Betrachtung einbezogen.
Eine übergreifende konzeptionelle Bedeutung hat der eigenartigerweise an drittletzter Stelle eingeordnete Beitrag von Dieter Stievermann, in dem dieser die Stellung der Wettiner gegenüber den Grafen und Herren im mitteldeutschen Raum begrifflich als Hegemonie ausdeutet, während für die mindermächtigen Dynasten bis ins 16. Jahrhundert „komplexe Zwitter- bzw. Doppelstellungen“ bezeichnend waren: Einmal erschienen sie im Gefolge der Wettiner, das andere Mal wurden sie persönlich zu Reichstagen geladen und zu Reichshilfen veranlagt. Schließlich wurde, so Stievermann, die „archaisch-traditionelle“ hegemoniale Stellung der Wettiner im Rahmen der Kreisverfassung gefestigt und „rational institutionalisiert“.
Von einer hegemonialen Vorherrschaft der Wettiner geht auch Ernst Schubert in seinem aspekt- und materialreichen Beitrag zu den sogenannten Harzgrafen aus. Das Gemeinschaftsbewusstsein dieser Gruppe von Dynasten gründete zunächst wesentlich auf Verwandtschaft, hatte aber um 1500 viel an konfliktvermeidender Kraft eingebüßt, wie Schubert feststellt. Seit den 1470er Jahren verstärkte sich zudem der wettinische Druck, der über hergebrachte Vasallitätsverhältnisse und die lokale Einbindung in einen regionalen Landfriedensraum hinausging, so zum Beispiel mit der fürstlichen Durchsetzung des Bergregals und dem Anspruch auf dauernde eigene Truppenhaltung in den Grafschaften. Dennoch erreichten die Harzgrafen unter wettinischer Hegemonie schließlich doch noch ein relatives Maximum an Bewegungsfreiheit, weshalb der Raum vor dem Harz Schubert zufolge als Brückenlandschaft bezeichnet werden kann. Schubert weist zu Recht auf die neuen Chancen und Spielräume hin, die die Umwandlung des Reiches in eine Leistungsgemeinschaft um 1500 den Grafen und Herren bot. Neben den Beziehungen der Harzgrafen untereinander untersucht er weiterhin ihr Verhältnis zur Kirche (insbesondere die Versorgung der Familienmitglieder), Formen der höfischen Repräsentation, wirtschaftliche Aktivitäten (Bergwerke, Schuldenverwaltung) sowie – nur allererste – Ansätze zu einer Institutionalisierung und Entpersonalisierung adliger Herrschaft.
Ein ähnlich umfassendes Programm präsentieren Werner Freitag (Askanier in Anhalt), Johannes Mötsch (Henneberger) und auch Jochen Vötsch (Mansfelder). Überanstrengung und Auszehrung der Substanz zeigen sich bei den Mansfeldern und auch bei den gefürsteten Hennebergern, die ihrem vorgetragenen Anspruch auf Fürstengleichheit real kaum zu genügen vermochten. Besonders Freitag hebt mentale und ideologische Dimensionen, das heißt die Strategien und Bewusstseinsformen familiären Zusammenhalts in Teilungen, Tauschverträgen und Leibgedingen, in Selbstzeugnissen, Grablege und Memoria-Pflege sowie bei der Schaffung einer ersten Genealogie der Anhalter Askanier von 1519 hervor. Das Verhältnis zum König/Kaiser wurde von diesen, seit 1215 den Fürstentitel führend, hoch gehalten. Auch wenn herkömmliche Marksteine des herrschaftlichen Verdichtungsprozesses wie Ämterbildung, Behördenaufbau, Rat etc. fehlen, erkennt Freitag im Schlossbau, in landesherrlichen Ordnungen und innerdynastischen Verträgen am Ende des 15. Jahrhunderts ein „neues Herrschaftsbewußtsein“, das freilich in dieser Form, so ist hinzuzufügen, anderswo durchaus auch bei „einfachen“ Grafendynastien zu beobachten ist.
Dass zuweilen individuelle Konstellationen dafür verantwortlich waren, wie weit schriftliche Verwaltungspraktiken um 1500 getrieben werden konnten, zeigt der Beitrag von Manfred Kobuch anhand der Burggrafen von Leisnig. Abgesehen von ihrem Quellenwert für den modernen Forscher bleibt es allerdings fraglich, ob die Burggrafen auch einen konkreten Nutzen zogen aus jenen zahlreichen Amtsbüchern, die ein aus dem Fränkischen stammender Kanzler damals für sie anlegte.
Die Untersuchung von André Thieme zu den verschiedenen Linien der Vögte von Plauen kreist vor allem um die Frage, ob diese die volle „Landesherrschaft“ (Gerichtsherrschaft, Zoll, Gesetzgebung u.a.) ausübten. Thieme kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass die Vögte von Gera, Weida etc. im Rahmen des wettinischen Hegemonialraumes rechtlich besser dastanden als die unter böhmischer Vorherrschaft stehenden Vögte zu Plauen, obwohl gerade diese es waren, die als nominelle Burggrafen von Meißen Reichsfürsten waren. Ausgehend von einem vorgefassten rechtsgeschichtlichen Begriff der Landesherrschaft bzw. Reichsunmittelbarkeit lässt Thieme aber außer Acht, dass Doppelstellungen (hier: zwischen Sachsen und Böhmen) für einen Dynasten prinzipiell von Vorteil waren, solange er nicht wie in diesem Fall politisch „zwischen die Mühlsteine“ geriet. Die burggräfliche Linie der Vögte verlor ihre Plauener Herrschaft zu früh an die Wettiner, als dass noch in der Zeit neuer reichsgeschichtlicher Dynamik um 1500 die Chancen dieser Herrschaft hätten ausgelotet werden können.
Im Vergleich zu den Studien über die (gefürsteten) Grafen- und Herrendynastien, die vielseitiges Anschauungsmaterial zutage bringen, das zumeist noch nie unter modernen Gesichtspunkten aufbereitet wurde, sind einige der Beiträge zur ludowingischen bzw. wettinischen Herrschaftspraxis thematisch enger angelegt. Das gilt freilich nicht für den materialreichen Aufsatz von Uwe Schirmer, der sich mit der Besetzung der neuen zentralen Institutionen wie Hofrat, Finanzbehörden und Oberhofgericht durch die wettinischen Funktionseliten um 1500 befasst. Bei diesen Eliten (Schirmer identifiziert 65 Personen im ernestinischen und albertinischen Landesteil zwischen 1485 und 1513) handelte es sich im Wesentlichen um Angehörige des schriftsässigen Niederadels, einer seit der Mitte des 15. Jahrhunderts systematisch abgegrenzten Oberschicht des wettinischen Landesadels. Der nichtfürstliche Hochadel aus dem wettinischen Hegemonialraum erschien dagegen nur zu zeremoniellen Gelegenheiten bei Hofe und übernahm dort bezeichnenderweise kaum feste Dienst-Funktionen. Nichtadlige Promovierte bzw. bürgerliche Finanzfachleute spielten nur eine untergeordnete Rolle. – Zeitlich parallel zu dieser neuartigen Institutionalisierung der Verwaltung kann Matthias Müller eine forcierte Herrschaftsdarstellung in der Architektur herausarbeiten. Im Mittelpunkt stehen hierbei zwei prominente, allerdings auch schon vielfach untersuchte Beispiele, die wettinischen Schlossbauten in Meißen und Torgau. – Enger begrenzte Ereigniskomplexe behandeln schließlich noch Helge Wittmann mit der Gründung der Grangie Veßra an der Unstrut als Mittel der Machtpolitik des Ludowinger Landgrafen Hermanns I. von Thüringen im frühen 13. Jahrhundert und Stefan Tebruck mit der Untersuchung der schrittweisen Gewinnung der Thüringer Grafen und Herren sowie der Ministerialität durch Heinrich den Erlauchten bei dessen Herrschaftsantritt in Thüringen seit 1247, einer Schlüsselsituation der mitteldeutschen Geschichte.
Da im Mittelalter auch die Bistümer wesentlich durch adlige Herrschaft gekennzeichnet waren, geht Michael Scholz für das Magdeburger Erzbistum anhand der Geschichte der regionalen Machtpolitik wie auch der Besetzung der Bischofsstellen, weiterer Funktionsstellen und des Domkapitels der Frage nach, welchen Anteil Fürsten, Grafen und Herren bzw. der Niederadel hieran gewonnen haben. Wichtigstes Ergebnis ist, dass das Erzbistum keine einheitliche Adelslandschaft darstellte, sondern die Stiftsstellen vielfach durch Angehörige des benachbarten nördlichen, vor allem des brandenburgischen Adels besetzt wurden. Dazu passt es, wenn schließlich auch die brandenburgischen Hohenzollern bestimmenden Einfluss auf das Erzstift gewannen.
Jörg Rogge schließt den Sammelband ab mit einer nützlichen Zusammenfassung und Ordnung des Ertrags der einzelnen Beiträge sowie mit Hinweisen auf Perspektiven künftiger Forschung von der Verwaltungs- und Finanzgeschichte über die Fehdepraxis und die Herrschaft im ländlichen Raum bis hin zur Analyse der politisch-sozialen Hierarchie unter Einschluss von Zeremonien, Ritualen und Gesten, was alles nicht ohne eine weitere Erschließung der Quellen möglich sein wird.
Ordnet man den Band in vergleichbare jüngere Sammelpublikationen über Themen adliger Kultur und Herrschaft ein, so steht er wohl etwa in der Mitte zwischen eher traditionellen, verfassungsgeschichtlichen Projekten einerseits, wie sie ein ebenfalls landschaftlich angelegter Sammelband von Erwin Riedenauer aus dem Jahr 1994 repräsentierte,1 und prononciert kultur- bzw. hofgeschichtlich angelegten Projekten andererseits, wie dem 2002 erschienenen, u.a. von Karl-Heinz Spieß herausgegebenen Band Principes: Fürstliche Dynastien und Höfe.2 Der Leitbegriff „adlige Herrschaft“ bleibt in dem hier rezensierten Buch wohl etwas zu sehr in der Schwebe (vgl. nur das Max-Weber-Zitat S. 9 und schließlich Rogges knappe Bemerkungen S. 493). Vielleicht hängt es damit zusammen, dass die Techniken der dynastisch-materiellen Herrschaftssicherung, wie sie Karl-Heinz Spieß für die Gruppe der mittelrheinisch-mainischen Dynasten insbesondere mit den Ehekontrakten untersucht hat,3 nur wenig oder gar nicht zur Sprache kommen. Ob es im mitteldeutschen Raum tatsächlich ein verbreitetes Konnubium der Grafen und Herren mit dem Niederadel gab, wie Rogge an einer Stelle etwas überraschend behauptet (S. 480), erscheint dem Rezensenten aufgrund eigener Erfahrungen kaum wahrscheinlich und auch aus den Beiträgen des Buches nicht belegbar. Der von mehreren Autoren verwandte Begriff der fürstlich-wettinischen Hegemonie erscheint allerdings überzeugend und Erfolg versprechend: das heißt ausreichend offen und zugleich präzise – und damit besser geeignet als der der Landesherrschaft in einem Raum, wo es bis ins 16. Jahrhundert hinein weder ein flächendeckendes Fürstentum noch ein mit dem Hegemonialraum zur Deckung zu bringendes traditionelles Herzogtum bzw. Land oder den Begriff davon gegeben hat. Schließlich ist die regionale Begrenzung des Bandes jedenfalls von Vorteil, weil so trotz zum Teil unterschiedlicher Methodik und Quellenbasis der einzelnen Beiträge insgesamt eine dichte Analyse der sozialen Erscheinungsformen gelingt und Möglichkeiten zum landschaftlichen Vergleich eröffnet werden.
Anmerkungen:
1 Riedenauer, Erwin (Hg.), Landeshoheit. Beiträge zur Entstehung, Ausformung und Typologie eines Verfassungselements des Römisch-Deutschen Reiches, München 1994.
2 Nolte, Cordula; Spieß, Karl-Heinz; Werlich, Ralf-Gunnar (Hgg.), Principes. Dynastien und Höfe im späten Mittelalter, Stuttgart 2002.
3 Spieß, Karl-Heinz, Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters, Stuttgart 1993.