A. Koch u.a. (Hrsg.): Feuerbachs Bayerisches Strafgesetzbuch

Cover
Titel
Feuerbachs Bayerisches Strafgesetzbuch. Die Geburt liberalen, modernen und rationalen Strafrechts


Herausgeber
Koch, Arnd; Kubiciel, Michael; Löhnig, Martin; Pawlik, Michael
Erschienen
Tübingen 2014: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
547 S.
Preis
€ 119,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Mohr, Nussloch

Am 16. Mai 1813 erhielt Bayern ein neues Strafgesetzbuch. Sein Autor war der aus Hainichen bei Jena stammende, protestantische Jurist Paul Johann Anselm Feuerbach (1775–1833). Ein jüngst erschienener Sammelband versucht anlässlich des zweihundertsten Jubiläums dieser gesetzgeberischen Zäsur, deren historische Relevanz innerhalb der Strafrechtsgeschichte und ihre Bedeutung für die Gegenwart neu auszumessen. Hervorgegangen ist das Buch aus einer Tagung und Vorlesungsreihe, die im Wintersemester 2012/13 an der Universität Regensburg stattgefunden hat. Feuerbachs Leistung wird meist darin gesehen, ein begrifflich geschlossenes Systemgebäude des Strafrechts errichtet, mit der Theorie des „psychologischen Zwangs“ eine raffinierte, aber umstrittene Begründung des Strafgedankens gefunden und der Strafpraxis theoretische und praktische Grenzen gesetzt zu haben. Spätestens die Biographie Feuerbachs von Gustav Radbruch erhob jenen in den Rang eines Klassikers.1

In dem nun erschienenen Band wird am Lack des Helden gekratzt, der im Mittelpunkt einer Metaerzählung der Liberalisierung, Säkularisierung und Humanisierung der deutschen Strafrechtspflege im 19. Jahrhundert gestanden hat. In der Einleitung betont Michael Kubiciel die „Grautöne und Schatten“ von Feuerbachs Strafgesetzbuch. Auf der einen Seite ist es Feuerbach gelungen, ein systematisch geschlossenes Werk vorzulegen. Das Strafgesetzbuch war somit ein wichtiger Schritt in Richtung Rationalisierung des Rechts. Auf der anderen Seite führte es nicht unbedingt zu einer Humanisierung der Strafpraxis, denn der generalpräventive Strafzweck bewirkte Strafzumessungen, die schon von den Zeitgenossen als zu hart wahrgenommen wurden (S. 9f.; hierzu auch der Beitrag von Wolfgang Frisch in dem besprochenen Band). Feuerbachs bis heute bleibendes Verdienst, resümiert Kubiciel, sei es dennoch, die grundlegenden Fragen nach der Rolle des Staates innerhalb der Strafrechtspflege und dem Zweck des Strafens gestellt zu haben (S. 16).

Die folgenden Beiträge sind in drei Sektionen gegliedert: Kontext, Inhalt und Wirkung. Von den 27 in dem Band versammelten Beiträgen wurden diejenigen ausgewählt, die vom Rezensenten als besonders repräsentativ für das jeweilige Themenfeld angesehen werden. Den Kontextteil eröffnet Tonio Walters Beitrag über den „Gelehrten, Gesetzgeber und Richter“ Feuerbach. Deutlich werden der schwierige, keineswegs geradlinige Lebensweg des Juristen und seine Charaktereigenschaften wie eine ausgeprägte Verletzlichkeit, extreme Gefühlsschwankungen und die Suche nach Anerkennung, in denen Walter wichtige Impulse für Feuerbachs Schaffenskraft sieht. Der Artikel von Arnd Koch thematisiert die „Entwicklung des Strafrechts zwischen 1751 und 1813“. Koch erteilt einer idealisierenden Sicht auf die Strafrechtsgeschichte der Aufklärung eine Absage. Die Diskurse der Aufklärer wandten sich zwar gegen die in der frühen Neuzeit üblichen grausamen, öffentlichen Strafen auf dem „Theater des Schreckens“. An deren Vollzug veränderte sich aber lange Zeit wenig. Diskussionswürdig ist Kochs Befund, dass die öffentliche, grausame Strafpraxis „allein vor dem Hintergrund eines theokratischen Strafverständnisses“ zu verstehen sei (S. 42). Von nicht geringerer Bedeutung waren der Strafzweck der Abschreckung und die öffentliche Demonstration des obrigkeitlichen Herrschaftsanspruchs. Um 1800 kommt es zu einer „Neuformierung“ der Strafrechtswissenschaft, wie Koch zu Recht feststellt (S. 49). Bestimmte Praktiken wie die Folter verschwanden von der Bildfläche, in Bayern auf Initiative Feuerbachs, wie im Beitrag von Jan Zopfs gezeigt wird. Mit den Lügen- und Ungehorsamsstrafen blieb aber die Anwendung von physischer Gewalt eine Möglichkeit der Strafjustiz. Ob diese einen „Papiertiger“ darstellten, wie Zopfs meint, kann bezweifelt werden, zumindest in Einzelfällen ist ihre Anwendung belegt.2 Martin Löhnig wirft in seinem Beitrag die Frage auf: „Wie souverän war das junge Königreich Bayern?“ Er zeigt, dass die bayerische Politik ihre Autonomie gegenüber Frankreich behaupten konnte. Zugleich relativiert er die Rolle der individuellen Autorschaft Feuerbachs am Bayerischen Strafgesetzbuch und weist auf den hybriden Charakter des Werkes hin (S. 93f.). Dem Versuch Feuerbachs, Kriminalgesetzgebung und Polizeistrafgesetzgebung zu trennen, ist der Beitrag von Karl Härter gewidmet. Hier zeigen sich die außerordentlichen Schwierigkeiten Feuerbachs, eine klare Differenzierung vorzunehmen (S. 141f.). Auch kam es 1813 nicht, wie zunächst geplant, zur Kodifikation eines Polizeistrafgesetzbuches, was Härter mit dem staatlichen Bedürfnis erklärt, flexibel auf deviantes Verhalten reagieren zu können. Demnach tendierte die Entwicklung nach 1813 bis zur Mitte des Jahrhunderts eher auf eine Ausweitung der staatlichen Strafkompetenz (S. 146).

Ignacio Czeguhn geht im zweiten Abschnitt des Sammelbandes („Inhalt“) auf die Strafarten des Strafgesetzbuches von 1813 ein. Die Todesstrafe wurde als höchste Strafe beibehalten. In den Mittelpunkt rückten Freiheitsstrafen, die „ein abgestuftes, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragendes System“ bildeten (S. 235). Die Strafen waren nach heutigen Maßstäben hart, allen voran die lebenslängliche „Kettenstrafe“ (die von Feuerbach noch im Entwurf von 1807 als „Sklaverey“ bezeichnet wurde). Diese Strafen relativieren sich, wie Luís Greco deutlich macht, im Kontext der eigentümlichen Straftheorie Feuerbachs, in der die Strafverhängung dazu dient, dass der „Ernst der allgemeinen Drohung bestätigt“ werden soll (S. 288). Greco tendiert dazu, die deutliche Begrenzung der richterlichen Willkür im Bayerischen Strafgesetzbuch von 1813 als einen gesetzgeberischen Fortschritt anzusehen (S. 301). Hinsichtlich der Strafarten und der Strafzumessung bleibt ein gemischtes Bild. Wichtig ist der Beitrag von Volker Haas, weil er das ansonsten vernachlässigte Strafprozessrecht behandelt. Der Blick auf die institutionalisierten Verfahrensregeln und die Kritik an ihnen verdeutlicht, dass Feuerbach den individuellen Rechten des Angeklagten einen hohen Stellenwert beimaß (S. 414ff). Hier zeigt sich, dass der Blick auf Verfahrensregeln historisch oft ergiebig ist.

Recht kurz ausgefallen ist der dritte Abschnitt über die Wirkungen des Bayerischen Strafgesetzbuches von 1813. Schon bald nach seiner Verabschiedung, darauf weist Sylvia Kesper-Biermann hin, strebte die bayerische Regierung in mehreren Anläufen eine Revision an, doch erst 1862 erhielt das Land ein neues Strafgesetzbuch. Die gesetzgeberische Leistung von Feuerbach galt schnell als überholt, was mit der „rasanten Entwicklung der Strafrechtswissenschaften“ der 1820er- und 1830er-Jahre zusammenhängt, die sich nicht zuletzt an Feuerbachs Werk abarbeiteten. (S. 465, 474f.). Über die Intensität der Rezeption zieht Andreas Roth eine eher verhaltene Bilanz. Beachtung fand das Bayerische Strafgesetzbuch im 19. Jahrhundert über Deutschland hinaus in der Schweiz, in Russland, Schweden und Argentinien (S. 529ff). Neben den zahlreichen relativierenden Einordnungen, die im vorliegenden Band vorgenommen wurden, war ein Aspekt des Strafgesetzbuches tatsächlich seiner Zeit voraus: die Behandlung der Sittlichkeitsdelikte. Gemäß der strikten Trennung von Recht und Moral waren diese nicht strafbewehrt (nach dem Strafgesetz, aber als Polizeivergehen). Die weitere Entwicklung des Strafrechts fiel hinter diese Errungenschaft zurück (S. 539f.), was in Deutschland erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder aufgeholt wurde.

Der besprochene Band eröffnet einen perspektivenreichen Blick auf das Bayerische Strafgesetzbuch von 1813, ordnet ein und rückt zurecht. Damit stellt er eine wichtige Ergänzung zu neueren Veröffentlichungen über Feuerbachs Oeuvre dar.3 Die Beiträge bewegen sich im Spannungsfeld historischer Kontinuität und Diskontinuität und der Leitfrage, wie modern das Bayerische Strafgesetzbuch war und welche prämodernen Züge es aufwies. Dass die Antwort der meisten Autoren ambivalent ist, dass die Kodifikation modern und vormodern zugleich war, mehr oder weniger, je nach Gewichtung und Perspektive, kann kaum überraschen. So hat man nach der Lektüre des Bandes viel über Feuerbach und sein Strafgesetzbuch erfahren, aber bleibt etwas ratlos zurück. Das Ausprobieren alternativer Fragestellungen hätte Abhilfe schaffen können. Wie ordnete sich die Arbeit Feuerbachs beispielsweise in eine Technologie der Macht ein, die eine Definitionshoheit über deviantes Verhalten der in ihrem Geltungsbereich lebenden Individuen beanspruchte? Welche Rolle spielten (Strafrechts-) Experten und die (Strafrechts-)Wissenschaft für die Legitimation politischer Ordnung? Es ist der künftigen Feuerbach-Forschung zu wünschen, dass sie an diese oder ähnliche Fragestellungen anknüpft.

Anmerkungen:
1 Gustav Radbruch, Feuerbach, bearbeitet von Gerhard Haney, Heidelberg 1997.
2 Michael Niehaus / Christian Lück, Konfrontationen und Lügenstrafen. Akten zur Geständnisarbeit um 1800, in: Jo Reichertz / Manfred Schneider (Hrsg.), Sozialgeschichte des Geständnisses. Zum Wandel der Geständniskultur, Wiesbaden 2007, S. 115–142; Karsten Altenhain / Nicola Willenberg (Hrsg.), Die Geschichte der Folter seit ihrer Abschaffung, Göttingen 2011, insbesondere die Beiträge von Arnd Koch, Karl Härter und Nicola Willenberg.
3 Rolf Gröschner / Gerhard Haney (Hrsg.), Die Bedeutung P. J. A. Feuerbachs (1775–1833) für die Gegenwart. IVR-Tagung Jena 15. und 16. März 2002, Stuttgart 2003. Luís Greco, Lebendiges und Totes in Feuerbachs Straftheorie. Ein Beitrag zur gegenwärtigen strafrechtlichen Grundlagendiskussion, Berlin 2009.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch