Im Oktober 2014 eröffnete das Museum der Geschichte der polnischen Juden in Warschau. Rund 20 Jahre benötigte das ehrgeizige Projekt, ehe es nach politischen Entscheidungsprozessen, konzeptionellen Fragen und der Sicherung der Finanzierung umgesetzt werden konnte.1 Noch einmal zehn Jahre länger, von ersten Initiativen im Jahr 1971 bis zur Eröffnung der Dauerausstellung 2001, zog sich dieser Prozess für das Berliner Jüdische Museum hin. Es ist dessen „‚politische‘ Entstehungsgeschichte“ (S. 11), die der Münchener Historiker Daniel Bussenius in seiner Studie entlang der Chronologie der Ereignisse nachzeichnet. Maßgeblich auf Grundlage von Unterlagen der Berliner Kulturverwaltung, der ehemaligen Kultur- und Schulreferentin der Jüdischen Gemeinde, von Zeitungsartikeln, Zeitzeugeninterviews und autobiografischen Schriften rekonstruiert er auf der Ebene der Hauptprotagonisten aus Politik, Verwaltung, Städtischem Museum, Jüdischer Gemeinde und Presse die Kommunikation, inhaltlichen Positionen und vor allem die dabei zutage tretenden Differenzen. Schnell erkennt auch der mit der Materie nicht vertraute Leser, dass sich der Hauptkonflikt in erster Linie am ungeklärten Status des Jüdischen Museums innerhalb des Berlin Museums sowie der späteren Stiftung Stadtmuseum entzündete. Er knüpfte sich eng an die Frage nach der Stellung der Geschichte der Juden in der allgemeinen Berliner und deutschen Geschichte. Da sich Bussenius auf die Frage nach der Rolle des Museums während seiner Entstehung konzentriert (S. 11), thematisiert er kaum konkrete Ausstellungskonzeptionen.
Nach einem sehr knappen Überblick zur Geschichte jüdischer Museen im deutschen Raum nach 1945 wendet sich Bussenius dem Ausgangspunkt der Entstehungsgeschichte des Berliner Museums zu. Die Ausstellung „Leistung und Schicksal – 300 Jahre Jüdische Gemeinde zu Berlin“ im seinerzeit noch jungen Berlin Museum gab 1971 den Anlass zur Schaffung einer eigenen jüdischen Abteilung und 1975 zur Gründung der Gesellschaft für ein Jüdisches Museum Berlin e.V. Bereits hierin habe sich begrifflich die Statusambivalenz zwischen „Abteilung“ und „Museum“ offenbart, die die späteren Auseinandersetzungen dominierte. Nach dem Scheitern der Wiedererrichtung des Palais Ephraim 1980/81, in dem unter anderem die jüdische Abteilung untergebracht werden sollte, konnte diese schließlich 1984 provisorische Ausstellungsräume im Berlin Museum und 1986 zusätzlich Räume im Gropius-Bau beziehen. Letztere blieben allerdings wegen ihrer Nähe zum ehemaligen Gestapo-Gelände umstritten.
Die entscheidende Kontroverse brach, wie Bussenius überzeugend darstellt, im Zuge der Planungen des Erweiterungsbaus für das Berlin Museum in den 1980er Jahren auf: Hier trafen das auch in regierenden CDU-Kreisen präferierte Modell einer jüdischen Abteilung im Berlin Museum und die Forderung nach der Aufwertung des Jüdischen Museums als eines integralen Bestandteils desselben aufeinander. Dass sich die Jury im Realisierungswettbewerb 1989 für den deutlich auf den Holocaust Bezug nehmenden Gebäudeentwurf des Architekten Daniel Liebeskind aussprach, wertete den beanspruchten Stellenwert der jüdischen Geschichte im Museum zumindest nach außen hin nochmals deutlich sichtbar auf. Ausführlich betont Bussenius die Zäsur des Wiedervereinigungsprozesses, durch den die Neubaupläne vor allem aus finanziellen Gründen erneut in Frage gestellt wurden. Schließlich erfolgten 1992 die Grundsteinlegung und im Folgejahr die Einsetzung Amnon Barzels zum Direktor des Jüdischen Museums. Detailliert dargestellt ist der in den Folgejahren eskalierende Konflikt, der vor allem zwischen Barzel und Reiner Güntzer, dem Museumsreferenten der Senatsverwaltung und späteren Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum Berlin, ausgetragen wurde. Während Güntzer am Status des Jüdischen Museums als einer Hauptabteilung des Stadtmuseums festhielt und das integrative Konzept – die Verbindung von Berliner und jüdischer Geschichte – verteidigte, forderte Barzel eine weitreichende Autonomie bei der Ausstellungskonzeption und umfassende finanzielle Mittelzusagen. Auch seitens der Repräsentanz der Jüdischen Gemeinde unter Leitung von Jerzy Kanal und ab 1997 von Andreas Nachama verstärkte sich die Forderung nach einem autonomen Jüdischen Museum. Mit der Kündigung Barzels 1997, so Bussenius, habe der Konflikt, in dem immer auch die Frage nach der deutschen Verantwortung für den Holocaust im Raum stand, seinen Höhepunkt erreicht. Vor allem das Geschick des zum Interimsdirektor des Jüdischen Museums berufenen ehemaligen amerikanischen Finanzministers W. Michael Blumenthal wie auch das Interesse von Politik und Verwaltung, den Konflikt nicht erneut aufleben zu lassen, führte 1998 schließlich zur Herauslösung des Jüdischen Museums aus der Stiftung Stadtmuseum Berlin und 2001 zu seiner Überführung in eine Bundesstiftung. Mit der Eröffnung des dem nunmehr selbständigen Jüdischen Museum zusammen mit dem Kollegienhaus überlassenen Liebeskind-Baus 1999 und der Dauerausstellung 2001 fand der Gründungsprozess seinen Abschluss. Das Museum präsentiere dabei nach Blumenthal nicht jüdische, sondern deutsche und damit auch europäische Geschichte (S. 182), weshalb der Name Jüdisches Museum schließlich durch den Untertitel „Zweitausend Jahre deutsch-jüdische Geschichte“ ergänzt wurde.
Insgesamt gelingt es Bussenius, die Positionen und Differenzen der zentralen, durch ein Personenregister erschlossenen Akteure und ihrer Netzwerke detailliert herauszuarbeiten. Er verortet die konflikthafte Entstehungsgeschichte des Museums dabei zu Recht immer wieder im Kontext von Entwicklungen der Berliner und deutschen Erinnerungslandschaft, so etwa den Diskussionen um die Errichtung eines Mahnmals für die ermordeten Juden Europas, der Rekonstruktion der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße und den Neugründungen Jüdischer Museen in Westdeutschland. Die akribische, auf den „Polit-Krimi“ konzentrierte Darstellung, folgt hierzu den Quellen weitestgehend narrativ-chronologisch. Dadurch fehlt dem Band, auch wenn dieses Potenzial zumindest an einigen Stellen angedeutet wird, eine Kontextualisierung im Feld der Entwicklung und historischen Erforschung jüdischer Museen weltweit – von den Holocaust- bis hin zu kulturgeschichtlich-ethnologischen Museen.2 Auch die öffentliche Wahrnehmung des Projekts vor dem Hintergrund der bundesdeutschen Geschichtskultur bleibt weitestgehend ausgeblendet. Dass das Museum erst dann in die Erfolgsspur fand, als es – wie die meisten anderen Gründungen jüdischer Museen im deutschen Raum von Beginn an – als eigenständige Institution agierte, hätte sich ebenso analytisch vertiefen lassen, wie die letztlich gescheiterte Idee einer Inklusion von jüdischer und allgemeiner Geschichte.
Bei der Lektüre bedenken sollte der Leser, dass der Band auf Anregung der Leitung und mit Unterstützung durch Mitarbeiter des Jüdischen Museums entstand (S. 13f.), dessen neue Reihe Schriften des Jüdischen Museums er eröffnet. Zumindest der letzte Abschnitt zur Geschichte des Museums seit der Eröffnung der Dauerausstellung erweckt jedenfalls stark den Eindruck, für den Besuch zu werben: Innovationen, Neubauten, Stiftungen, Projekte, Besucherzahlen und -betreuung werden als Meilensteine jener unter Blumenthal doch noch positiv gewendeten „Erfolgsgeschichte“ – so ja auch der Titel – präsentiert. Nichtsdestotrotz ist der Band allein schon deshalb lesenswert, weil er vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte und Erinnerungskultur Positionen und Akteursnetzwerke sowie deren Wandel sichtbar macht. Zudem bietet er zahlreiche Anregungen und wirft Fragen auf, an die zukünftige Studien zur jüdischen Musealkultur anknüpfen können.
Anmerkungen:
1 Vgl. die Besprechung von Ruth Leiserowitz, Rezension zu: Barbara Kirshenblatt-Gimblett / Antony Polonsky (Hrsg.): POLIN. 1000 lat historii Żydów polskich / 1000 Year History of Polish Jews, Warschau 2014. In: H-Soz-Kult, 21.02.2015, <http://www.hsozkult.de/exhibitionreview/id/rezausstellungen-210> (23.10.2015).
2 In den letzten Jahren erschienen zahlreiche neue Arbeiten zu jüdischen Museen und zur jüdischer Museumskultur mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, die auch auf Berlin Bezug nehmen, so unter anderem Katharina Rauschenberger, Jüdische Tradition im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Zur Geschichte des jüdischen Museumswesens in Deutschland, Hannover 2002; Katrin Pieper, Die Musealisierung des Holocaust. Das Jüdische Museum Berlin und das U.S. Holocaust Memorial Museum in Washington D.C., Köln u.a. 2006;K. Hannah Holtschneider, The Holocaust and Representations of Jews. History and Identity in the Museum, London 2011.