M. Raffler: Museum - Spiegel der Nation?

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Titel
Museum - Spiegel der Nation?. Zugänge zur Historischen Museologie am Beispiel der Genese von Landes- und Nationalmuseen in der Habsburgermonarchie


Autor(en)
Raffler, Marlies
Erschienen
Anzahl Seiten
386 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für Connections. A Journal for Historians and Area Specialists von
Ines Keske, Global and European Studies Institute, Universität Leipzig

Graz ist dank der Kombination einer relativ neu (2002) eingerichteten Professur für Allgemeine Museologie an der Karl-Franzens-Universität und einer schon langen Existenz der Museumsakademie Joanneum sowie des Museums Joanneum ein wichtiges Zentrum museologischer Forschung, Ausbildung und Praxis. Daher verwundert es nicht, dass ausgerechnet hier eine ambitionierte Habilitation vorgelegt wurde, die neue Wege für die noch junge Disziplin „Historische Museologie“ als Teildisziplin der Allgemeinen Museologie beschreiten will.

Marlies Rafflers Studie über die Museumslandschaft der Habsburgermonarchie konzentriert sich auf die Zusammenhänge zwischen der Genese von National- und Landesmuseen (gegründet bis ca. 1830) und der Identitätsstiftung der Habsburger Länder (im Territorialbestand nach 1803/04). Den Kontext dabei bilden Nationalidee und Nationalismus, denn die untersuchten Museen hätten gerade in Zeiten nationaler Selbstfindung – so die These der Autorin – einen hohen Stellenwert besessen. Ihr Ziel ist es darzustellen, „wie ein Nationalmuseum allmählich zu einer gesellschaftlich anerkannten und staatlich geförderten Institution wurde, die national(istisch)e Anliegen mit einer überregionalen Konstruktion […] zu vereinbaren suchte“ (S. 6).

Raffler versucht in ihrer Monographie eine Brücke zu schlagen zwischen a) den zahlreichen theoretischen Arbeiten zum Thema Sammeln, b) den diversen Institutionsgeschichten einzelner musealer Sammlungen bzw. Museen und c) historischen und wissenschaftsgeschichtlichen Studien, die unter Berücksichtigung von Arbeiten zu Nationalismusdiskursen auch museologische Fragen behandeln. Diese „große Zusammenschau“ (S. 21) soll kulturhistorisch Interessierten und Wissenschaftlern museumsrelevanter Fachrichtungen ein nützlicher Leitfaden, ein Kompendium, sein. Die Museumskonzepte des einschlägigen Sammelbandes „Die Nation und ihre Museen“ 1 werden um das des Museums als „Spiegel der Nation“ ergänzt, „denn es sind gerade die Museen, wo die Denkkategorien des Nationalen und Historischen im 19. Jahrhundert aufeinander prallten“ (S. 22).

Dem empirischen Teil geht ein umfangreicher theoretisch-museologischer Teil voran, der vier Kapitel umfasst. Er beginnt mit einer auf Termini (Museum, Nationalmuseum, Museologie) und Forschungsstand interdisziplinär ausgerichteten Einführung. In einem sehr dichten Exkurs zum Verhältnis von (Kultur-)Geschichte und Museum plädiert Raffler unter anderem für eine stärkere Anerkennung des Themenkomplexes Museum als Forschungsfeld der Historiker. Denn nicht nur die Geschichte im Allgemeinen, sondern auch die Museen im Besonderen seien als wichtige Träger von Erinnerung und Gedächtnis für die wissenschaftsgeschichtliche Forschung ebenso bedeutsam wie die Universitäten (S. 43).

Der „Kultur des Sammelns“ nähert sich Raffler mit allgemeinen Überlegungen zum Themenkreis Sammler – Sammelobjekt – Sammlung. Dabei geht sie besonders auf den Begriff „Sammeln“ ein, da dieser oft unpräzise verwendet wird. In ihren Überlegungen zur „Historischen Museologie“, die sich unter anderem mit der Geschichte der Musealisierung beschäftigt und eben keine reine Institutionengeschichte schreibt, entwirft Raffler ihr eigenes Modell für eine chronologisch-systematische Geschichte musealer Sammlungen. Trotz der als problematisch bezeichneten Verwendung von Epochenbegriffen hat sie das fünfgliedrige Periodisierungsmodell adaptiert, das Friedrich Waidacher für die Geschichte des Musealphänomens vorlegte. 2 Raffler ergänzt dessen Modell – bestehend aus Prä-, Proto-, Paläo-, Meso- und Neomusealer Epoche – um die Postmuseale „Epoche“ (die sie im Gegensatz zu Waidacher bewusst in Anführungszeichen setzt). Dem folgt ein somit in diese sechs Epochen gegliederter allgemeiner Überblick zur Entwicklung des Sammelwesens. Darin werden der Forschungsstand herausgearbeitet und wichtige Primärquellen wie Museumstraktate besprochen. Anschließend diskutiert Raffler die Frage, welcher Nationsbegriff dem Diskurs um die Nationalmuseen des Vielvölkerstaates im Untersuchungszeitraum zugrunde lag. Wie aus den musealen Quellen ersichtlich, habe die Vorstellung von einer föderativen Nation (entsprechend dem „Föderativen Nationalismus“-Konzept Dieter Langewiesches 3) vorgeherrscht. Denn es sei den Museumsgründern nie um das österreichische Kaisertum als identitätsstiftendes Ganzes oder, da es kein österreichisches Nationalmuseum gab, um einen Verbund zwischen den Museen der Monarchie gegangen.

Der zweite, historisch-analytische Teil gliedert sich in drei Kapitel. Er beginnt mit einer Betrachtung der Vor- und Sonderformen der behandelten National- und Landesmuseen. Bezogen auf die Vorformen wird nach Kontinuität und der Weiterführung von Traditionen gefragt und dies exemplarisch am Verhältnis zwischen der Grazer Kunstkammer und dem Joanneum sowie den Ferdinandeischen Sammlungen auf Schloss Ambras und dem Ferdinandeum erklärt. Als mustergültige Sonderformen musealer Präsentation werden zudem verschiedene Bibliotheken und Schulmuseen und -sammlungen in Schlesien, Siebenbürgen, Galizien und der Bukowina besprochen. Unter anderem werden das Schulmuseum in Teschen (1802) und das – aus einer Schulsammlung hervorgegangene – „Museum des Gesenkes“ in Troppau/Opava (1814) vorgestellt, letztgenanntes, da es als schlesisches Musterbeispiel des neuen Typus Nationalmuseum gelten kann (S. 170).

Die Darstellung der Genese einzelner Museen der Habsburgermonarchie folgt nicht dem institutionsgeschichtlichen Zugang, sondern operiert exemplarisch mit einigen Museen je nach der Wichtigkeit ihrer Vorbildwirkung. So beginnt Raffler mit dem Grazer Joanneum, dem 1811 gegründeten Vorreiter späterer musealer Konzepte. Sie fasst sich dabei aber eher kurz, während nachfolgend die Entstehungsgeschichten des Böhmischen (1818) und des Ungarischen Nationalmuseums (1802) minuziös wiedergegeben werden. Dazwischen finden sich Ausführungen über das Franzensmuseum in Brünn (1818), das Innsbrucker Ferdinandeum (1823), das Museum Carolino-Augusteum in Salzburg (1834/52) und das Oberösterreichische Landesmuseum (1833). In der Analyse, die bewusst „detailverliebt“ (S. 181) die Entwicklung von der Idee bis zur Gründung der Museen widerspiegelt, arbeitet Raffler deutlich deren Strukturierung und Organisation sowie die Rolle von Funktionsträgern (Gründerpersönlichkeiten aus dem Hochadel, Kustoden und Ausschussmitglieder) sowie deren Netzwerke heraus.

Auf die Aspekte Kommunikation, Kulturtransfer und Vernetzung in den Museen der Habsburgermonarchie geht Raffler im letzten Kapitel ein. Dabei fragt sie, in welchem Maß und in welcher Form die untersuchten Sammlungen zu jener Zeit einen Erkenntnisgewinn schufen und/oder zur „Verlagerung“ von Wissen beitrugen. Mit Hilfe des Kulturtransferansatzes arbeitet sie exemplarisch verschiedene Arten von Kontakten heraus: 1. Verwobenheit von Weltanschauung, Ausbildungszentren, Lehrer-Schüler-Verhältnis; 2. persönliche Freundschaften, personelle Verflechtungen und Netzwerke zwischen den Museen; 3. Förderer, Gönner, Kustoden; 4. Mitgliedschaft in wissenschaftlichen Vereinigungen, „Literarischer Verkehr mit anderen Gelehrten, Academien und Vereinen“; 5. „mediale“ Präsenz in Publikationen der Institute und Museumsvereine. Aufgrund der mangelhaften Quellenlage für ihren Untersuchungszeitraum kann Raffler der Frage nach der Rolle der Besucher kaum nachgehen. Daher endet die Studie mit der Auflistung von „Markierungspunkten“ des langen, bis ins 16. Jahrhundert zurückreichenden Öffnungsprozesses musealer Einrichtungen für die Allgemeinheit sowie mit Bemerkungen zur Kommunikation im Museum durch das Museumspersonal und generell zur Besucherforschung.

Im Streit um die Frage, wer nun eigentlich Geschichte im Museum erzählen „darf“, nimmt Raffler eine Vermittlerrolle zwischen Geschichtswissenschaft und Museologie ein. Sie bringt beide Wissenschaften immer wieder zusammen, indem sie die eine Disziplin als Hilfswissenschaft der anderen betrachtet und umgekehrt. Sie zeigt, wie ertragreich die interdisziplinäre Erforschung von Museen sein kann – hier unter Einbeziehung der Mentalitätsgeschichte, des Kulturtransferansatzes und der „Historischen Museologie“. Allerdings wäre es schön gewesen, wenn die Kapitel des ersten Teils durch Überleitungen besser miteinander verknüpft worden wären. Es hätte dem Buch, wie im Vorwort versucht und abschließend in der Rekapitulation gelungen, eine Einleitung gut getan, die kompakt die Ziele, Fragestellungen und den roten Faden der Arbeit erläutert. Auch ist die Herleitung und Darstellung des gewählten Theoriemodells auf eineinhalb Seiten sehr knapp ausgefallen. Wer das Modell Waidachers nicht kennt, kann so die Weiterentwicklung durch Raffler nur schwer beurteilen. Die detaillierte und dabei systematische Analyse der ausgewählten Museen hingegen ist gelungen, weshalb die Studie als Kompendium für die „Historische Museologie“ der Habsburgermonarchie dienen kann.

Anmerkungen:
1 Marie-Louise von Plessen (Hrsg.), Die Nation und ihre Museen, Frankfurt am Main 1992.
2 Friedrich Waidacher, Handbuch der Allgemeinen Museologie, Wien 1993.
3 Dieter Langewiesche / Georg Schmidt (Hrsg.), Föderative Nation, Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg, München 2000.

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