[Anm. der Red.: Diese Rezension ergänzt unser Diskussionsforum „Qualitätsmessung, Evaluation, Forschungsrating. Risiken und Chancen für die Geschichtswissenschaften?“ vom Mai/Juni 2009; siehe <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/id=1098&type=diskussionenonen> sowie speziell den Beitrag von Richard Münch, Qualitätssicherung, Benchmarking, Ranking. Wissenschaft im Kampf um die besten Zahlen, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/id=1104&type=diskussionenonen>.]
„Solche Töne hört man von deutschen Lehrkanzeln selten! Das ist ein Buch, für das wir höchst dankbar sein müssen.“ Dieses Urteil der „Süddeutschen Zeitung“ über Richard Münchs „Die akademische Elite“ (2007) findet sich auf dem hinteren Buchdeckel der zweiten hier vorzustellenden Publikation „Globale Eliten, lokale Autoritäten. Bildung und Wissenschaft unter dem Regime von PISA, McKinsey & Co.“ (2009). Auf dem Vorsatzblatt ergänzt die biographische Notiz zum Autor, dass es sich bei dem Buch „Die akademische Elite“ um eine vieldiskutierte Studie zur Hochschulreform handle.
Offensichtlich soll also das frühere Werk Aufmerksamkeit für das jüngere wecken, soll der Erfolg des ersten, im Zentrum von Diskussionen zu stehen, auch dem zweiten vorab Autorität zusprechen. Anders formuliert: Mit dem ersten Werk hat Münch symbolisches Kapital angesammelt, das jetzt für den Erfolg des zweiten genutzt wird. Die Aufmerksamkeit für das zweite Buch wird erhöht; auch das Geschäftsinteresse des Verlages wird befördert. Das alles ist weder neu noch verwerflich. Es sei an dieser Stelle nur erwähnt, weil „symbolisches Kapital“ für Münchs Analysen und seine Kritik eine zentrale Rolle spielt. „Symbolisches Kapital“ ist die Kategorie, die es ihm erlaubt, die neueren Entwicklungen im deutschen Hochschulsystem als Weg in den „akademischen Kapitalismus“ zu konzipieren und zu kritisieren.
Man darf unterstellen, dass Münch die Strategie im Hinblick auf seine Publikationen billigt. Ganz sicher ist seinem soziologischen Blick auch nicht verborgen geblieben, welcher Mechanismus hier wirkt. Seine heftige Kritik an den Veränderungen im deutschen Hochschulraum hat also nichts damit zu tun, dass „symbolisches Kapital“ akkumuliert und eingesetzt wird, sondern muss sich darauf beziehen, wie das geschieht. Das zielt in zwei Richtungen:
(1) Wer ist es, der das Kapital sammelt? Im Falle von Münch ist es der einzelne Forscher, vielleicht zusammen mit einem Team. In der von ihm kritisierten Welt sind es Hochschulen, die sich zu Unternehmen umformen, die Markenqualitäten ausbilden und sich vermarkten.
(2) Von wo fließt das Kapital in den Sack dessen, der es akkumuliert? Bei Münch sind es die diskussionsbereiten und -fähigen Leser, seine am Gegenstand interessierten Adressaten. Im kritisierten Szenario sind es solche Personen, Institutionen oder – horribile dictu – Stakeholder, die sich entweder von dem schönen Schein blenden lassen oder ihn ausnutzen.
Das Spiel, das gegeben wird und als dessen Kritiker sich Münch positioniert, ist ein Schurkenstück. In einer deutschen akademischen Welt, die 200 Jahre lang wissenschaftliche Spitzenleistungen hervorgebracht habe, ohne dass es Elite-Universitäten oder Exzellenzinitiativen gegeben habe oder geben musste, schüfen und verbreiteten international operierende Unternehmensberatungen einen Rationalitätsmythos in Form von Managementwissen, das Forschung als Ressource von zu Unternehmen umfunktionierten Universitäten begreife und mit dem symbolisches sowie letztlich auch monetäres Kapital akkumuliert werde. Das alles gehe einher mit Monopolbildung (zumindest der Tendenz dazu) und mit der Verfestigung oligarchischer und patriarchalischer Strukturen. Die Entwicklung schade geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschung und benachteilige zudem kleinere Standorte. Als Folge drohe die kognitive Schließung in einem routinisierten Wissenschaftsbetrieb: Selbst exzellente Forscher könnten immer mehr Projektmittel nur mit sinkendem Grenznutzen verwerten, während dieselben Mittel – breit gestreut – allenthalben den Boden für blühende Kreativität bereiten könnten.
Dieses Geschehen spiele hinter dem Rücken der Akteure, die – an welcher Stelle auch immer – als Getriebene erscheinen: Der einzelne Professor stehe als Agent einer in der Rolle eines Prinzipals auftretenden Hochschulleitung gegenüber, die ihrerseits als Agent mit anderen Prinzipalen in der Politik oder – schlimmer – in institutionalisierten Organisationsformen gesellschaftlicher Interessen wie etwa den Hochschulräten konfrontiert seien. Die Spielregeln, die diesen Hexensabbat beherrschten, seien diejenigen des „New Public Management“.
Münch leitet seine Inszenierung der aktuellen hochschulpolitischen Situation aus einer diachronen Betrachtung der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Rolle der deutschen Universitäten her, der Veränderungen ihrer Fächer, der sozialen Milieus der Studierenden und des Verhältnisses zu anderen Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen. Er kontrastiert sie anhand eindrucksvoller Vergleiche vor allem mit der US-amerikanischen Wissenschaftsszene, aber auch mit Erscheinungen gänzlich anderer sozialer Konfigurationen wie dem Fußballsport. Die Argumentation ist theoretisch anspruchsvoll und mit zahllosen Befunden und Tabellen reichlich empirisch unterfüttert. Allenthalben finden sich scharfsinnige Analysen, bedenkenswerte Schlussfolgerungen oder Extrapolationen. Dabei schöpft Münch nicht nur aus einem reichen Reservoir klassischer oder zeitgenössischer Soziologie, sondern brilliert mit einer beneidenswerten Umsicht in Literatur und Publizistik. Die Materialien stammen zum Teil von Institutionen wie dem Wissenschaftsrat und dem Centrum für Hochschulentwicklung, die Münch als die Motoren des Verhängnisses apostrophiert.
Die ältere der in der „edition suhrkamp“ erschienenen Untersuchungen, „Die akademische Elite“, ist von der Grundthese geprägt, dass wissenschaftliche Exzellenz eine soziale Konstruktion sei, die Macht verteilt, Machtverteilung spiegelt und zu legitimieren versucht. Zugleich ist das Buch eine Kritik an den aktuellen Entwicklungen. Nach einer ausführlichen Einleitung (S. 10-46) stellt Münch die vorherrschenden Programme der Exzellenzkonstruktion als Dispositive der Macht dar (S. 47-204), beschreibt die Mechanismen der Machtverteilung sowie das Verhältnis von Ressourcenzufluss und Publikationsoutput im akademischen Feld (S. 205-296). Er deutet die Exzellenzrhetorik und die Umformung von wesentlichen Strukturen der Hochschullandschaft als Bemühungen, der Ausbildung von Monopolen Legitimität und Dauer zu verleihen und die tatsächlich wettbewerbswidrigen Effekte zu verschleiern (S. 297-372). Eine Schlussbetrachtung fasst die Ergebnisse in 14 Punkten zusammen, nimmt kritisch zu den diagnostizierten Befunden Stellung und schlägt Alternativen vor (S. 373-406): Das Hochschulsystem benötige insofern mehr Wettbewerb, als nicht nur ein hauptsächlicher Förderer wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft existieren dürfe, sondern dass es eine größere Pluralität von Förderorganisationen geben müsse. Zudem würden mehr Forscher an mehr Universitätsstandorten die Konkurrenz befeuern. Ihre Leistungen seien nach Publikationen pro Wissenschaftler, nicht nach Drittmitteln zu bewerten. Im ausführlichen Anhang finden sich wie schon im Text zahlreiche Diagramme und Tabellen, in die umfangreiche empirische Vorstudien eingegangen sind.
Der jüngere Band vereint ausführlichere Fassungen von bereits in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und in „Forschung und Lehre“ publizierten Aufsätzen, die die Kerngedanken des älteren Buches weiterführen und sie auch auf die PISA-Diskussion übertragen. Beiden Bänden sieht man an, dass es sich um zusammengefügte Einzelbeiträge handelt. Das führt zu vielen Wiederholungen, dürfte aber die Absicht des Autors unterstützen, der eben nicht nur soziologisch aufklären, sondern auch politisch wirken will. Die in immer neuen Variationen und Verbindungen vorgetragenen Einsichten und Thesen verleihen seinen Anliegen Nachdruck und Wucht. Dem dient nicht zuletzt eine pointierte, schnörkellose Sprache.
Münchs im Band von 2007 vorgelegten Untersuchungen sind inzwischen theoretisch, konzeptionell und empirisch kritisiert worden: Die „Soziologische Revue“ (32 (2009), S. 3-20) hat ihnen ein eigenes „Symposium“ gewidmet, in dem sich mit Karl Ulrich Mayer, Georg Krücken und Stefan Hornbostel ausgewiesene Experten zu Wort melden. Niemand kann und wird Münchs perspektivenreichem Ansatz seinen Respekt versagen, den Mayer sogar „zweifellos […] dem Genre der bedeutendsten Untersuchungen deutscher Hochschule und Forschung in der Liga von Friedrich Schleiermacher, Wilhelm von Humboldt, Helmut Schelsky und Fritz Ringer“ zuordnet (ebd., S. 4). Gleichwohl wird eine erhebliche Reserve gegenüber Münchs Darstellung artikuliert. Die Argumente müssen hier nicht wiederholt, sie sollen nur um einige Gesichtspunkte ergänzt werden.
Zuzustimmen ist Münch darin, dass wissenschaftliche Tätigkeit insbesondere in den geisteswissenschaftlichen Fächern vielfach individuell ist. Ihre Bezugsfelder sind zugleich meist hochkomplex, so dass sie mit wenigen Indikatoren nicht adäquat erfasst werden können. Das gilt aber auch für die von Münch bevorzugte, jedoch nie systematisch hergeleitete Bewertung nach Publikationen pro Wissenschaftler. Denn wer wollte bestreiten, dass es hier gänzlich unterschiedliche Formate gibt, die von kurzen Anzeigen über verdichtete Analysen bis zu notwendig umfangreichen Monographien reichen? Überdies ist mit solchen Rubrizierungen für ein Urteil über Qualität noch nicht viel gewonnen. Mit jeder Art von Kennziffern ist dem nur sehr äußerlich beizukommen. Die Gefahr, falsche Anreize zu setzen, muss, wie Münch mehrfach betont, stets bedacht werden.
Mit solchen Ziffern sind immer erhebliche Komplexitätsreduktionen verbunden. Ein daraus gebildetes Aggregat spiegelt keine Realität, sondern muss als Realitätsfiktion gelten. Diese kann aber gleichwohl von großem Nutzen sein – freilich nur dann, wenn der vermeintliche Befund nicht als Diagnose, sondern als interpretationsbedüftige Vorinformation verstanden wird, die jeder, der damit umgehen oder gar Entscheidungen darauf begründen will, zunächst hinreichend kontextualisieren muss. So betrachtet könnten auch die gerade jüngst in der Geschichtswissenschaft perhorreszierten Erhebungen des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) für produktive Gespräche genutzt werden. Das Fach könnte sie sogar dafür instrumentalisieren, seine eigenen Anliegen an den jeweiligen Universitäten gut munitioniert vorzutragen. Stattdessen gefällt sich der Verband der Historikerinnen und Historiker Deutschlands in einer heroischen, bei näherem Hinsehen aber ziemlich lächerlichen Kämpferpose. Man verweist auf einzelne in der Tat unbrauchbare Indikatoren, schlägt aber das Angebot des CHE in den Wind, hier dem Fach angemessenere zu entwickeln, und erklärt das CHE-Ranking für „wissenschaftsfremd“ und „unseriös“. Dieser Vorwurf fällt auf diejenigen zurück, die ihn erheben, denn die Methode des CHE ist vielfach wissenschaftlich überprüft. Wer das Gegenteil behauptet, müsste dafür den Beweis antreten, zumindest aber dartun, worauf denn die Kompetenz zu diesem Expertenurteil beruht. Umgekehrt sollte sich aber auch das CHE für eine gespielte Naivität zu schade sein, die in der Behauptung besteht, man wolle vor allem Studierende informieren. Es ist allgemein bekannt, dass CHE-Ergebnisse nicht selten als Druckmittel in den Hochschulen eingesetzt werden.
Münch hat sicher Recht, dass bornierte hochschulpolitische Akteure kurzschlüssig mit standardisierten, angeblichen Leistungskennziffern umgehen und damit Gefahr laufen, Vielfalt zu ersticken. Mit seinen Beobachtungen über den nur lockeren Zusammenhang von Drittmittelinput und Forschungsoutput pro Wissenschaftler leistet er zugleich einen wichtigen Beitrag zum kritischen Umgang mit den erhobenen Daten. Man sollte hier aber noch viel grundsätzlicher fragen: Ist der Begriff „Leistung“ überhaupt adäquat, wenn man sich mit dem Ertrag geisteswissenschaftlicher Forschung befasst? Wir wissen in der Regel, ob etwas originell, weiterführend, erhellend ist, ob es solide, perspektivenreich, anschlussfähig ist usw. Aber ist es deswegen eine (messbare) „Leistung“? Gehört es nicht zu den Aufgaben der Geisteswissenschaft, einen Sinn menschlicher Tätigkeit auch jenseits solcher Kategorien plausibel machen zu können, die für Maschinen entwickelt wurden? Es ist vermessen, dies alles mit einem Maßstab erfassen zu wollen.
Im Vergleich dazu erscheint es leichter, die Qualität der Lehre zu ermitteln. Überlegungen dazu trägt Münch leider kaum vor. Er lässt damit indirekt erkennen, dass er in seiner Philippika nicht das Gesamtsystem Hochschule im Blick hat, sondern aus der Perspektive einer bestimmten Gruppe von Hochschullehrern räsoniert – nämlich derjenigen, die sich als Verlierer der Veränderungen im Hochschulsystem empfindet. Diese Betroffenheit bestimmt seine Perspektive, macht ihn zum Teil sehr hellsichtig, beschränkt aber auch das Blickfeld.
Geschärft wird der auch im Hinblick auf die eigene Statusgruppe der Professoren selbstkritische Blick dort, wo Münch sich Tendenzen zur Oligarchisierung in den Wissenschaften zuwendet. Mit Recht versteht er diese auch als Konsequenz einer immer noch zu hierarchischen Personalstruktur. Aber die Rezeptur – eine radikale Vermehrung der Juniorprofessuren mit Tenure Track – greift zu kurz, weil so mittelfristig die Karriere für Jüngere sehr stark erschwert würde. So würde eine Wohltat für die Gegenwart mit dem Elend der Nachkommenden erkauft.
Neben (personal)strukturellen Fragen wäre grundsätzlich zu diskutieren, wie es gelingen kann, eine Kultur der Verantwortung zu stärken. Münch ist darin zuzustimmen, dass die Einschaltung von Unternehmensberatungen hier sehr kontraproduktive Wirkungen erzielt. Umgekehrt haben auch kurzschlüssige Demokratieparolen der „68er“ und die daran anschließende „Gremitis“ der Gruppenuniversität sich als untauglich erwiesen und eher den Schlaubergern als denen genutzt, denen Wissenschaften und Wissenschaftler am Herzen liegen: Diese von Luhmann trefflich als „Demobürokratie“ apostrophierte Zeit- und Kraftverschwendung ist weder sachdienlich, noch vermag sie dem Geist der Demokratie Flügel zu verleihen. Die Lösung ist überdies weder von bürokratisierten und vermachteten Akkreditierungsprozeduren zu erwarten, noch stimmt einen der Blick auf die Knospen jener Sumpfblüten optimistisch, die vielerorts unter dem Stichwort „Qualitätsmanagement“ heranwachsen. Nötig wäre es vielmehr, Kollegien in der eigenen Universität oder an benachbarten Universitäten miteinander über Bedingungen und Formen guter Forschung und Lehre ins Gespräch zu bringen – entschieden, aber behutsam, wobei weniger der Missstand und das Scheitern als vielmehr das gute Beispiel ins Zentrum zu rücken wären. An dieser Stelle sind die Fachgesellschaften gefordert, aber auch der Philosophische Fakultätentag.
In seiner Kritik an der Exzellenzinitiative behauptet Münch, dass die Geistes- und Sozialwissenschaften benachteiligt würden. Jeder, der sich in der Szene umschaut, wird Fälle kennen, dass geisteswissenschaftliche Fächer mit den neuen Formaten Schwierigkeiten haben und auch daran scheitern. Dies zuzugeben ist aber etwas anderes als die These, hier liege eine systematische Benachteiligung solcher Fächer vor. Es kann auch umgekehrt gehen: Die Universität Bremen ist in der vorigen Exzellenz-Runde in der dritten Förderlinie („Elite-Universität“) nur knapp gescheitert. Bemängelt wurde, dass ein überzeugendes Entwicklungskonzept für die Geisteswissenschaften fehle. In der aktuellen Vorbereitungsphase für die nächste Runde ist diese Kritik Anlass dafür, sich in der hausinternen Diskussion besonders mit den Geisteswissenschaften auseinanderzusetzen. Dass diese sich möglichst optimal entfalten können, wird so auch ein wesentliches Anliegen anderer Disziplinen. Deren Vertreter wissen nämlich genau, dass man nur gemeinsam oder gar nicht erfolgreich sein wird. Zu beobachten ist hier also der gegenteilige Effekt dessen, was Münch beschreibt.
Zugleich verdeutlicht das Beispiel, dass es durchaus von Vorteil sein kann und Chancen birgt, wenn nicht nur einzelne Forscherinnen und Forscher betrachtet werden, sondern ganze Institutionen. Ohnehin verwundert die geschichtsblinde Auffassung, dass es nicht früher schon Unterschiede in der Reputation zwischen Universitäten gegeben hat, die sich dann in rekonstruierbaren typischen Laufbahnmustern niederschlugen. Natürlich hat es auch immer solche Gelehrte gegeben, die sich in der Provinz hohes Renommée erwarben und dort aus welchen Gründen auch immer blieben. Aber man wusste von ihnen, dass sie eigentlich auch anderswo sein könnten – oder gar sein müssten.
Trotz dieser Einwendungen wird man zugeben müssen, dass die Profilierung von Universitäten bis hin zur Schaffung eines „Markenkerns“ eine neue Dimension erreicht hat. Man wird auch zugestehen, dass manche in diesem Zusammenhang unternommene Initiative nicht nur den guten Geschmack verletzt. Aber es erscheint mir nicht plausibel, solche Bemühungen ohne weiteres als Amerikanisierung, gar als Ökonomisierung in dem Sinn kritisieren zu wollen, dass damit die monetären Interessen einer internationalen Elite bedient würden. Vielmehr müssen sich auch die Hochschulen ihren Geldgebern gegenüber – das heißt in Deutschland in der Regel gegenüber den öffentlichen Händen – legitimieren, warum für sie erhebliche Steuergelder aufgewendet werden. Vermutlich wird dieser Druck unter den demographischen Bedingungen unseres Landes sogar wachsen. Für die Teilnahme an solchen Verteilungskämpfen fehlen noch weithin Tradition und Routine. Man muss deswegen aber nicht der kulturpessimistischen Sicht verfallen, dass man auf diesem Feld nur mit Plattitüden reüssieren könne. Gerade weil die deutschen Geisteswissenschaften weltweit nach wie vor einen sehr guten Ruf genießen, darf man mit Selbstvertrauen auf ihre Qualität verweisen und darauf hoffen, dass langfristig nicht hohle Phrasen im Wettbewerb obsiegen. Gelegentlich wundert man sich über die Verzagtheit, die eigenen Anliegen nicht für präsentabel zu halten: Viele Geisteswissenschaften haben doch jahrhundertealte Erfahrungen damit, höchst schwierige Sachverhalte pädagogisch angemessen zu reduzieren. Hängt es mit der verbreiteten Geringschätzung der Lehrerbildung zusammen, dass der Sensus dafür verloren geht, die eigene Tätigkeit und deren Bedeutung auch einem Laienpublikum zu vermitteln?
Geisteswissenschaften könnten jedenfalls erheblich dazu beitragen, dass Universitäten so attraktiv sind, dass man auch in Zeiten finanzieller Engpässe nicht auf sie verzichten will. Überdies sind die Bedingungen für Geisteswissenschaften, in den Genuss staatlicher Forschungsförderung zu kommen, in Deutschland erheblich besser als in vielen anderen Ländern. Bei der Entscheidung über die Bewilligung wird dabei zunehmend auch berücksichtigt, dass sich die Arbeit in diesen Fächern oft nicht in Teams organisieren lässt und dass wissenschaftliche Entwicklung oft nicht im Weiterbau besteht, sondern in der neuerlichen Verflüssigung etablierter Ansätze und Ansichten. Einige neue Förderformate der Deutschen Forschungsgemeinschaft und beim Bundesministerium für Bildung und Forschung, die auch den Aufbruch in wenig gesichertes intellektuelles Terrain erlauben, sollten gerade von den Geisteswissenschaften begrüßt und intensiv genutzt werden. Insgesamt ist und bleibt entscheidend, ob es gelingt, finanziell, institutionell, aber auch atmosphärisch Kreativität zu fördern. Mit seinen zahlreichen berechtigten Hinweisen auf die Dysfunktionalitäten verschiedener Steuerungsmechanismen trägt Münch wesentlich dazu bei, für solche Diskussionen die Bedingungen der Möglichkeit zu verbessern.
Einen guten Ausgangspunkt für die Reflexion darüber, was aktuell wirklich nottut, bietet auch die von Klaus W. Hempfer und Philipp Antony herausgegebene „Bestandsaufnahme aus der universitären Praxis“, die die „Situation der Geisteswissenschaften in Forschung und Lehre“ beleuchten soll. Der Band versammelt die überarbeiteten Beiträge und Repliken einer Tagung, die im „Jahr der Geisteswissenschaften“ 2008 gemeinsam vom Deutschen Akademischen Austauschdienst und von der Freien Universität Berlin veranstaltet worden war. Es ist erfrischend, dass schon die Konzeption nicht auf das generelle Thema „Sinn und Zweck der Geisteswissenschaften“ abstellte – die dabei immer ein wenig wie errötet in der Ecke stehende, verschmähte Schöne wirken –, sondern konkret nach den Bedingungen dafür fragte, wie die Geisteswissenschaften ihre internationale Spitzenstellung behaupten können.
Da alle, die hier Position beziehen, durch ihre wissenschaftliche Arbeit zu diesem Ansehen beigetragen haben, sind die Argumentationen von einem berechtigten Selbstbewusstsein getragen und können so unter Verzicht auf die verbreitete Larmoyanz sachgerecht auch die Probleme ansprechen. Peter Strohschneider und Erika Fischer-Lichte heben mit ihren Überlegungen zu den „Geisteswissenschaften im Wissenschaftssystem“ die besonderen historischen und institutionellen Bedingungen an der deutschen Universität hervor: Als Wissenschaften, also nicht als „arts“, könnten sie Wissenschaftsförderung beanspruchen und umgekehrt zugleich zur Selbstkritik der Wissenschaft in einer Wissensgesellschaft beitragen. Komplementär dazu müssten sie aber für sich selbst transparente und für Außenstehende nachvollziehbare Standards entwickeln, um die eigene Qualität zu sichern.
Unter dem Titel „Geisteswissenschaftliche Standards in Forschung und Lehre“ führen Ulrich Herbert und Sibylle Krämer diese Überlegungen fort und situieren sie im Spannungsfeld zwischen fachlicher Disziplinierung und Diversifikation als Bedingung von Entwicklung. Vor allem aber weist Herbert mit Recht auf den Skandal hin, dass sich die Relation der Studierendenzahl zur Professorenzahl in 15 Jahren verdoppelt habe. Das hat vielfach die Konsequenz, dass eine angemessene Betreuung nicht mehr möglich ist. Gleichwohl ist die Situation von vielen Studierenden lange klaglos hingenommen worden, weil man umgekehrt von ihnen auch kaum mehr Engagement und Anstrengung erwartet. Dieser klandestine Pakt zwischen überforderten Lehrenden und unterforderten Studierenden führt zur Aushöhlung von Qualitätsstandards und zu einem Ansehensverlust der Disziplinen: Wenn auch sehr mäßige Studienerfolge mit „gut“ oder „sehr gut“ bewertet werden, kann das die Interessierten frustrieren und bei allen Beobachtern den Eindruck von Niveaulosigkeit verbreiten. Das gilt nicht zuletzt für viele Bereiche der Lehrerbildung, die inzwischen, „so haben jüngste empirische Untersuchungen erschreckend deutlich ergeben, vor allem die Leistungsschwachen und Risikofeindlichen anzieht – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Qualität des schulischen Unterrichts“ (Herbert, S. 40). Damit wird ein Thema benannt, das bei allen Auseinandersetzungen um die Rolle der Geisteswissenschaften eine größere Aufmerksamkeit verdiente und nicht allein in „Expertenzirkeln“ zu behandeln wäre. Die damit zusammenhängenden Fragen betreffen nicht nur die im engeren Sinne „lehrerbildenden“ Fächer und erst recht nicht nur die Fachdidaktiken. Die Tagung hat sich damit leider nicht weiter befasst.
Stephen G. Nichols und Joachim Küpper diskutieren die Rolle der Geisteswissenschaften im Globalisierungsprozess, Michael Lackner und Ursula Lehmkuhl die Schwierigkeiten und Chancen von „Area Studies“, während Konrad Ehlich und Ekkehard König die Verbreitung des Englischen als dominierende Wissenschaftssprache kontrovers beleuchten. Offensichtlich ist den Herausgebern der hier durch Polarisierungen erzielte Gewinn einer komplexen Problemsicht nicht geheuer: Etwas umständlich und betulich versuchen sie in der Einleitung Konfrontationen aufzulösen.
Oliver Primavesi und Karin Donhauser machen deutlich, dass die aktuelle Diskussion über die so genannten „Kleinen Fächer“ oft nicht hinreichend zwischen solchen unterscheidet, die nur mit wenigen Stellen an den Universitäten vertreten sind, und solchen, die besser als Teilfächer anzusprechen seien. Die erste Gruppe macht eine der Stärken der deutschen Geisteswissenschaften aus. Ansgar Nünning formuliert schließlich acht „Thesen zur Internationalisierung der geisteswissenschaftlichen Doktorandenausbildung und Forschung“, auf die Wolfgang Mackiewicz und Paul Nolte antworten. Nünnings Argumentation mündet in ein „Plädoyer für die Humboldtian research university“. Die provokante Formulierung spiegelt die Beobachtung, dass nicht der bürokratische Bologna-Prozess, sondern die in den USA an einigen Stellen bewahrten Stärken der Humboldtschen Einheit von Forschung und Lehre größere Chancen auf erfolgreiche Internationalisierung bergen. Umso mehr überrascht, dass Nünning offensichtlich nicht bemerkt, wie sehr ihn die Rede von einer Doktoranden‚aus‘bildung vom traditionellen deutschen Bildungsbegriff entfernt.
Für die weitere Diskussion würde es sich lohnen, über die Notwendigkeit und Möglichkeit von Bildung einerseits als Grundlage für jede Art von Ausbildung, die die Universität ebenfalls zu vermitteln hat, und andererseits als wesentliche, wenn auch nicht alleinige Aufgabe für Geisteswissenschaften nachzudenken. Wenn es gelänge, solche Überlegungen weniger mit traditionellen Setzungen anzustellen, sondern vor dem Hintergrund der aktuellen Bedingungen deutscher Universitäten, hätte der Sammelband sich auch in dieser Hinsicht als vorbildlich erwiesen.