Die Verstaatlichung und zentrale Lenkung der Wirtschaft waren grundlegende Merkmale des Staatssozialismus. Im Alltag machte sich die Planwirtschaft vor allem als Mangel bemerkbar, eine Erfahrung, die die Bürger des ganzen Ostblocks teilten. Bis heute sind die leeren Regale in den Läden wie auch die Strategien, um trotzdem an die gewünschten Produkte zu gelangen, in der Erinnerung an das Leben im Sozialismus präsent. Der historiographischen Auseinandersetzung mit der Funktionsweise der Mangelwirtschaft und deren Auswirkungen auf das Alltagsleben hat der Warschauer Historiker Jerzy Kochanowski eine profunde Untersuchung des Schwarzmarkts in der Volksrepublik Polen hinzugefügt. Die 2010 im polnischen Original erschienene und nun in deutscher Übersetzung vorliegende Studie eröffnet ein beeindruckendes Panorama der inoffiziellen wirtschaftlichen Aktivitäten, die die polnische Nachkriegsgesellschaft bis zum Ende des Sozialismus und darüber hinaus fundamental prägten.
Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Frage, mit welchen Strategien die Bürger den durch die gelenkte Wirtschaft hervorgerufenen Mangel zu mildern versuchten. Damit spricht Kochanowski die Beschaffung von Alltagsgegenständen wie Kleidung, Nahrungsmitteln und Baumaterial ebenso an wie das Schwarzbrennen von Alkohol oder den Handel mit Gold und Devisen. Der Schwarzmarkt als „zweite Wirtschaft“ führte auch zur Ausbildung einer „zweiten Gesellschaft“, die ihre eigenen Verhaltenskodizes und Sprachregelungen besaß und deren oberstes Ziel der eigene Profit war. Kochanowski interessiert sich für die historischen Bedingungen, unter denen diese Schwarzmarktgesellschaft entstand und funktionierte, und für die Freiräume, die sich die Akteure durch ihre wirtschaftliche Aktivität erobern konnten.
Der Schwarzmarkt wird hier metaphorisch als Spiel zwischen Staat und Gesellschaft aufgefasst. Zwar habe der Staat die Regeln vorgegeben, trotzdem sei er am Schluss aber doch immer der gegnerischen „Mannschaft“ unterlegen. In den einzelnen Kapiteln wird auf anschauliche Weise gezeigt, wie erfinderisch die Polen dabei waren, die Spielregeln zu ihren wirtschaftlichen Gunsten auszulegen. Ebenso deutlich erscheint ein weiterer Aspekt, der – wie gleich auf den ersten Seiten betont – auf die Durchlässigkeit zwischen den beiden „Mannschaften“ hinweist: Anstatt um eine klar abgegrenzte, illegale Sphäre handelte es sich beim Schwarzmarkt um ein symbiotisch in die planwirtschaftlichen Strukturen eingewobenes Phänomen. Nicht nur bediente sich der „inoffizielle“ Sektor schmarotzerhaft an den Produkten und Distributionsstrukturen der „offiziellen“ Wirtschaft, sondern umgekehrt waren auch die staatlichen Betriebe und Geschäfte auf die Dienste des Schwarzmarkts angewiesen, um zu funktionieren. Auch personell waren die Sphären alles andere als klar getrennt, denn Polizisten und Funktionäre beteiligten sich munter an der Schattenwirtschaft. Insofern ist der deutsche Titel irreführend, da der Schwarzmarkt weniger „jenseits der Planwirtschaft“ lag, als vielmehr zu ihrem untrennbaren Bestandteil wurde.
Mit der gewitzten Frage nach den Farben des volkspolnischen Schwarzmarkts weist Kochanowski auf die Unschärfe seines Untersuchungsgegenstands hin. Dessen Schattierungen erschwerten es den Offiziellen, die ohnehin häufig selbst davon profitierten, ihn zu erfassen und effektiv zu bekämpfen. Den Historiker bringen sie dazu, eine breite Definition anzuwenden, die sich nicht auf Wirtschaftskriminalität im engeren Sinn beschränkt. Kochanowski hat einen beeindruckenden Quellenkorpus herangezogen, der eine Fülle von Dokumenten aus nationalen und regionalen Archiven mit einer breit angelegten Presseanalyse, Selbstzeugnissen und zeitgenössischen wirtschaftswissenschaftlichen und juristischen Studien kombiniert. Die abgedruckten Karikaturen illustrieren überdies, welch omnipräsentes Thema die inoffizielle Wirtschaft und das Versagen des Staates auch in der Öffentlichkeit darstellten.
Das Buch ist thematisch gegliedert. In zwei Kapiteln wird eine Chronologie des Schwarzmarkts und der staatlichen Gegenmaßnahmen angeboten. Zunächst führt Kochanowski in die Geschichte von Schwarzmärkten ein und gibt einen Überblick über dieses gesamteuropäische Phänomen seit dem Ersten Weltkrieg. Diese vergleichende Perspektive ist wichtig, da sie den polnischen Fall innerhalb größerer Zusammenhänge situiert. Gleichzeitig lässt sich auf diese Weise aufzeigen, weshalb ausgerechnet im Polen der Nachkriegszeit der Schwarzmarkt solch eine immense Bedeutung erlangte. Die historische Prägung aus der Teilungszeit und der Okkupation hatte ein generelles Misstrauen der Bevölkerung gegenüber staatlichen Institutionen generiert und Eigeninitiative jenseits erlaubter Kanäle zum eingeübten Verhalten gemacht. Da zudem die Engpässe in der Volksrepublik immer wieder diejenigen in anderen sozialistischen Ländern einschließlich der Sowjetunion übertrafen, begünstigten der relativ ausgeprägte Privatsektor und die vergleichsweise liberalen Reisebestimmungen den Schwarzhandel zusätzlich.
Das dritte Kapitel ist der Analyse der verschiedenen staatlichen Kommissionen und Arbeitsgruppen gewidmet, die eigens zur Spekulationsbekämpfung eingerichtet wurden. Die Hochphasen der „Spekulation“ gingen mit den politischen Wendepunkten einher. Trotz repressiver Politik und Propagandakampagnen nahm der Umfang des Schwarzmarkts immer weiter zu, bis in den 1980er-Jahren von einer Allgegenwart des inoffiziellen Handels ausgegangen werden konnte. Diesem zeitlichen Längsschnitt folgt ein Blick in den Raum, auf die Städte, die Provinz und die Ränder des Landes. Obwohl Warschau auch für den Schwarzmarkt die Hauptstadt war, entdeckt Kochanowski starke Eigendynamiken im südlichen Gebirge und am Meer im Norden. Die Grenzregionen zur Sowjetunion und der DDR sowie die durch die Teilungszeit unterschiedlich geprägten Landesteile sind weitere Räume, in denen sich der Schwarzmarkt spezifisch entwickelte.
Anschließend widmen sich vier Kapitel jeweils einem Gut, das besondere Bedeutung für den Schwarzhandel erlangte. Dies reichte von den Lebens- und Genussmitteln Fleisch und Alkohol über Benzin bis zu den Königsgütern der Spekulation, Dollar und Gold. Hier begegnen wir auch ikonischen Figuren des Alltags in der Volksrepublik, wie dem „Fleischweib“, das den Städtern das Fleisch an die Hintertür lieferte und zu den wertvollsten Kontakten gehörte (S. 251f.). Die Schwarzbörsianer wiederum bildeten ein eigenes, stark hierarchisiertes Milieu und konnten mit Währungsspekulationen oft hohe Gewinne einstreichen (S. 374–390). Verstärkt durch weitere populäre Mythen und Witze kommt man als Leser/in der „Schwarzmarktgesellschaft“ hier recht nahe. Mit Blick auf die spezialisierten Handelsnetze beeindruckt die Vehemenz, mit der die Bevölkerung Wege fand, um mit den Widrigkeiten des Alltags fertigzuwerden. Und es erstaunt die Ratlosigkeit der Obrigkeit, die diesem Phänomen, das so gut wie die gesamte Gesellschaft umfasste, über Jahrzehnte nicht Herr werden konnte. Statt eines allgegenwärtigen ist hier ein hilfloses und marginalisiertes Staatswesen zu besichtigen, das häufig lediglich reagieren konnte, etwa wenn die Preise im Pewex-Geschäft, das Konsumgüter gegen Devisen verkaufte, sich nach den am Schwarzmarkt gehandelten Kursen richteten (S. 348).
Bereits im Zusammenhang mit dem Devisenhandel weist Kochanowski auf das internationale Netzwerk hin, das sich im Lauf der Nachkriegszeit herausbildete. Noch deutlicher tritt dieser Aspekt im Kapitel zum „Handelstourismus“ zutage. Auch das Reisen zunächst innerhalb des Ostblocks, später weltweit, das zum Schmuggel und Warentausch genutzt wurde, avancierte zum Massenphänomen und nahm zunehmend professionelle Züge an. Es führte einerseits zu Zollkriegen zwischen den Bruderstaaten, andererseits aber zu den wohl engsten Beziehungen zwischen den Bürgern der sozialistischen Staaten – wohlgemerkt immer mit dem Ziel des individuellen Profits.
Gerade diesen Punkt betont Kochanowski nochmals im Schlussteil. Der populären Verklärung des Schwarzmarkts als Hort von individueller Initiative, gar als Widerstand gegen die sozialistische Staatsgewalt setzt er entgegen, dass es sich dabei um ein System zur persönlichen Bereicherung handelte, das sich großzügig an staatlichen Ressourcen bediente. Überdies habe er auch zu einer die Volksrepublik überdauernden Gewöhnung an kriminelle Praktiken geführt. Wichtig ist hier außerdem der Hinweis auf diejenigen Bürger, die am Schwarzmarkt nicht teilnehmen wollten oder konnten. Gerade die schwachen Mitglieder der Gesellschaft seien davon ausgeschlossen gewesen. Der Schwarzmarkt, so lautet Kochanowskis Fazit, habe das System auf kurze Sicht sogar stabilisiert; erst langfristig wirkte er destabilisierend, indem sein Bestehen das System immer tiefer aushöhlte. Diese Ergebnisse sind über den polnischen Fall hinaus relevant. Mit „Jenseits der Planwirtschaft“ liegt eine Studie vor, die bei der Erforschung von inoffiziellen Wirtschaftsaktivitäten und deren Auswirkungen auf die sozialistische Gesellschaft Maßstäbe setzt. Sie verdient es, bei künftigen Arbeiten nicht nur zum östlichen Europa, sondern auch darüber hinaus als Vergleichsfolie herangezogen zu werden.