Militärgeschichte ist eine der traditionsreichsten historiografischen Disziplinen überhaupt, und sie könnte sich auch zu einem der innovativsten und notwendigsten Forschungszweige entwickeln. Der vergangene Kieler Historikertag hat in auffallend zahlreichen Sektionen gezeigt, wie aktuell und wie groß das Interesse an neuen Untersuchungsansätzen zum Thema "Krieg" und "kollektive Gewalt" ist. Wenn die Geschichtswissenschaft heutzutage tatsächlich ihren vielbeschworenen Beitrag als Kommentatorin des laufenden politischen Geschehens leisten wollte, dann könnte sie dies wohl zu keinem dringenderen Thema tun als genau zu diesem. Umso verdienstvoller und nützlicher ist es deshalb, dass diese Forschungsrichtung als 6. Band in die Reihe der "Historischen Einführungen" der edition diskord aufgenommen worden ist, die von Andreas Gestrich u.a. geleitet wird.
Leider geht jedoch Jutta Nowosadtko in ihrer Gewichtung der beiden genannten Dimensionen dieser Disziplin sehr ungleich vor, indem deren Tradition nahezu zwei Drittel des Textes gewidmet werden, während das verbleibende Drittel recht impressionistisch "Varianten des methodischen Zugriffs" (Zitat!) aneinanderreiht, wobei etwa – angesichts einer inzwischen sehr reichhaltigen Forschungslandschaft zur Geschichte der Männlichkeit unverzeihlich – der Geschlechtergeschichte gerade mal knappe zehn Seiten eingeräumt werden.
Den Tenor für diese Schwerpunktsetzung liefert die rechtfertigende erste Kapitelüberschrift "Warum ausgerechnet Militärgeschichte?" Auch wenn die Ablehnung, auf welche die Disziplin wegen ihrer traditionellen Beschäftigung mit "großen Ereignissen" und "großen Männern" gerade bei Sozialhistorikern und wegen ihrer hoch belasteten zeitgeschichtlichen Vergangenheit insbesondere in deutschsprachigen Ländern stoßen mag, eine bestimmte Rechtfertigung des Themas erfordert, so wünschte man sich doch angesichts der neueren Forschungsleistungen mehr Selbstbewusstsein und weniger Defensive in der einleitenden Präsentation. Es ist dies im Übrigen ein leichter Makel, der – wenn auch nicht so ausgeprägt wie hier – noch anderen Bänden aus der gleichen Reihe anhaftet, die ihre doch aufgrund aktuellen Forschungsdebatten ausgewählten Beiträge in übertriebener und manchmal etwas künstlich wirkender Art und Weise in eine lange Forschungstradition einzubinden suchen, worüber oft die Vorstellung der neueren Methoden und Instrumentarien, über die sich viele LeserInnen ja vor allem informieren möchten, zu knapp geraten.
So ordnet sich Nowosadtko eigentlich über weite Strecken ihrer Einführung der herkömmlichen Definition der Militärgeschichte unter, die dieses "Fach" als Spezialgebiet einzig von Militärangehörigen oder -erfahrenen ansah, das nicht ohne einschlägiges technisches und terminologisches Spezialwissen zu betreiben sei, woraus dann schon beinahe der Eindruck einer "Arkanwissenschaft" entstand. So befasst sich nicht bloß das ganze zweite Kapitel – knapp ein Drittel des Bandes! - mit der "Kriegsgeschichte der Militärs", also etwa mit "Generalstabsgeschichte" oder "Amtlicher Militärgeschichtsschreibung", sondern auch der Anhang am Schluss des Bandes vermittelt mit seinen rudimentären "formationsgeschichtlichen Hinweisen" und "Hinweisen zu den Kommandostrukturen" (die übrigens in einer seltsamen Reihung von der römischen Armee fast nahtlos direkt zur Reichsarmee und Wehrmacht springen – die Ränge der Bundeswehr werden offensichtlich als bekannt vorausgesetzt!) den "beginners" unter den Lesern den Eindruck, diese Forschungsrichtung sei doch in erster Linie mit positivistischer Erarbeitung und Deskription von Schlachtverläufen beschäftigt. Die ideologische Einordnung dieses ersten Schwerpunktes mit "Lernen aus den Erfahrungen der Vorgänger", "Antikenrezeption", "Ruhm und Traditionspflege" – so einige Untertitel dieses zweiten Kapitels – scheint mir hier doch etwas dürftig geraten. Der Obertitel des Bandes "Krieg, Gewalt, Ordnung" ließe eigentlich eine weitere Fassung und Neudefinition des Themas, über die verengte Sicht der "Militärexperten" hinaus erwarten, eine Erwartung, der die Einführung nur in Ansätzen gerecht wird.
Das dritte Kapitel ist dann den schwierigen Anfängen und der speziellen Situation der akademischen Militärgeschichtsschreibung in Deutschland gewidmet. Wie Nowosadtko in der Einleitung des Bandes zu Recht bemerkt, war gerade im deutschen akademischen Betrieb diese Historiografie wegen ihrer Vereinnahmung durch die nationalsozialistische "Wehrgeschichte" – zu der auch Gerhard Oestreich seinen Beitrag leistete (siehe dazu Nowosadtkos differenzierte Darstellung auf S. 96f.) – und später durch die Mühen der Vergangenheitsbewältigung des Zweiten Weltkriegs lange Zeit verpönt und geriet dadurch in Verzug zur internationalen, insbesondere französischen und englischen Forschung. Das kontroverse öffentliche Interesse an Ereignissen wie der Wanderausstellung über den Vernichtungskrieg der Deutschen Wehrmacht an der Ostfront 1941-1944 sowie die vor rund zehn Jahren einsetzende neuere deutsche Militärgeschichtsforschung zeigen den großen Nachholbedarf auf, der hier bestand. Es ist in diesem Kontext zwar verständlich, wenn über diese Lücke hinweg an unbescholtene Wissenschaftler anzuknüpfen versucht wird, aber ob deshalb Hans Delbrück und dem "Strategiestreit" aus der Gründerzeit ein so breiter Raum eingeräumt werden muss, scheint fraglich.
Die in den letzten beiden Kapiteln vorgestellten Ansätze und Debatten der laufenden Forschung sollten jedoch unbedingt weiterverfolgt und verfeinert werden. Dies gilt zum einen für die im vierten Kapitel vorgestellten, verschiedenen Möglichkeiten des methodologischen Zugriffs der Sozial-, Technik- und Kunstgeschichte. Warum sind allerdings in dieser Auflistung die Beiträge zur Kriegserfahrung in der Alltags-, Kultur- und Körpergeschichte nicht oder kaum aufgeführt bzw. nicht sogar als eigene Unterkapitel konzipiert worden? Schwer verständlich scheint auch, dass die Medien- oder Kommunikationsgeschichte mit ihren doch in diesem Kontext zentralen Beiträgen zu Propaganda und Zensur nicht als eigenes methodisches Feld behandelt wird.
Ebenso wie die im vierten Kapitel aufgereihten "Varianten" sind auch die im fünften Kapitel vorgestellten "Problemfelder der Forschung" etwas beliebig zusammengefügt, was sich etwa am problematischen direkten Springen vom Abschnitt "Krieg und Gewalt als anthropologische Konstanten" zum Untertitel "Disziplin und Disziplinarprobleme" zeigt. Es ist m.E. auch nicht wirklich ersichtlich, weshalb sie in einem eigenen Kapitel figurieren und nicht etwa beispielsweise als weitere "Varianten" das vorherige Kapitel erweitern, was besonders für die Debatte um "Krieg und die Geschlechterordnung" gilt. Daraus entsteht ein problematischer Eindruck über die Diskussionsrichtungen und -ziele der aktuellen Forschungsdebatte, nämlich der, dass die neue Militärgeschichte ganz viel sein könnte ... wenn sie es denn wollte. An dieser Stelle hätte eine Dosis eigener programmatischer Zielsetzung gut getan, wie sie mit einer eigenständigen Neudefinition des Forschungsgebietes möglich gewesen wäre, die allerdings erst in diesem letzten Kapitel gerade mal angeschnitten wird.
Zu vermissen ist auch die zu knapp ausgefallene Präsentation der Resultate epochenspezifischer Forschung, die eigentlich nur in Unterkapitel 2.1. "Die frühneuzeitlichen Wurzeln der Kriegsgeschichte" kurz behandelt werden; im selben Kapitel folgen dann auch noch verwirrenderweise die späteren, neuzeitlichen Entwicklungen und Überlegungen zum Sinn dieser Disziplin, die man sich an einer anderen Stelle gruppiert gewünscht hätte. Insbesondere die Ausführungen über die Lehren, die aus dem Ersten Weltkrieg gezogen wurden, hätten eine breitere Darstellung verdient und auch den Anschluss an die internationale Forschung ermöglicht, die ja sowohl in England und in Frankreich diesen als "la Grande Guerre" betitelten Komplex als fast noch größeren Einschnitt als den Zweiten Weltkrieg ausgemacht hat. Allein Nowosadtko setzt den Schwerpunkt auf die bundesrepublikanischen Verdienste um die Militarismus- und Friedensforschung nach 1945 – Auffallend scheint mir ebenfalls das nahezu vollständige Fehlen der Behandlung neuzeitlicher "Kleinkriegsformen" wie Guerillakriege oder Terrorismus, von Erscheinungen wie Résistance oder Collaboration nicht nur in Frankreich, oder der Erfassung von Bürgerkriegsphänomenen. Vermissen kann man auch, dass im Anhang keine Quellenbeispiele aus unterschiedlichen Perioden und Kontexten erscheinen, die beispielartig das Potential dieser Forschungsrichtung demonstriert hätten. Und schließlich hätten gerade auf diesem Gebiet, wo ja die verschiedenförmigsten Arbeitskreise existieren oder blühen, diese – und insbesondere die akademischen darunter – eine insgesamt breitere und detailliertere Vorstellung verdient, um dem Publikum eine bessere Orientierung zu ermöglichen.
All diesen Kritiken zum Trotz ist abschließend zu betonen, dass die Einführung mit ihrer sorgfältigen Bibliografie und in der Reichhaltigkeit der besprochenen Themen ein nützliches und ein großes Desiderat erfüllendes Buch darstellt, dem in derselben Reihe hoffentlich noch zahlreiche weitere folgen werden.