G. Finke: Die Komponistenwitwe Constanze Mozart

Titel
Die Komponistenwitwe Constanze Mozart. Musik bewahren und Erinnerung gestalten


Autor(en)
Finke, Gesa
Erschienen
Anzahl Seiten
354 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dennis Schmidt, Universität Tübingen

Mozart ist ein Klassiker. Dies kann man als Gemeinplatz annehmen. Wie Wolfgang Amadé Mozart zu einem solchen wurde und vor allem, welchen Anteil daran seine Witwe Constanze hatte, damit beschäftigt sich Gesa Finke in ihrer biographischen Studie, die 2012 als musikwissenschaftliche Dissertation an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg angenommen wurde.

Dabei handelt es sich weder zeitlich noch inhaltlich um eine vollumfängliche Biographie Constanze Mozarts, sondern vielmehr um eine personenbezogene Untersuchung zur Etablierung Mozarts als memorabler Künstler, in der erinnerungs-, biographie- und gendertheoretische Überlegungen im Zentrum stehen. Zeitlich setzt Finke nach dem Tod Mozarts 1791 an, konzentriert sich also ganz auf die Zeit Constanzes als Witwe beziehungsweise Wiederverheiratete und dann zweimalige Witwe. Inhaltlich steht der Umgang Constanzes mit dem materiellen wie ideellen Erbe ihres ersten Mannes im Mittelpunkt – sie wird als zentrale „Nachlassverwalterin“ Wolfgang Amadé Mozarts präsentiert.

Gesa Finke teilt ihre Arbeit chronologisch in drei große Etappen: Erstens eine frühe Phase kurz nach dem Tode Mozarts bis 1797/98, in der es für Constanze in erster Linie um „Existenzsicherung und Versorgung“ (S. 87) ging; zweitens die Zeit der Verhandlungen über eine Gesamtausgabe der Kompositionen Mozarts in den Jahren um 1800; drittens die Herausgabe einer Biographie in den 1820ern. Fügen sich die ersten beiden Etappen gut zusammen, klafft zwischen der zweiten und der dritten eine relative Lücke, die nur mit einigen knappen Ausführungen überbrückt wird. Biographische Zusammenhänge, die über die Erinnerungsarbeit Constanzes hinausgehen, werden überhaupt selten thematisiert. Dies fällt noch stärker beim Übergang vom dritten Kapitel zum letzten Hauptteil auf, in dem die Errichtung des Mozartdenkmals in Salzburg sowie die Gründung des Mozarteums im Mittelpunkt stehen.

Vor diese Hauptkapitel setzt Finke eine sehr knappe und eine längere Einleitung. Darin macht sie einerseits die theoretischen Fundamente ihrer Untersuchung deutlich und entwirft zugleich ein gelungenes Panorama der „musikkulturellen Erinnerung um 1800“ (S. 21). Hier bewegt sie sich in einem breiten Spektrum von Erinnerungs-, Biographie- und Bürgertumsforschung sowie der Frauengeschichte. Dabei hält sich Finke vor allem an die Arbeiten von Aleida Assmann sowie ihrer akademischen Lehrerin Melanie Unseld, deren 2014 im Druck erschiene Habilitationsschrift „Biographie und Musikgeschichte“ 1 Finke als Manuskript zur Verfügung stand. Die Mozartforschung rezipiert sie selektiv hinsichtlich ihrer Fragestellung. Zwar ist das Fehlen einer umfassenden Biographie Constanze Webers/Mozarts durchaus zu bemängeln, Finke schießt jedoch weit über das Ziel hinaus, wenn sie von einer „bisher nicht erfolgte[n] wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit ihrer [Constanzes] Person“ (S. 16) schreibt, wie allein die von ihr selbst angeführte Literatur zeigt, die nicht einfach als unwissenschaftlich abgetan werden sollte. Englischsprachige Arbeiten – beispielsweise von Dexter Edge oder Jane Glover – hätten stärker herangezogen werden können.

Die ganze Untersuchung ist durch eine scharfe, geradezu dichotomische Grenzziehung zwischen höfischer und bürgerlicher Gesellschaft geprägt, die um 1800 ihre Transformationsphase erlebt und stark von der Aufklärung beeinflusst worden sei. Dass diese Ausführungen ohne Erwähnung Reinhart Kosellecks auskommen, irritiert. Die Gleichsetzung von Aufklärung und Demokratie (S. 25) beziehungsweise „Revolutionsbewegungen“ (S. 22) wird gerade der josephinischen Aufklärung nicht gerecht. Die Einbettung in allgemeinhistorische Zusammenhänge ist insgesamt nur in geringem Maße gegeben. Von den gravierenden politischen Entwicklungen der Zeit scheint Constanze wenig gespürt zu haben. Die Hochzeit mit Georg Nikolaus Nissen 1809 in Preßburg sei immerhin infolge der Besetzung Wiens durch Napoleon zu erklären, vor der Constanze und Nissen flüchteten (S. 228). Da aber auch Preßburg keineswegs von den Kriegshandlungen verschont blieb und sie nach der Hochzeit nochmal kurzzeitig nach Wien zurückkehrten, scheint diese These unwahrscheinlich. Die evangelische Konfession Nissens mag eher der Grund für die Heirat im Königreich Ungarn gewesen sein. Dass der 29. Dezember zur Fastenzeit gehörte, darf bezweifelt werden (S. 104) und ob man es mit Fanny Arnstein, von Arnstein oder van Arnstein zu tun hat, bleibt unsicher (S. 117f.).

Diese Monita sollen jedoch keineswegs die Stärken und Leistungen der Arbeit schmälern. Diese liegen nämlich genau in dem Kernbereich der Fragestellungen, das heißt, der Erinnerungsfunktion der Witwe und der Entstehung eines bürgerlichen musikhistorischen Gedächtnisses. Der Witwe habe sich ein „neuer, mächtiger Handlungsspielraum“ aufgetan, nämlich die „Möglichkeit der Gestaltung von Erinnerung“ (S. 65f.). Dies hing vor allem damit zusammen, dass die Witwe als „Zeugin“ fungieren und den „Anspruch einer Stellvertreterin“ erheben konnte (S. 51). In der ersten Phase tat Constanze dies vor allem als „erinnernde Witwe“ (S. 108). Akademien dienten einerseits ihrer Finanzierung wie auch der Erinnerung an ihren verstorbenen Mann (S. 100f.). Ob jedoch schon von Beginn an von echten „Erinnerungsstrategien“ (S. 102, 104) gesprochen werden kann, darf in Frage gestellt werden; so resümiert Finke dann auch am Ende, dass sich Constanzes „Selbstverständnis als Nachlassverwalterin“ „sukzessiv“ entwickelt habe (S. 299). Finke betont die Bedeutung der Salons, insbesondere für Kanonisierungsprozesse (S. 148f.). Einen solchen musikalischen Salon – über die Verwendung des Begriffs für diese Zeit wäre eine kurze Reflexion sinnvoll gewesen – führte ab 1801 auch Constanze Mozart. Dieser habe vor allem der Erinnerung an ihren Mann gedient, aber auch dazu, ihren Sohn Franz Xaver zu präsentieren (S. 143).

In der zweiten Phase habe Constanze das Ziel verfolgt, eine Gesamtausgabe Mozarts zu Wege zu bringen, wozu sie ein „Expertenteam“ (S. 161) um sich versammelte, zu dem Nissen, Silverstolpe, Stradner und auch Wranitzky gezählt hätten. Die Rolle Van Swietens bleibt etwas unterbelichtet; sie scheint nur immer wieder als wichtig durch (beispielsweise S. 202, 225). Finke benennt zwar dieses Expertenteam, in den folgenden Ausführungen tritt dann aber Constanze als zentrale Akteurin in Erscheinung. Die Interessen des Verlags (Breitkopf & Härtel, später auch André) waren nicht übereinstimmend mit denjenigen Constanzes. Sie waren jedoch aneinander gebunden, da Constanze als Zeugin für die Authentizität unerlässlich war. Durch den Vergleich der Verhandlungen Haydns über eine Gesamtausgabe mit Breitkopf & Härtel (Kapitel 3.5.) gewinnt die Bewertung an Tiefenschärfe. Die „Kanonisierungwelle“ (S. 219) in den 1810ern interpretiert Finke auch als Erfolg der Bemühungen Constanzes.

Die Erarbeitung einer Biographie Mozarts durch Nissen und Constanze prägte die dritte Phase. Erstmals war eine solche Biographie von Constanze schon 1798 angedacht (S. 223). Einen wichtigen Anstoß gab dann der Requiemstreit 1825 (S. 232ff.). Die Biographie war mehr eine „Montage“ (S. 241) schon vorhandener Texte. Mozarts Wiener Zeit war deutlich unterrepräsentiert, was erstaunt, da ja gerade Constanze diese Lücke aus ihrer Erinnerung hätte schließen können. Finke verweist auf die quellenkritischen Überzeugungen der Akteure, die der „persönlichen Auskunft“ weitaus weniger Gewicht als den Schriftquellen einräumten (S. 271). Die von Johann Heinrich Feuerstein fertiggestellte Biographie – Nissen starb 1826 – habe neben der Erinnerung an Mozart als Genie, auch die Funktion erfüllt, Nissen zu würdigen (S. 258) und zugleich Franz Xaver Mozart als würdigen Nachfolger zu präsentieren (S. 245).

In die letzten Lebensjahre Constanzes fällt die Diskussion um ein Mozartdenkmal in Salzburg, an dem sie mitwirkte. Die Einweihung am 4. September 1842 erlebte sie allerdings nicht mehr. Der Gründung von Dommusik-Verein und Mozarteum in Salzburg widmet sich Finke im letzten Unterkapitel. Mit dem Quellenbegriff des „intellektuellen Denkmals“ (S. 294) beschreibt sie die Funktion nicht nur als Schule, sondern auch als Ort der Erinnerung und des Aufbewahrens, als „Bibliothek und Archiv“ (S. 294).

Das Buch Gesa Finkes ist keine klassische Biographie und dies soll sie auch gar nicht sein. Es ist eine vor allem erinnerungsgeschichtliche Studie, in der die Rolle der Witwe intensiv herausarbeitet wird. Für die Konstruktion des Mozartbildes in den ersten Jahrzehnten nach dessen Tod, für die Rolle von (Komponisten-)Witwen und für die Kulturgeschichte der Musik „um 1800“ liefert die Studie eine ganze Reihe wertvoller Erkenntnisse.

Anmerkung:
1 Melanie Unseld, Biographie und Musikgeschichte. Wandlungen biographischer Konzepte in Musikkultur und Musikhistoriographie, Köln, 2014.

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