Bertha von Suttner war die erste Frau, die mit dem Friedensnobelpreis im Jahr 1905 ausgezeichnet wurde. Sie war nicht nur eine Friedenskämpferin, sondern setzte sich auch für die Gleichberechtigung der Frau ein. Zeitlebens kämpfte sie gegen das Vorurteil an, dass man Frauen gemeinhin mit Frieden, Männer mit Krieg in Verbindung brachte. Für sie war klar, dass kein Unterschied zwischen den Menschen männlichen und weiblichen Geschlechts in Bezug auf Krieg und Frieden bestand: „Begeisterung für Kriegsthaten und Kriegshelden findet man bei Frauen so gut wie bei Männern, Begeisterung und Energie für die Friedensbewegung wird von Frauen ebenso intensiv an den Tag gelegt wie von Männern“.1 Allerdings ist es ihr zeitlebens nicht gelungen, die damalige, kriegslechzende und männerdominante Gesellschaft von ihren Ideen zu überzeugen und es war ihr auch nicht bewusst, dass der bevorstehende Krieg, vor dem sie eindringlich warnte, die Welt in eine Heimatfront und in eine Kriegsfront teilen würde. Die beiden vorliegenden Sammelbände bestätigen in gewisser Weise die Ansicht von Bertha von Suttner, indem die teilweise Dekonstruktion der konstruierten Männlichkeit bzw. Weiblichkeit vollzogen wird – unter Berücksichtigung der Perspektive Heimatfront/Front.
Schon lange Zeit vor Beginn des Gedenkjahres 2014 verging kaum ein Tag, an dem man nicht in irgendeiner Weise mit dem Ersten Weltkrieg konfrontiert wurde. Es scheint gerade so, als würde man diesen Krieg neu erfinden wollen. Doch mit der Weltkriegshistoriografie aus der Perspektive der Frauen- und Genderforschung betritt man beinahe ungerodetes wissenschaftliches Terrain.2 Christa Hämmerle sieht nun die hundertste Jährung des Kriegs als eine historiografische Chance für die Frauen- und Geschlechtergeschichte (S. 9). Als Pionierin der Geschlechtergeschichte der österreichische Monarchie und als profunde Kennerin des Ersten Weltkriegs hat sie nun eine eigene Aufsatzsammlung sowie zusammen mit Oswald Überegger und Birgitta Bader Zaar einen Sammelband vorgelegt.
Zunächst soll der Fokus auf Hämmerles Sammelband „Heimat/Front“ gerichtet werden. Es geht der Autorin darum, den Dienst der Frauen an der Heimatfront darzustellen. Dabei verwendet sie Memoirenliteratur in Form etwa von Autobiografien sowie Briefe und Tagebücher. Dergestalt gibt sie den Akteurinnen und Akteuren ein Gesicht und kehrt das menschliche Empfinden und auch Leiden des Kriegsalltags hervor. Kritisch anzumerken ist, dass Hämmerles Untersuchungen, sieben Erzählungen, entweder erweiterte, überarbeitete oder verkürzte Versionen bereits gedruckter Beiträge darstellen (S. 277–278). Dies gilt freilich nicht für die konzise, den Forschungsstand bilanzierende Einleitung (S. 9-26). Der Textkorpus umfasst 200 Seiten und einen umfangreichen Anmerkungsapparat. Anhand einiger Bilder sollen die thematisierten Bereiche veranschaulicht werden; originell sind Zitate, die etwa aus den Egodokumenten entnommen wurden und die am Ende bzw. Anfang eines Beitrages stehen.
Dieser Darstellung liegt das jahrhundertlang tradierte Bild von Weiblichkeit zugrunde, das man etwa mit Mütterlichkeit, Fürsorge, Güte beschreiben kann. Eigenschaften, die nun für den Krieg instrumentalisiert werden und ihre Erhöhung in den sogenannten „Liebesgaben“ finden und wenn man so will auch in der Aussage „Soldaten des Hinterlandes“. Diesem Konzept von Weiblichkeit stellt Hämmerle Connells3 Konzept von Männlichkeit gegenüber – Verteidigung des Vaterlandes, Kampf, Schutz und schließlich Heldentod. Anhand der sieben Erzählungen zeigt Hämmerle auf, dass gerade diese tradierte Darstellung des dualistischen Geschlechterbildes durch den Krieg arg ins Wanken gekommen ist, eine Durchbrechung freilich kann auch der Erste Weltkrieg nur bedingt bewirken, etwa in Form der Erlangung des Wahlrechtes für Frauen.
In der ersten Geschichte lässt Hämmerle Kriegskrankenschwestern anhand autobiografischer Quellen über deren Erfahrungen berichten, wie sie mit den Schrecken des Krieges umgingen. Sie kommt zum Ergebnis, dass Frauen ebenso traumatisiert aus dem Krieg hervorgingen, wie die Männer, die an der Front kämpften. Als Krankenschwestern bewegten sich die Frauen im Spannungsfeld Männlichkeit und Weiblichkeit, vor allem machten sie die Erfahrung, dass das Weiblichkeitsbild teilweise im starken Widerspruch zum jetzt gelebten Kriegsalltagsleben stand (S. 51). Weitere Dienste für das Vaterland, die die Heimatfront der Front annäherten, bildete etwa die Installation von Frauenhilfsausschüssen, die beinahe unmittelbar nach Ausbruch der Kämpfe erfolgte und die auch dazu diente, den durch den Krieg etwa arbeitslos gewordenen Näherinnen eine Verdienstmöglichkeit zu bieten. Diese Tätigkeiten in Näh-, Strick-, Pelz- und Wäschestuben verortet Hämmerle für Wien zumindest für die erste Kriegshälfte, was die Rezensentin auch für das damalige Kronland Steiermark bestätigen kann, und was im Übrigen auch für die Sendung von „Liebesgaben“ gilt. Die Spenden von Liebesgaben, zu welchen die daheimgebliebenen Frauen aufgerufen wurden, bedeuteten den Versuch, „die familiären Bande zwischen Mutter und Sohn, Vater und Tochter, Ehemann und Ehefrau, Bruder und Schwester auf ein abstraktes Geschlechterverhältnis zwischen der männlich assoziierten ‚Front‘ und der weiblich assoziierten ‚Heimat‘ auszuweiten oder zu übertragen“ (S. 141). Im anschließenden Kapitel diskutiert Hämmerle soldatische Erinnerungskulturen. Sie tut dies am Beispiel der Kriegsbücher von Fritz Weber, die die österreichische Erinnerungskultur an den Krieg gegen Italien hegemonial prägten und bei denen die Heroisierung des männlichen Kämpfers zentral war. Der letzte Beitrag hat die „Krise der Männlichkeit“ nach dem Ersten Weltkrieg zum Inhalt. Laut Healy et al.4 habe das Erleben an der Front zur „Entmännlichung“ der Heimkehrer geführt, die mit nunmehr selbst- und eigenständig agierenden Frauen konfrontiert gewesen seien. Diese und andere Thesen hinterfragt nun Hämmerle, und kommt zum Ergebnis, dass die postulierte Krise der Männlichkeit nach dem Ende des Ersten Weltkrieges ein durchaus ambivalentes Bild bietet.
Der Sammelband „Gender and the First World War” nimmt nun eine erweiterte Perspektive ein, denn die Beiträge beziehen sich auf Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Litauen, Italien, Slowenien und Österreich. Der Band ist das Ergebnis einer Tagung zum Thema „The First World War in a Gender Context – Topics and Perspectives“ in Wien 2011. Der Anlass zu dieser Tagung ist die Beobachtung, dass es in Bezug auf Gender and War keine einheitliche und gleichgewichtige transnationale Perspektive gibt. In der Einleitung setzen sich die Herausgeber/innen mit den unterschiedlichen Zugängen zur Thematik Gender und War auseinander und bieten eine zusammenfassende Gesamtschau der Vorträge, die hier im Einzelnen kurz beschrieben werden sollen. Die Unterstützung von Frauen nicht nur an der Heimatfront, sondern auch in der Kampfzone, die Ausgestaltung der Konstruktion von Weiblichkeit und Männlichkeit durch den Krieg und schließlich die postulierte „transformation of the nation into a collective body of warriors in combat“ (S. 1) prägte in allen kriegsführenden Nationen die Geschlechterverhältnisse. Daraus ergeben sich Fragen, welche Rolle Männlichkeit und Weiblichkeit etwa bei der Mobilisierung, Ausdauer, Demonstrationen und Widerstand oder hinsichtlich der Staatsbürgerschaft spielen. Matteo Ermacora zeigt in seinem Beitrag zu „Women Behind the Lines“ das Alltagsleben an der Heimatfront in der Region Friaul auf und verweist auf die Mobilisierung von jungen Mädchen und Frauen, die für den Nachschub als sogenannte „Portarici“ eingesetzt wurden. Um einen Hungerlohn nahmen sie die Strapazen auf sich, aus Pflichtbewusstsein dem Vaterland gegenüber oder um nicht der Verarmung oder Prostitution zu verfallen. Welche Veränderungen der Krieg in einer Familie bewirkte und wie das Thema Gewalt zur Sprache kam, thematisierte Dorothee Wierling anhand des Briefwechsels der deutschen Feministin und Sozialdemokratin Lily Braun zwischen ihrem Mann Heinrich und deren Sohn Otto sowie der Geliebten von Heinrich, Julie Vogelstein. Lilys größter Wunsch war es, dass der Sohn in den Krieg zog – dort wurde er vom Jüngling zum Mann. Sein Vater hingegen konnte dies nicht ertragen und scheint an der Tatsache, dass sein Sohn an der Front kämpft, zu zerbrechen, lediglich die Geliebte hat für Ottos Verhalten Verständnis. Das Konzept von Männlichkeit scheint in dem Beitrag „Love in the Trenches“ von Jason Crouthamel zur damals tabuisierten Homosexualität ins Wanken zu kommen. Homosexualität wurde unter anderem „legalisiert“ unter Zuhilfenahme des Topos „der gute Kamerad“.
Julia Barbara Köhne thematisiert die Feminisierung und Re-Maskulinisierung im wissenschaftlichen Film. Es geht hier um die Visualisierung von Kriegshysterie, einem Begriff, unter welchen man die durch den Krieg verursachten psychischen Erkrankungen subsumierte. Die Filme täuschten vor, dass diese Krankheiten heilbar seien. Christa Hämmerles Beitrag zu Krankenschwestern ist beinahe unverändert auch in ihrer deutschsprachigen Aufsatzsammlung veröffentlicht. Wie es ehemaligen Kriegsheldinnen in Frankreich und Großbritannien ging, zeigt Alison Fell anhand einiger Porträts. Sie stellt unter anderem fest, dass die Frauen aus ihrem Heroismus im Vergleich zu den Männern nach dem Krieg keinen Profit schlagen konnten. Es war für sie geradezu unmöglich, ihr Image als Heldinnen auch in die Zeit nach dem Krieg zu transferieren, weil für sie, im Gegensatz zu den männlichen Helden, in der Gesellschaft der Nachkriegszeit kein Platz mehr war. Susan Grayzel verwendet das Bild „Baby in the Gas Mask“, um dergestalt aufzuzeigen, wie Kriegstechnik und schließlich die Bombardements auf die Zivilbevölkerung zu einer Auflösung der Trennung von Heimatfront und Kriegsfront führten. Den Tod ständig vor Augen und den Umgang damit analysiert Claudia Siebrecht anhand von Briefen, die die Soldaten an ihre Familien schrieben. Beinahe allen Briefen gemeinsam war es, dass die Soldaten ihren Familien auftrugen, keine Trauerkleidung zu tragen und die sterblichen Überreste nicht in die Heimat überführen zu lassen. Der Tod hat an der Front seine Tragik verloren, ist Katharsis und Frieden wie es Franz Marc beschrieb (S. 148). Im darauffolgenden Beitrag thematisiert Manon Pignot die „Mobilisierung“ von Kindern für den Krieg, durch Lehrer oder deren Eltern, um dergestalt der Heimatfront, aber auch den Frontsoldaten zu dienen. Die beiden nachfolgenden Beiträge befassen sich mit Pazifismus und Internationalismus der Frauenbewegung: Bruna Bianchi untersucht pazifistische Zeitschriften, die von Frauen herausgegeben wurden. Sie stellt fest, dass im Zentrum des feministischen Internationalismus während des Weltkrieges die Mütterlichkeit stand, in der Zeit danach wird diese durch „childhood“ erweitert – „Children became the symbol of a new internationalism“ (S. 190). Ingrid Sharp untersuchte das Spannungsfeld Nationalismus und Internationalismus innerhalb der deutschen Frauenbewegung (BDF) und legt dar, dass die Friedensbewegung damals keine Möglichkeit bot für „a global sisterhood“. Die beiden abschließenden Beiträge behandeln die Situation von Frauen in Litauen, Österreich und SHS vor allem aus der Sicht der Staatsbürgerrechte. Virginija Juréniené beschreibt die Kriegsaktivitäten und die Staatsbürgerrechte in Litauen an der Schnittstelle zwischen nicht okkupierten und von Deutschland okkupierten Zone. Dergestalt erhält man Einblick in die organisierte und unorganisierte Frauenbewegung Litauens anhand von Presse und zeitgenössischer Quellen. Tina Bahovec zeigt die Strategien der Mobilisierung slowenischer Frauen in Kärnten auf und beschreibt die Interaktionen zwischen Gender, Nation und Staat/Staatsbürgerschaft im Spannungsfeld der Staatengründung der Republik Österreich einerseits und des jugoslawischen Staates andererseits. Hier ging es etwa um die Frage, welchem Staat die Frauen angehören wollten.
Trotz des unterschiedlichen Schreibstils der zwölf Autorinnen und drei Autoren bildet der Band ein harmonisches, einheitliches Ganzes. Es zeigt sich jedoch auch hier, dass Gender nach wie vor ein Themenbereich ist, der in erster Linie von Wissenschaftlerinnen bestritten wird. Hervorzuheben ist, dass ein umfangreiches Register die Arbeit abrundet, und dass zehn Bilder und eine Karte den Textkorpus veranschaulichen.
Beide Publikationen geben in lebendiger Weise die Geschichte des Ersten Weltkrieges aus der Genderperspektive und letztlich auch „von unten“ wieder. Sie geben sowohl der Front, aber in einem größerem Ausmaß der Heimatfront ein menschliches Antlitz unter anderem auch durch Verwendung autobiografischer Literatur und sind somit Teil einer Geschichte der Gefühle. Beide Bücher sind nicht nur für Leser/innen anregend, sondern auch für weitere Forschungsarbeiten. Hämmerle und auch die Verfasser/innen des Sammelbandes betten ihre Erkenntnisse versiert und überzeugend in den politischen Kontext des Ersten Weltkrieges ein unter Berücksichtigung des theoretischen Diskurses. Einziger Kritikpunkt – der Text ist in sehr kleiner und enggesetzter Schrift gedruckt. Aber dies sollte die Leserschaft nicht von dem Studium einer spannenden und bereichernden Lektüre abhalten.
Anmerkungen:
1 Bertha von Suttner, Die Waffen nieder, in: Monatsschrift zur Förderung der Friedensbewegung 7 IV. Jg, (1895), S. 254.
2 Für vor 2014 erschienene Abhandlungen s. Francoise Thébaud, Der Erste Weltkrieg. Triumph der Geschlechtertrennung, in: Dies. (Hrsg.), Das 20. Jahrhundert (= Geschichte der Frauen, hrsg., von Georges Duby / Michelle Perrot , Bd. 5) Frankfurt am Main 1995, S. 33–91; Susan R. Grayzel, Women’s Identities at War. Gender, motherhood, and politics in Britain and France during the First World War, London 1999; Susan R. Grayzel, Women ant the First World War, Essex 2002.
3 Robert W. Connell, Der gemachte Mann. Konstruktionen und Krise von Männlichkeiten (Geschlecht und Gesellschaft Bd. 8), Opladen 1999.
4 Maureen Healy, Civilizing the Soldier in Postwar Austria, in: Nancy M. Wingfield / Maria Bucur (Hrsg.), Gender and War in Twentieth-Century Eastern Europe, Bloomington 2006, S. 47–69.