Studien, die sich mit Männlichkeitskonstruktionen und ihrer Darstellung im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigen sind Legion und reichen bis in die späten 1970er-Jahre zurück. Monika Szczepaniak, Professorin am Lehrstuhl für Germanistik an der Kasimir-der-Große-Universität Bydgoszcz, fügt mit Militärische Männlichkeiten diesem auch in ihrem umfangreichen Literaturverzeichnis dokumentierten Korpus nun eine weitere Arbeit hinzu – allerdings erstmals unter einem komparatistischen Blickwinkel, in dem deutsche und österreichische Männlichkeitskonstruktionen und –dekonstruktionen einem Vergleich unterzogen werden im Hinblick auf die in der Forschung schon länger konstatierten Männlichkeiten im Plural. In zwei großen Kapiteln geht Szczepaniak nun erst auf die deutschen, dann auf die österreichischen Beispiele ein, wobei zunächst die Herleitungen und Entstehungen der jeweiligen Männlichkeiten mit Hilfe der vorliegenden vorwiegend geschichtswissenschaftlichen Forschungsergebnisse erläutert werden. Für Deutschland ergibt sich nach Szczepaniak dabei ein Primat des preußisch-militaristisch geprägten Stahlhelm-Trägers als “Überwinder” und “Stahlhelmnatur”, während die Konstruktion der kakanischen Männlichkeit auf einen mehr von Emotionen geprägten Typus ausrichtet war. Zu den weiteren Unterschieden zählen für Szczepaniak, dass deutsche Männlichkeit sich durch eine Verteidigung bzw. Identifikation mit der Nation auszeichnete, während in Opposition hierzu die kakanische Männlichkeit aufgrund der ethnischen Heterogenität eher auf die Funktion einer gesamtstaatlichen Integration ausgerichtet war. Die ersten Teilkapitel sind von einem gewissen Hang zur Harmonisierung gekennzeichnet, indem im Falle Deutschlands konkurrierende Männlichkeitsbilder wie die der deutschen Friedensbewegung explizit ausgeklammert werden oder indem im Falle Österreich-Ungarns in den jeweiligen Ethnien vorherrschende Männlichkeitsmuster durch eine Reduktion auf Österreich ausgeschlossen werden, was den Ansatz der Studie nahezu konterkariert
Im jeweils zweiten Teil der beiden zentralen Kapitel geht Szczepaniak dann der Frage nach, wie diese Männlichkeitskonstruktionen ihren Widerhall in literarischen und künstlerischen Repräsentationen in Deutschland und Österreich fanden und vor allem wie sie in diesen Medien dekonstruiert wurden. Der zunächst geschichtswissenschaftliche Fokus der Studie (unter dem Dach der Genderforschung) wechselt an diesen Stellen unvermittelt in einen vorrangig literaturwissenschaftlichen. Die zweiten Teilkapitel erschöpfen sich in einer Bestandsaufnahme von Texten und künstlerischen Darstellungen, die unter Überschriften wie “Helden”, “Drückeberger/Pazifisten” oder “Zuhälter des Todes” jeweils entweder auf eine Bestätigung, Problematisierung oder völlige Dekonstruktion fokussieren. Hierzu bedient sich Szczepaniak einer - auf den ersten Blick - Vielzahl von Beispielen, deren Auswahl, Repräsentativität oder historische Einordnung jedoch ungeklärt bleiben. Der zeitliche Rahmen der ausgewählten Repräsentationen erstreckt sich von 1914 bis 1938 und damit bis in die Exilliteratur hinein, ohne dass auch nur ansatzweise auf den Entstehungs- und Publikationskontext eingegangen würde, geschweige denn die mit der jeweiligen Publikation verfolgten Intentionen von Autor oder Verlag Berücksichtigung fände.
Für die deutschen “Stahlhelmnaturen” muss vor allem Ernst Jünger als Beispiel herhalten – allerdings in und mit jenen Ausgaben von In Stahlgewittern oder Das Wäldchen 125, die bearbeitet nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen.1 Manfred von Richthofens Der rote Kampfflieger wird in der von Manfred Wörner herausgegebenen Ausgabe von 1990 zitiert 2, Ludwig Renns Krieg in der DDR-gerechten Ausgabe von 1979 3, Luis Trenkers Berge in Flammen im Österreich-Kapitel in einer Buchclub-Ausgabe von 1972 4 – diesen Beispielen ließen sich weitere anfügen, die den recht sorglosen Umgang mit den Textquellen verdeutlichen. Dies setzt sich in den weitgehend paraphrasierenden Analysen der Texte fort, wenn zu Edlef Köppens Heeresbericht5 mit keinem Wort erwähnt wird, dass es sich hierbei um einen Collage-Text handelt, Andreas Latzkos Erzählungsband Menschen im Krieg6 nicht als Einheit gesehen wird, sondern je nach Argumentationserfordernis sowohl unter den “Unheilbaren Melancholikern” als auch unter “Geister der Helden” im Österreich-Kapitel firmiert. Während schließlich im Deutschland-Kapitel nahezu ausschließlich Fronttexte und zwar ebenso nahezu ausschließlich der Westfront herangezogen werden (wobei dieser Befund der Fokussierung auf die Westfront in den literarischen Repräsentationen der Zwischenkriegszeit von Szczepaniak nicht reflektiert wird), werden diesen im Österreich-Kapitel weniger Fronttexte sondern Beispiele mit Vorkriegs- und Nachkriegsfokussierung wie die Romane von Roth, Werfel oder Lernet-Holenia gegenüber gestellt, ohne dass nun in der Tat vergleichbare Texte aus Deutschland wie Remarques Der Weg zurück7, Renns Nachkrieg8 oder die zahllosen Heimkehrerstücke der unmittelbaren Nachkriegszeit Erwähnung fänden. Somit stehen deutschen reinen (West-) Fronttexten österreichische Texten gegenüber, die die Front lediglich als einen Aspekt männlicher Existenz im und nach dem Krieg beschreiben.
Szczepaniak konzentriert sich mit wenigen Ausnahmen auf die in der Forschung altbekannten und oftmals analysierten Beispiele, kann auf die entsprechende Literatur verweisen, schließt damit aber zeitgenössisch durchaus wirkmächtige Gegenbeispiele wie Heinrich Wandts Etappe Gent9 und Lamszus‘ Menschenschlachthaus10 aus oder verbannt sie wie Bruno Vogels Es lebe der Krieg11 (dessen Struktur im Übrigen falsch beschrieben wird) in die Anmerkungen. So nimmt es kein wunder, dass Szczepaniaks Ausgangsthesen von den unterschiedlichen deutschen und österreichischen Männlichkeiten in den Analysen bestätigt werden und im abschließenden “Stahlhelden und Uniformträger. Ein Fazit” kurz zusammengefasst werden. Die in den Texten präsenten deutschen Männlichkeiten erscheinen hier nun militant, auf eine Funktion in einer zukünftigen Gesellschaft ausgerichtet (wobei dieser Aspekt in der Analyse deutlich vernachlässigt wird, dessen Dominanz nach Matthias Schönings 2009 publizierter grundlegender Studie Versprengte Gemeinschaft12 nicht mehr zu unterschätzen ist), während die österreichischen Männlichkeiten weniger militant, emotionaler und damit weicher und vor allem retrospektiv auf eine untergegangene Gesellschaft ausgerichtet erscheinen.
Abschließend verweist Szczepaniak auf Walter Erharts These von der Männlichkeit als einem permanenten Zustand der Krise, woraus sie den Schluss ableitet, dies betreffe die “militärische Männlichkeit im Besonderen, die nach dem Großen Krieg als brachiale Virilität noch einmal zu hegemonialer Bedeutung kommt, die verunsicherte Krisenfigur des ehemaligen Soldaten ablöst, unter Marschtönen die europäische Bühne beherrscht und wieder eine spektakuläre Variante der Verbindung von Männlichkeit und Krieg generiert” (S. 246). Wie dies geschah oder geschehen konnte, bleibt ebenso unbeantwortet wie Szczepaniak in ihren Ergebnissen recht unpräzise bleibt, wenn es zum Beispiel zum Abschluss des Deutschland-Kapitels heißt: “Es scheint letztlich gelungen zu sein, die gebrandmarkten Männer […] auszusondern. Die harte Maskulinität, gleichsam als generative Männlichkeitsmaschine verstanden, wird […] in der Weimarer Kultur wieder zum hegemonialen Muster erhoben und kann sein aggressives Potential entwickeln […]. Der Mythos des heroischen deutschen Soldaten war stärker als seine Gegenbilder” (S. 133). Abgesehen davon, dass hier von den literarischen Repräsentationen auf den Ist-Zustand des gesamtgesellschaftlichen Diskurses und mehr noch auf die dominierende Männlichkeitskonstruktion geschlossen wird, bleiben die zentralen Fragen offen: Von wem dies prolongiert wird, mit welchen Mitteln dies erreicht wird und in welchem gesamtgesellschaftlichen Kontext dieser offensichtliche Prozess erfolgte ist Monika Szczepaniaks weitgehend im ahistorisch Deskriptiven verharrender Arbeit leider nicht zu entnehmen. Hervorzuheben ist jedoch, dass Szczepaniak mit ihrer Studie auf ein dringendes Desiderat aufmerksam gemacht hat: Es erscheint nach Militärische Männlichkeiten umso dringlicher, sowohl in der historischen als auch in der literaturwissenschaftliche und insbesondere in der Gender-Forschung die Gräben nationaler Sichtweisen auf den Ersten Weltkrieg zu verlassen und durch komparatistische Ansätze lieb gewonnene Gewissheiten in Frage zu stellen. Monika Szczepaniak hat hierzu den ersten Schritt getan.
Anmerkungen:
1 Zuerst Ernst Jünger, In Stahlgewittern. Aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers, Leisnig 1920; Zuerst Ernst Jünger, Das Wäldchen 125. Eine Chronik aus den Grabenkämpfen 1918, Berlin 1922.
2 Zuerst Manfred Freiherr von Richthofen, Der rote Kampfflieger, Berlin 1917; Manfred von Richthofen, Der rote Kampfflieger. Die persönlichen Aufzeichnungen des Roten Barons, mit dem Reglement für Kampfflieger und vierzig historischen Abbildungen. Einführung von NATO-Generalsekretär Dr. Manfred Wörner, Berlin 1990.
3 Zuerst Ludwig Renn, Krieg, Frankfurt am Main 1928; Ludwig Renn, Krieg. Mit 24 Lithographien von Bernhard Heisig, Leipzig 1979.
4 Luis Trenker, Berge in Flammen. Roman aus den Schicksalstagen Südtirols, Berlin 1931; Luis Trenker, Berge in Flammen. Der verlorene Sohn. Schicksal am Matterhorn. 3 Romane, Gütersloh 1972. Bibliographische Angaben im Literaturverzeichnis bei Szczepaniak zusätzlich unvollständig.
5 Zuerst Edlef Köppen, Heeresbericht, Berlin 1930.
6 Zuerst anonym, Menschen im Krieg, Zürich 1917; ab der 2. Auflage 1918 mit Autorennennung.
7 Erich Maria Remarque, Der Weg zurück, Berlin 1931.
8 Ludwig Renn, Nachkrieg, Wien 1930.
9 Zuerst Heinrich Wandt, Etappe Gent. Streiflichter vom Zusammenbruch, Berlin 1919.
10 Wilhelm Lamszus, Das Menschenschlachthaus. Bilder vom kommenden Krieg, Hamburg u.a. 1912.
11 Zuerst Bruno Vogel, Es lebe der Krieg! Ein Brief, Leipzig 1925.
12 Matthias Schöning, Versprengte Gemeinschaft. Kriegsroman und intellektuelle Mobilmachung in Deutschland, Göttingen 2009.