S. Marchand: German Orientalism in the Age of Empire

Titel
German Orientalism in the Age of Empire. Religion, Race, and Scholarship


Autor(en)
Marchand, Suzanne L.
Reihe
Publications of the German Historical Institute
Erschienen
Washington, D.C 2009: Cambridge University Press
Anzahl Seiten
526 S.
Preis
€ 44,67
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Sabine Mangold, Neuere und Neuste Geschichte, Universität Wuppertal

Vor wenigen Jahren hat Stefan Weidner ein wunderbares Buch mit dem Titel „Muhammedanische Versuchungen“ veröffentlicht. Das neue Buch von Suzanne Marchand „German Orientalism in the Age of Empire“ könnte – in freier Anlehnung daran – „Orientalistische Versuchungen“ heißen – und das in zweierlei Hinsicht: Denn hier hat sich eine Wissenschaftlerin nicht nur selbst verunsichern lassen, von dem, was sie in ihren Quellen vorgefunden hat, sondern die Autorin will auch ihre Leser verunsichern, indem sie auf die Kraft der Irritation, ja geradezu auf die Kraft der Zerstörung eines „narrow Christian-classical canon“ (Klappentext) hinweist, die in ihrem Thema steckt. Dieses Thema aber, nämlich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit orientalischen Texten und Kulturen durch deutsche Orientalisten im Zeitalter der Imperien, wird mit Suzanne Marchands Buch (hoffentlich) endgültig aus seiner Marginalisierung befreit und als das wahrgenommen, was es war: als eines der zentralen Themen deutscher Geistesgeschichte, das Hand in Hand ging mit der Beschäftigung mit der Welt der klassischen Antike und dem Christentum.

Doch der Reihe nach: Als Edward W. Said 1978 sein epochemachendes Werk ‚Orientalism‘ veröffentlichte, in dem er munter die Texte von europäischen Wissenschaftlern und Literaten verschiedener Nationen und verschiedener Zeiten über den Orient in einen Topf warf, nahm er seinerzeit die deutsche Orientalistik von seiner Kritik, die Orientalischen Studien seien eine koloniale Wissenschaft gewesen, aus; zugleich bescheinigte er aber auch den deutschen Orientalisten, die er nicht gelesen hatte, dass sie eine autoritäre Attitüde gegenüber dem Orient eingenommen hätten. Seither hat sich mehr als ein Forscher darum bemüht, diese Sichtweise Saids zu stützen oder zu revidieren, und auch Suzanne Marchand kann mit ihrer Geschichte der deutschen Orientalistik im Zeitalter der Imperien nicht anders, als sich in dieser wissenschaftlichen Debatte zu positionieren. Ihr Buch wird dabei das postsaidische Zeitalter, wenn nicht einläuten 1, so doch weithin sichtbar markieren.

Dabei geht es Marchand keineswegs darum, die nicht zu leugnenden Verbindungen zwischen Orientalistik und Politik, zwischen Orientalischer Wissenschaft und imperialistischem „empire-building“ zu negieren; immer wieder weist sie eingehend auf die „imperialist hybris“ der deutschen Orientalisten „before and after Kaiserreich’s leap into colonization“ (S.498) hin, ebenso wie auf die rassischen Stereotypen, die einige deutsche Orientalisten sich zu eigen machten. Worauf es ihr in 10 Kapiteln aber ankommt, ist etwas anderes: gespeist aus einer selbst für den Kenner noch Überraschungen bietenden und überaus breit angelegten Kenntnis der Quellen – orientalistische Fachtexte wie wissenschaftliche Korrespondenzen – legt Marchand die nicht so offensichtlichen, aber für die Orientalisten selbst so bezeichnenden Verunsicherungen offen, die mit ihrer Beschäftigung mit orientalischen Texten, Kulturen und Religionen einhergingen. Methodisch reflektiert stellt sie damit Saids eindimensionale Erzählung in Frage, „that German ‚orientalism‘ was a single, shared dicourse“ und setzt ihm die Erzählung eines vielstimmigen Diskurses entgegen, der sich aus dem „variable mix of identities“ der untersuchten Wissenschaftler ergab und tatsächlich beitrug zu „different relationships to Asia and its cultures“ (S.xxii).

Ausgangspunkte ihrer Darstellung sind dabei – angesichts des Titels vielleicht etwas überraschend – Reformation und Renaissance. Doch – wie Marchand noch einmal betont – ist die deutsche Orientalistik bekanntlich ohne ihre Ursprünge „in Renaissance philology and early modern biblical exegesis“ (Klappentext) nicht zu verstehen. Chronologisch arbeitet sich die Autorin dann durch das 19. Jahrhundert, wobei der Erste Weltkrieg (trotz einiger Anmerkungen zu Weimar und NS-Deutschland im Epilog) den Untersuchungszeitraum abschließt. Ihr Hauptaugenmerk richtet sich dabei, wie Marchand schreibt, nicht auf das „Orientbild“ der deutschen Orientalisten oder gar der Deutschen, sondern auf „the practice of oriental scholarship“ (S. xx). Dabei fragt sie allerdings weniger nach den konkreten Wissenschaftspraktiken, also nach methodischen Entwicklungen oder der Praxis in Studierstube und Feld, als vielmehr nach den Erfahrungen, Motiven und Weltbildern, die im 19. Jahrhundert mit dem Ein-gelehrter-Orientalist-Sein verbunden waren. Insofern haben wir hier mehr ein Stück deutscher Ideen- als deutscher Wissenschaftsgeschichte vor uns. Marchand fasst ihren Zugang mit dem Begriff „the politics of the field“ zusammen, wobei sie ausdrücklich die eindimensionale Erklärung ablehnt, dass „those politics were primordially and perpetually defined by imperialist relationship“ (S.xx). Stattdessen verweist sie auf die mentalen Verunsicherungen, die – das wird durch die Vielzahl der Beispiele eindringlich deutlich – vielerlei bedeuten konnten: Die Spannbreite der Reaktionen bewegte sich dabei zwischen dem furor orientalis und dem Ausschluss des Orients aus der wissenschaftlichen Betrachtung. Während es den Vertretern der ersten Kategorie, Bilderstürmern gleich, darum ging, den klassischen humanistischen wie jüdisch-christlichen Kanon hinwegzufegen und zu ersetzen, bedienten sich Letztere des nicht weniger zwiespältigen Arguments, der westliche Mensch sei eben nicht in der Lage, den Orient richtig zu verstehen.

Die These von der Verunsicherung hegemonialer humanistischer oder christlicher Interpretationen der Geschichte der Menschheit durch das spezielle Wissen der Orientalisten ist im Kern nicht ganz neu: Suzanne Marchand selbst hat in ihrem ersten Buch „Down from Olympus“ bereits auf die Herausforderung der Klassischen Philologen, Archäologen und Althistoriker durch die Orientalisten im weitesten Sinne hingewiesen; und auch Stefan Hauser hat, um nur ein Beispiel zu nennen, schon 2004 auf die altorientalistische Alternative zur klassischen Antike im Bildungskanon des Kaiserreiches hingewiesen.2 Doch Marchand geht mit „German Orientalism in the Age of Empire“ einen Schritt weiter und interpretiert die Irritationen durch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Orient und die daraus resultierenden Versuche, zu einer neuen, alternativen Erklärung des Eigenen, der eigenen (christlichen) Religion und der eigenen geistigen und kulturellen (westlichen) Tradition, zu kommen, als das Signum der deutschen Orientalisten. Damit unterstreicht sie noch einmal – was mittlerweile kaum mehr umstritten sein dürfte – , dass die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Orient in erster Linie der kulturellen Selbstvergewisserung galt; zugleich beharrt Marchand dezidiert darauf – und darin besteht das Besondere und Neue dieser Studie – , dass es gerade die Orientalisten waren, die dabei nicht nur zu einer alternativen orientalistischen Erklärung fanden, sondern geradezu einen interkulturellen Ansatz wagten. Die deutschen Orientalisten, so Marchand, integrierten ihr besonderes und in „hard work“ und „careful language study“ erworbenes Wissen über den Orient in die Konstruktion einer Geschichte Europas und der Menschheit und trugen so gewollt und ungewollt dazu bei „to defy conventions and norms“ (S. 498). Dass dieses „multicultural thinking“ (S. 495) oft im Ansatz stecken blieb, kann nicht ernsthaft bestritten werden, und Marchand tut das auch keineswegs. Vielmehr zeigt sie jeweils die ideengeschichtlichen Grenzen der einzelnen Orientalisten auf, indem sie auf deren jeweilige geistige Verankerung in der christlichen und klassischen Tradition wie deren politische Zugehörigkeiten innerhalb wie außerhalb der Universitäten hinweist. Kritisch ließe sich zudem anmerken, dass der Islam als Kultur von einigen deutschen Orientalisten gerade deswegen abgewertet wurde, weil er sich als synkretistisch, also als multikulturell erwies. Mit ihrer These betont Marchand nun aber – gestützt auf ein umfangreiches und überzeugendes Ensemble von Beispielen – , dass sich die deutschen Orientalisten das Eigene wie die Welt insgesamt grundsätzlich als Ergebnis von Beziehungen, Austauschprozessen und interkulturellen Vermischungen vorstellten. Die deutsche Orientalistik erscheint damit geradezu als die Begründerin des interkulturellen Paradigmas und der Transfergeschichte.

Alles in allem liefert Suzanne Marchand mit „German Orientalism“ also mehr als eine Geschichte der deutschen Orientalistik im Zeitalter der Imperien; sie hat vielmehr eine deutsche Ideengeschichte aus Sicht der Orientalisten geschrieben und damit ihren Selbstanspruch, „understanding the significance of orientalist scholarship for modern German cultural history“, eingelöst. Sie weiß selbst nur zu gut, dass auch mit dieser Studie nicht das letzte Wort zur Bedeutung der deutschen Orientalisten gesprochen sein wird; gerade der weite Quellen- und Problemhorizont, den Marchand eröffnet hat, macht neue Detailstudien insbesondere zu den noch viel zu wenig bekannten Orientalisten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, wie zum Beispiel August Fischer oder Felix Peiser, dringlich. Doch schon jetzt dürfte eines sicher sein: an Suzanne Marchand und ihrer These von der Entwicklung transkulturellen Denkens aus der Orientalistik heraus, kommt fortan keiner mehr vorbei, der sich mit der Geschichte der deutschen Orientalistik beschäftigt, und auch keiner mehr, der sich überhaupt mit der Geschichte der Orientalistik als Wissenschaft auseinandersetzt. Denn das bleibt am Ende doch eine der Fragen: ob das alles eigentlich so spezifisch für die deutsche Orientalistik war oder ob nicht auch die orientalischen Wissenschaften in Frankreich und England eine ähnliche Tradition kannten, die gleichfalls nur unter dem von Said behaupteten und zugleich von ihm ausgelösten hegemonialen Diskurs verdeckt geblieben ist.

Bei so viel Lob sei am Ende eine kleine Kritik aber doch vermerkt, die weniger die Autorin als den Verlag trifft: Es ist sicher dem Umfang des Buches und der amerikanischen Tradition wissenschaftlicher Bücher geschuldet, dass im Literatur- und Quellenverzeichnis nicht alle in den Fußnoten genannten Werke und Archivalien aufgeführt sind; da lob ich mir – größerer Umfang hin oder her – als Wissenschaftler aber doch die deutsche wissenschaftliche Publikationstradition! Was für eine Erleichterung für den Forscher, wenn er auf rund 500 Seiten nicht aufwendig in den Fußnoten nach den vollständigen Erstverweisen suchen muss, sondern ein vollständiges Literaturverzeichnis geliefert bekommt – nur für den Fall, dass er selbst weiterforschen will.

Anmerkungen:
1 Wie Marchand in ihrer Einleitung selbst schreibt, kann sie sich auf die Vorarbeiten einer Reihe von Studien zur deutschen Orientalistik beziehen, die sich um eine Überwindung der eindimensionalen und quellenfernen Sichtweise Saids auf die deutsche Orientalistik bemühen. Zu nennen sind hier u .a. die Studien von David Irwing, Sabine Mangold, Pascale Rabault-Feuerhahn und Indra Sengupta.
2 Vgl. Stefan Hauser, Deutsche Forschungen zum Alten Orient und ihre Beziehungen zu politischen und ökonomischen Interessen vom Kaiserreich bis zum Zweiten Weltkrieg, in: W. G. Schwanitz (Hrsg.), Deutschland und der Mittlere Osten (= Comparativ 14,1), Leipzig 2004, S.46-65.

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