Für das Ziel, eine quellengestützte ausführliche Darstellung der Geschichte und Kultur des Sasanidenreiches, gleichsam einen „neuen Christensen“1, vorzulegen, bedarf es nicht nur intensiver Zusammenarbeit von Gelehrten unterschiedlicher Disziplinen, sondern vor allem auch der Auseinandersetzung mit dem vielfältigen und in seiner Aussagekraft höchst heterogenen Quellenmaterial. Einen Eindruck von dieser Vielfalt, aber auch von den Möglichkeiten der intensiven Auseinandersetzung mit der Überlieferung vermittelt der hier vorgestellte Sammelband. Er ist an einem der Zentren der Sasanidenforschung, dem CNRS (UMR 7528: Mondes iranien et indien) Paris-Ivry, betreut und von der besten Kennerin des Materials, Rika Gyselen, vorbildlich ediert worden.
Mit 52 mittelpersischen Pergamenturkunden aus spätsasanidischer Zeit (7. Jahrhundert n.Chr.) aus dem Berkeley Pahlavi Archive, die ökonomischer Natur (Quittungen über Lieferungen von Gütern, nicht zuletzt von Futter für Pferde, Esel und Maultiere) und dem Dādēn-vindād zuzuweisen sind, beschäftigt sich einer der wohl besten Kenner dieses Materials, Philippe Gignoux („La collection de textes attribuables à Dādēn-vindād dans l’archive pehlevie de Berkeley“, S. 11–134). Er ediert diese Texte nicht nur in vorbildlicher Weise (inklusive Wortverzeichnis usw.), sondern kommentiert sie auch ausführlich und stellt sie in einen historischen und administrativ-ökonomischen Zusammenhang. Die Herausgeberin selbst, besonders auf den Feldern der Glyptik und Numismatik ausgewiesen, deren Zeugnisse sie immer in einen makrohistorischen Zusammenhang zu stellen vermag, stellt in ihrem Beitrag („Un trésor monétaire sassanide du VIème siècle“, S. 135–146) eine Sammlung von 1049 sasanidischen Drachmen vor, die in die Zeit von Wahram V. (421–439) bis Chusro I. (45. Jahr: 575 n.Chr.) zu datieren sind, und die sie nicht zuletzt verschiedenen Münzstätten zuzuweisen vermag.
In seinem auch für den Romhistoriker relevanten Beitrag interpretiert Dominique Hollard die (einzigartige) Darstellung des Mithra als einer herrschaftsverleihenden und -legitimierenden Figur auf dem Relief Ardaschirs II. vom Taq-i Bustan als sasanidische Antwort auf Julian Apostatas Versuch, mit Hilfe Sols (Mithras’) den Erzfeind im Osten zu bezwingen („Julien et Mithrā sur le relief de Tāq-e-Bostān“, S. 147–163). Im zweiten Teil ihrer Studie zu Toponymen im syrischen „Buch der Keuschheit“ aus dem späten 8. Jahrhundert n.Chr. („Recherches de géographie historique sur le Livre de la Chasteté (suite)“, S. 165–176)2 leistet Christelle Jullien einen wichtigen Beitrag zur historischen Geographie und Verwaltungsgeschichte des iranischen Raumes in sasanidischer Zeit.
Die sogenannten Münzen Chusros IV. aus den letzten Jahren des Reiches und der frühislamischen Zeit stellt Malek Iradj Mochiri vor und gibt dabei zugleich einen Überblick zum Forschungsstand zu diesen außergewöhnlichen und umstrittenen Prägungen („Monnaies dites de ‚Khusraw IV‘“, S. 177–199). In dem umfangreichen Beitrag: „The Akhbār al-Tiwāl of Abū Hanīfa Dīnawarī: A Shu’ūbī Treatise on Late Antique Iran“ (S. 201–289) bietet Parvaneh Pourshariati nicht nur eine englische Übersetzung von wichtigen Teilen dieses für die Sasanidengeschichte bedeutsamen historischen Werkes, sondern setzt sich auch intensiv mit der Vita des Autors und der Entstehungsgeschichte seines Werkes auseinander, stellt dessen geographische Angaben (Toponyme Mesopotamiens und Irans mit ihren Belegstellen und teilweise auch Kommentaren) zusammen und gibt dem Historiker damit ein wichtiges Hilfsmittel zur Nutzung des Textes an die Hand.
Nikolaus Schindel („Eine Partie von Drachmen des Sasanidenkönigs Yazdgerd I. (399–420)“, S. 291–304) stellt Teile eines (angeblich in der Zabul-Region Afghanistans gefundenen) Münzhortfundes vor, der zwei Münzen Ardaschirs II. und 59 Münzen Yazdgerds I. enthält. Er erweitert nicht nur unsere Materialbasis, sondern liefert auch wichtige Informationen für die Münzstättenorganisation in Fars unter Yazdgerd I. Und schließlich bietet Ursula Weber eine überzeugende, aus dem Münzmaterial gewonnene Neuinterpretation „zu den Felsbildnissen des Königs Narseh“ (S. 305–319), die das Relief NiR 8 nicht länger als Investiturrelief, sondern als Versinnbildlichung der Rückgewinnung des xwarrah (des königlichen Glücksglanzes/Charismas) nach der schweren Niederlage gegen Rom erscheinen lässt.3 Ein ausführlicher Index beschließt den Band, den jeder Sasanidenforscher konsultieren muss.
Anmerkungen:
1 Arthur Christensen, L’Iran sous les Sassanides, 2. Aufl., Copenhague 1944.
2 Erster Teil in: Rika Gyselen (Hrsg.), Sources pour l’histoire et la géographie du monde Iranien (224–710), Bures-sur-Yvette 2009, S. 173–183.
3 Vgl. demnächst den ausführlichen prosopographischen Artikel der Autorin zu Narseh in: Iranica Antiqua 47 (2012), S. 153–302.