Um die Geschichte der deutschen Arbeitsverwaltung war es nach Beiträgen von Anselm Faust, Dieter G. Maier und Hans-Walter Schmuhl eher ruhig geworden1. Nachdem jüngere Arbeiten vor allem die Rolle der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung als Akteur der Kriegswirtschaft des „Dritten Reiches“ herausgearbeitet haben, legt nun David Meskill eine neue Darstellung und pointierte Interpretation institutionalisierter Arbeitsmarktpolitik in Deutschland in zäsurenüberspannender Perspektive vor.
Die Studie fokussiert die Beratungsfunktion der Arbeitsverwaltung im Übergang junger Menschen von der Schule in den Beruf, die bis heute eines ihrer zentralen Handlungsfelder blieb. Sie geht von der Beobachtung aus, dass es der deutschen Wirtschaft gelungen sei, sich in den 1930er- und den 1950er-Jahren von den durch die Weltwirtschaftskrise bzw. den Zweiten Weltkrieg verursachten Einschnitten rasch zu erholen. Als eine Voraussetzung für diesen raschen Wiederaufstieg identifiziert Meskill den hohen Qualifikationsgrad des deutschen Arbeitskräftepotentials. Er erkennt entscheidende Ursachen dieses Strukturmerkmals in der seit dem späten Kaiserreich etablierten und bis in die 1940er-Jahre ständig ausgeweiteten Berufsberatung von Schulabgängern/innen durch eine öffentliche Arbeitsverwaltung und im Ausbau des Ausbildungswesens. Seine Geschichte erzählt das Buch in sechs großen Kapiteln, die einen Untersuchungszeitraum vom späten 19. Jahrhundert bis in die 1950er-Jahre abdecken.
Bereits vor dem Ersten Weltkrieg begann in Deutschland, das heißt in verschiedenen Bundesstaaten des Kaiserreichs, ein Nachdenken nicht nur über die Einführung einer staatlichen Arbeitsvermittlung, sondern auch über deren Verbindung mit einer Berufsberatung und einer Stärkung der Facharbeiterausbildung (Kap. 1). Motivation vor allem der preußischen Verwaltung war hierbei zunächst die Stabilisierung überkommener Gesellschaftsstrukturen durch eine Schicht gut ausgebildeter und entsprechend situierter Facharbeiter, die gegen die Sozialdemokratie immunisiert werden sollten (Kap. 2). Diese Idee verlor jedoch mit dem Ersten Weltkrieg ihre Prägekraft, als das Paradigma totaler Mobilisierung – erst als Kern der Kriegswirtschaft, dann als Antwort auf die vermeintlich fortgesetzte Existenzbedrohung Deutschlands in der Nachkriegszeit – in den Vordergrund rückte. Mit dem Entstehen zentraler und öffentlicher Arbeitsmarktinstitutionen auf normativer Grundlage ab 1916, aus denen 1927 schließlich die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung hervorging (Kap. 3), betrat zu diesem Zeitpunkt die moderne Arbeitsverwaltung als ein Akteur die Bühne, der die Gestaltung des Übergangs von der Schule in den Beruf als Handlungsfeld vereinnahmte, als langfristiges Projekt ausgestaltete und über die politischen Zäsuren hinwegtragen konnte.
Zum Leitmotiv dieses Prozesses wird bei Meskill die sogenannte „Totalerfassung“ aller Schulabgänger/innen, verstanden als Registrierung, Beratung und Vermittlung ganzer Jahrgänge, denen die Arbeitsverwaltung die nach ihrer Auffassung am besten geeigneten Ausbildungswege und Arbeitsplätze zuzuweisen trachtete (Kap. 4). Wenngleich der in den 1920er-Jahren anlaufenden Berufsberatung, der von Meskill so genannten „German skills machine“, bereits ein Anteil an der Bewältigung der Weltwirtschaftskrise zugemessen werden kann, so erreichte sie ihren Höhepunkt erst unter den Bedingungen totalitärer Herrschaft im „Dritten Reich“. Flankiert durch eine Ausweitung der Kompetenzen der Arbeitsverwaltung bei ihrer Einbindung in den „Arbeitseinsatz“ und gestützt auf den forcierten Ausbau des Ausbildungswesens in den 1930er-Jahren, war kurz vor Kriegsbeginn die „Totalerfassung“ der Schulabgänger/innen endlich umgesetzt und blieb auch während der Kriegszeit prinzipiell intakt (Kap. 5).
Diese kontinuierliche Entwicklung wird bei Meskill zur wichtigen Grundlage für den raschen Wiederaufbau und die Entfaltung des „Wirtschaftswunders“ nach dem Zweiten Weltkrieg (Kap. 6). Allerdings brachen die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen in der Bundesrepublik Deutschland den institutionellen Rahmen auf, der eine Berufsberatung mit der „Totalerfassung“ und der Zuweisung von Ausbildungsplätzen verbunden hatte. Prosperität, Demokratie und Individualismus forderten nun volle Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt und sorgten dafür, dass die 1952 zur Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung gewordene Arbeitsverwaltung ihre Lenkungsansprüche in der Berufsberatung um die Mitte der 1950er-Jahre aufgeben musste.
David Meskill präsentiert seine Fallstudie konzentriert und stringent erzählt. Er untersucht Berufsberatung und „Totalerfassung“ akribisch, wobei der politische Diskurs und weniger die Praxis im Vordergrund steht, misst ihnen aber auch außerordentlich große Wirkung im historischen Prozess und große erklärende Kraft zu. Dieser starke Fokus auf das Untersuchungsobjekt gepaart mit der Reichweite sich anschließender Interpretationen irritiert. So scheint es zu weit gegriffen, das Entstehen der „German skills machine“ allein als Antwort von Volk, Staat, Wirtschaft und Bürokratie auf die Krisen der 1920er-Jahre, und ihre Leistungskraft als zentrale Voraussetzung für den Wiederaufbau nach 1945 einzuschätzen. Wie groß tatsächlich der Einfluss der Arbeitsverwaltung war, hätte sich möglicherweise über die Frage klären lassen, ob die dargestellte Entwicklung ein deutsches Spezifikum war oder sich vergleichbare Strukturen in der Entwicklung der Arbeitsverwaltung anderer westeuropäischer Staaten beobachten lassen. Ein Vergleich wird zu Beginn der Studie zwar angekündigt, jedoch nicht durchgeführt.
Zugleich sieht Meskill das System der institutionalisierten Berufsberatung trotz wiederkehrender Hinweise auf ihre autoritären Strukturen überzogen positiv. Dies gilt insbesondere für die Geschichte der Arbeitsverwaltung im „Dritten Reich“. Hier vernachlässigt die Studie das einem solchen System generell inhärente Potential zu Selektion und Diskriminierung sowie die mit ihm einhergehende Beseitigung jeglicher Freizügigkeit, das sich in den 1930er-Jahren im Verbund mit der Realisierung der „Totalerfassung“ brutal manifestierte. Not getan hätte hier eine Verortung von deren Praxis im „Arbeitseinsatz“ und eine Bezugnahme auf die so genannte „Beschäftigtenkartei“, den immerhin 22 Millionen Karten umfassenden Versuch der „Totalerfassung“ des gesamten deutschen Arbeitskräftepotentials zwischen 1935 und 1938.
In gleichem Sinne hätte der Begriff der „Totalerfassung“ mehr analytische Aufmerksamkeit verdient. Eine Betrachtung seiner zweiten Bedeutung in der Semantik der Arbeitsverwaltung fehlt, fand der Begriff doch auch auf eine ganzheitliche Beschäftigung mit dem Charakter und den Fähigkeiten des zu Beratenden Anwendung, so dass sich eigentlich von einer doppelten Totalerfassung sprechen lässt. Ein Weiterverfolgen der Idee der „Totalerfassung“ hätte auch bei der Reaktion der Arbeitsverwaltung auf die Kritik an ihrer Arbeitsweise in den 1950er-Jahren ansetzen können. Zwar gab man widerstrebend die alten Objekte von Beratung, Vermittlung und Registrierung auf, jedoch nur, um sich neuen „Totalerfassungen“ zu widmen, etwa derjenigen der „Gastarbeiter“ in der „Ausländerkartei“, die ihr Dasein ebenfalls der Hybris totaler Kontrolle im „Dritten Reich“ verdankte. Dies hätte nicht nur den Einfluss der Eigenlogik bürokratischer Institutionen aufgezeigt, sondern auch die Kontinuitäten von „Totalerfassungen“ und autoritärer Arbeitsmarktpolitik über die von Meskill gewählten Zäsuren hinaus. Beides hätte die abschließende These der Studie relativiert, eine „Totalerfassung“ und der sich mit ihr verbindende Lenkungsanspruch der Arbeitsverwaltung hätten sich in den 1950er-Jahren, wie von ihren Gründungsvätern erdacht, durch den eigenen Erfolg überflüssig gemacht und die Deutschen in eine reife Demokratie entlassen.
David Meskills Analyse institutionalisierter Berufsberatung in Deutschland profitiert von seinem konzentrierten Blick auf das Untersuchungsobjekt und der Bearbeitung eines breiten Spektrums von Quellen und Literatur. Seine Untersuchung bereichert die Forschung über die deutsche Arbeitsverwaltung um eine bisher so noch nicht vorliegende Studie zu einem ihrer zentralen, jedoch häufig vernachlässigten Handlungsfelder. Darüber hinaus fügt sie der Geschichte von Planung und Organisation als politischer Strategie und bürokratischer Praxis einen Mosaikstein hinzu, der andere Zäsuren ausweist, als üblicherweise von einer an politischen Brüchen orientierten Geschichtswissenschaft angenommen. So funktioniert Meskills Buch als eine sachkonzentrierte Fallstudie; mit der Erklärung der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts ist es überfordert.
Anmerkung:
1 Hans-Walter Schmuhl, Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsverwaltung in Deutschland 1871–2002, Nürnberg 2003; Anselm Faust (Hrsg.), 100 Jahre Arbeitsmarktpolitik in Rheinland-Westfalen, Düsseldorf 1997; Dieter G. Maier, Anfänge und Brüche der Arbeitsverwaltung bis 1962, Bühr 2004.