Anlässlich des 50. Todestages von Pius XII. im Oktober 2008 richtete das Päpstliche Komitee für Geschichtswissenschaften eine opulente Ausstellung zu Leben und Werk des Pacelli-Papstes aus. 1 Unter dem Titel „Opus Iustitiae Pax“ (lat. Der Frieden ist das Werk der Gerechtigkeit), dem Wahlspruch Pius‘ XII., war die Schau zunächst in Rom selbst, später auch in Berlin und in München zu sehen, den beiden Städten, in denen Pacelli als päpstlicher Nuntius gewirkt hatte. 2 Der Begleitband zu der Ausstellung erschien sowohl in einer italienischen Originalausgabe 3, als auch in einer deutschen, um zwei deutschlandspezifische Beiträge ergänzten Übersetzung, die hier besprochen werden soll. Der ausführlich bebilderte Band folgt der für Ausstellungskataloge üblichen Zweiteilung: Dem Verzeichnis der Ausstellungstafeln und der Exponate geht ein Essayteil voraus, der sechs Beiträge meist ausgewiesener Experten zu unterschiedlichen Aspekten des Pius-Pontifikats umfasst.
Eugenio Pacelli war in den letzten drei Jahrhunderten der einzige in Rom geborene Papst. Als Sohn der Ewigen Stadt erfuhr er eine besondere Verehrung durch ihre Einwohner, nicht zuletzt nach dem er sich im Zweiten Weltkrieg intensiv bemüht hatte, die Metropole vor Kriegszerstörungen zu bewahren. Auch in theologischer Hinsicht stand Pius XII. in einem speziellen Verhältnis zu seiner Geburtsstadt: Im übernationalen Charakter Roms sah er den Kern des christlichen Universalismus und einen Garanten der kirchlichen Einheit. Andrea Riccardi, Träger des Internationalen Karlspreises 2009, widmet sich in seinem Beitrag dieser unter Pius XII. besonderen katholischen „Romanitas“, der seiner Meinung nach auch eine Kritik am übersteigerten Nationalismus des faschistischen Italiens immanent war. Nachdem einleitend der Römer Pacelli vorgestellt wurde, widmet sich Pietro Pastorelli in einem weiteren biographischen Essay dem Politiker Pacelli, dessen rasante kuriale Karriere von Beginn an von außenpolitischen Aufgaben geprägt war. Während seiner Tätigkeit in der „Kongregation für die Außerordentlichen Auswärtigen Angelegenheiten“ (1901-1917) und als Kardinalstaatssekretär (1930-1939) unternahm Pacelli zahlreiche Auslandsvisiten (darunter auch nach Nord- und Südamerika), die sein Bild von der katholischen Kirche als Weltkirche prägen sollten. Als Nuntius im Königreich Bayern sowie später im Deutschen Reich (1917-1929) und als Oberhaupt der katholischen Kirche (1939-1958) sah er sich vor allem vor die Herausforderung gestellt, den totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts entgegenzutreten. In der knappen Darstellung dieser politischen Entwicklungen sind Pastorelli leider zwei grobe Fehler unterlaufen: So spricht er von einer „bedingungslosen Kapitulation“ (S. 39) des Deutschen Reiches im November 1918, statt – wie richtig – von einem Waffenstillstand. Außerdem gibt er die Opferzahl des DDR-Aufstandes vom 17. Juni 1953 mit „Hunderte von Toten“ (S. 52) zu hoch an. 4
Nachdem der Vatikan die Nuntiaturberichte aus München und Berlin sowie die Akten aus seiner Amtszeit als Kardinalstaatssekretär in den Jahren 2003 und 2006 für die wissenschaftliche Nutzung freigegeben hat, konnte mit wichtigen Forschungsarbeiten zur Vervollständigung der Biographie Eugenio Pacellis begonnen werden. Karl-Joseph Hummel gibt in seinem Beitrag einen Überblick über die ersten Erkenntnisse aus diesen neuzugänglichen Konvoluten. Daraus geht etwa hervor, dass weder die Zustimmung der beiden im Reichstag vertretenen katholischen Parteien (Zentrum und Bayerische Volkspartei) zum Ermächtigungsgesetz, noch die öffentliche Rücknahme der Warnung vor dem Nationalsozialismus durch die katholischen Bischöfe vom 28. März 1933 auf Weisung Pacellis erfolgten oder in irgendeinem aktenmäßig nachweisbaren Zusammenhang mit den von ihm geführten Verhandlungen zum Reichskonkordat standen. Hummel setzt sich kritisch, aber nicht unbedingt überzeugend, mit den Ergebnissen einer ersten Aktenauswertung der Forschergruppe um den Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf auseinander. 5 Für Hummel übte der zwölfjährige Aufenthalt in Deutschland auf Pacelli einen starken und nachhaltigen Einfluss aus, der sich insbesondere in seinem bis zum Lebensende bestehenden deutschen Beraterkreis fortgesetzt habe. Er widerspricht damit einer Einschätzung Wolfs, der den Nuntius nur auf einer „Durchgangsstation“ (S. 58) hin zu höheren Aufgaben im Vatikan sah. Und während Wolf aus den Quellen die Forderung Pacellis nach ganz dem Willen Roms ergebenen deutschen Ortsbischöfen liest, stellt Hummel die Ermunterung Pius‘ XII. zu „einer offensivere[n] kirchenpolitische[n] Position“ (S. 65) des Episkopats heraus.
Der „Produzent“ der Berliner Ausstellung Ingo Langer ist mit dem Beitrag „Papst Pius XII. und Berlin“ im Katalog vertreten. 6 Der Titel seines Aufsatzes suggeriert, dass es hier um das Verhältnis von Pacelli zu seiner Wohn- und Wirkungsstätte in den Jahren 1924-1929 als Nuntius im Deutschen Reich ginge. In dem Essay findet sich jedoch nur eine einzige Aussage dazu, welche Spuren Pacelli in der deutschen Hauptstadt hinterließ: Die Umbenennung der früheren Cecilienallee im Süden Berlins in Pacelliallee im Jahr 1949. Stattdessen handelt es sich bei Langners Beitrag um eine Auseinandersetzung mit Rolf Hochhuth, der mit seinem Theaterstück „Der Stellvertreter“ fünf Jahre nach dem Tod Pius‘ XII. die bis heute anhaltende Kontroverse um das Verhalten des Papstes gegenüber der Shoah ausgelöst hatte. Hochhuth wird einerseits eine Arbeit im Dienst des Kommunismus, ein „Geschenk aus den Händen eines Westautoren [an den] Ostblock“ (S. 71), andererseits Naivität in der Einschätzung der Person Hitlers attestiert. (S. 72) Nachdem dem Regisseur der Berliner Uraufführung des „Stellvertreters“ Erwin Piscator noch das „fraglose[n] Talent eines altgedienten Propagandisten der kommunistischen Sache“ (S. 71) zugesprochen und ausgerechnet das „Neue Deutschland“ mit einer zustimmenden Bewertung des Stückes zitiert wird, präsentiert Langner am Ende des streckenweise polemisch gehaltenen Beitrages seine „wirkliche Wirklichkeit der Causa Pacelli […] : ‘Pius XII. war ein mutiger Papst, der viele Juden rettete‘“. (S. 73)
Die beiden abschließenden, jeweils von Vatikanmitarbeitern verfassten, Beiträge beschäftigen sich mit Seitenaspekten des Pacelli-Pontifikats: zum einen mit Pius‘ ambivalenten Verhältnis zur bildenden Kunst und zum anderen mit der offiziellen numismatischen Darstellung des Papstes. Bei letzterem Aufsatz fehlen leider einige einleitende Bemerkungen zur Geschichte, Bedeutung und Verbreitung der darin behandelten päpstlichen Jahresmedaillen. Auf die wissenschaftlichen Essays folgt im zweiten Katalogteil der farbige Abdruck der 74 chronologisch aufgebauten Ausstellungstafeln. Angaben und Abbildungen zu den Exponaten sind ihnen aber nicht wie für Ausstellungskataloge üblich thematisch zugeordnet, sondern folgen im dritten Teil des Bandes in der Reihenfolge der Leihgeber, was sich für den wissenschaftlichen Zugriff als unpraktisch erweist. Der Band wird von einer synoptischen Chronologie und einer umfangreichen Bibliographie zu Pius XII. abgeschlossen.
Insgesamt scheint die deutsche Ausgabe des Kataloges unter großem Zeitdruck produziert worden zu sein. Ein gründliches Lektorat jedenfalls hätte die unvollständigen bzw. fehlenden Quellenangaben zu den Zitaten ergänzen (vor allem in den beiden ersten Beiträgen), Zitatdoppelungen innerhalb der Aufsätze herausnehmen (gleiche Aussagen von Johannes Paul II. auf S. 27 und S. 34, von Pius XII. auf S. 30, von Willy Henneberg auf S. 68 und S. 73) und die teils sperrigen deutschen Übersetzungen der italienischen Originalbeiträge glätten können (insbesondere in den Essays zum Politiker Pacelli und zum Kunstverständnis Pius‘ XII.).
Die Ausstellung wie der Katalog sind Teil der Bemühungen des Vatikans um eine öffentliche Rehabilitierung Pius‘ XII. im Hinblick auf das laufende Seligsprechungsverfahren. Daher ist ihr apologetischer Charakter nicht zu verkennen, vor allem was das Verhalten Pacellis gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschen Reich und gegenüber der Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden von 1933 bis 1945 betrifft. Für die wissenschaftliche Nutzung eignet sich der Band nur bedingt, zumal der Erkenntniswert der Beiträge in diesen Fragen nicht neu ist. Meist werden nur bekannte Äußerungen des Papstes wohlwollender interpretiert, zum Teil in „verklärender Sicht“. 7 Nichtsdestotrotz scheint gerade der Katalog auf ein unerwartet hohes öffentliches Interesse zu stoßen. Schon Ende März gab der Verlag den Ausstellungsband in einer zweiten Auflage heraus - die erste Charge war binnen zweier Monate vergriffen.
Anmerkungen:
1 Siehe die Internetseite der Ausstellung: <http://www.papstpiusxii.de> (24.04.2009).
2 Siehe die Ausstellungsbesprechung bei H-Soz-u-Kult von Daniel Gerster: Ausstellungs-Rezension zu: Papst Pius XII - Das Werk der Gerechtigkeit ist der Frieden 23.01.2009-07.03.2009, Schloss Charlottenburg, Neuer Flügel, in: H-Soz-u-Kult, 28.02.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=108&type=rezausstellungenngen> (24.04.2009).
3 Pontificio Comitato di Scienze Storiche (Hrsg.), Pio XII. L’uomo e il pontificato (1876-1958), Città del Vaticano 2008. Siehe das Inhaltsverzeichnis unter: <http://bvbr.bib-bvb.de:8991/exlibris/aleph/a18_1/apache_media/EN4YR4S5CLMEJBYC91HG7LFJAEUEI7.pdf> (24.04.2009)).
4 Das Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam hat 55 durch Quellen belegte Todesopfer ermittelt. Siehe die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse in: Edda Ahrberg (Hrsg.), Die Toten des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953, Münster 2004.
5 Hubert Wolf / Klaus Unterburger (Bearb.), Die Lage der Kirche in Deutschland 1929. Der Schlußbericht des Nuntius vom 18. November 1929, Paderborn 2006, und Hubert Wolf, Papst und Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich, München 2008.
6 Auch als pdf-Dokument im Internet abrufbar: <http://www.papstpiusxii.de/dokumente/Pius%20XII%20und%20Berlin.pdf> (24.04.2009).
7 So Rainer Blasius in seiner Ausstellungsrezension in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 29. Januar 2009, S. 7.