Mehr als hundert Frauen, in Talaren oder mit anderen Insignien der akademischen Profession ausgestattet, blicken ernst in eine Kamera – und heute vom Buchumschlag auf die Leser/innen. Schon allein die Zahl der 1922 beim zweiten Treffen der International Federation of University Women (IFUW) abgelichteten Akademikerinnen zeugt vom Erfolg dieses transnationalen Zusammenschlusses, der 1930 bereits 24.000 Mitglieder in 30 Ländern umfasste. In ihrer Habilitationsschrift zeichnet Christine von Oertzen die wechselvolle Geschichte der IFUW, seiner nationalen Mitgliedsorganisationen in Großbritannien, den USA und vor allem in Deutschland nach. Es gelingt ihr, die „Formierung einer multinationalen weiblichen Bildungselite“ (S. 7) in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu rekonstruieren. Nicht zuletzt kommt dieser Studie das Verdienst zu, die längst überfällige Geschichte des Deutschen Akademikerinnenbundes (DAB) kritisch und in allen ihren Facetten darzustellen.
Von Oertzen nutzt dazu bisher kaum beachtete Quellenbestände in den USA, Großbritannien und Deutschland und kann, trotz der teilweise spärlichen Überlieferung (zum Beispiel zur Geschichte des DAB) oder nicht (mehr) zugänglicher Quellen, detailliert die Gründung, das Wirken und das aus unzähligen Akademikerinnen bestehende Netzwerk nachzeichnen. Neben dem Ansatz der transnationalen Netzwerkgeschichte arbeitet sie mit einem (kollektiv)biografischen Zugang, um die personellen Verflechtungen, Laufbahnen, beruflichen Strategien und Verfolgungsschicksale zu interpretieren. Darüber hinaus sind diese Informationen im achtzigseitigen biografischen Anhang mit Einträgen über die beteiligten Akademikerinnen aufbereitet, der auch in Form einer Datenbank zugänglich ist 1 und Forschenden, die über die Vernetzung deutscher, europäischer und US-amerikanischer Akademikerinnen arbeiten, von großem Nutzen sein wird.
Die Gründung der IFUW 1919 ging auf persönliche Freundschaften von Akademikerinnen in den USA und Großbritannien zurück, die sich zum Ende des Ersten Weltkrieges zusammenschlossen, um der Völkerverständigung zu dienen, „sichtbar zu bleiben und weibliche Belange vertreten zu können“ (S. 389). Die Organisation etablierte in den 1920er Jahren nicht nur gut funktionierende Vernetzungsstrukturen für studierende, lehrende und forschende Frauen, sondern vergab auch Forschungs- und Lehrstipendien. Mit den durch Spenden finanzierten Gästehäusern in London, Paris, Washington und kooperierenden Einrichtungen in zwölf Ländern ermöglichte die IFUW günstige Unterkünfte auf Forschungsreisen sowie persönlichen und wissenschaftlichen Austausch. Ebenso ergaben sich durch die bis 1939 fast jährlich stattfindenden Mitgliederversammlungen mit 250 bis 500 Repräsentantinnen (neue) persönliche Kontakte über Länder- und Disziplingrenzen hinweg.
Bedingt durch die prekäre Situation der Frauenbewegung und der Wissenschaften in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg dauerte es bis 1926, bevor auch in Deutschland mit dem DAB eine entsprechende „akademische Standesorganisation mit gesellschaftlichem Führungsanspruch“ (S. 391) gegründet wurde. Die überwiegende Mehrheit der (wenigen) habilitierten Wissenschaftlerinnen Deutschlands wurde Mitglied im DAB; es entstanden 27 Ortsgruppen. Von Oertzen schildert kenntnisreich Entstehung, Programm und Gleichschaltung des DAB 1933. Der Ausschluss aller als jüdisch definierten Mitglieder, die von einem Teil der Mitglieder aktiv betriebene Einpassung in das NS-Herrschaftssystem und die Integration vorhandener Netzwerke in NS-Organisationen wurden vom DAB selbst nach 1945 noch jahrzehntelang ausgeblendet.
Zugleich erwiesen sich die in den 1920er Jahren geschaffenen internationalen Verbindungen als Überlebenshilfe für viele Emigrantinnen. In Großbritannien, ab 1938 dann in den USA engagierten sich die IFUW und ihre Mitgliedsorganisationen in der Fluchthilfe, indem sie Stipendien vergaben, Sponsor/innen für Reise-, Visa- und Unterhaltskosten fanden, Stellen vermittelten und darüber hinaus auch für die soziale Integration der exilierten Akademikerinnen in ihrer neuen Umgebung sorgten. Diese Unterstützung erstreckte sich sowohl auf ehemalige (und meist schon etwas ältere) Mitglieder als zunehmend auch auf Studentinnen und Absolventinnen aus Deutschland, Österreich, den vom Deutschen Reich besetzten Gebieten und anderen europäischen Ländern. Weit über 600 Akademikerinnen baten in dieser Zeit um Hilfe; nicht alle konnten gerettet werden. Von Oertzen analysiert „erstmals die Existenz eines außerhalb der bislang bekannten akademischen Fluchthilfeorganisationen global operierenden weiblichen Netzwerks“ (S. 393), seine Strategien, Erfolge (und Misserfolge). Hierbei thematisiert sie auch die unterschiedlichen (akademischen) Traditionen und Wertvorstellungen der britischen und US-amerikanischen Aufnahmegesellschaften.
Nachdem die IFUW 1945 den Status eines ständigen Beobachters bei allen UN-Organen erhielt, gründeten sich zahlreiche neue Mitgliedsorganisationen jenseits der westlichen Welt. Die gewandelte weltpolitische Lage veränderte jedoch die Ziele und Aktivitäten der Organisation, sodass „[m]it dem Kalten Krieg […] die Ära des Internationalismus unweigerlich zu Ende“ ging (S. 395).
In Westdeutschland wurde der DAB 1949 in Verbindung vor allem mit britischen Wissenschaftlerinnen wiedergegründet und 1951 – trotz einiger Vorbehalte – erneut in die IFUW aufgenommen. Treibende Kraft waren dabei diejenigen Akademikerinnen, die noch vor dem Ersten Weltkrieg studiert und in den 1920er Jahren internationale Kontakte etabliert hatten, womit sich die schon in der Weimarer Republik beklagte Distanz zwischen dem weiblichen Nachwuchs und der älteren Generation wiederholte. Die personellen Kontinuitäten innerhalb des DAB sowie das Anknüpfen an die Ziele der Weimarer Republik erschwerten dabei eine offene Verständigung über die Zeit des Nationalsozialismus, konstatiert von Oertzen.
Zugleich korrigiert sie mit ihrer Studie Thesen der (häufig geschlechterblinden) Wissenschafts- und Exilforschung. Zwar blieben insbesondere Ärztinnen und Lehrerinnen im Deutschen Reich, solange sie (in jüdischen Einrichtungen) arbeiten konnten, oder die Verantwortung für Familienmitglieder hielt Frauen (zunächst) von der Flucht ab. Insgesamt aber seien Akademikerinnen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen für die Emigration häufig besser vorbereitet gewesen, weil sie Fremdsprachen beherrschten und teilweise im Ausland studiert oder gearbeitet hatten. Die Autorin macht deutlich, dass Akademikerinnen für den Verbleib in ihrem Beruf kämpften, das heißt, auch im Exil unbedingt weiter in ihrer Profession tätig sein wollten, selbst wenn sie übergangsweise als Haushaltshilfe arbeiten mussten. Als Außenseiterinnen in einer männlich geprägten Welt der Wissenschaften, argumentiert sie überzeugend, hatten Akademikerinnen eine „krisenerprobte Berufsidentität“ (S. 332) entwickelt, die ihnen in der Emigration zu Gute kam. Entgegen der bisherigen Annahmen der Forschung kann von Oertzen zeigen, dass viele der durch die IFUW unterstützten Wissenschaftlerinnen beruflich wieder Fuß fassen konnten. An der Schnittstelle von Organisations-, Wissenschafts- und Geschlechtergeschichte, von Exilforschung und transnationaler Historiografie angelegt, erweitert dieses bemerkenswerte Buch den Wissensstand über Akademikerinnen in der westlichen Welt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Anmerkung:
1 <http://uwind.mpiwg-berlin.mpg.de>, (16.03.2013). Auf dieser Homepage finden sich darüber hinaus kurze inhaltliche Zusammenfassungen des Buches in englischer Sprache, einige Fotografien sowie der Hinweis auf eine englische Übersetzung der Studie.