David Kuchenbuch rückt mit Arno Peters (1916–2002) und Richard Buckminster Fuller (1895–1983) zwei Personen in den Fokus, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit Weltkarten, Globen, Diagrammen und Zeitleisten Artefakte schufen, die, wie es Kuchenbuch formuliert, als „globalistische Denkhilfen“ (S. 15) gedacht waren. Beide Protagonisten waren „Welt-Bildner“, die globale bzw. planetarische Themen medial wirksam präsentierten und auf je unterschiedliche Weise mit verschiedenen politisch-kulturell-moralischen Milieus interagierten. Fuller war Designer und Designtheoretiker, Architekt, Bauunternehmer und Vordenker der amerikanischen Gegenkultur. Bekannt sind etwa seine Dymaxion Map (eine aus einem Polyeder, hier: Ikosaeder mit 20 Seiten, aufklappbare Weltkarte), seine geodätischen Kuppeln und Kuppelgebäude (wie die Biosphère zur Weltausstellung in Montreal 1967) oder das von ihm konzipierte World Game (ein Strategiespiel mit dem Ziel, globale Planungsinstrumente für eine bessere Welt zu entwickeln). Peters wiederum wurde bekannt durch seine Synchronoptische Weltgeschichte (eine Zeitleiste in Buchform, die die gleichberechtigte Darstellung aller Kulturen und Regionen anstrebte) sowie durch eine Weltkartenprojektion, die mit der ausschließlichen Fokussierung auf Flächentreue zu eigenartigen Verzerrungen der üblichen kontinentalen Formen führte und sich so als Anti-Mercator-Karte präsentierte. Fuller zielte auf ein besseres Verständnis des Planeten im Sinne einer Fortschritts- und Aufstiegserzählung; Peters dagegen skandalisierte die Unterdrückung und Ausbeutung der „Dritten Welt“.
Kuchenbuch hat mit seiner Habilitationsschrift nicht nur eine Doppelbiografie vorgelegt. Schon dies stellt eine Herausforderung dar, handelt es sich doch um zwei Personen, die sich nie begegneten, teilweise in unterschiedlichen Jahrzehnten wirkten und zudem verschiedenen nationalen Kontexten entstammten (der eine war US-Bürger, der andere Deutscher). Weit über die Biografien hinaus möchte Kuchenbuch die gesellschaftliche Resonanz auf die von Fuller und Peters geschaffenen Medien untersuchen. Und dies erweist sich als sehr interessant, da die Artefakte beider Protagonisten nicht im beabsichtigten Sinne wirkten. Griff die US-amerikanische Gegenkultur zwar Fullers Ideen, Zukunftspläne und Designs auf, so sah sich Fuller selbst nicht auf Seiten der politischen Linken. Mit seinem planetarischen Denken war er anschlussfähig (und wollte dies auch sein) für all jene, die seit dem Globalisierungsschub der 1940er-Jahre über die eigenen nationalstaatlichen Grenzen hinausblickten (und hinausblicken mussten); gleich ob aus militärisch-strategischen oder aus ökonomischen Gründen. Für Peters wiederum, der aus einer deutschen kommunistischen Familie stammte, hielt lange ein (DDR-kritischer) Antiimperialismus orientierende Kategorien bereit. Am Ende waren es dann aber vor allem kirchliche Missionsabteilungen und christliche Dritte-Welt-Initiativen, die mit seiner Weltkarte arbeiteten. Während Fuller ein Optimist des planetarischen Fortschritts war, den es zu beweisen und handhabbar zu machen galt, zählte Peters eher zu den sozialistischen Skeptikern der Moderne. Waren für Fuller, auch wenn er durch die Welt tourte, im Wesentlichen die USA sein Resonanzraum, so war es für Peters Deutschland (auch wenn seine Weltkarte in den 1980er-Jahren global Verbreitung fand). So verschieden die Personen waren, so unterschiedlich waren zugleich ihre gesellschaftlichen Wirkungsräume. Kuchenbuch erweitert folglich die Doppelbiografie um zwei Zeitgeschichten (selten aber auch Globalgeschichten) und sieht sich so mit einer weiteren Herausforderung konfrontiert. Um es vorwegzunehmen: Er meistert diese selbst gestellte Aufgabe hervorragend.
Kuchenbuch verknüpft die beiden Biografien, die sich angesichts ihrer globalistischen bzw. planetarischen Zugriffe auf die Gesellschaft durchaus nahe sind, über eine medienhistorische Leitfrage. Angelehnt an Reinhart Koselleck sowie an medienwissenschaftliche Theorien interessiert sich Kuchenbuch für den „medientechnischen Erfahrungsraum“ und den „medienbezogenen Erwartungshorizont“ der Protagonisten (S. 197). Über die Fragen, warum sich Fuller und Peters für mediale Repräsentationen der „einen Welt“ begeisterten, was sie sich von ihren spezifischen Interventionen erhofften und wie ihre medialen Artefakte rezipiert wurden, erkundet Kuchenbuch den historischen Raum globalen Denkens und Handelns von den 1940er-Jahren bis Ende der 1990er-Jahre.
Der Autor folgt dem Wirken Fullers und Peters’ nach der Einleitung in sieben Kapiteln. Biografische Abschnitte wechseln sich mit der Werkauseinandersetzung, der je historischen Kontextualisierung und methodischen Diskussionen ab. Zunächst lenkt Kuchenbuch den Blick auf den zwanzig Jahre älteren Fuller und den kriegsgeprägten Globalitätsdiskurs der 1940er-Jahre („One World War“). Für die 1950er-Jahre diskutiert er, ob wir es angesichts des Systemkonflikts eigentlich mit einer Welt oder mehreren Welten zu tun haben („One World or None“). Insofern folgt er einer Chronologie und bettet die Arbeiten Peters’ an der Synchronoptischen Weltgeschichte während der 1940er- und 1950er-Jahre in diese Geschichte ein. Die Kapitel sechs und sieben sind dann deutlicher als alle anderen jeweils einem Protagonisten gewidmet. Die Phase 1960–1972 betrachtet Kuchenbuch als das Jahrzehnt Fullers und seines Planungsglobalismus („Only One Earth“), während er den Zeitraum 1973–1986 mit dem Fokus auf die Nord-Süd-Debatten als „Peters’ Jahrzehnt“ identifiziert („One World to Share“). Überhaupt liegt der Schwerpunkt der Untersuchung auf diesen drei Dekaden, da Kuchenbuch nach den Umständen und Umbrüchen fragt, die zur Haltung des „global denken, lokal handeln“ führten. Die zentrale Hypothese, entlang der Kuchenbuch die Biografien und seine Geschichte globalen Denkens entwickelt, lautet, dass aus einem „implodierende[n] Erwartungsüberschuss des optimistischen (Planungs-)Globalismus der 1960er Jahre“ ein „selbstkritisch-subjektivistischer Glokalismus“ geworden sei (S. 50). Fuller stand dabei für ersteren, Peters für letzteren. Das Kapitel über die Zeit 1987–2000 („Many Worlds“) ist dann auch das kürzeste und kann eher als Resümee zu den Entwicklungs(ab)brüchen mit dem Ende des globalen Systemkonflikts gelesen werden (sowie dem Ende des Nord-Süd-Fokus). Kuchenbuch will seine Ausführungen zu den 1990er-Jahren trotz der Verwendung von Begriffen wie „Kategoriendämmerung“ oder „Bilderskepsis“ aber nicht als Niedergangsgeschichte verstanden wissen (S. 534ff.).
Fuller und Peters dienen dem Autor als Quellen und als Tiefenbohrungen. Dabei hat er es mit Figuren zu tun, die als intellektuelle Lichtgestalten erinnert werden wollten und dies über detaillierte Tagebücher (Peters) bzw. eine annähernde Totalüberlieferung aller Korrespondenzen und Publikationen (Fuller) auch selbst organisierten (Fullers Nachlass in der Stanford University Library umfasst 430 laufende Meter). Bei Fuller musste sich Kuchenbuch durch teils hagiografische biografische Darstellungen kämpfen, wohingegen er bei Peters nur auf wenige Vorarbeiten zurückgreifen konnte (die im Wesentlichen vom Rezensenten stammen). Peters’ umfangreichen Nachlass, der zwar in der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin verzeichnet vorliegt, aber bis 2020 gesperrt war, konnte er zudem nur unter der Bedingung auswerten, die familiären Beziehungen und die finanzielle Seite außen vor zu lassen.
Zur Einbettung von Peters und Fuller in seine Geschichte des Globalismus sowie zum genaueren Verständnis verarbeitet Kuchenbuch eine Unmenge an Literatur (was auch den Umfang der Monografie erklärt). Darüber hinaus erschließt der Autor neben den beiden Nachlässen aber noch eine Vielzahl weiterer Quellen. In sechs „Vignetten“ (begrifflich leicht irritierend), die die Hauptkapitel jeweils eröffnen, diskutiert er weitere Artefakte bzw. Repräsentationen globalen/planetarischen Denkens wie den Bestseller des republikanischen Gegenspielers von Franklin D. Roosevelt, Wendell Willkie, aus dem Jahr 1943 („One World“), den britischen Propagandafilm „World of Plenty“ (1943) und den Nachkriegsfilm „One World or None“ (1946), die Skulptur „Unisphere“ des US-amerikanischen Ingenieurs Gilmore David Clarke (Weltausstellung 1964/65) oder das Brettspiel „Ökolopoly“ (1984).
Eine (nicht ganz überraschende) Erkenntnis der Untersuchung Kuchenbuchs ist, dass das moderne globale Denken seit 1945 auf sehr unterschiedliche Quellen zurückgreift – ideell/begrifflich, sozial, regional. Hier liegt aber eine besondere Stärke der Monografie über ihre unmittelbare Thematik hinaus, nämlich methodische Wege vorzuschlagen, mit denen diese Vielfalt an Entwicklungen in den Blick genommen werden kann: Ausgehend von Artefakten und deren Protagonisten verfolgt Kuchenbuch die intendierten und nichtintendierten Wirkungen, um dadurch soziale, kulturelle und politische Milieus zu vermessen. Da mit den beiden „Welt-Bildnern“ Fuller und Peters im Wesentlichen der US-amerikanische und der deutsch-deutsche Raum betrachtet werden, stellen Kuchenbuchs Thesen geradezu eine Aufforderung an die Forschung dar, auch andere geografische Räume zu untersuchen. Allerdings bleiben auch beim eigentlichen Thema des Verfassers durchaus noch Desiderata. Kuchenbuch argumentiert zu Beginn, dass ein „Sozialprofil global orientierter Gruppen“ sich „auf konventionell sozialhistorische Weise kaum zufriedenstellend zeichnen“ lasse, da die Alltagsentscheidungen, in denen sich deren Globalismus ausdrücke, quantitativ nicht zu erfassen seien (S. 37). Diesen sehr weitgehenden sozialhistorischen Anspruch an seine Arbeit, den Kuchenbuch (bewusst vorsichtig?) lediglich in einer Fußnote formuliert, löst er nicht ein. Über die Alltagsentscheidungen in den Missionsabteilungen der christlichen Kirchen, um nur einen Aspekt zu nennen, erfahren wir doch zu wenig. Gleiches gilt auch für die Aufmerksamkeit, die Peters mit seiner Synchronoptischen Weltkarte generierte. Die kurzzeitige Überlegung, diese Karte in Form eines Kuppelbaus in die damals größte gewerkschaftliche Bildungseinrichtung der Bundesrepublik zu integrieren, nämlich in das 1971 eröffnete IG-Metall-Bildungszentrum Sprockhövel, weist auf mehr als Zufälligkeiten hin und lässt eine entsprechende Resonanz im linken/linkssozialdemokratischen Milieu der Bundesrepublik vermuten. (Dass ich hier lediglich auf die Biografie Peters’ verweise, liegt schlicht an meiner eigenen Expertise, die bezüglich Buckminster Fuller begrenzt ist.)
Neben dieser kleinen Kritik, die gleichfalls als Anregung für weitere Forschungen gedacht ist, soll noch auf die für (manche) LeserInnen nicht ganz einfache Struktur der Arbeit hingewiesen werden. Diese ist der Doppelbiografie geschuldet. Um die Personen und Zeitgeschichten nicht in (womöglich langweiligen) sukzessiven Kapiteln abzuhandeln, verknüpft Kuchenbuch diese auf gut überlegte, aber auch komplexe Weise mit seiner Fragestellung. So findet man zwar im zweiten inhaltlichen Kapitel „biografische Herleitungen“ für die Zeit bis 1945, aber eben noch keine Biografie oder überhaupt einen Gesamtblick auf die Personen. Wer sich also vor allem für Fuller oder Peters interessiert, muss einige Lektürezeit investieren. Auch die Kapitelüberschriften hätten eine stärker orientierende Funktion haben können. Sie sind aus Quellen abgeleitet und erklären sich so erst mit der Lektüre. Kurzum: Wer sich nur für Bausteine interessiert, mag es etwas schwer haben; wer die Studie aber vom Anfang bis zum Ende lesen möchte, hat ein außerordentlich gelungenes Buch vor sich. Die zahlreichen Abbildungen der medialen Artefakte erleichtern dabei nicht nur die Lektüre, sondern machen neugierig.