Cover
Titel
Geschichte Italiens. Vom Risorgimento bis heute


Autor(en)
Feldbauer, Gerhard
Erschienen
Anzahl Seiten
360 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Volker Reinhardt, Universität Fribourg

Manchmal spiegeln Bibliographien nicht nur den Forschungs-, sondern auch den Bewusstseinsstand eines Textes wider. Genau das ist hier der Fall. Dennis MackSmith, der weltweit (gerade auch in Italien) wohl angesehenste Risorgimento-Forscher, wird keiner Erwähnung für würdig befunden; stattdessen ist Karl Marx, in Personalunion mit Friedrich Engels, mit 11, Lenin mit 9, Palmiro Togliatti mit 7 Titeln vertreten, wohl gemerkt unter „Literatur“, nicht unter Quellen, Seite an Seite mit Giuseppe Tomasis Roman „Il Gattopardo“ (aus dem nicht einmal die Namen richtig zitiert werden).

Wahrheit – das macht dieses Verzeichnis deutlich - altert und verjährt nicht, Wahrheit ist ewig und macht Forschung überflüssig. Da kommt es dann auf Faktengenauigkeit auch nicht mehr an. Garibaldi wurde 1867 bei Mentana von den französischen Truppen geschlagen – dass ein päpstlicher General das Kommando hatte und die päpstlichen Truppen das Gros seiner Armee stellten, wird verschwiegen. Carlo Pisacane, der hochadelige Sozialrevolutionär, wird beim Versuch, die Landbevölkerung des Südens zum Aufstand anzustacheln, mit seinen Getreuen 1857 von neapolitanischen Truppen niedergemacht – in Wirklichkeit waren es die Bauern selbst, die das idealistische Häuflein der Menschheitsbefreier mitleidlos niedermetzelten.

Die Wahrheit, die hier als unverrückbar erwiesen werden soll, ist die des auf ein schematisches Gerüst reduzierten dialektischen Materialismus. Diesen Zwängen entsprechend, muss der Lombardenbund des Jahres 1176 „ein Vorläufer der künftigen kapitalistischen Gesellschaftsordnung“ werden, nach der simplen Gleichung: wer 1176 in der Stadt lebt, kann nicht „feudaladelig“ sein, ist ergo bürgerlich, nimmt also die neue Wirtschaftsordnung des „Kapitalismus“ voraus, die bekanntlich auf „Feudalismus“ folgt. Dass die Trägerschicht des Aufstands gegen Kaiser Friedrich Barbarossa – wie in Jahrzehnten minutiöser sozialgeschichtlicher Forschung nachgewiesen – ganz und gar aristokratisch ist, nämlich von einem Adel gestellt wird, der in der Stadt residiert, doch seine Machtstellung auf dem Land hat, wird vollständig ausgeblendet, und zwar nach dem das ganze Buch beherrschenden Muster: Was nicht sein kann, weil es die marxistischen Klassiker nicht sagen oder sogar explizit leugnen, ist auch nicht gewesen. Wen sie aber als fortschrittlich loben, den darf man bewundern. Dementsprechend schreibt der Verfasser über weite Strecken mehr oder weniger larmoyant eingefärbte Heldengeschichte – wobei er sich von Lenin die Erlaubnis erteilen lässt, Garibaldi verehren zu dürfen.

Da sich seiner Einschätzung nach in der italienischen Geschichte bis heute überwiegend die Kräfte des Bösen, des Kapitalismus, Imperialismus und noch schlimmerer Couleur, durchsetzten, muss er als Erklärung für dieses omnipräsente Scheitern des Guten auf die bewährten Verschwörungsmodelle zurückgreifen. Das bietet sich schon deshalb an, weil es Komplotte diverser obskurer Geheimlogen, Geheimbünde und Geheimdienste in der jüngeren Geschichte Italiens bekanntlich reichlich gegeben hat. Und da Geschichte die nur unwesentlich variierte Abfolge des immergleichen Kampfes progressiver Kräfte gegen die Mächte der Beharrung und Finsternis ist, bietet es sich an, mit griffigen Analogien zu arbeiten. Pisacane wird so zum Che Guevara des Risorgimento, und der Vergleich mit Chile 1973 ist allgegenwärtig – der von den Brigate rosse ermordete Democrazia cristiana-Politiker Aldo Moro wird so, man liest und staunt, zum römischen Salvador Allende.

Mit dieser Geschichtsauffassung ist der Verfasser der Weltsicht und historischen Interpretation seines Hauptfeindbildes, des frühneuzeitlichen Papsttums, erstaunlich ähnlich – bei beiden schrumpft das irdische Geschehen zum unveränderlich gültigen Beweis des alles beherrschenden telos. Aller dieser Kritik ungeachtet liest man das Buch über weite Passagen mit Sympathie und Bedauern zugleich – wer stünde nicht auf der Seite des Guten, so wie es der Autor am Beispiel Garibaldis und Berlinguers darstellt? Und wer wünschte sich nicht, dass der historische Verlauf so simpel erklärbar und vor allem moralisch so klar unterscheidbar wäre? Ja, man legt dieses Buch, das sich für eine öffentliche Lesung im Rahmen eines Sommerfestes des PCI Mitte der 1970er Jahre vorzüglich geeignet hätte, mit gelinder Trauer aus der Hand – Schade, dass es nicht so war, immerhin ist es erbaulich erfunden.

Ohne wissenschaftlichen Wert für die historische Forschung, die dem Credo seines Verfassers nicht ergeben ist, hat das Buch dennoch hohen Quellenwert: Es zeugt von einer Bewusstseinshaltung, die in Italien anno 2009 weitgehend verschwunden sein dürfte, in Deutschland aber bemerkenswerterweise fortlebt: Hier will man sich sein geliebtes Italien inklusive Klassenkampf-Vergangenheit eben nicht nehmen lassen.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch