Die inter- und transnationale Erweiterung der nationalen Geschichte hat längst Einzug in Darstellungen zur modernen deutschen Geschichte gehalten. Für einzelne Epochen, wie für das Kaiserreich von 1871, aber auch zeitlich übergreifend, liegen bereits seit einer ganzen Reihe von Jahren entsprechende Publikationen vor.1 Der Titel von Thomas Adams Studie zu „Deutschland in der Welt“ legt nahe, dass sich seine deutsche Geschichte seit 1815 ebenfalls in diesen Trend einreihen möchte. Dem ist allerdings nicht so. Zwar beschwört die Einleitung von Adams Buch die „transnationale Wende“ der jüngeren Geschichtswissenschaft und verspricht überdies, im Unterschied zu anderen Arbeiten auch „nicht-staatliche Aktionen und Akteure“ in eine solche erweiterte Geschichte einzubeziehen und so nicht zuletzt auf eine Geschichte der „deutschsprachigen Bevölkerung innerhalb und außerhalb des deutschen Nationalstaats“ abzuzielen (S. 13f.). In der eigentlichen Darstellung ist davon allerdings nur wenig zu spüren. Statt systematisch inter- und transnationale Momente in der nationalen Entwicklung zu verfolgen oder konsequent, wie ebenfalls angekündigt, den Vergleich zu suchen, hat Adam eine ziemlich traditionelle Nationalgeschichte geschrieben, die lediglich an einigen Stellen mit Hinweisen auf inter- und transnationale Wirkungen und Gegenwirkungen angereichert ist. Solche Erweiterungen betreffen insbesondere die deutsche Migration in die USA oder den Sport, namentlich die zunehmende Popularität des Fußballs als britisches Importprodukt in Deutschland. Andere trans- und internationale Verweise, wie etwa auf die außerdeutschen Wurzeln der Industrialisierung oder die „internationalen“ Voraussetzungen des Nationalismus im 19. Jahrhundert, sind so trivial, dass sie den hohen Anspruch des Buches kaum einlösen können. Sicherlich ist dem Autor recht zu geben, dass es weiterer Arbeiten bedarf, die die Erweiterung der nationalen Perspektive konsequent umsetzen. Thomas Adams eigene Studie tut dies aber gerade nicht. Damit kann sie nicht halten, was die Einleitung prominent verspricht, nämlich „durch das Einnehmen einer vergleichenden und transnationalen Perspektive“ letztlich „eine Neubewertung von Ereignissen der politischen Geschichte […] zu erreichen“ (S. 15).
Wenn das Buch also nicht die in Titel und Einleitung versprochene moderne deutsche Globalgeschichte bietet, wie schlägt es sich als einbändige, traditionellere Gesamtdarstellung der modernen deutschen Geschichte seit immerhin 1815? Auch hier ist die Bilanz gemischt. Auf der Habenseite steht ein gewisser Perspektivenreichtum. Adam schreibt – in dieser Hinsicht stimmt der (Unter-)Titel – gleichermaßen über Gesellschaft, Kultur und Politik. In der grundsätzlich chronologisch gegliederten Darstellung finden sich, neben den großen politischen Einschnitten wie der Revolution von 1848, der Gründung des Kaiserreichs von 1871 oder der Politik der Präsidialkabinette am Ende von Weimar, ebenso Passagen zu deutschen Identitäten, Minderheiten und Phänomenen der Alltagsgeschichte, zur Geschichte von Frauen oder zur Wirtschafts- und Konsumgeschichte. Dabei vergisst Adam neben der nationalen auch die regionalen und lokalen Ebenen nicht. Bemerkenswert ist zudem, wie es Adam gelingt, in der deutschen Geschichte nach 1945 mehr oder weniger gleichgewichtig über DDR wie Bundesrepublik zu schreiben. Dies wird von solchen Gesamtdarstellungen tatsächlich oft gefordert, aber selten eingelöst, und setzt sich bei Adam ebenso in einer – bei einer einbändigen Arbeit notgedrungen kurzen – Darstellung der Berliner Republik nach 1990 fort, die die spezifischen DDR-Erfahrungen vielleicht sogar vorrangig berücksichtigt.
Solchen beachtenswerten Schwerpunktbildungen, die für die Beurteilung einer Gesamtdarstellung natürlich immer besonders interessant sind, stehen aber gleichermaßen deutliche Einschränkungen gegenüber. So erschließt sich in den einzelnen Kapiteln die Auswahl der Themen zu häufig nicht: Warum dem Fußball solche Aufmerksamkeit schenken? Warum bei der Darstellung der vielen Stiftungen im 19. Jahrhundert (Adam spricht von der „boomenden Zivilgesellschaft“ im Kaiserreich) gerade der Meyerschen Stiftung in Leipzig ein eigenes Kapitel widmen? Warum in einem gerade zwanzigseitigen Kapitel über „Staat und Gesellschaft während der NS-Diktatur“ das längste Unterkapitel ausgerechnet der Autobahn widmen? Viele solche Entscheidungen wirken beliebig und überzeugen nicht. Auch Begründungen dafür suchen LeserInnen vergeblich. Eine eigene Deutung der modernen deutschen Geschichte entsteht auf diese Weise in der Darstellung jedenfalls nicht. Ganz überwiegend wird die moderne deutsche Geschichte vielmehr entlang der erwartbaren Teilabschnitte vom Vormärz bis zur Berliner Republik abgearbeitet, ohne klare oder gar originelle Akzente zu setzen. Aktuelle oder grundsätzliche Forschungsdiskussionen, wie die Frage nach demokratischen Elementen im Kaiserreich oder selbst die nach der Stellung des Nationalsozialismus in der modernen deutschen Geschichte werden höchstens implizit aufgegriffen und damit nur für bereits kundige LeserInnen kenntlich. Für diese ist ein solches Buch aber wohl gerade nicht geschrieben.
Nicht zuletzt enthält der Text eine Reihe von ziemlich ärgerlichen Fehlern. So hat Adolf Hitler seine berühmte Rede vom 30. Januar 1939 keineswegs, wie Adam behauptet, im Reichstagsgebäude gehalten (S. 402), sondern bekanntlich in der benachbarten Krolloper. Eine Belastung des nach dem Reichstagsbrand vom 27./28. Februar 1933 von den Nationalsozialisten nie mehr für seine ursprüngliche Funktion instandgesetzten Gebäudes durch die Reden des Reichskanzlers Hitler ist deshalb gerade nicht gegeben. Wilhelm I. wurde am 18. Januar 1871 keineswegs zum Kaiser „gekrönt“, wie bei Adam zu lesen ist (S. 88). Ein solcher traditioneller Akt der Monarchenerhebung hat zu Beginn des konstitutionell begründeten Kaiserreichs eben nicht stattgefunden. Dass man in Europa 1914 nicht wusste, was ein industrieller Krieg bedeuten würde (S. 170), ist eine längst widerlegte Vorstellung der älteren Literatur. Dass die politisch-militärischen Eliten Europas den Krieg trotzdem machten, wiegt daher umso schwerer. In der Spiegel-Affäre von 1962 wies mitnichten Franz Josef Strauß die Hamburger Polizei zur Durchsuchung der Redaktionsräume des Nachrichtenmagazins an (S. 324f.). Einen solchen eklatanten Übergriff hätte vermutlich nicht einmal der damalige Verteidigungsminister gewagt. 1977 wurde auch nicht der „Bundesstaatsanwalt“ Siegfried Buback von der RAF ermordet (S. 328), es war der Generalbundesanwalt. Und 1905 hatte das Deutsche Reich doch etwas mehr als die im Buch genannten 37 Millionen Einwohner (S. 145). Solche Fehler, denen weitere hinzugefügt werden könnten, mögen natürlich immer einmal vorkommen. In dieser Fülle irritieren sie doch erheblich und verstärken den Eindruck einer allzu rasch und letztlich mit wenig inhaltlicher wie konzeptioneller Sorgfalt zusammengestellten Publikation.
Anmerkung:
1 Z.B. Sebastian Conrad / Jürgen Osterhammel (Hrsg.), Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871–1914, Göttingen 2002; Sebastian Conrad, Globalisierung und Nation im Deutschen Kaiserreich, München 2006; Andreas Fahrmeir (Hrsg.), Deutschland. Globalgeschichte einer Nation, München 2020.