Cover
Titel
Peoples on Parade. Exhibitions, Empire, and Anthropology in Nineteenth-century Britain


Autor(en)
Qureshi, Sadiah
Erschienen
Anzahl Seiten
382 S.
Preis
€ 33,24
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Kristina Starkloff, Landesarchiv Baden-Württemberg

"Exotisch" und überwiegend knapp bekleidete Menschen umranden den nicht weniger ungewöhnlich gesetzten Buchtitel "Peoples on Parade". Aus heutiger Perspektive ruft diese Einbandgestaltung ambivalente Gefühle hervor. Die Neugier und Schaulust weckende "Exotik" bis "Erotik" mag Leser anziehen. Zugleich sorgen erlernte Toleranz und das Streben nach "political correctness" für Ablehnung dieser Art Abbildungen von posierenden Fremden. Mehr Klarheit bringt der Untertitel, mit dem das Forschungsfeld, nämlich "Ausstellungen, Imperien und Anthropologie im 19. Jahrhundert", also kurz das Phänomen der Zurschaustellungen außereuropäischer Völker im genannten Zeitraum, umrissen wird.1

Obwohl diese Form städtischer Unterhaltungskultur zeitweise ein Massenpublikum unterhielt, schenkte ihr die Forschung insbesondere für den britischen Raum nur geringe Beachtung.2 Umso erfreulicher ist es, dass Qureshi diese Lücke schließt, auch wenn weder Zielsetzung noch Fragestellung wirklich Neues zu bieten haben. Die Autorin nähert sich dem Phänomen, indem sie das Publikum und die verschiedenen Interpretationsformen unter folgender Fragestellung untersucht: Welche Art von Wissen wurde produziert und welchen Veränderungen unterlag es? Stand es im Zusammenhang mit den "Reizwörtern" "Imperialismus", "Rasse" oder Wissenschaften?3 Und sofern Verbindungen bestanden, welchen Einfluss hatten Zurschaustellungen? Die Antworten sollen mit Prozessen um die Produktion, Vermarktung, Aufführungspraxis und das Management dieser Darbietungen durch das gesamte 19. Jahrhundert verwoben werden (S. 4). Gut begründet liegt der Schwerpunkt auf dem Schauplatz London. Schließlich traten viele Gruppen zunächst in der Metropole in Erscheinung und bauten dort ihre Reputation auf. Nur erfolgreiche wagten die Tournee durch die Provinzen. überzeugend stellt Qureshi dar, dass bereits die außergewöhnliche Bevölkerungskonstellation und die gut entwickelte Infrastruktur der Stadt bewirkten, dass Zurschaustellungen wesentlich früher ihr Publikum fanden, als auf dem Kontinent, wo präsentierte Fremdheit noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts als zu fremd abgelehnt worden wäre. Erst Berührungen aufgrund einsetzender Expansionsbestrebungen und einer Erweiterung des Blickwinkels durch neue Kommunikations- und Fortbewegungsmittel führten auch im restlichen Europa zum Konsum dieser Unterhaltungsform.

"Peoples on Parade" ist in drei Teile mit insgesamt sieben Kapiteln untergliedert. Zahlreiche Abbildungen von sehr hoher Qualität illustrieren den flüssig geschriebenen Text. Damit könnte sich das Werk in die Literatur einreihen, die die meist kompromittierenden Darstellungen von den "Exoten" letztendlich nicht weniger voyeuristisch einsetzen als es zeitgenössische Publikationen taten. An dieser Stelle zeigt die Autorin Problembewusstsein. Sich der Brisanz ihres Materials bewusst, plante sie ursprünglich keine Bilder Ausgestellter einzufügen (S. 10). Zu Recht entschied sie sich dagegen dieses ausgeprägt visuelle Phänomen von seinen massenhaft existenten Zeugnissen zu trennen. Schließlich, so Qureshis Standpunkt, kann eine Analyse von auf den ersten Blick unschuldig wirkenden Abbildungen aufzeigen wie stark sie politisch aufgeladen waren.

Der erste Teil widmet sich der Großstadt London und seinen Bewohnern, Vertretern diverser Völker der Erde. Hier lebten Menschen verschiedenster Hautschattierungen, sozialer Stellungen und aller Formen der Beschäftigung nebeneinander. Innerhalb dieser Umgebung ermittelt die Autorin den Einfluss von Straßenvorstellungen auf den Markt von Zurschaustellungen. Allerdings, so ihre Einschränkung, garantierte allein die Verbreitung und ein an "Fremdheit" gewöhntes Publikum noch nicht den Erfolg einer Veranstaltungen. Entsprechend entwickelten und bedienten sich die Organisatoren verschiedener Werbestrategien, die überzeugend beschrieben werden. An dieser Stelle interpretiert Quereshi eine bislang allein zur Illustration genutzte Quellenart. Angesichts der Menge an Plakaten, Handzetteln und Annoncen die zeitweise den öffentlichen Raum geradezu überfluteten überrascht dieses von der Autorin aufgezeigte Forschungsdesiderat (S. 48). Zu kritisieren ist hier allein die oberflächliche Betrachtung. Sicherlich hätte sich eine detailliertere Deutung der dem Text ohnehin beigefügten Werbemittel als gewinnbringend erwiesen.

Der zweite Teil stellt die unterschiedlichen Motivationen der Organisatoren vor. Während einige überwiegend ökonomischen Profit zu erwirtschaften hofften, verfolgten andere missionarische und/oder politische Intentionen. Daneben hatte sich die Produktion von Wissen bis hin zur Manipulation der öffentlichen Meinung durch sorgfältige Inszenierung ihrer Vorstellung zum Ziel gesetzt. Dem logischen Gedankengang folgend, schließt die Autorin die Frage nach der Herkunft und Identität der Rekrutierten und Formen der Anwerbung an. Vergleichbar mit einigen europäischen und nordamerikanischen Zurschaustellungen handelte es sich um Gefangene, Kolonialisierte oder professionelle Schausteller, ein Phänomen, was in der Forschungsliteratur bereits dargestellt wurde.4 Deshalb fragt sich der Leser an dieser Stelle, ob eine umfangreiche Abhandlung gerechtfertigt ist.

Der dritte Teil widmet sich der vielfach existenten Verbindung zwischen Zurschaustellungen und Wissenschaften. Während vornehmlich Anthropologen und Ethnologen die Teilnehmer späterer Veranstaltungen in das anerkannte Schema der Evolutionstheorie pressten, wurden vor allem zu Anfang des 19. Jahrhunderts andere Theoriemodelle zur Erklärung unterschiedlicher physischer Erscheinungsformen herangezogen. Anstelle der späteren Einteilung in "schwarz" und "weiss" erfolgte die Klassifizierung anhand nicht physischer Attribute, wie Bekleidung, Religion und Sprache. In den späten 1850er und 1860er-Jahren änderte sich die Definition des Begriffs "Rasse" und neue Studienmethoden etablierten sich. Die Autorin stellt die Versuche, Zurschaustellungen als Ort wissenschaftlicher Beobachtung zu nutzen ihrer Institutionalisierung im Rahmen von Weltausstellungen entgegen. Dort wurden sie zunehmend mit den aus dem Laienstand erhobenen Wissenschaften Anthropologie und Ethnologie in Beziehung gesetzt und erlebten dadurch einen drastischen Wandel (S. 12).

"Peoples on Parade" ist nicht allein ein weiteres Überblickswerk zur Thematik der Zurschaustellungen. Vielmehr ist es gelungen, die Besonderheiten der britischen bzw. Londoner Präsentationen aufzuzeigen. So handelt es sich zwar nicht direkt um Vorläufer, die im restlichen Europa Nachahmung fanden, sondern vielmehr um in ihrer Erscheinungsform vergleichbare Phänomene mit ihren jeweiligen zeitgenössisch und lokal typischen Interpretationsmustern.

Zu kritisieren ist an dem Werk vor allem, dass es zu selten über den Überblick hinausreicht. Die Autorin beeindruckt zwar durch eine sehr breite Kenntnis der englischsprachigen Forschungsliteratur, die sie in der umfangreichen Bibliografie aufführt, lässt jedoch bezüglich des Quellenfundus Kreativität vermissen. So basiert ihre Darstellung auf zeitgenössischen Publikationen und Forschungsliteratur, Anekdoten und der Analyse von immerhin 42 Zeitschriften. Viel versprechende Archivbestände berücksichtigt sie dagegen nicht. Ob ihr die Unkenntnis der nicht englischsprachigen Literatur vorzuwerfen ist, kann sicherlich in diesem Rahmen nicht diskutiert werden. Allerdings hätte deren Beachtung so manche Wiederholung verhindern können. Entsprechend werden Leser, die mit der Materie vertraut sind, vor allem vom ersten Teil profitieren. Bezüglich der weiteren bleiben Wünsche nach mehr Tiefe und wirklich neuen Informationen offen.

Anmerkungen:
1 In der deutschen Forschung werden diese Veranstaltungen auch als "Völkerschauen" bezeichnet. Dieser Begriff betitelt überwiegend spätere Darbietungen und vernachlässigt die Zugehörigkeit zur Schaustellerei, die Qureshi im Londoner Raum anspricht. Entsprechend soll hier auf den zutreffenderen Ausdruck "Zurschaustellung" zurückgegriffen werden: Werner Michael Schwarz, Anthropologische Spektakel. Zur Schaustellung "exotischer" Menschen, Wien 1870-1910, Wien 2001, S. 3; Anne Dreesbach, Gezähmte Wilde. Die Zurschaustellung "exotischer" Menschen in Deutschland, Frankfurt am Main 2005, S. 319-320.
2 Alticks älteres wenn auch viel zitiertes Werk gibt lediglich einen ersten Einblick: Richard D. Altick, The Shows of London. A Panoramic History of Exhibitions, 1600-1862, Cambridge 1978.
3 Die Quellen von Zurschaustellungen nutzen eine Reihe von negativ konnotiertem Vokabular, das hier entsprechend in Anführungszeichen gesetzt wird.
4 Vgl. exemplarisch: Lester G. Moses, Wild West Shows and the Images of American Indians 1883-1933, Albuquerque 1996; Rea Brändle, Bryce Nayo, Geschichte einer afrikanischen Familie in Europa, Zürich 2007.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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