Anzuzeigen sind zwei Sammelbände, die im ersten Jahr des Jubiläums der Revolution von 1848/49 erschienen sind. Sie verdanken ihre Entstehung unterschiedlichen Anlässen. Der von Irmtraud Götz von Olenhusen herausgegebene Band geht im Kern auf eine Sektion des Historikertages 1996 in München zurück. Seine Beiträge sind also nicht zum Jubiläum geschrieben worden, auch wenn das Jubiläum die Publikation nahegelegt haben mag. Anders der von Wolfgang Hardtwig edierte Band. Er beruht auf einer Ringvorlesung an der Humboldt-Universität im Wintersemester 1997/98. Entsprechend mag man unterschiedliche Erwartungen haben, neue Forschungsimpulse dort, einen repräsentativen Rundblick hier.
Was bieten die publizierten Bände? Beide setzten schon im Titel deutliche Akzente. "Revolution in Deutschland und Europa" auf der einen Seite. Der europäische Horizont wurde in diesem und im vergangenen Jahr immer betont, ob er immer eingeholt wurde, bleibt mehr als fraglich. Erwartungsgemäß greift der Titel auch hier weiter, als die Aufsätze, die unter ihm zusammengefaßt sind. Was das Europäische angeht, liegt der Akzent auf Ost- bzw. Ostmitteleuropa. Dies bedeutet zwar eine erhebliche Einschränkung, macht aber gleichzeitig gerade eine der Stärken des Bandes aus. 1848/49 "in Europa und der Mythos der Französischen Revolution" heißt es auf der anderen Seite. Hier wird über den europäischen Aspekt hinaus ein (Forschungs-)Thema angesprochen, der Blick wird auf die Rezeptions- und Symbolebene gelenkt.
Wenden wir uns zunächst dem aus der Ringvorlesung hervorgegangenen Band zu. Er soll, so Wolfgang Hardtwig in der Einleitung, nicht nur den aktuellen Forschungsstand in allgemeinverständlicher Form darbieten (9), sondern speziell auf Berlin als einen "zentralen Handlungsort der Revolution" (7) hinweisen und darüber hinaus "Beiträge zu einer Erinnerungskultur, die ihre eigenen Bedingungen reflektiert" (10), liefern. Wenn man liest, Berlin sei "auch der wichtigste Ort der Erinnerung an die Revolution und ihre Bedeutung in der deutschen Geschichte im weiteren Verlauf des 19. und im 20. Jahrhundert", so liegt zwar der Verdacht nahe, hier sei doch (nicht ganz so reflektiert) die Berliner Erinnerungspolitik mit dem Autor durchgegangen - gerade 1998 war definitiv Frankfurt und der "Südwesten" wichtiger als Berlin -, dennoch ist es stimmig, wenn programmatisch am Anfang ein Beitrag steht, der an eine frühere Jubiläumsfeier in Berlin erinnert. Der 18. März 1948 ist das Thema von Laurenz Demps. Leider, so muß man sagen, wurde dieser Einstieg verschenkt. Es mag zwar heute politisch korrekt sein, den westberliner Tiefsinn von Einheit und Freiheit einer ostberliner Politisierung der Geschichte vorzuziehen, die "vordergründige" (S. 17) Nutzung der Erinnerung durch die SED zu kritisieren und das Jubiläum als einen "Höhepunkt auf dem Weg der Spaltung der Stadt" (29) zu beklagen, auf der Höhe der Diskussion über Erinnerung und Erinnerungskulturen bewegt man sich damit nicht. Lohnend ist der Beitrag dennoch, bietet er doch Material, das zu eingehenderer Untersuchung einlädt. Etwa der zwischen Ost und West offenbar säuberlich abgestimmte Zeitplan fordert weitere Interpretation.
Ambitionierter ist der folgende Beitrag von Peter Niedermüller über das historische Gedächtnis in Ungarn. Niedermüller unternimmt eine großräumige Einbettung von "1848" in die ungarische Geschichte, und zwar auf der Ebene des Selbstbildes der Nation. Er unterscheidet hier drei Ebenen, historische Forschungen auf der einen Seite, öffentliche Erinnerungsakte auf der anderen, und als drittes das, was er "gesellschaftliche Narrative" nennt (40f.). Dem Umgang mit "1848" hätten sich mehrere Möglichkeiten geboten. Eine der "narrativen Abbreviaturen" (42) findet in der Revolution eine Störung einer längerfristigen, allmählichen Entwicklung der Nation, eine andere weist auf den notwendigen politischen Radikalismus hin, notwendig, um aus dem patriarchalischen Gesellschaftsmodell auszubrechen. Am wichtigsten sei aber der Mythos der Niederschlagung von außen geworden, er habe im Sinne eines tragischen Grundcharakters der ungarischen Geschichte die Revolution in diese Geschichte zu integrieren erlaubt, freilich zur Ausblendung entscheidender Elemente geführt. Hier fällt besonders der Aktualitätsbezug positiv auf. Niedermüller weist auf einen Deutungsnotstand für "1989" hin, der zusammengehe mit einer fortbestehenden Unklarheit über den heute erreichten Zustand. Daß am häufigsten negative Formeln, "Zusammenbruch des Sozialismus" und "Postsozialismus" (50) verwendet würden, lege davon Zeugnis ab. In der nur scheinbaren Sicherheit über "1848" scheint der Autor diese Situation vorgeformt zu finden.
Mit Selbstbildern einer Nation (oder "der Deutschen") beschäftigt sich auch Wolfgang Kaschuba. Er will uns die andere (eigentliche?), die populäre Revolution näherbringen (62). Nun mag man das beim jüngst zuende gegangenen Jubiläum für zu Genüge erfüllt halten, doch für die historische Zunft bleiben Kaschubas Thesen zu den verschiedenen Öffentlichkeiten (64f.) und sein Begriff der politischen Kultur aktuell. Schade, daß auch er in der Aufzählung von fünf verschiedenen Elementen der politischen Kultur (69ff.) ein wenig der Einteilung in Schubladen verfällt, wo es doch gerade das Interessante an "1848" scheint, wie diese Grenzziehungen ins Wanken gerieten.
Nicht alle Beiträge sollen hier näher kommentiert werden. An Wolfgang Hardtwigs Aufsatz über die Kirchen in der Revolution fällt, so wohlfeil sich diese Kritik mittlerweile anhören mag, die praktisch ausschließliche Fixierung auf Preußen auf. Dasselbe gilt für Konrad Canis' Versuch einer Einteilung der Phasen der Gegenrevolution, wo jene Einschränkung aber immerhin im Titel explizit vorgenommen wird. Hingegen wirkt Ralf Pröves Konzentration auf Berlin im Sinne einer Lokalstudie keineswegs störend. Seine (Fall-)Studie über das Konzept der "Volksbewaffnung" bietet auch wichtige Anhaltspunkte für eine differenzierte Beschäftigung mit dem Thema der Gewalt, das in der Revolutionserinnerung der letzten Jahre tendenziell eher ausgeblendet wurde. Rüdiger vom Bruchs Studie zu den Universitäten in der Revolution leidet durch gewundene Formulierungen an unnötiger Unübersichtlichkeit (als einziger der Beiträge im übrigen, dank ihrem Ursprung in einer Ringvorlesung). Das Ergebnis, daß nämlich weniger ein Gegen- als ein Miteinander von "Altem" und "Neuem" die Revolution von 1848/49 zu charakterisieren scheint, gerät dabei aus dem Blick.
Zum "Ort der Revolution von 1848/49 in der deutschen Geschichte" äußert sich Heinrich August Winkler. Leider bewegt er sich weitgehend reflexionslos in der kleindeutsch-liberalen Deutungstradition. Ob die Radikalen der Demokratie in Deutschland mehr Schaden zugefügt haben, oder die "Revolution wider Willen" (196), sollte man nach der unmaßgeblichen Meinung des Rezensenten besser dahingestellt sein lassen. Die wohlfeile Rechtfertigungsstrategie der Konstitutionellen jedenfalls, den demokratischen Radikalen alle Schuld zuzuweisen, sollte der nicht fortschreiben, der die Nähe der "Diktatur des Proletariats" zum Bekenntnis zur "Realpolitik" ganz richtig erkannt hat (198). Und statt "den vielmißbrauchten Begriff der Tragik" (203) weiter zu mißbrauchen, sollte man sich besser mit der demokratischen Geschichtsschreibung der befreienderen Komik anvertrauen.
Günter Schödl gibt ausgehend vom Geschehen in Böhmen einen Überblick über die Revolution(en) in Ostmitteleuropa. Er entwirft ein reiches Bild von "Verzögerung" und "inhaltlich-struktureller Variantenbildung". Sicher wird man der Feststellung, daß sich "eine Alternative zu Bürgergesellschaft und nationalem Staat" nicht abzeichne, zustimmen; nimmt man freilich das Stichwort der "Erinnerungskultur" ernst und versteht darunter etwas, über das sich nicht reden läßt, ohne daran mitzuarbeiten, so bleibt der Befund unbefriedigend. Woran erinnert sich die Erinnerung an "Defizite" (235)? Was soll ernstlich unter einer "unvollständigen" (ebd.) Sozialstruktur zu verstehen sein? - Ludmila Thomas spricht vorsichtig von "russischen Reaktionen auf die Revolution von 1848 in Europa". Daß hier eine radikalere, autokratische Politik als im westlichen Europa zu finden ist, wird niemanden überraschen (257f.). Ein Thema hätte freilich mehr Gewicht in der Interpretation verdient: Die Emigration, die sich etwa bei Rüdiger vom Bruch in schlechter deutscher Tradition schlicht beiseitegeschoben findet (152), hat eine erstaunliche Stimme in der Erinnerung in Rußland (wie auch in Italien oder Ungarn).
Der Band hat schließlich einen flotten, ja fesselnden Schluß in Hartmut Kaelbles Survey der Argumente pro und contra Einheit der Revolution vs. Vielfalt der Revolutionen. Problematisch freilich, daß Kaelble diese Frage auf europäisch vs. national verengt.
Blicken wir, bevor ein Fazit gewagt werden soll, auf den anderen zu besprechenden Band. Hier ist ein Thema vorgegeben, der "Mythos der Französischen Revolution". Dahinter steht die Vorstellung eines Revolutionszeitalters von 1789 bis 1849, für das die "Französische Revolution von 1789/92" ein "modellstiftender Schlüsselvorgang" gewesen sei (7). Schon in der Einleitung wird freilich auch hervorgehoben, daß die Französische Revolution oft zitiert worden sei, gerade um die revolutionäre Bewegung zu kanalisieren und so den revolutionären Exzeß zu vermeiden - was die Präsenz jener Revolution in der Erinnerung natürlich wiederum voraussetzt (9f., vgl. 49f.). Der Begriff des "Mythos" soll wohl einer derartigen Multifunktionalität eines Erinnerungskomplexes gerecht werden.
Die Beiträge verbindet die Feststellung, daß es verschiedene Phasen der Revolutionserinnerung bzw. Phasen verschiedener Intensität der Erinnerung an "1789/92" gegeben habe. Anfangs, im März, vergleichsweise marginal (24; 44), habe das Zitat der Französischen Revolution im Zuge einer fortschreitenden Polarisierung an Gewicht gewonnen. Daniel Mollenhauer findet dafür in Frankreich nicht nur auf der Linken wie auf der Rechten unterschiedliche Motive (29-31), sondern er sieht auch einen populären jakobinischen Diskurs neue Geltung erlangen, für den (vormodern) die Unterscheidung zwischen Kult und Nachahmung verwischt scheint (32).
Thomas Kroll macht für Italien eine jüngere Generation von Republikanern aus, die seit dem Herbst 1848 einflußreicher geworden sei, und die in den Unterschichten ein erhebliches Anhängerpotential gefunden habe (51ff.), erheblicher jedenfalls, als es die spätere Risorgimento-Geschichtschreibung habe wahrhaben wollen. Jonathan Sperber, der sich einmal mehr mit den Rheinlanden beschäftigt, findet die unterschiedlichen Phasen schwächer ausgeprägt (64f.), dafür aber zwei getrennte "Kulturkreise" (66); nur im katholischen habe die Symbolik der Französischen Revolution nennenswertes Gewicht gehabt. Dies überlagere sich mit der politischen Polarisierung, ja der Unterschied im Bezug auf die Französische Revolution ist Sperber Indiz dafür, "in welch hohem Ausmasse sich Liberale und Demokraten um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts auseinanderbewegt hatten"; auch für sie freilich ist der Jakobinismus nur ein Element unter vielen, dominierender sind zeitgenössische Bilder (72).
Die Herausgeberin selbst beschäftigt sich in einem leider sehr schlecht lektorierten Beitrag mit Baden und unterscheidet ebenfalls verschiedene Phasen der Revolutionsrezeption während der Revolution. Zentral möchte sie Erfolge und Fehler der badischen Radikalen mit ihrer Anhänglichkeit an den Mythos der Französischen Revolution wenn nicht erklären, so doch korrelieren. Der Akzent liegt dabei eindeutig auf den Fehlern. Sie wirft ihnen vor allem "Programmlosigkeit" (83 u. ö.) und Realitätsverlust (106) vor und rutscht dabei durchaus in die schon oben angesprochene ältere Tradition liberaler Apologetik. So möchte sie etwa die Spaltung der Partei der Bewegung allein der "Ungeduld" der Demokraten zurechnen (97) oder mit Vater Itzstein ausrufen: das ganze Maleur "haben wir Herrn von Struve zu verdanken" (89). Wenn es heißt, eine kleine Gruppe von Aktionisten sei nicht mit ihrer minoritären Position im Vorparlament zurechtgekommen und dem Mythos der Französischen Revolution "verfallen", so ist zumindest der Status des Arguments unklar. Mit Recht nämlich pocht Götz von Olenhusen andererseits gegen Paul Noltes Thesen auf die Modernität der politischen Kultur in Baden (86f.). Was für Sperber eine Selbstverständlichkeit ist, nämlich sich mit der explosiven Mischung aus politisch-historischer Rhetorik und dem "Handlungsrepertoire regionaler Volkskultur" zu beschäftigen (63; 67), findet bei Götz von Olenhusen leider nur im Hinweis auf die (erstaunlichen?) "Erfolge" und auf "diffuse Wunschvorstellungen" (86) Berücksichtigung.
Für Wien, mit dem sich Peter Kurth und Birgitt Morgenbrod in einem konzisen Beitrag beschäftigen, liegen die Verhältnisse wohl etwas einfacher. Plausibel, daß nur relativ enge studentische und intellektuelle Zirkel hier einen positiven Bezug zur Französischen Revolution entwickelten, und daß dieses Zitat ihnen bei der Mobilisierung politischer Anhänger wenig geholfen hat. Wie auch in den Beiträgen von Kroll und Mollenhauer über Italien bzw. Frankreich wird aber die Frage nach der Modernität der sich an die Französische Revolution zurückbindenden radikalen Bestrebungen nicht wirklich gestellt, sie gelten implizit als vormodern. Wolfgang Kaschuba tritt in seinem oben angesprochenen Vortrag dieser Einschätzung (oder den Implikationen dieser Einschätzung) meines Erachtens mit Recht entgegen (75f.).
Ein weiteres Thema muss noch angesprochen werden, das die Beiträge wie ein roter Faden durchzieht: das Ende der Revolution, oder, so muss man wohl sagen, des "Revolutionszeitalters". Die gewaltsame Niederschlagung der Revolution oder doch ihrer politischen Strömungen und ihr Zerbrechen an innerer Fraktionierung und der Überkomplexität der Probleme beendet die Furcht vor der Revolution, genauer, der Revolution älteren, nationalistischen Typs (Götz von Olenhusen, 17). Der "revolutionäre Mythos der Barrikade" (147) findet sich vernichtet, ein Mythos, der wohlgemerkt nicht der Französischen Revolution entstammt (und der auf beiden Buchumschlägen zitiert wird!). Dies bestätigt auch Wolfgang Schwentker in seinem abschließenden Beitrag über den Konservativismus. Wie die Linien dennoch weiterführen, liegt außerhalb des Bereichs des Bandes und bedarf sicherlich auch erst weiterer Forschungen.
Fazit: Der von Wolfgang Hardtwig herausgegebenen Band gibt erwartungsgemäß ein Kaleidoskop neuerer und älterer Erkenntnisse über die Revolution, neuerer und älterer Deutungen der Revolution. Der Blick nach Ost(mittel)europa macht ihn interessant und speziellere thematische Arbeiten wie die über die Volkswehren geben ihm Farbe. Ein Handbuch kann er selbstverständlich nicht ersetzen und naturgemäß findet sich Vieles auch schon an anderer Stelle formuliert.
Für die Rezeption der Französischen Revolution im Kontext der Revolution(en) von 1848/49 findet sich in dem schmalen von Irmtraud Götz von Olenhusen herausgegebenen Band eine Fülle von Material. Dieses bereitgestellt zu haben, wiegt den Mangel auf, daß recht unterschiedliche konzeptionelle Ansätze hier aufeinanderprallen und die Frage des Revolutionszitats sich in durchaus unterschiedlichen Kontexten thematisiert findet.