T. Hochscherf u.a. (Hrsg.): Divided, but Not Disconnected

Cover
Titel
Divided, But Not Disconnected. German Experiences of the Cold War


Herausgeber
Hochscherf, Tobias; Laucht, Christoph; Plowman, Andrew
Erschienen
Oxford 2010: Berghahn Books
Anzahl Seiten
276 S.
Preis
£55.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Kleßmann, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Der Titel des vorliegenden Sammelbandes verspricht einen wichtigen Beitrag zu einem schwierigen konzeptionellen Problem der deutschen Nachkriegsgeschichte, mit dem man sich nicht nur in Potsdam seit vielen Jahren herumgeschlagen hat. Die Gegenüberstellung von „divided“ und „disconnected“ ist aus meiner Sicht eine sehr treffende Formulierung dafür, die so kaum adäquat ins Deutsche zu übersetzen ist. Sie zielt auf den offenen und verdeckten, oft verqueren und komplizierten Zusammenhalt und wechselseitigen Einfluss der beiden Teile Deutschlands jenseits vollmundiger Abgrenzung durch die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) und nationaler oder patriotischer Sonntagsreden im Westen, denen jüngere Generationen ohnehin nichts mehr abgewinnen konnten. Dass diese komplexe und meist asymmetrische Verschränkung auf vielen politischen und gesellschaftlichen Feldern zwischen Deutschland Ost und Deutschland West, oder in den Kürzeln DDR und BRD, zu den besonders interessanten, lange Zeit völlig vernachlässigten und weiterhin ergiebigen Aspekten der Erforschung der doppelten deutschen Nachkriegsgeschichte gehört, zeigen die 15 Beiträge – auch wenn der Titel nicht alles wirklich zusammenbinden kann, was zusammengehören soll, und die Beiträge nicht alle sensu stricto am Leitkonzept orientiert sind. Dessen Aspekte entwickelt Thomas Lindenberger (Wien) eingangs in einem sehr gedankenreichen Aufsatz, der auch als heuristisches Modell für die Formen von Interaktion verstanden werden soll. Die innerdeutsche Grenze war vieldimensional und erheblich mehr als nur ein politisches und geografisches Faktum.

Das Spektrum der Themen ist breit und kann hier nur knapp referiert werden. Matthew Stibbe (Sheffield) lässt die historiografischen Kontroversen um die Ursprünge des Ersten Weltkrieges Revue passieren und betont hier vor allem mit der Analyse der Rolle Jürgen Kuczynskis, der sich für seinen zeitweiligen „Revisionismus“ 1957 heftige Parteischelte der SED einhandelte, die starke indirekte Verflechtung ost- und westdeutscher Positionen. Bill Niven (Nottingham), der bereits eine eingehende Darstellung der jüngsten deutschen „Opferdebatte“ vorgelegt hat1, bearbeitet das oft behandelte Thema der beiderseitigen Erinnerung an die gemeinsame nationalsozialistische Vergangenheit. Für die Jahre vor der Entspannungspolitik akzentuiert er insbesondere die Verschiebung des Blickwinkels („The Sideways Gaze“, S. 49). Der Einfluss des Kalten Krieges auf die Erinnerungspolitik führte zu unerquicklichem Zank, „in which remembering Nazi victims seemed less important than scoring points against the Cold War enemy“ (S. 56). Jon Berndt Olsen (Amhurst) ordnet die tiefgreifende Veränderung des Lutherbildes in der DDR in den allgemeinen Wandel der politischen Konstellation ein. Das veränderte Bild des Reformators resultierte aus der internationalen Anerkennung der Teilung und der (scheinbaren) Stabilität der DDR. Bei den Feiern zum Lutherjahr 1983 wurde nicht mehr von progressiven und reaktionären Aspekten der Person ausgegangen, sondern der „ganze Luther“ avancierte nun zu einem Teil von Erbe und Tradition.

Die heftige Konkurrenz der beiden deutschen Staaten in den Ländern der Dritten Welt mit besonderer Beachtung der Rolle des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Friedrich-Ebert-Stiftung behandelt Quinn Slobodian (Wellesley College in Massachusetts). Beide wurden damit zu einem wichtigen Faktor bei der Herstellung und Festigung eines antikommunistischen Blocks, der Arbeiterbewegung und politische Führung in Bonn verband. Mit den verdeckten und offenen Spannungen zwischen Polen und der DDR (1945-1962) behandelt Sheldon Anderson (Miami University, Ohio) für einen knappen Zeitraum ein Thema, das den bilateralen deutsch-deutschen Fokus erweitert. Anhand von drei Konfliktfeldern (Oder-Neiße-Grenze, „polnischer Oktober“, Wiederaufrüstung) wird deutlich, wie stark die tradierte Feindschaft zwischen Polen und Deutschen unter veränderten politischen Bedingungen nachwirkte und von der verordneten Freundschaft entfernt war. Die Bundesrepublik als die Dritte in diesem trilateralen Spiel taucht hier freilich nur am Rande auf, weil die Untersuchung Anfang der 1960er-Jahre endet und die Fronten erst mit den westdeutschen Debatten um die Anerkennung der Oder-Neiße komplizierter wurden.

Bestimmte Aspekte der Rolle des Kalten Krieges und der deutsch-deutschen Konkurrenz im Film, im Sport, in der Satire und im Fernsehen greifen neben den drei Herausgebern mehrere Autoren auf (Seán Allan, Warwick; Christopher Young, Cambridge; Rosemary Stott, London). Beim Film ist die Asymmetrie besonders deutlich. Mit Ausnahme von „Die Legende von Paul und Paula“ gab es im Westen wenig Interesse an Filmen der Deutschen Film AG, kurz DEFA, während umgekehrt die Restriktionen anfangs rigide ausfielen, seit den 1980er-Jahren aber ein deutlicher Wandel im wechselseitigen Verhältnis und in den Formen des Fernsehfilms zu konstatieren war. Unter den nicht sehr zahlreichen Mauerfilmen hebt Seán Allan in seiner Analyse vor allem den kaum bekannten Film „Und Deine Liebe auch“ von Frank Vogel (1962) hervor. Jener hat weniger durch ideologische Abweichungen von der offiziellen Sprachregelung als durch unkonventionelle Ästhetik bei Kennern Eindruck gemacht.

Inge Marszolek (Bremen) untersucht die Dimension der visuellen Repräsentation im Kalten Krieg in der thematischen Zuspitzung auf die Figur des „männlichen Helden“, der in unterschiedlicher Ausformung in der DDR und in der Bundesrepublik eine charakteristische Rolle spielte. Berlin als neuer, durch die politischen Verhältnisse geschaffener Ort des Massentourismus wird von Michelle A. Standley (New York) vorgestellt. Die geteilte Stadt als Ort zahlreicher Spionagefilme und Thriller behandelt im abschließenden Beitrag James Chapman (Leicester) für die Jahre vor und nach 1990. Die primär grotesken und skurrilen Aspekte beleuchtet Patrick Major (Reading) mit seinen Hinweisen auf die Science-Fiction-Literatur. Diese verstand sich besser gegen die Zensur zu behaupten, als zu vermuten war, und wird als „rather blurred borderline“ zwischen Autor und Zensor interpretiert. In die Zeit nach der Wiedervereinigung fällt bereits der Beitrag von Tobias Hochscherf (Kiel) und Christoph Laucht (Liverpool) über die Berliner Luftbrücke. Die aufwendige Darstellung in einem Fernsehfilm von 2008 visualisiert die gewandelte Erinnerung und Rezeption dieses ersten Höhepunktes des Kalten Krieges für eine neue Generation. Ob und wieweit er sich „as a blueprint for other historical television films“ (S. 201) und Beitrag zur „mythical foundation story of the Berlin Republic“ (S. 200) interpretieren lässt, wäre freilich zu diskutieren.

Eine gut dosierte Auswahlbibliografie beschließt den Band, der vor allem, aber keineswegs ausschließlich für eine englischsprachige Leserschaft Eigenheiten der doppelten deutschen Nachkriegsgeschichte im Kalten Krieg deutlich macht und weit über eine konventionelle politische Geschichte hinausgreift, indem vielfältige kulturgeschichtliche Perspektiven einbezogen werden. Auf diese Weise ist eine sehr anregende Publikation entstanden, die nicht zu allen Themen prinzipiell Neues erschließt, aber viele interessante Seitenwege in der Geografie des Kalten Krieges aufzeigt.

Anmerkung:
1 Bill Niven (Hrsg.), Germans as Victims. Remembering the Past in Contemporary Germany, Basingstoke 2006; vgl. Krijn Thijs: Rezension zu: Niven, Bill (Hrsg.): Germans as Victims. Remembering the Past in Contemporary Germany. Basingstoke 2006, in: H-Soz-u-Kult, 16.04.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-2-031> (05.09.2011).

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension